Die treibende Kraft Deines Lebens (Röm 8, 14-17)

Gegen jede Wetterlage:
Die Sonne am Himmel scheint.
Nicht nur heute, und das für jeden von uns.
Gegen alle Einsamkeit:
Gott kommt.
Zu jedem von uns.
Gegen die menschliche Überhebung,
sich selbst Erlösung zu erschaffen:
Gott SCHENKT
das Heil.

Lobe den Herrn, meine Seele,
und vergiss nicht,
was er dir Gutes getan hat!
Psalm 103,2
***
Na, was hat euch hierhergetrieben?
Die Sonne vielleicht?

Nachdem wir gedacht hatten, der Sommer sei schon vorbei und der Herbst viel zu früh gekommen, ist es hier in Brandenburg heute fast so heiß, wie ich es seinerzeit eigentlich täglich in Kabul hatte – da ist es heute aber auch nicht wärmer als bei uns. So lässt es sich hier im Schatten ganz gut aushalten, besser als in so manchem Wohnzimmer- auch wenn diese Kirche zwar über 750 Jahre alt, aber nicht gerade eine kühle Kirche ist (Schuld ist die Glaswand im Westen…)!

Oder war es gar nicht die Sonne, die uns hergetrieben hat? War es der Geist Gottes? Schließlich heißt es im Predigttext aus Römer 8 in Vers 14:

Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder.

TREIBT.

Sind wir: Getriebene? Hat der Geist Gottes uns hergetrieben? Kinder Gottes sind wir doch schon mal…

Hergetrieben. Ist das eigentlich etwas Gutes? Ein Her-Getriebener zu sein? Oder eine Her – Getriebene? Wie auch immer, wer auch immer: GETRIEBEN?

Für manchen hat das ja einen negativen Klang. „GEtrieben“ und „VERtrieben“ unterscheiden sich schließlich nur durch zwei Buchstaben.  Also kann „getrieben sein“ bedeuten, ruhelos zu  sein, nicht bei sich selbst ankommen zu können, fremdbestimmt zu leben. Kühe werden getrieben, Schafe, Pferde. Treibjagden auf Schweine, Drückjagden auf Elche. Aber getriebene Menschen?

Das ist doch das Gegenteil von dem, was sich viele vom Leben wünschen. Sie möchten die große Balance finden, in der Aktivität und Ruhe nun einmal zusammengehören. Sie möchten bei sich ankommen können, sich selbst finden, sich kennenlernen, um die eigenen Grenzen wissen. Man will wissen, wer man ist.

Und fremdbestimmt zu sein ist für viele der Alptraum schlechthin. Sich von anderen vorschreiben lassen zu müssen, was man tun oder lassen soll – man ist doch froh, nicht mehr wie ein Kind behandelt zu werden, erwachsen, selbständig zu sein.

Also ist das etwas Schlechtes, getrieben zu werden? Ebenfalls nur zwei Buchstaben braucht man, um aus „getrieben“ „angetrieben“ zu machen. Nicht nur Fahrzeuge aller Art vom Fahrrad bis zur Rakete- auch jedes Leben braucht einen „Antrieb“.

Im Leben „keinen Antrieb“ zu haben- das kann wirklich furchtbar sein. Morgens aufzustehen und sich in den Tag schleppen zu müssen. Die Tagesarbeit als Last zu empfinden. Egal ob im Beruf oder der Alltagsarbeit zu Hause.

Und NOCH schlimmer: Wenn man selbst mit seiner FREIZEIT nichts mehr anfangen kann, weil man einfach zu überhaupt gar nichts Lust hat. Wenn man seine Stunden und Tage mit dem Warten darauf verbringen muss, dass es irgendwie besser wird.

Dass man wieder angetrieben ist und nicht mehr antriebslos. Und wenn man es genau bedenkt: Ist Antrieb nicht immer  eine Sache, die von außen kommt? Wie sollte man sich selbst antreiben? Selbst-treibende Kraft des eigenen Lebens werden?

Das wäre doch so, als wenn man bei Windstille im Segelboot sitzt und ins Segel pustet. Das funktioniert genauso wenig wie es funktioniert haben kann, dass ein gewisser Baron von Münchhausen sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zieht.

Es geht also im Leben nicht um die Frage, ob man sich selbst treibt oder treiben lässt. Es geht um die Frage, von wem man sich treiben, ANtreiben lässt.

Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder.

WELCHE.
Sind wir: Welche?

Ja- man hat wohl immer eine Wahl im Leben. Ob man zu Denen gehört oder zu den Anderen. Auch bei der Frage, wovon man sich antreiben lässt, wovon man im Leben getrieben, umgetrieben wird. Wo und wie man „erfolgreich“ sein möchte, was man unter „erfolgreich“ verstehen will. Man hat immer irgend eine Wahl. Welcher man ist. Solcher. Oder Solcher.

Wenn Chefin oder Chef einen antreiben, kann man sich fragen, ob sie damit Recht haben oder ob man sich lieber eine andere Arbeitsstelle suchen sollte.

Auch den Sinn des eigenen Lebens wählt man sich frei. Der wird dann zur wahrscheinlich wichtigsten treibenden Kraft des Lebens. Die Wichtigen unter den treibenden Kräften sind wohl seit Menschengedenken die gleichen.

Da geht es zuerst ums Überleben. Dass man durch seine Arbeit all das für sein Leben zusammenbekommt, das man braucht, um sich gesund zu ernähren und der Jahreszeit entsprechend zu kleiden. Bei dem heutigen Stand der Technik und des Handels können wir es uns leisten, mit dem Erreichen eines gewissen Lebensalters im letzten Teil unseres Lebens „in Rente zu gehen“, also gar nicht mehr einem „Broterwerb“ nachgehen zu müssen.

Das sicher größte Zeitkontingent seines Lebens verbringt man mit der Suche nach Ruhe und Entspannung. Jede und Jeder braucht sie, die tägliche Nacht-Ruhe. Viele sind auch auf weitere Ruhezeiten angewiesen, weil sie sich sonst unwohl fühlen. Und auf den Tapetenwechsel eines Urlaubs. Schlaflosigkeit ist eine große Last, erzwingen lässt sich hier nichts, verlängern auch nichts.

Dann gibt es die Karriere, für die man leben kann. Dass man in seiner Profession erreicht, was einem möglich ist.
Viele leben auch dafür, eine starke Familie zu gründen, Kinder zu haben und sehen zu können, dass das eigene Leben auf dieser Welt Spuren hinterlässt.

Nicht zu vergessen ist der Wohlstand. Zu den Menschen zu gehören, die nicht nur genug materielle Sicherheiten auf die Seite gelegt haben, sondern denen man das auch von außen ansehen kann, dass sie zu den „Erfolgreichen“ gehören. Hier kann man getrost auch die Suche nach Gesundheit oder dem Spaß einsortieren – je erfolgreicher man ist, desto mehr von beidem kann man sich leisten.

Aber wozu das alles, wieviel von allem, mit welchem Ziel? Wenn ich genug zum Überleben und ausreichend Ruhe habe- reichen dann Karriere, Familie, Wohlstand als Triebkraft des Lebens? Oder hat man nicht schnell den Punkt erreicht, den man für seine persönlichen Verhältnisse genug Wohlstand hat, für die Gesundheit nicht mehr zu tun, für den Spaß genug gelacht ist?

Wohl dem, der dann weitergekommen ist mit der Sinnfrage seines Lebens, der weiß, wofür er leben will. Der gewählt hat, sich entschieden hat. Oder genug Energie und Mut hat, seine Entscheidung neu zu überdenken und neu zu Wählen.

Welche sind wir?

Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder.

GEIST GOTTES.
Wer ist das? Oder was?

Paulus präzisiert im nächsten Vers:
15 Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, dass ihr euch abermals fürchten müsstet…

Hier lesen wir, welcher Geist der Geist Gottes nicht ist. Es ist NICHT der, der andere knechtet. Klein macht. Sie das fürchten lehrt. Für Paulus ist dieser andere Geist, der das macht, der Geist des Fleisches, der Geist aus uns selbst. Menschengeist.

Das klingt alles sehr mystisch, magisch, geheimnisvoll, dunkel. Und wenn Paulus an anderen Stellen schreibt, das Fleisch sei schwach und wir sollten uns nicht vom Fleisch bestimmen lassen und wenn wir dies täten müssten wir sterben, klingt das für viele nicht sehr lebensfroh. Will er uns die Freude am Menschsein leben, Enthaltsamkeit predigen, zur Askese aufrufen?

Ich glaube, all diese Erklärungsversuche greifen zu kurz. Mir ist das einmal in einem Beerdigungsgespräch deutlich geworden.

Ein Mann ist aus dem Westen an den Stadtrand Berlins gezogen, hat hier die letzten Berufsjahre damit verbracht, Verwaltung neun aufzubauen. Nun ist das zweite Mal Witwer geworden. Er erzählt, dass er einmal an Gott geglaubt hätte. Er sei gern in den Religionsunterricht und auch in die kirchliche Jugend gegangen. Natürlich habe er christlich geheiratet. Aber als seine erste Frau nach nur kurzer Ehe an Krebs starb, sei er danach zwar nicht aus der Kirche ausgetreten, aber hingegangen sei er auch nicht mehr, nicht einmal zu Weihnachten.

Der Mann meinte, nichts falsch gemacht zu haben. Bis heute nicht. Dass er sich in seiner Enttäuschung von Gott abgewendet hat, sei folgerichtig. Versagt habe nicht er, sondern Gott.

So wie dieser Witwer bewegen sich viele Menschen durch die Lebensbeziehungen. Mögen auch Verliebtsein oder Liebe eine Rolle spielen: Wichtiger ist der Geist der Kosten und des Nutzens. Ich mache, was du willst, solange ich von dir bekomme, was ich möchte.

Anstatt man seine Meinung über den anderen der Realität anpasst, also versucht ihn weiter kennenzulernen, zu verstehen, was er wirklich meint, wie er wirklich denkt – bricht man den Kontakt ab. Das erscheint einfacher, sicherer, geradliniger.

Ich denke, das Paulus genau das mit dem Geist der Knechtschaft meint.  Ich mache mich zum Knecht, also tue, was du willst, solange ich von dir bekomme, was für mich wichtig ist, was ich von dir erwarten kann.

Das aber treibt uns von dem Anderen weg. Ich verpasse, ihn wirklich kennenzulernen – aus Furcht, die nächste Enttäuschung zu erleben. Das treibt einen auch, aber am Ziel des Menschseins vorbei.

Was aber will der Geist Gottes? Wohin treibt der?

Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder.

GOTTES KINDER.
Sind wir das? Wollen wir das sein?
Kind sein?

Im Großen und Ganzen werde ich jedem von uns aus dem Herzen sprechen: Gott hat diese Welt werden lassen mit allem, was darauf ist und in ihr lebt. Gott schuf die Menschen zu seinen Ebenbildern. Jeder Mensch, wirklich jeder, ist so gesehen Kind Gottes.

Aber Paulus meint mehr, etwas Größeres, etwas, was tiefer geht. Er schreibt darum weiter:
15…ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch den wir rufen: Abba, lieber Vater!

Es gab immer wieder Menschen, die das missverstanden haben. Siegmund Freud beispielsweise warf dem Christentum vor, die Menschen in der Position von Kindern halten zu wollen, sie letztlich ihres Erwachsenwerdens berauben zu wollen.

Aber Jesus sagte nicht: BLEIBT wie die Kinder, sondern: WERDET wie die Kinder. Und genau in diesem Sinne redet Paulus hier von dem kindlichen Geist, der uns Gott als unseren Vater anreden lässt, ja sogar einen Kosenamen verwenden lässt.

Wenn meine Tochter heute „Vati“ zu mir sagt, weiß ich, dass das ihre besondere Vertrauensanrede ist. Hier geht es nicht um Abhängigkeit, nicht um Ärger, nicht um Überdruss (der würde sagen: Alter, bleib mir vom Leibe!). Wer seine Eltern mit „Mutti“ oder „Vati“ anspricht, erwartet eine Reaktion von einem Menschen, den es so nur einmal für jeden von uns gibt.

Geht es uns anders, wenn wir „Unser Vater im Himmel“ sagen?

Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder.

Gottes Geist will Triebkraft unseres Lebens sein.
Sie kann uns entdecken lassen, wie groß das Leben ist, das Gott uns schenkt.
Gottes Geist will uns in seine, Gottes, Arme treiben.
Uns sehen lassen, was er uns Gutes getan hat.
Damit wir lernen, das Gottes Plan für uns unser Vertrauen verdient.

Darum schließt Paulus diesen Gedankengang:
17 Sind wir aber Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi, wenn wir denn mit ihm leiden, damit wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden.

Kinder, die dem Lebensplan Gottes vertrauen, werden Erben sein. Gottes Erben. Wer „Unser Vater im Himmel“ ruft und „dein Reich komme, wie im Himmel, so auf Erden“ betet, der wird Miteigentümer der Herrlichkeit Gottes sein. Und hier wird die Frage nach dem Sinn dieses Lebens so beantwortet, dass es klarer und schöner nicht sein könnte.

Wenn wir das mal wieder vergessen haben sollten, wenn die Last dieses Lebens uns einmal mehr von Gott wegzutreiben droht, wenn das Leid dieser Welt die Liebe Gottes in Frage stellt, erinnert uns Paulus:

Ihr seid getauft. Ihr seid Gottes Kinder und Erben. Lasst Euer Leben vom Geist Gottes getrieben in seine Arme kommen. Dort werdet ihr fest werden in der Erkenntnis, wofür Euer Leben gut sein soll und sein wird. Denn wo findet ein besseres Ziel als in seiner Herrlichkeit:

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
AMEN

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