Eine Sache des Gewissens (Röm 14 1-13)

Unser Gottesdienst vom vorletzten Sonntag des Kirchenjahres zum Nachhören ist für vier Wochen hier zu finden.

von dort wird er kommen
zu richten
die Lebenden und die Toten

was wird sein
Gesetz oder Gerechtigkeit
wer werde ich sein
frei oder verurteilt

wüsste ich es selbst
wenn ich versuchte
ehrlich zu sein
vor dem Richter
vor mir

nach einem Leben voller Unrecht
in einer Welt voller Unrecht
bleibt

Wir müssen alle
offenbar werden
vor dem Richterstuhl Christi.
2 Korinther 5,10
***
Ob ich denn die Bibel nicht lesen würde? Fragte mich gerade jemand, der zur Hope-Gemeinde gehört (die vor eine Weile noch „Gemeinde mit Ausblick“ hieß – die meisten von euch werden sie kennen). Ob ich denn die Bibel nicht lesen würde? Jesus ließe doch keine Zweifel aufkommen: Beim Jüngsten Gericht ginge es für die einen in die Hölle und für die anderen ins Paradies.

Ich müsste doch nur im Matthäusevangelium nachlesen, was aus den unnützen Knechten würde: Die kämen „hinaus in die äußerste Finsternis; da wird sein Heulen und Zähneklappern“ (Mt 25,30). Diejenigen, die versagten, würden am Jüngsten Tag von Gott zu hören bekommen: „Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln!“ (Mt 25,41)

Wie ich denn da, wenn das so klar und deutlich in der Heiligen Schrift stände, behaupten könne, dass die Hölle eine Erfindung der Menschen wäre und dass man sich darum nicht vor ihr zu fürchten bräuchte? Ja, bei der Vorhölle und dem Fegefeuer zur Läuterung, da könnte man ja noch streiten, die hätten wohl die Katholiken erfunden. Aber doch nicht bei der Hölle!

Ganz so hatte ich es nicht gesagt, aber in der Tat ging es in diesem Streitgespräch um das letzte, das „Jüngste Gericht“, um Himmel und Hölle, um die Frage, ob Gott Menschen „verfluchen“ und in die ewige Verdammnis schicken würde oder nicht und welche Konsequenzen das für das Leben heute hat.

Und ich hatte die Position vertreten, dass kein Mensch auf der Welt wissen könne, wie genau es aussehen würde, wenn Gott nach dieser Zeit, nach dieser Welt Recht schaffen würde.

Dass alle Bilder, die wir von diesem letzten Weltgericht kennen, eben genau das sind: Bilder. Dass Bilder etwas Reales beschreiben, dass sie Wahrheiten sagen wollen, aber eines eben sicher nicht sind: Wahre Realität.

Ich hatte den Eindruck, dass ich für das, was ich da vertreten habe, für diesen Jemand – ich verrate nicht, ob das eine Frau oder ein Mann war, geschweige denn werde ich Namen nennen – ich bin mir also nicht sicher, ob ich für diesen Jemand nicht schon deshalb in die Hölle gehörte, gerade weil ich nicht so an sie glauben wollte wie Jemand das tat.

Da half auch nicht, dass ich sagte, ich würde sehr wohl an die Hölle glauben, die wäre aber schon hier auf der Erde zu finden: In Gaskammern, Folterkellern, auf den Schlachtfeldern ebenso wie durch Missbrauch von Macht in Familien, Vereinen, Kirchen oder Parteien. Nein: Wenn Jesus selbst vom ewigen Feuer spricht, dann gibt es das auch.

Ja – was denn nun? Ewiges Feuer oder äußerste Finsternis? Allein diese beiden Bilder, die Matthäus Jesus gebrauchen lässt und die nur wenige Verse voneinander entfernt stehen, sind doch wie Feuer und Wasser. Denn wie kann die äußerste Finsternis ein ewiges Feuer sein? Ist es da nun lodernd hell und heiß oder dunkel und kalt?

Jetzt winkte mein Gegenüber ab: Ich solle mal im Internet auf der Seite himmels minus engel punkt de nachlesen, dann würde ich erfahren, was der Menschheit droht und was sie rettet.

Das habe ich auch getan, und was ich da zu lesen bekam, ließ mich völlig ratlos zurück: Verschwörungstheorien, Rettung aus dem Weltall, Jesus Christus und Kommandant Aschtar Scheran arbeiten für die Evakuierung der Menschheit…

Worum geht es nun aber im Kern der Rede vom Jüngsten Gericht? Geht es um die Drohung mit Ewiger Verdammnis im Jenseits, weil man hier auf der Erde nicht genug Macht hat, jeden Schlächter hinter Gitter zu bringen? Wer in die Kirchengeschichte schaut, auch in die Kunst, der könnte ja auf diese Idee kommen.

Selbst der junge Martin Luther soll ja in Furcht und Schrecken vor Gott gelebt haben, weil er in jeder Faser seines Körpers spürte: Alles, was er in seinem Leben je an Gutem zu tun in der Lage wäre, hätte ihn nicht vor dem Fegefeuer bewahren können.

Hat Gott also das Jüngste Gericht erfunden – erfinden lassen -, um Angst und Schrecken zu verbreiten? Dass Mensch sich nicht überhebt und versucht, gottgleich zu werden?

Schon Jahrzehnte vor den Evangelisten hat der Schriftgelehrte und Star-Theologe der jungen Christenheit Paulus vom Jüngsten Gericht gesprochen. Zu Beginn haben wir ja den Wochenspruch gehört, der aus dem 2. Korintherbrief des Paulus stammt: Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi.
(2 Kor 5,10)

Dieser Richterstuhl spielt auch später im Römerbrief eine wichtige Rolle, aus dem der Bibeltext für heute entnommen ist. Der steht im 14. Kapitel, ich lese in der Neuen Genfer Übersetzung:

1 Nehmt den, der in seinem Glauben schwach ist
´und meint, sich an bestimmte Vorschriften halten zu müssen, ohne Vorbehalte` an;
streitet nicht mit ihm über seine Ansichten.
2 Der eine ist ´zum Beispiel` davon überzeugt,
alles essen zu dürfen.
Der andere, der in seinem Glauben schwach ist
´und Angst hat, sich zu versündigen`,
isst nur pflanzliche Kost.
3 Wer alles isst, darf den nicht verachten, der nicht alles isst. Und wer nicht alles isst, darf den nicht verurteilen, der alles isst. Gott hat IHN doch ´genauso` angenommen ´wie dich`.
4 Wenn du ihn verurteilst, ist es,
wie wenn du dich zum Richter über jemand machst,
der im Dienst eines anderen steht.
Wer bist du, dass du dir so etwas anmaßt?
Ob jemand mit seinem Tun bestehen kann
oder ob er nicht besteht,
das zu beurteilen
ist einzig und allein Sache seines Herrn,
dem er verantwortlich ist.

5 Der eine macht einen Unterschied
zwischen ´heiligen` Tagen und ´gewöhnlichen` Tagen;
der andere macht keinen solchen Unterschied.
Wichtig ist,
dass jeder mit voller Überzeugung zu dem stehen kann,
was er für richtig hält.

7 Keiner von uns lebt für sich selbst,
und auch wenn wir sterben,
gehört keiner von uns sich selbst.
8 Wenn wir leben, leben wir für den Herrn,
und auch wenn wir sterben, gehören wir dem Herrn.
Im Leben wie im Sterben gehören wir dem Herrn.
9 Denn Christus ist gestorben und wieder lebendig geworden, um seine Herrschaft über alle auszuüben –
über die Toten und über die Lebenden.
10 Woher nimmst du dir da noch das Recht,
deinen Bruder oder deine Schwester zu verurteilen?
Und du – woher nimmst du dir das Recht,
deinen Bruder oder deine Schwester zu verachten?
Wir alle werden einmal vor dem Richterstuhl Gottes stehen.
11 Denn es heißt in der Schrift:
»So wahr ich lebe, sagt der Herr:
Vor mir wird jedes Knie sich beugen,
und jeder Mund wird Gott die Ehre geben.«
12 So wird also jeder von uns
über sein eigenes Leben
vor Gott Rechenschaft ablegen müssen.
13 Hören wir darum auf, einander zu verurteilen!
Statt den Bruder oder die Schwester zu richten,
prüft euer eigenes Verhalten,
und achtet darauf, alles zu vermeiden,
was ihnen ein Hindernis in den Weg legen
und sie zu Fall bringen könnte.

Paulus nennt in diesem Abschnitt die letzte, höchste Instanz aller Gerechtigkeit in V11 und zitiert damit aus dem Buch des Propheten Jesaja: „So wahr ich lebe, sagt der Herr: Vor mir wird jedes Knie sich beugen, und jeder Mund wird Gott die Ehre geben“.

GOTT also ist der Maßstab, er selbst das Ziel aller Gerechtigkeit, und genau das wird am Ende jeder Mensch erkennen, darum wird er seine Knie beugen, darum Gott die Ehre geben.

Damit weiß sich Paulus auf dem Boden seiner Heiligen Schrift, also des „Alten Testaments“. Und diese Heilige Schrift sagt auch:

Gott ist kein in Stein gemeißeltes Gesetz. Er lässt sich nicht auf zehn Gebote reduzieren.
Er ist lebendig, bei ihm sind Gnade, Liebe, Frieden.

Gerechtigkeit vor Gott muss also auch bedeuten, dass Gott jedem Menschen persönlich gerecht werden wird: „So wird also jeder von uns über sein eigenes Leben vor Gott Rechenschaft ablegen müssen“ (V 12).

Und da wird, da kann es nicht darum gehen, ob er immer ordentlich in den Gottesdienst gegangen ist, wieviel Kollekte er gegeben hat und ober er freundlich gegrüßt hat.
Da wird es vielmehr darum gehen, ob der Mensch Gott gesucht hat, ihm nahe sein wollte, mit ihm lebte oder nicht.

Paulus nennt hier auch die persönliche Instanz:
„Wichtig ist, dass jeder mit voller Überzeugung zu dem stehen kann, was er für richtig hält“ (V 5). Paulus nennt es hier nicht direkt beim Namen, aber er meint es ohne Zweifel: Es geht um das eigene Gewissen. Nur das eigene Gewissen nämlich kann einem schließlich sagen, was man selbst für richtig hält. Gegen dieses Gewissen zu leben – das macht das Leben krank.

Und dieses Gewissen fragt bei einem Menschen, der versuchen will, Gott zu folgen, logischer Weise zuerst nach Gott. Nach dem, was er, der Mensch, von Gott weiß, was er von ihm sehen kann, von ihm hört. Zum Beispiel die zehn Gebote, zum Beispiel das Dreifachgebot der Liebe, das Gott, dem Nächsten und sich selbst gilt.

Das Gewissen, das sich auf Gott ausrichtet, also gerecht sein will, KANN also gar nicht anders, als Gott die Ehre zu geben und nach allen Kräften versuchen, die Schwester oder den Bruder, den Nächsten mit sich zur freien Gnade Gottes zu bringen.

Oder, wie Christiane Tietz es vorhin auf den Punkt gebracht hat: Das letzte Gericht wird dem Menschen die Erfahrung der Gnade Gottes einbringen, und die „wird sein Herz weitmachen, so weit, dass er selbst vergeben kann“.

Meine Schwestern, meine Brüder:

Paulus zeigt hier auf, wie das letzte Gericht ins Jetzt hineingreift. Die Gnade Gottes gibt dem eigenen Gewissen Form und Inhalt. Wer das ernst nimmt, der WEIß, dass jeder Mensch am Ende der Zeit persönlich vor Gott Rechenschaft geben muss.

Der darf aber auch darauf hoffen, dass die Gnade, die Liebe und der Friede Gottes auch jedem Menschen persönlich gelten. Dass Jesus Christus auf diesem Richterstuhl sitzen wird, den wir als fleischgewordene Liebe Gottes glauben.

Damit ist aber auch klar, dass kein Mensch ein Recht oder gar eine Pflicht hat, diesem Urteil Gottes vorzugreifen. Paulus macht das an Beispielen klar, die wahrscheinlich gerade in der Lebenswirklichkeit der Gemeinden in Rom eine Rolle spielen.

Es kann nicht sein, dass Menschen darüber urteilen, ob es richtig oder falsch ist, wie andere Menschen zu leben versuchen. Ob sie Fleisch essen oder als Vegetarier leben. Ob sie besondere Feiertage einhalten oder ob sie das nicht tun (V 2, 5).

Es wird allein bei Gott liegen, darüber zu urteilen, denn ER und NUR er ist der Herr jedes einzelnen Menschen.

ER wird entscheiden, er allein wird erkennen können, ob ein Mensch aus ganzem Herzen nach Gottes Gnade suchte, ob er seinem Gewissen folgte, ob er dem Nächsten auf dem Weg zu Gott keine Steine legte. Denn es geht beim Jüngsten Gericht eben nicht um UNSERE Gerechtigkeit, sondern einzig um die Gerechtigkeit, die bei Gott gilt.

Wer das sehen kann, wird auch sehen lernen, was diese Gerechtigkeit Gottes schon für unser Leben auf dieser Welt bedeutet, wie sie schon jetzt „Gericht hält“, für Gerechtigkeit sorgen kann:

Es ist nicht bei mit oder dir, darüber zu urteilen, ob ein anderer Mensch stark ist im Glauben oder schwach, ob er die Hölle, im Diesseits erwartet oder im Jenseits. Welchen Glauben er hat, ob er richtig oder falsch nach Gott fragt.

Es kann nur darum gehen:
Fragst du selbst nach der Gerechtigkeit Gottes?
Hörst Du dann auf dein Gewissen?
Bist Du der Schwester, dem Bruder eine Stütze auf dem Weg zu Gott?

Dann wirst Du die Gerechtigkeit Gottes finden:
Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes.

AMEN

EG 673:
1. Ich lobe meinen Gott,
der aus der Tiefe mich holt, damit ich lebe.
Ich lobe meinen Gott, der mir die Fesseln löst,
damit ich frei bin.
Refr.: Ehre sei Gott auf der Erde
in allen Straßen und Häusern,
die Menschen werden singen,
bis das Lied zum Himmel steigt:
Ehre sei Gott und den Menschen Frieden,
Ehre sei Gott und den Menschen Frieden,
Ehre sei Gott und den Menschen Frieden,
Frieden auf Erden.
2. Ich lobe meinen Gott,
der mir den neuen Weg weist, damit ich handle.
Ich lobe meinen Gott,
der mir mein Schweigen bricht, damit ich rede.
Refr.: Ehre sei Gott auf der Erde
in allen Straßen und Häusern,
die Menschen werden singen,
bis das Lied zum Himmel steigt:
Ehre sei Gott und den Menschen Frieden,
Ehre sei Gott und den Menschen Frieden,
Ehre sei Gott und den Menschen Frieden,
Frieden auf Erden.
3. Ich lobe meinen Gott,
der meine Tränen trocknet, dass ich lache.
Ich lobe meinen Gott, der meine Angst vertreibt,
damit ich atme.
Refr.: Ehre sei Gott auf der Erde
in allen Straßen und Häusern,
die Menschen werden singen,
bis das Lied zum Himmel steigt:
Ehre sei Gott und den Menschen Frieden,
Ehre sei Gott und den Menschen Frieden,
Ehre sei Gott und den Menschen Frieden,
Frieden auf Erden.

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