Freiheit im Kerker: Singt! (Apg 16 23-34)

Unser Gottesdienst Kantate zum Nachhören ist für vier Wochen hier zu finden.

Zum Erkennen kommt Gefühl
zum Wort der Ton
zur Bewegung der Takt
aus dem Menschen kommt ein Lied
frei, ohne jede Hemmung, ja:

Gott schenkt uns diesen Tag
unsere Tage
alles Glück
das Heil
seine Wunder

Singet dem HERRN ein neues Lied, denn
er tut Wunder.
(Ps 96,1)
***

Predigttext: Aus Apg 16 (Zürcher Bibel)

23 Nachdem man ihnen viele Schläge gegeben hatte, warf man sie ins Gefängnis und trug dem Gefängniswärter auf, sie in sicherem Gewahrsam zu halten. 24 Auf diesen Befehl hin führte der sie in den innersten Teil des Gefängnisses und legte ihnen die Füße in den Block.
25 Um Mitternacht aber beteten Paulus und Silas zu Gott und stimmten Lobgesänge an, und die anderen Gefangenen hörten zu.
26 Da gab es auf einmal ein starkes Erdbeben, und die Grundmauern des Gefängnisses wankten; unversehens öffneten sich alle Türen, und allen Gefangenen fielen die Fesseln ab.

27 Der Gefängniswärter fuhr aus dem Schlaf auf, und als er sah, dass die Türen des Gefängnisses offen standen, zog er sein Schwert und wollte sich das Leben nehmen, da er meinte, die Gefangenen seien geflohen. 28 Paulus aber rief mit lauter Stimme: Tu dir nichts an, wir sind alle da!

29 Jener verlangte nach Licht, stürzte sich ins Innere und warf sich, am ganzen Leib zitternd, Paulus und Silas zu Füßen.
30 Er führte sie ins Freie und sagte: Große Herren, was muss ich tun, um gerettet zu werden?
31 Sie sprachen: Glaube an Jesus, den Herrn, und du wirst gerettet werden, du und dein Haus. 32 Und sie verkündigten ihm und allen, die zu seiner Familie gehörten, das Wort des Herrn.

33 Und er nahm sie noch zur gleichen Nachtstunde bei sich auf und wusch ihre Wunden und ließ sich und alle seine Angehörigen unverzüglich taufen. 34 Dann führte er sie in seine Wohnung, ließ den Tisch bereiten und freute sich mit seinem ganzen Haus, weil er zum Glauben an Gott gekommen war.

Kantate: Singt!
Am kommenden Donnerstag vor 9 Jahren, also am 22. Mai 2016, versammelte sich der Chor Iglesia Ni Cristo auf den Philippinen, zu einem Versuch, einen Weltrekord zu brechen. Der Gospelchor bestand schließlich aus 21.262 Teilnehmenden.

Er sang – begleitet von einer Orgel – drei Hymnen und gewann damit den Guinness-Rekord als weltgrößter Gospelchor. Diesen Titel trägt er bis heute.

Der Guinnes-Rekord als weltgrößter Chor überhaupt wurde damit allerdings nicht gebrochen. Der stammt vom 30. Januar 2011 aus Indien: In Perungalathur kamen 121.440 Menschen zum Singen zusammen – das ist bisher nicht überboten worden.

Fragt man das Internet, wo die meisten Menschen dieser Zeit außerhalb von Chören gerne singen, erfährt man:
Zuhause, wenn sie alleine sind;
in meinem Zimmer, da habe ich meine Ruhe;
im Auto, natürlich nur wenn ich alleine bin – und das Lied mich mitreißt.

Heute nicht nur Kantate, sondern auch 2025: Instrument des Jahres ist die Stimme, zumindest bei uns in Deutschland. Singen scheint also hoch im Kurs zu stehen.

Auch im Bibeltext für heute spielt das Singen eine nicht unwichtige Rolle. Der Ort allerdings ist ungewöhnlich: Weder Stadion noch Kirche noch Dusche.

Lukas erzählt von einem sehr bedrückenden Ort. Die Missionare Paulus und Silas sind von den Stadtrichtern in Philippi gefangen gesetzt worden. Diese Stadtrichter galten als besonders grausam und auch als korrupt. Die ließen ihre beiden neuen Gefangenen gründlich auspeitschen und sie dann vom Kerkermeister in einem Verlies mit anderen Gefangenen anketten.

Solche Kerker befanden sich damals oft in Kellern, meist waren sie ein größerer Raum. Dort, um Mitternacht, also im Finstern, hätten Silas und Paulus schreien können, oder weinen, oder einfach nur schweigen.

Doch sie beginnen zu beten und auch zu singen. Sehr wahrscheinlich einen biblischen Psalm. Ich kann mir vorstellen, dass sie Verse aus Psalm 146 gesungen hätten.
Dazu haben wir ja unter der Nummer 302 eine Vertonung in unserem Gesangbuch – Du meine Seele singe. Die Strophen 5 und 8 würden gut passen, um sich Mut zuzusingen:

5. Er weiß viel tausend Weisen,
zu retten aus dem Tod,
ernährt und gibet Speisen
zur Zeit der Hungersnot,
macht schöne rote Wangen
oft bei geringem Mahl;
und die da sind gefangen,
die reißt er aus der Qual.
8. Ach ich bin viel zu wenig,
zu rühmen seinen Ruhm;
der Herr allein ist König,
ich eine welke Blum.
Jedoch weil ich gehöre
gen Zion in sein Zelt,
ist’s billig, dass ich mehre
sein Lob vor aller Welt.

Sie singen nicht im Fußballstadion, nicht in einer Synagoge, auch nicht für sich allein. Sie singen auch nicht in einem Gefängnis, wie wir es heute bei uns in Justizvollzugsanstalten haben, in denen irgendwie noch geregelte rechtsstaatliche Verhältnisse herrschen. Sie singen in einem Kerker, der Willkür von grausamen und korrupten Beamten ausgesetzt. Und die Mitgefangenen hören ihnen zu.

Dann ein starkes Erdbeben, das Häuser und Kerker in den Grundfesten erschüttert. Die Ketten fallen aus den Befestigungen in den Mauern, die Türen springen aus ihren Rahmen. Der Schrecken wird groß gewesen sein.

Auch der Kerkermeister wird aus dem Schlaf gerissen, läuft schnell ins Freie und bekommt es mit der Angst, weil er sieht, was das Beben angerichtet hat. Wenn die Gefangenen jetzt die Flucht ergriffen haben, werden sich die Richter an ihm schadlos halten. Der Tod ist ihm sicher. Da stürzt er sich doch lieber ins eigene Schwert.

Doch dann hört er die Stimme eines der neuen ausgepeitschten Gefangenen: Nein, bring dich nicht um, wir sind ja alle noch hier. Der Kerkermeister traut seinen Ohren nicht. Seinen Knechten befiehlt er, Licht zu machen. Im Licht der Fackeln erkennt er, dass tatsächlich alle noch da sind. Warum sind die nicht geflohen? Das können nur die neuen Gefangenen vollbracht haben. Sie sind offenbar ihre Wortführer.

So wirft er sich vor ihnen nieder, führt sie vor den Kerker ins Freie. Er erkennt wohl, dass die Gefangenen nicht geflohen sind, weil der Glaube der beiden verhindert hat, dass nun auch noch weitere Unschuldige leiden müssen.

Ja, ganz unschuldig ist er nicht, er hätte nicht Kerkermeister werden müssen. Aber von irgendwas musste er schließlich leben. Und an dem Erdbeben hatte er nun wirklich keine Schuld, auch nicht daran, dass die Gefangenen jetzt hätten fliehen können.
Das aber hätte die Richter nicht interessiert. Daran hatten weder er noch die Missionare Zweifel.

So führt er sie ins Freie, wo sie hoffentlich sicherer sind, vielleicht gibt es Nachbeben, und fragt, was er tun müsse, um gerettet zu werden. Dabei redet er die beiden Missionare als „Herren“ an.

Die aber sagen: Glaube an einen wirklichen Herrn, an den Herrn Jesus, dann wird dein Leben gerettet sein. Und nicht nur deines, sondern auch das Leben deines ganzen Hausstandes, deiner Familie, deiner Kinder, deiner Sklaven. Und die Missionare verkünden ihnen allen Gottes Wort: Das Wort einer Freiheit, einer Liebe, einer Barmherzigkeit, die es so nur bei Gott gibt.

Der Kerkermeister weiß, dass er jetzt das Richtige tut. Er reinigt ihre Wunden und lässt er sich und seinen ganzen Hausstand taufen, sofort, ohne Verzug. Dann bringt er die Missionare in seine Wohnung und feiert mit ihnen gemeinsam ein Festmahl: Er ist getauft, er ist gerettet, sein neues Leben beginnt.
Jetzt gehört auch er „gen Zion in sein Zelt“.

Wer in der Apostelgeschichte nach unserem Bibeltext weiterliest, erfährt, dass das alles ein gutes Ende nimmt. Am nächsten Morgen erhält der Kerkermeister den Befehl, die beiden Missionare laufen zu lassen.

Als er das Paulus und Silas weitersagt, antwortet Paulus: „Ohne Urteilsspruch haben sie uns öffentlich prügeln lassen, obwohl wir römische Bürger sind, und uns ins Gefängnis geworfen. Und jetzt wollen sie uns heimlich fortschicken? Nein! Sie sollen kommen und uns selber hinausgeleiten.“ (V 37)

Als den Richtern das berichtet wird, bekommen es die Richter denn doch mit der Angst: Sie haben sich an Männern vergriffen, die römisches Bürgerrecht besaßen?! Das konnte großen Ärger bedeuten.

So kommen sie tatsächlich selbst zum Kerker, lassen die Missionare frei und bitten – nicht befehlen – sie BITTEN die beiden, die Stadt zu verlassen. Die beiden kommen dieser Bitte nach und ziehen zurück zu Lydia und von dort irgendwann weiter.

Warum diese Geschichte heute, zu Kantate?
Geht es hier nicht eigentlich um die Erzählung einer außergewöhnlichen Taufe? Haben die frisch Getauften überhaupt irgend etwas davon mitbekommen, was sich im Kerker vor dem Erdbeben abgespielt hat? Sie haben doch geschlafen, sind nicht vom Beten oder Singen, sondern doch erst vom Erdbeben wach geworden.

Doch hängt alles zusammen. Dass Silas und Paulus in der Nacht des Kerkers nicht nur beten, sondern sogar singen können, hängt mit ihrem Glauben zusammen.

Dass sie dem Wort Gottes vertrauen, dass für ihr Leben Freiheit, Liebe und Barmherzigkeit bedeutet, wo auch immer sich ihr Leben gerade abspielt. Freiheit, Liebe und Barmherzigkeit sogar in der Finsternis des Kerkers:

DAS lässt sie singen. DAS lässt sie das Gefängnis nach dem Beben nicht verlassen. Ich bin mir sicher: Sie spüren, dass sie auch dort frei sind. Frei für Jesus Christus, der für sie Barmherzigkeit und Liebe in Person ist. Den selbst die Stricke des Todes nicht fesseln konnten. Für ihn leben sie, durch ihn sind sie frei.

Ihr Singen ist Folge dieser Freiheit bei Gott. Und diese Freiheit wird zum Bekehrungserlebnis des Kerkermeisters: Ein solcher Glaube soll auch sein Glaube sein. Auch er WILL dieses Leben, das für ihn Freiheit, Liebe und Barmherzigkeit durch die Taufe bedeutet.

Freiheit, Liebe und Barmherzigkeit durch den Auferstandenen, egal was die Zukunft ihm bringen mag, egal, wohin ihn diese Zukunft verschlägt. Es ist dieses Evangelium, diese frohe Botschaft, die alles in seinem Leben verändert hat. Und so wird auch er fröhlich sein – und singen können, wann auch immer, wo auch immer.

Meine Schwestern, meine Brüder:

Ganz sicher wird es nicht wenigen von uns schwer fallen, sich ein so positives Gottesbild zu bewahren wie es die beiden Missionare ganz offen sichtlich hatten.

Angesichts der Kriege unserer Tage in der Ukraine oder in Israel-Palästina oder der Kriegsgefahr zwischen den Atommächten Pakistan und Indien ist es nicht leicht, Gottes Plan für diese Welt grundsätzlich positiv begreifen zu können.

Und auch wenn wir in einem Rechtsstaat leben, in dem Menschen sich mühen, möglichst jeder und jedem mit Respekt zu begegnen, sind Ungerechtigkeiten für uns alle Alltag. Selbst wenn wir im System einer sozialen Markwirtschaft leben, sind Elend und Hunger in dieser Welt, und das nicht irgendwo, sondern auch mitten unter uns.

Da kann sich kein Mensch seiner Beziehung zu Gott sicher sein. Sicher sein, dass man in Gott nun Freiheit, Liebe und Barmherzigkeit findet oder dass Gott eher der ist, dem man nur noch das Leid dieser Welt klagen wird. Dass man Gott liebt oder ihn einfach nur fürchtet, weil man den nächsten Tag fürchtet.

Doch keine Beziehung dieses Lebens hat Endgültigkeit. Weder die zu anderen Menschen noch die zu Gott. In all unseren Beziehungen braucht es offene Augen und Herzen für das Gegenüber, die Bereitschaft, auch Neues, bisher Unvorstellbares in uns aufzunehmen.

Denn keine Beziehung wird leben, wenn man meint, sein Gegenüber „erkannt“ zu haben. Dann lebt man mit einem Bild von ihm, das man nicht mehr verändert. Doch das Leben ist Veränderung, weil wir selbst uns verändern, von Tag zu Tag. Also leben auch unsere Beziehungen in steter Veränderung, gerade weil manches sich nie verändert.

Wie zum Beispiel, dass wir Gottes Plan für diese Welt nicht entschlüsseln können. Gewalt, Willkür und Ungerechtigkeit dieser Welt haben ja schon die Zeit von Silas und Paulus geprägt. Gewalt, Willkür und Ungerechtigkeit haben auch Jesus vor ihnen ans Kreuz gebracht oder die Juden in die Gaskammern nach ihnen.

Dass jedoch unsere Beziehungen lebendig sind und UNS verändern, ist DAS Wunder des Lebens schlechthin. Es bringt Paulus und Silas zum Beten und Singen, weil sie sich darauf verlassen, dass Gott in Christus UNVERÄNDERLICH für sie Freiheit, Liebe und Barmherzigkeit bereithält – ohne dass das in der Finsternis des Kerkers zu erwarten gewesen wäre. Diese Lebendigkeit von Beziehungen ändert das Leben des Kerkermeisters von Grund auf.

Wir haben Ostern gefeiert. Gefeiert, dass Gott geschehen ließ, womit kein Mensch rechnen konnte:
Dass der Tod des Lebens
dem Leben weichen musste.

DIESES Leben ist es, das das Wunder
von Freiheit, Liebe und Barmherzigkeit Gottes stärker werden ließ
als die Finsternis des Kerkers. So ein Leben wird ebenfalls ein „Happyend“ haben.

Es lohnt sich also, offene Augen und Herzen in der Beziehung mit Gott zu behalten. Sich auf seine unveränderliche Liebe zu verlassen und darum in Freiheit und Barmherzigkeit leben zu können, wie sehr sich die Welt auch verändern wird.

Dann werden die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes

uns singen lassen. Aus vollem Herzen. AMEN

EG 449: 3.4.6.8
3. Lasset uns singen,
dem Schöpfer bringen
Güter und Gaben;
was wir nur haben,
alles sei Gotte zum Opfer gesetzt!
Die besten Güter
sind unsre Gemüter;
dankbare Lieder
sind Weihrauch und Widder,
an welchen er sich am meisten ergötzt.
4. Abend und Morgen
sind seine Sorgen;
segnen und mehren,
Unglück verwehren
sind seine Werke und Taten allein.
Wenn wir uns legen,
so ist er zugegen;
wenn wir aufstehen,
so lässt er aufgehen
über uns seiner Barmherzigkeit Schein.
6. Lass mich mit Freuden
ohn alles Neiden
sehen den Segen,
den du wirst legen
in meines Bruders und Nähesten Haus.
Geiziges Brennen,
unchristliches Rennen
nach Gut mit Sünde,
das tilge geschwinde
von meinem Herzen und wirf es hinaus.
8. Alles vergehet,
Gott aber stehet
ohn alles Wanken;
seine Gedanken,
sein Wort und Wille hat ewigen Grund.
Sein Heil und Gnaden,
die nehmen nicht Schaden,
heilen im Herzen
die tödlichen Schmerzen,
halten uns zeitlich und ewig gesund.

 

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