Frieden machen (Mk 12 28-34)

Unseren Gottesdienst vom 10. Sonntag nach Trinitatis zum Nachhören finden Sie für vier Wochen hier.

Gott erwählt Israel
eine unlösbare Verbindung
für IHN
und doch offen für alle
auf der Suche nach dem Reich Gottes

Wohl dem Volk, dessen Gott
der HERR ist
dem Volk,
das ER zum Erbe erwählt hat!
Ps 33,12
***

aus Markus 12

Und es trat zu ihm einer der Schriftgelehrten, der ihnen zugehört hatte, wie sie miteinander stritten. Als er sah, dass er ihnen gut geantwortet hatte, fragte er ihn: Welches ist das höchste Gebot von allen?

Jesus antwortete: Das höchste Gebot ist das: „Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein, und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit all deiner Kraft“ (5.Mose 6,4-5).
Das andre ist dies: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (3.Mose 19,18). Es ist kein anderes Gebot größer als diese.

Und der Schriftgelehrte sprach zu ihm: Ja, Meister, du hast recht geredet! Er ist einer, und ist kein anderer außer ihm; und ihn lieben von ganzem Herzen, von ganzem Gemüt und mit aller Kraft, und seinen Nächsten lieben wie sich selbst, das ist mehr als alle Brandopfer und Schlachtopfer.

Da Jesus sah, dass er verständig antwortete, sprach er zu ihm: Du bist nicht fern vom Reich Gottes.

Und niemand wagte mehr, ihn zu fragen.

Frieden machen.
Ein Menschheitstraum. Denn alle Menschen, die Unfrieden oder gar Krieg erleben mussten und müssen, SEHNEN sich nach Frieden. Und nach Menschen, die dafür arbeiten. Die Frieden machen.

Frieden machen.
Wer das wirklich will, muss auf die Suche nach Wahrheit gehen. Das lässt sich nicht vermeiden. Da „beißt die Maus keinen Faden ab“:
Unwahrheit und Frieden gehen nicht zusammen.
Wahrheit und Frieden dagegen gehen Hand in Hand.

Nur ist das mit der Wahrheit ja so eine Sache. Was ist Wahrheit?
Das fragten die Menschen schon vor Pilatus. Und das „wer kennt die schon…“ hören sie durch die Zeit der Welt immer wieder aufs Neue.

Vor gut sechzig Jahren bekam sie Gelenkrheuma und musste ins Kinderkrankenhaus – für ein ganzes Jahr. Danach musste sie nicht nur ein Schuljahr wiederholen, sie durfte auch nicht mehr ins Wasser. Die Ärzte ließen keinen Zweifel: Außer zum Waschen sollte sie zeitlebens um Wasser einen großen Bogen machen.

Naja, getauft war sie schon, daran konnte diese Diagnose nichts mehr ändern. Aber dass sie zeitlebens nicht mehr melken, nie mehr draußen baden sollte und darum auch nie das Schwimmen lernte, belastete sie durch ihr Leben.

Da half es ihr auch nicht mehr, dass die Ärzte zwanzig Jahre später auch keine Zweifel hatten, ihr zu sagen: Gehen sie Schwimmen! Machen sie Wassergymnastik! Das schont die Gelenke, kräftigt ihre Muskeln und hilft, ihre Beweglichkeit zu erhalten!

Ja, erzählt sie mir, versuchen sie mal einen Schwimmkurs für Erwachsene zu finden! Ich wohne ja nicht in Berlin!
Dieser Zug war für sie abgefahren, und in ihrem Leben war das einer der Züge, nach dem kein anderer mehr in diese Richtung kommen sollte.

Was für die Medizin gilt, gilt auch sonst: Unsere Wahrheiten sind relativ, ihre Halbwertzeiten sehr verschieden. Sogar in der Mathematik – die funktioniert ja auch nur, wenn man akzeptiert, dass Eins Eins ist. Sonst kann 1+1 schon mal 3 ergeben, in der Biologie funktioniert das ja auch.

Auch in der Theologie, also der Lehre von Gott, ist das nicht anders. Was die einen da als Wahrheit für sich reklamieren, muss für die anderen noch lange nicht stimmen. Da kann man sich schon mal in die Haare kriegen, und dann ist es mit dem lieben Frieden vorbei. Bis hin zum Krieg.

Fangfragen, Haarspaltereien, Lust auf Skandale – das schafft Konflikte, Streit, keine selige, sondern feindselige Atmosphäre. Davon konnte auch Jesus sein Lied singen.

Markus erzählt vor unserem Bibeltext von vielem Zank und Streit. Da kommt die eine Theologenpartei und will von Jesus eine Art Ausweis haben dafür, dass er ist, wer er ist. Jesus reagiert mit einer Gegenfrage. Sie wollen sich sicherheitshalber nicht festlegen und sagen, dass sie die Antwort nicht wissen.
Dann antworte ich euch eben auch nicht, sagt Jesus.

Eine andere Partei will ihn aufs Glatteis führen und fragt ihn, ob es legitim sei, dem Kaiser Steuern zu zahlen. Jesus lässt sich eine Münze zeigen: Ihr seht ja, wessen Gesicht da drauf ist, also gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist.

Eine dritte Partei, die die Auferstehung der Toten für unmöglich hält, beschreibt eine fiktive Situation nach der Auferstehung, bei der eine Frau ihren sieben Ehe-Männern begegnet, die sie gesetzeskonform vor ihrem Tod hatte: Soll sie nun im Himmel alle sieben Ehe-Männer wieder haben? Kann das gut gehen?

Ach, Herr Pfarrer, ich hätte da mal eine Frage:
Werde ich im Himmel alle meine Lieben wiedersehen?
Aber ja, sicher. Die anderen aber auch.

Der Himmel funktioniert aber nicht wie die Kopie der Erde, sagt Jesus. Ihr versteht nicht, worum es geht, oder wollt es nicht verstehen.

Fragt ihr wirklich nach Gott oder wollt ihr Recht haben? Eure Wahrheit beweisen?
Fangfragen, Haarspaltereien, Lust auf Skandale:
Das führt nur zu Zank und Streit.
Zu Gott führt euch das nicht.

Aber dann – dann kommt dieser Schriftgelehrte, der schon mit seiner Frage zeigt, dass es ihm um etwas anderes geht. Er versucht, mit dieser Frage von sich aus eine Brücke zu Jesus zu bauen.

Und Jesus erkennt das und gibt eine Antwort, die von der anderen Seite her die Brücke auf den Schriftgelehrten hin baut.

Jesu Antwort erleichtert den Schriftgelehrten, sie begeistert ihn geradezu: Ja, Meister, du hast recht geredet! So denke ich auch! Und Jesus sagt: Du bist auf dem richtigen Weg!

Die aufrichtige Frage des Einen schlägt die eine Hälfte des Bogens, die kluge Antwort des Anderen die andere Hälfte. Sie haben gemeinsam eine begehbare Brücke gesucht und sie gefunden. Die beiden finden ihn, den Frieden, denn sie haben Wahrheit gefunden.

Welche Wahrheit ist das? Frieden braucht ja nicht nur eine Waffenstillstandsbrücke. Er braucht Substanz, die Bestand hat, länger als ein paar Tage. Worum geht es hier also?

Es geht um „DAS höchste Gebot VON ALLEN“.
613 soll es im ersten Teil der Bibel geben, sagen die, die sie gezählt haben.
Dass man zum Beispiel kein Tuch aus Mischgewebe (Lev. 19,19) tragen soll, könnte zu den unwichtigeren Geboten zählen.

Die Frage nach dem „höchsten Gebot“ ist die Frage nach dem Kern, nach dem Wichtigsten, nach etwas, was alle Gebote zusammenfassen könnte. Also nach einem Gebot, was den Menschen möglichst nahe zu Gott bringen könnte, so nah, um nicht mehr von ihm getrennt werden zu können, also selig zu werden.

Jesu Antwort verbindet mit seiner Antwort zwei Gebote der Schrift.

Das könnte man als Ausweichen werten, so, als ob Jesus sich nicht festlegen wollte. Genau besehen aber geht es in diesem „höchsten Gebot“ jedoch nur um eines:
Um die Liebe.
Um die Liebe zu Gott, die Liebe zum Nächsten, die Liebe zu sich selbst.

LIEBE ZU GOTT: Sie bedeutet Liebe zum Schöpfer, seiner Macht, seinem Plan. Liebe zu seiner Unendlichkeit, seiner Ewigkeit, seiner grenzenlosen Zuwendung zu seiner Schöpfung und den Geschöpfen.

Darüber müsste ich jetzt eine Vorlesungsreihe halten, um die Konsequenzen deutlich zu machen. Da sollten wir vielleicht später weiterreden, denn das würde so manche Stunde dauern.

Jetzt nur so viel:
Liebe zu Gott bedeutet zu begreifen, dass alle menschliche Wahrheit relativ und nur die Wahrheit Gott absolut sein kann; dass alles Wissen, was die Menschheit sich jemals erarbeiten können wird, nur ein winziges Bruchstück des Wissens Gottes sein kann.

Das aber wäre das Ende aller Besserwisserei
und der Beginn von Demut:
Dem Mut, Gott zu dienen.

LIEBE ZUM NÄCHSTEN: Sie bedeutet, JEDEN Menschen als Gottes Geschöpf zu akzeptieren, es durch SEINE, Gottes Augen zu betrachten, ihm JEDE Hilfe zukommen zu lassen, die man aufbringen kann.

Die Vorlesungsreihe zu diesem Thema wäre kaum kürzer als die zur Gottesliebe und hätte wie diese einige sehr schwierige Kapitel,
wie zum Beispiel das über die Frage, ob Hitler ein geliebtes Geschöpf Gottes gewesen sein könnte.
Oder das, wie ich mit Narzissten umgehen soll, mit denen ich leben und arbeiten muss.

Jetzt nur so viel:
Liebe zum Nächsten bedeutet zu begreifen, dass kein Mensch auf dieser Welt weniger wert ist als ich selbst, weniger von Gott geliebt ist als ich selbst, weniger vom Leben erwarten kann als ich selbst.

Das aber wäre das Ende jeder Form von Gewalt
und der Beginn von Demut:
Dem Mut, dem Nächsten zu dienen.

LIEBE ZU SICH SELBST: Sie bedeutet zuerst, sie nicht zu vergessen, sie für unwichtig oder sie gar als Egoismus, als pure Ichbezogenheit abzutun.

Ich kenne nicht wenige Menschen, die das sogenannte „Doppelgebot der Liebe“, von dem in unserem Text die Rede ist, auf die Liebe zu Gott und den Nächsten reduzieren und die Liebe zu sich selbst verschämt unter den Teppich kehren.

Doch auch die Vorlesungsreihe „Liebe zu sich selbst“ würde viele Stunden fordern. Das kann man schon daran sehen, dass nahezu alle Krankenkassen ausführlich in Prospekten oder im Netz darstellen, wie wichtig Selbstliebe für die Psychische und körperliche Gesundheit, emotionale Stabilität oder Zufriedenheit des Menschen sind.

Jetzt nur so viel:
Liebe zu sich selbst bedeutet zu begreifen, dass man OHNE sie kaum eine gesunde Liebe zu Gott oder zum Nächsten aufbauen kann.

Wer sich selbst aber in gesundem Maße liebt, seine Stärken kennt und seine Schwächen nicht verschweigt, über sie aber doch lächeln kann; wer sich also mit allen Facetten als liebenswert und wertvoll empfindet: Der braucht nicht ständige Bestätigung von außen, der kann andere Beziehungen besser aufbauen und wertschätzen, kurz: Für sich selbst gesunde Beziehungen führen und pflegen.

Das aber wäre der Ende eines ungesunden Umganges mit sich selbst, das abhängig macht vom angeblichen „Wollen der Gesellschaft“, der Familie oder des Partners;
das wäre der Beginn von Demut:
Dem Mut, sich selbst zu dienen.

Der Schriftgelehrte erkennt: Jesus bringt Gott auf einen Punkt, auch wenn das schier unmöglich ist. Die Liebe.
Liebe zu Gott, Liebe zum Nächsten, Liebe zu sich selbst.

Mit allem, was der Mensch hat:
Aus vollem Herzen, mit ganzer Seele, mit allem Verstand (Luther übersetzt das mit dem alten Wort „Gemüt“), aus seiner ganzen Kraft.
Also physisch, emotional und intellektuell – gesteuert vom Verstand.

Der Schriftgelehrte erkennt: Jesus bringt Gott auf einen Punkt, Jesus macht das Unmögliche möglich, Jesus wird für ihn zum DEM Interpreten der Bibel schlechthin. Der Schriftgelehrte ist begeistert: Ja, Meister, du hast recht geredet!
Das IST das Höchste!
NICHTS im Leben kann höher sein als diese Demut!

Jesus hat Wahrheit gesprochen,
der Schriftgelehrte hat Wahrheit erkannt.
Gab es bis eben noch Konflikte, Streit, feindselige Atmosphäre, herrscht in diesem Augenblick Verstehen. Frieden.

Markus kommentiert:
Und niemand wagte mehr, Jesus zu fragen.
Diesen Frieden zu brechen.

Meine Schwestern, meine Brüder:

Für mich gibt es keinen Zweifel:
Friede entsteht dort, wo ein Mensch versucht, dieses höchste Gebot der dreifachen Liebe selbst zu leben – dass man schon mit dem ernsthaften Versuch,
mit all seiner Kraft Gott, seinen Nächsten und sich selbst zu lieben, Frieden machen kann.

Und wer hätte dafür bessere Voraussetzungen als wir?
Unser Herr Jesus Christus hat ja unserem Verstand aufgeholfen.

Jesus hat uns gezeigt, dass Gott und Liebe eins sind.
Dass die Suche nach Wahrheit keine Suche nach einem Phantom oder Hirngespinst ist, sondern dass Wahrheit bei GOTT zu finden ist.
Das man Gottes Gebote nur verstehen kann, wenn man nicht einfach nur an Buchstaben oder Begriffen oder Haarspaltereien hängt, sondern am BEKENNTNIS zu Gott.

Um uns dieses Bekenntnis leicht zu machen, haben wir die Taufe. Sie ist DAS Gottesgeschenk des Lebens.
Denn sie zeigt uns, dass uns die Liebe Gottes sicher ist,
dass ER nichts zwischen uns und ihm stehen lässt,
dass Gott unsere Lebensrechnung ausgleichen wird.

Niemand von uns sollte dieses Taufgeschenk
irgendwo im Keller verstauben lassen.
Denn wer es ausnutzt, es auskostet, es aufsucht,
der wird finden:

Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
machen das scheinbar Unmögliche möglich –

Die Liebe zu Gott,
die Liebe zum Nächsten
und die Liebe zu sich selbst
machen Frieden.
AMEN

EG 419
1. Hilf, Herr meines Lebens,
dass ich nicht vergebens,
dass ich nicht vergebens hier auf Erden bin.
2. Hilf, Herr meiner Tage,
dass ich nicht zur Plage,
dass ich nicht zur Plage meinem Nächsten bin.
3. Hilf, Herr meiner Stunden,
dass ich nicht gebunden,
dass ich nicht gebunden an mich selber bin.
4. Hilf, Herr meiner Seele,
dass ich dort nicht fehle,
dass ich dort nicht fehle, wo ich nötig bin.
5. Hilf, Herr meines Lebens,
dass ich nicht vergebens,
dass ich nicht vergebens hier auf Erden bin.

 

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