Die gesunde Mitte (Pred 7 15-18)

Freiheit von den Grenzen
die die Welt uns aufrichtet
gefangen sein in der Liebe

wer Jesus glaubt, ist abhängig
nicht von eigener Lebensleistung
wohl aber vom dreieinen Gott
der die Barmherzigkeit in Person ist

wer sich gefangen nehmen lässt
von ihm
wird frei
schon jetzt
und auf ewig

Wir liegen vor dir mit unserm Gebet
und vertrauen nicht auf unsre Gerechtigkeit,
sondern auf deine große Barmherzigkeit.
Daniel 9,18
***
Dass man Naturgesetze nicht nur erkennt, sondern auch ernst nimmt, ist wichtig im Leben. Denn mit Naturgesetzen ist es nicht viel anders als mit Gesetzen, die die Juristen geschrieben haben: Hält man sich nicht daran, fällt man schnell mal auf die Nase.

Natürlich gibt es Unterschiede. Naturgesetze sind einfach so da, ohne dass sie jemand aufschreiben müsste. Zum Beispiel, dass Wasser unter Null Grad Celsius seinen Aggregatzustand von flüssig zu fest wechselt. Das muss niemand aufgeschrieben haben, dass ist auch so die Wahrheit, ohne dass ich daran glauben müsste.

Juristische Gesetze haben irgendwelche Menschen aus irgendwelchen Gründen formuliert und aufgeschrieben. Dass ich zum Beispiel auf der B5 Richtung Spandau immer mal wieder nur 80 fahren darf, auch wenn alle vier Spuren ohne Schlaglöcher und ohne viel Verkehr sind. Das schreibt man dann auf ein Schild und hängt es an der Straße auf, das ist dann auch Wahrheit, auch wenn ich nicht dran glauben möchte.

Wenn ich nun denken würde: Was interessiert mich, wann Wasser zu Eis wird? würde ich auf der erstbesten Pfütze ausrutschen und mir weh tun. Oder ich würde durch die Autoscheiben nichts sehen können, auch wenn ich die Scheibenwischer auf höchster Stufe laufen ließe.

Und wenn ich meine: 101 fahren sich viel besser als 80, dann mag das rein physikalisch ja stimmen. Dann kostet der Blitzer aber 70 Euro Strafe, 25 Euro Verwaltungsgebühren und einen Punkt in Flensburg als Erinnerungsstütze für zwei Jahre und sechs Monate.

Weise Sprüche sind wie Naturgesetze des menschlichen Lebens: Halte ich mich nicht an sie, ist die Gefahr für mich groß, auf die Nase zu fallen. „Lieber einen Koffer in Berlin als einen Führerschein in Flensburg“ zum Beispiel. Oder wer es zeitloser mag: „Lieber mal zu spät auf Erden als zu früh im Himmel.“

Wenn ich mich nicht an diese Weisheiten erinnere und sie ernst nehme, dann blüht mir irgendwann das Eine oder das Andere. Dann muss ich zwischen Hohenbruch und Brandenburg das Fahrrad nehmen oder die Öffentlichen (einen zeitlichen Unterschied für die 70 Kilometer gibt es leider kaum). Oder ich bin eben im Himmel (hoffentlich), aber wirklich früher als nötig gewesen wäre.

Darum mag ich weise Sprüche. Sie erinnern mich an die Naturgesetze des Menschseins. Sie helfen mir, Gegebenheiten als das zu sehen, was sie sind: Gegebenheiten. An denen kann ich nämlich wenig oder gar NICHTS ändern, selbst wenn ich mir die größte Mühe gäbe.

Sie helfen mir aber auch zu unterscheiden. Nämlich das Unabänderliche vom Änderbaren. Das ist mir eine große Hilfe. Ich kann so nämlich leichter erkennen, wo ich meine Energien investieren sollte, die ich habe.

Es würde nichts nützen, z.B. dagegen zu kämpfen, dass es Arme und Reiche gibt. Die gab es immer und die wird es geben, solange die Welt sich dreht. Aber dafür zu kämpfen, dass es einen sozialen Ausgleich gibt- das hat Aussicht auf gewissen Erfolg.

Weise Sprüche können letztlich dazu helfen, den Menschen zu erden. Gesetze des Lebens zu erkennen und Veränderbares zu begreifen. Das ist vielleicht auch der Grund dafür, dass in der Bibel solche Sprüche zu finden sind. Nicht nur im Buch der Sprüche. sondern zum Beispiel auch im Buch „Prediger Salomo“, aus dem der Predigttext für heute kommt.

Luther hat den Namen für dieses Buch geprägt. Das liegt wohl an Vers 1: „Worte Kohelets, des Davidsohnes, der König in Jerusalem war“. Aber dass dieser König gerade Salomo war, steht nirgends.

Die hebräische Bibel nennt das Buch Kohelet, wobei niemand zweifelsfrei weiß, ob Kohelet nun ein Eigenname ist oder was das Wort sonst bedeutet. Eine Theorie ist, dass es vom Verb kahal kommt. Dann könnte es „Sammlung“ im Sinne von „Sprüchesammlung“ oder „Sammler“ im Sinne von „Versammler von Menschen“ bedeuten. Aber wie schon gesagt- genau weiß das niemand.

In Kohelet 7, 15-18 steht nun, ich lese aus der Übertragung der „Gute(n) Nachricht“:

15 Während meines vergänglichen Lebens voll vergeblicher Mühe habe ich beobachtet: Es gibt Menschen, die nach Gottes Geboten leben und trotzdem elend umkommen; aber andere, die Unrecht tun und sich um Gott nicht kümmern, genießen ihr Leben bis ins hohe Alter.
16 Deshalb ist mein Rat: Übertreib es nicht mit der Rechtschaffenheit und bemühe dich nicht zu sehr um Wissen! Warum willst du dich selbst zugrunde richten?
17 Schlag aber auch nicht über die Stränge und bleib nicht in der Unwissenheit! Warum willst du vor der Zeit sterben?
18 Halte dich an die gesunde Mitte. Wenn du Gott ernst nimmst, findest du immer den rechten Weg.

„Die Gesunde Mitte“ ist die Überschrift, mit der die „Gute Nachricht“ diesen Text betitelt. Damit trifft sie, glaube ich, auch den Kern des Textes.

Dann geht es, typisch für Kohelet, etwas depressiv weiter: „Während meines vergänglichen Lebens voll vergeblicher Mühe…“ So redet einer, der auf viel Lebensarbeit sehen muss, die völlig umsonst geschehen ist. Was hat all die Schufterei gebracht? Vielleicht wenigstens eines: Die Einsicht in die Realitäten des Lebens. Die unveränderlichen Fakten. Und die lauten hier:

„Es gibt Menschen, die nach Gottes Geboten leben und trotzdem elend umkommen; aber andere, die Unrecht tun und sich um Gott nicht kümmern, genießen ihr Leben bis ins hohe Alter.“

Diese Klage habe ich schon oft gehört. Und zwar von Menschen heute. Die sich das Hirn zermartern, ob es denn mit der Allmacht Gottes in Einklang zu bringen ist, dass es nach menschlichem Ermessen ungerecht zugeht in der Welt. Im Großen wie im Kleinen.

Im Großen: Millionen von Juden sterben in den Gaskammern des „Dritten Reiches“, viele Täter bleiben völlig unbehelligt und sterben nach langem, unbeschwerten Leben irgendwo unter Palmen. Überall um uns herum leben Menschen, die ganz offen zugeben, von Gott nichts wissen zu wollen, und leben in Wohlstand und Frieden. Und Menschen, die sich offen zu Gott bekennen, werden angefeindet und wissen manchmal nicht, wie sie ihre nächste Mahlzeit beschaffen sollen.

Im Kleinen: Da ernährt sich einer nach allen Erkenntnissen der Wissenschaft gesund und ausgewogen und treibt Sport; Alkohol und anderen Drogen sind für ihn Tabu. Der andere isst, woran er gerade Spaß hat, raucht und trinkt, und all das in Mengen. Und dennoch sitzt der erste mit 40 nach einem Schlaganfall im Rollstuhl und der Raucher fährt mit 80 fröhlich in den Urlaub.

Unser Predigt-Text ist nun über zweitausend Jahre alt und steht in Kohelet. Und hier folgt auch gleich ein gut gemeinter Ratschlag:

„Übertreib es nicht mit der Rechtschaffenheit und bemühe dich nicht zu sehr um Wissen! Warum willst du dich selbst zugrunde richten?
17 Schlag aber auch nicht über die Stränge und bleib nicht in der Unwissenheit! Warum willst du vor der Zeit sterben?
18 Halte dich an die gesunde Mitte…“

Der Tipp nach Kohelet: Sei nicht päpstlicher als der Papst! Hand aufs Herz: Es klappt bei dir selber doch auch nur mal besser, mal schlechter mit der Gerechtigkeit. Du hast doch schon genug Mühe, einen Apfel nicht gleichmäßig, sondern gerecht unter vier Leute aufzuteilen. Und dann solltest du dir anmaßen können, zu wissen, was „gerecht“ ist?

Und sei nicht allzu weise, denn wenn du ehrlich bist, erkennst du, dass alles menschliche Erkennen irgendwann an eine Grenze kommt. Außerdem ist vom klugen Mann hin zum Klugscheißer nur ein kleiner Schritt.

Das ist jetzt keine ganz große Philosophie. Erst recht keine große Theologie. Aber so ist es nun mal, dieses Leben. Also finde das rechte Maß. Maßhalten im Leben hat nichts mit den Bierkrügen auf dem Oktoberfest zu tun. Weisheit UND Gerechtigkeit, Wissen UND Rechtschaffenheit. Beides zusammen in rechter Menge: Diese Sorte Maßhalten ist nach Kohelet eine gute Lebenseinstellung.

Die behüte einen davor, die Dinge zu übertreiben. Andere oder sich selbst zugrunde zu richten oder selbst verschuldet einen frühen Tod zu sterben. Also besser das eine tun und das andere nicht lassen. Gesunde Mitte eben.

Und das Maß dieser „gesunden Mitte“ bildet der Schlusssatz: „Wenn du Gott ernst nimmst, findest du immer den rechten Weg.“ Oder wie die Zürcher übersetzt: Wer Gott fürchtet, wird beidem gerecht.

Gottesfurcht oder Gott ernst zu nehmen bedeutet also konkret für Kohelet, es weder mit Gerechtigkeit oder Weisheit, noch mit Ungerechtigkeit oder Torheit zu übertreiben. Gottesfurcht, das ist für das maßvolle Streben nach Weisheit und Gerechtigkeit, ohne diese beiden zu verabsolutieren oder zum Selbstzweck verkommen zu lassen.

Meine Schwestern, meine Brüder,

diese Art von Gelassenheit ist zunächst einmal bewundernswert, sie scheint mir die Weisheit des Alters zu sein. Junge Menschen sind selten so gelassen. Es ist oft ein langer Lebensweg bis zur Erkenntnis, dass man die Welt nicht verbessern, sondern nur sich selbst, SEINE Perspektive, SEIN Verhalten, SEINE Argumentation ändern kann.

Die „gesunde Mitte“ zu finden ist der Weg des Lebens. So vieles empfinden so viele als ungerecht, wie uns vorhin im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20) vor Augen geführt wurde. Wer auf solche oder ähnliche Situationen nicht irgendwann gelassen reagieren kann, wird vor Ärger dauerhaft krank oder gar zerbrechen.

Bei der Suche nach der gesunden Mitte ist nun Kohelet eine gnädige Hilfe. Lese ich doch: So IST es, das Leben. Nicht erst heute. Schon vor über zweitausend Jahren war es so. Das ist zwar keine Beweis, aber doch ein starkes Argument, ein deutliches Indiz dafür, dass es sich um ein „Naturgesetz“ des Lebens handelt, dass ich daran also nichts ändern kann:

Gerechtigkeit für alle gibt es nicht auf dieser Erde. Man kann für Gerechtigkeit für alle kämpfen. Man kann auch versuchen, stets selbst als der Rechtschaffene dazustehen, dem kein Fehler nachzuweisen ist. Aber da steht man auf verlorenem Posten, daran wird man zerbrechen.

Auch Wissen um jeden Preis ist kein Lebensziel, das sich lohnt. Nicht nur, weil ein Leben nicht lang genug ist, um alle Wissensgrenzen, an die man stößt, zu überwinden.

Sondern auch deshalb, weil Menschen nicht in der Lage sind, die Folgen ihres Wissens zu beherrschen. Die Kernspaltung wurde von der Energiegewinnung zur Atombombe, die Grundlagen zivilisierten Wohlstandes führen vielleicht in eine Klimakatastrophe, künstliche Intelligenz wird nicht nur Autos führerlos fahren lassen, sondern auch die Schlachtfelder der Welt unberechenbar werden lassen.

Ja, die „gesunde Mitte“ muss gefunden werden, will man am Leben nicht verzweifeln. So war es schon zu Zeiten Kohelets, so ist es heute für mich: Und genau das hilft mir, mich zu erden. Zu begreifen, was ich nicht ändern kann, aber auch, WAS ich ändern kann:

Mich selbst und mein Verhältnis zu Gott. Ich kann meine Grenzen akzeptieren lernen und mich an der Grenzenlosigkeit der Macht Gottes freuen. Wo ich selbst nicht vermag, Sicherheit und Zuversicht zu schaffen, da ist schon immer Gott, der selbst Sicherheit und Zuflucht ist für die, die ihm vertrauen. Wo ich selbst nichts mehr vollbringen kann, tut Gott es. Wo ich den Sinn nicht finden kann, ist Gottes Liebe alles, für das zu leben sich lohnt.

Lasst uns nach Gott fragen bei den Entscheidungen unseres Lebens, lasst uns auf Jesus Christus schauen bei dem, was wir tun oder lassen, lasst den Heiligen Geist unser ganzes Leben durchlüften. Dann werden wir sie finden können, die „gesunde Mitte“:

Den Frieden Gottes, der größer ist als aller Vernunft, der unsere Herzen und Sinne bewahrt durch unseren Herrn Jesus Christus.
AMEN

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