Dienstleistung (Mk 10 35-45)

Ferner Gott
Seinen Sohn schickt er ans Kreuz
Fordert das Leid
Will das Opfer

Naher Gott
Gehorsam ist er
Dienend
Zu sehen durch alles Dunkel
Leben

Aber anders

Der Menschensohn ist nicht gekommen,
dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene
und gebe sein Leben
zu einer Erlösung für viele.
Matthäus 20,28
***

Was ist eigentlich der Lohn des Christseins? Was hat man davon?

Christen sind nicht die besseren Menschen. Aber sie sind besser dran. Das ist der Lohn: Besser dran zu sein. Aber was bedeutet das? Für mich? Für euch?

Die Passionszeit lässt eine Antwort auf diese Frage besonders schwer erscheinen. Jesus – auf dem Weg nach Jerusalem, wir mit ihm. Zweitausend Jahre später, aber doch auf dem gleichen Weg wie seine Jünger. Wir wissen, wovor sie sich fürchteten: Der Weg nach Jerusalem endet auf Golgatha. In der Hinrichtung am Kreuz.

Sicher: Nach Karfreitag kommt Ostern. Alle Jahre wieder neu. Aber Ostern spielt in einer anderen Liga. Ostern ist ein Spiel des Himmels in der Welt zwischen Himmel und Erde.

Karfreitag aber spielt hier, auf dieser Welt. Keine düstere Filmszene, sondern Realität der Grausamkeit. Man kann es doch gar nicht überlesen: „Unruhe hatte die Jünger ergriffen, und auch die anderen, die mitgingen, hatten Angst“ – so beschreibt es Markus kurz vor unserem Predigttext. (Mk 10,32).

Und diese Angst wurde sicher nicht kleiner, als Jesus seine Jünger zum dritten Mal beiseite nimmt und in aller Deutlichkeit darüber spricht, was ihn in Jerusalem erwartet. Folter, Schmähung, Hinrichtung.

Was aber ist die frohe Botschaft der Hinrichtung am Kreuz? Je mehr man sich einer Antwort auf diese Frage zu nähern sucht, desto deutlicher spürt man: Ein Menschenleben ist zu kurz für eine Antwort, zumindest wenn sie keine Zweifel übriglassen soll. Selbst wenn man zweihundert Jahre alt würde: Jede Antwort bliebe Fragment, stellte neue Fragen.

Auch zweitausend Jahre danach. Sind wir also besser dran, weil es immer neue Fragen gibt? Sind wir wirklich besser dran, weil wir Karfreitag haben? Ist das der Lohn?

Jakobus und Johannes wünschen sich einen Lohn. Davon ist im Predigttext für heute zu hören. Ich lese aus dem Evangelium nach Markus Kapitel 10 ab Vers 35:

Da gingen zu ihm Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, und sprachen zu ihm: Meister, wir wollen, dass du für uns tust, was wir dich bitten werden.
Er sprach zu ihnen: Was wollt ihr, dass ich für euch tue?
Sie sprachen zu ihm: Gib uns, dass wir sitzen einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit.
Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr wisst nicht, was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde?
Sie sprachen zu ihm: Ja, das können wir.
Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr werdet zwar den Kelch trinken, den ich trinke, und getauft werden mit der Taufe, mit der ich getauft werde; zu sitzen aber zu meiner Rechten oder zu meiner Linken, das zu geben steht mir nicht zu, sondern das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist.

Was Jakobus und Johannes sich genau wünschen, wird in dem Bild, das sie hier nutzen, nicht ganz klar. Hier ist von keinem Thron die Rede, auch von keiner Tafel für ein Festmahl. Sitzen zu Jesu Rechten und Linken: In jedem Falle herausgehobene Plätze in unmittelbarer Nähe Jesu. Jeder würde es sehen können – die beiden wären seine rechte und linke Hand.

Für die beiden wäre es aber zuerst die unmittelbare Nähe. Sie würden Jesus so nahe bei sich haben, dass sie ihn nie wieder verlieren müssten. Denn der Tod in der Herrlichkeit Jesu – er hätte keine Macht mehr, daran glauben sie fest.

Wie auch immer man das Sitzen zur Rechten und Linken deuten will, in jedem Falle sagt es: Wenn es nun schon sein muss, dass die Gottesnachfolge in den frühen Tod führt, dann soll doch wenigstens danach alles gut werden. Das Reich Gottes aufgerichtet, Jesus unanfechtbar lebendig, Jakobus und Johannes an seiner Seite. Ist diese Bitte nicht mehr als verständlich?

Wir Menschen nehmen diesen Wunsch doch schon mit der Muttermilch auf: Körperliche, oft hautenge Nähe zu denen, die wir lieben. Auch später, egal ob in Kindergarten, Schule oder einer Feier: Wollte ich nicht schon immer neben dem sitzen, den ich wirklich mag?

„Ich bin klein, mein Herz mach rein, soll niemand drin wohnen als Jesus allein“ – auch wenn dieses Kindergebet in aufgeklärten Ohren nahezu kitschig klingt: Ist das nicht Ausdruck einer tiefen Sehnsucht nach der Nähe zu Jesus, dieselbe Sehnsucht, die auch die beiden Jünger hier umtreibt?

Aber Jesus reagiert, als ob er sich VERHÖRT hätte. Ihr wisst nicht, was ihr sagt! Habt ihr mir eigentlich gerade eben zugehört? Zum dritten Mal habe ich euch gesagt, wo mein Weg enden wird. Es geht ans Kreuz. Der Kelch ist bitter. Eine Taufe des Scheiter- Haufens. Habt ihr das nicht verstanden?

Doch. Sie haben nicht nur verstanden. Sie sind auch fest entschlossen, diesen Weg mitzugehen. Und viele Hinweise der Geschichte sprechen dafür, dass den beiden der Märtyrertod ebenfalls nicht erspart blieb. Auch Jesus wird das klar. Und sie bleiben bei ihrer Bitte.

Sie HABEN verstanden. Jesus IST der, neben dem sie sitzen wollen, der Besondere, dem sie folgen, den sie mögen, ja den sie lieben. Sie HABEN begriffen: Er ist das Licht, von dem die Menschen träumen. „Das Volk, das in Finsteren wandelt, sieht ein großes Licht… Denn das Joch, was auf ihnen lastete, den Stab auf ihren Schultern, den Knüppel des Antreibers über ihnen hast du zerbrochen… ein Sohn ist uns gegeben, und die Macht ruht auf seiner Schulter…“ (Jes 9)

Jesu Schultern sind diese Schultern. Sie HABEN verstanden.

Was sie noch NICHT verstanden haben: Der Lohn in Gottes Welt wird anders gezahlt als alle Löhne oder Belohnungen dieser Erde. Der Lohn des Lebens, wie Gott es für uns will, ist ein ANDERES Leben. Nicht irgendwann in einem fernen Reich, sondern jetzt, in dieser Zeit. Das habe sie noch NICHT verstanden.

Die übrigen zehn übrigens auch nicht, wie man weiterlesen kann. Denn die ärgern sich über Jakobus und Johannes. Weil sie denken, dass sie sich vordrängeln wollten. Damit beweisen sie, dass sie ALLE in den Maßstäben dieser Welt denken. Immer noch. Darüber der zweite Teil unseres Textes ab Vers 41:

Und als das die Zehn hörten, wurden sie unwillig über Jakobus und Johannes.
Da rief Jesus sie zu sich und sprach zu ihnen: Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an. Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein.
Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.

Auszeit! winkt der Trainer. Er ruft seine Spieler zu sich, sie bilden einen Kreis, stecken die Köpfe zusammen. Was er jetzt zu sagen hat, ist wichtig, soll das Spiel wenden, neu formieren, die Strategie ändern.

Auszeit! Jesus ruft die Zwölf zusammen. Was jetzt kommt, ist wichtig. Es soll das Leben wenden, es neu formieren, seine Strategie ändern.

Die Zwölf bekommen zu hören:
Bedenkt, WAS ihr euch wünscht, wenn ihr ganz nah bei mir sein wollt. Denn ich bin kein Herr wie die Mächtigen dieser Welt, die ihre Völker niederhalten, ihnen Gewalt antun. Ich bin kein Gönner, der Vorteile und Vergünstigungen verteilt an die, die mir nach dem Mund reden. Ich bin nicht der, der den einen Macht einräumt über andere.

Sondern, sagt Jesus, wer MIR nahe sein will, der soll DIENER der Menschen sein, die ihn brauchen. Wer unter euch der Erste sein will, der soll aller KNECHT sein.

Leben bei Gott ist ein Leben der himmlischen Maßstäbe.
Die Maßstäbe der Welt: Macht, Ehre, Gewalt.
Der himmlische Maßstab: Der Dienst. Ein schlechter Tausch? Ruhm und Ehre gegen Arbeit, Schweiß, Erniedrigung?

Vielleicht erinnert sich mancher, dass Friedrich der Große ähnlich dachte. Er soll gesagt haben: „Als König bin ich der erste Diener meines Staates“.

Herr Putin wird das vielleicht auch sagen. Ob beide dasselbe meinen? Zumindest Putin gehört offenbar zu denen, vor allem sich selbst und ihre Gefolgsleute versorgen, selbst wenn es Krieg bedeutet.

Niemand ist davor sicher. Auch Friedrich der Zweite war es nicht. Auch er kam nicht aus seiner weltlichen Haut, auch seine Regentschaft kam nicht aus ohne die Regularien weltlicher Macht und Gewalt.

Darum sagt Jesus: Glaubt doch nicht, dass sich all eure Hoffnungen darin erfüllen, dass ihr auf anderen Wegen bekommt, was die Raffkes dieser Welt bekommen oder zu bekommen versuchen.

Sondern: Groß wird euer Leben, wo Euch etwas gelingt, was einem ANDEREN hilft, SEIN Leben schöner macht, ja vielleicht sogar sein Leben RETTET.

Als Argument fügt Jesus hinzu: Auch ich bin nicht hier, mich bedienen zu lassen. Ich diene. Und setze mein Leben ein, um Freiheit zu bringen. Freiheit von den Ketten dieses Lebens auf der Erde. Für euch. Für alle, die das begreifen.

Meine Schwestern, meine Brüder:

Wir alle sind lebenslang versucht, die Maßstäbe dieser Welt zu den unseren zu machen. Die Zwölf waren es, wir sind es. Gib uns Ehrenplätze an deiner Seite! Wenn schon nicht in dieser Welt, dann wenigstens im Gottesreich!

Wenn man die Diener auf einen irdischen Thron setzt, läuft es falsch. Albert Schweizer, Janusch Korczak, Mutter Theresa: Viele setzen sie auf einen irdischen Thron. Seelig, ja heilig sollen sie sein! rufen sie. Und meinen: „Ruhm und Ehre den Helden“ der Diakonie! Ihnen soll die Macht gehören, die sich die Mächtigen einfach nehmen!

Aber so verpasst man die Lebenswende. Man stellt die Helden auf ein Podest, auf dem man selbst keinen Platz mehr hat. Imitation: Zwecklos. Denn: Wer soll Ruhm und Ehre bekommen, wenn wir alle auf dem Podest stünden?

Jesus aber sagt uns:
Wirkliche SELBSTverwirklichung kann doch nur da gelingen, wo du bei meiner eigentlichen Bestimmung angelangt bist. Und die ist das Dasein für andere. Denn das ist doch das einzig wirksame Rezept für eine gerechtere, auf Gott ausgerichtete Welt. Die einzige Revolution, die sie NICHT frisst, ihre Kinder. Die einzige Haltung, die ihn wirklich ändert, den Lauf dieser Welt.

Und wer ihn sich ansieht, den Lauf dieser Welt, kann sehen lernen: Alle, die mit Macht der Gewalt die Welt ändern wollten, sind bestenfalls bis in die Geschichtsbücher dieser Welt gekommen.

Jesus aber hat diese Welt wirklich geändert. Durch ihn beginnen sich die Maßstäbe von Menschen grundlegend zu ändern. Durch ihn wird die Freiheit Gottes die Freiheit des Menschen – Lebens. Wer so frei wird für andere, ist bei seiner Bestimmung angelangt. Der findet Mut zum Dienen (De-Mut!), verwirklicht sich tatsächlich selbst, weil er das Leben in Gottes Nähe findet.

Der kann die Antwort auf die Frage, ob es im Reich Gottes Ehrenplätze gibt und wer die bekommt, getrost Gott selbst überlassen. Denn Nähe zu Gott ist keine Frage des Platzes, sondern der Freiheit.

Jesus geht ans Kreuz, damit wir frei werden von den Maßstäben dieser Welt, die unser Leben letztlich nur unglücklich machen können. Jesus geht ans Kreuz, damit wir Gottes Maßstäbe erkennen und unser Vertrauen in diese Maßstäbe setzen. Dass wir dafür leben, dass unser Nächster die Liebe Gottes als die große Freiheit seines Lebens erfährt.

Der Lohn des Christseins:
Zu wissen, dass es nichts Größeres gibt als die Liebe Gottes, die Gnade Jesu Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes.

Hier sind die Menschen nicht nur heute, sondern in dieser Zeit und Gottes Ewigkeit geborgen.
Das ist alles Dienen wert. Demut.
AMEN

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