(1. Kor9, 16-23)
An Paulus, liebe Gemeinde, scheiden sich die Geister bis heute. Viele unter uns machen um seine Briefe in der Bibel einen großen Bogen. Sie sind ihnen zu kompliziert, schlecht lesbar und an einigen Stellen zu missverständlich.
Neulich las ich von einem Theologen, Paulus sei ein „gesellschaftlicher Reaktionär. Seine Äußerungen zum Staat Röm13, zur Sklaverei 1. Kor 7 und zu den Frauen 1. Kor 14“ sprächen für sich selbst. Und seine Haltung zu Homosexuellen macht da wohl keine Ausnahme.
Solche Meinungsäußerungen stehen in direkter Tradition mit einer allgemeinen Pauluskritik, die im 19. Jahrhundert ganz massiv einsetzte. Am weitesten ging dabei Friedrich Nietzsche, der Paulus das „Genie im Hass“, den „größten aller Apostel der Rache“ oder „Falschmünzer“ nannte.
Aber auch im 20. Jahrhundert nennt 1911 Adolf Deissmann Paulus den „Klassiker der Intoleranz“, und der Erlanger Neutestamentler Ethelbert Stauffer schreibt 1960 in einer Art Wutausbruch:
„Woher hat Paulus von Tarsus eigentlich das Sonderprivileg, jedermann in Grund und Boden zu stampfen, wann und wie es ihm beliebt, und sich selber jede Kritik zu verbitten? Ist er immun, ist er tabu, eine Mimose, ein Fetisch?“
Hinter all dem höre ich neben der Geltungssucht der Schreiber als THEOLOGISCHES Streitthema bestenfalls: Jesus oder Paulus – wer hatte eigentlich wirklich recht?
Jesus brachte die einfache Botschaft der Liebe. Kam jetzt Paulus machte daraus eine komplizierte, enge und streitsüchtige Dogmatik? Paulus – für jedermann zum Knecht geworden, die Fahne immer in den Wind gehängt, um die Leute über den Tisch zu ziehen – auf seine Seite des Tisches?
Ist er deshalb krank geworden, wie man es einigen Briefen entnehmen kann, weil er Liebe verwechselte damit, es allen Recht machen zu wollen?
Ich glaube, dass man sich das so zu einfach macht. Und in dieser Einfachheit einen Fehler begeht.
Für viele ist es nämlich wichtiger, ihr Gegenüber zu bewerten und zu beurteilen, als es verstehen zu wollen. Bewerten und beurteilen, das Aufteilen in „sympathisch und unsympathisch“ –
das entscheidet bei vielen, wie sie sich anderen gegenüber verhalten – freundlich oder unfreundlich, offen oder eher verschlossen.
Die „einfache Botschaft der Liebe“ allerdings bleibt gerade dabei nur allzu häufig auf der Strecke. Man unterliegt den Gefahren, die es mit sich bringt, sich von Menschen ein Bild zu machen und dieses Bild in eine Schublade einzuordnen.
Wie aber könnte man Paulus recht zu verstehen suchen? Ich lese den Predigttext für heute aus dem 1. Korinterbrief 9 in der Lutherübersetzung, die Verse 16-23:
16 Denn dass ich das Evangelium predige, dessen darf ich mich nicht rühmen; denn ich muss es tun. Und wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht predigte!
17 Täte ich’s aus eigenem Willen, so erhielte ich Lohn. Tue ich’s aber nicht aus eigenem Willen, so ist mir doch das Amt anvertraut.
18 Was ist denn nun mein Lohn? Dass ich das Evangelium predige ohne Entgelt und von meinem Recht am Evangelium nicht Gebrauch mache.
19 Denn obwohl ich frei bin von jedermann, habe ich doch mich selbst jedermann zum Knecht gemacht, damit ich möglichst viele gewinne.
20 Den Juden bin ich wie ein Jude geworden, damit ich die Juden gewinne. Denen, die unter dem Gesetz sind, bin ich wie einer unter dem Gesetz geworden – obwohl ich selbst nicht unter dem Gesetz bin –, damit ich die, die unter dem Gesetz sind, gewinne.
21 Denen, die ohne Gesetz sind, bin ich wie einer ohne Gesetz geworden – obwohl ich doch nicht ohne Gesetz bin vor Gott, sondern bin in dem Gesetz Christi –, damit ich die, die ohne Gesetz sind, gewinne.
22 Den Schwachen bin ich ein Schwacher geworden, damit ich die Schwachen gewinne. Ich bin allen alles geworden, damit ich auf alle Weise einige rette.
23 Alles aber tue ich um des Evangeliums willen, um an ihm teilzuhaben.
Ich tue alles für mein Ziel! Zunächst wirkt diese Leidenschaft, die aus diesen Zeilen zu lesen ist, unheimlich, ja geradezu fanatisch.
Nichts auf der Welt, keine Idee, kein Mensch, nichts auf der Welt ist sonst wichtig, auch mein eigenes Leben nicht.
Ich opfere mich auf? Ich finde nicht zu mir selbst? Na und? Was liegt an mir?
Ich, mein Leben, mein Glück, das spielt doch gar keine Rolle. Es kommt nur darauf an, dass möglichst viele andere die Dinge auch so sehen lernen, wie ich es tue. Nur das ist wichtig, wichtig für sie.
Ich mache mich damit zum Sklaven anderer Leute? Ja, stimmt – und ich tu’s gern, wenn es nützt.
Ich denke: Paulus versucht hier keine Kampfrede, die den Kampfunwilligen vorwirft, nicht genau so kompromisslos fighten zu wollen, wie er selbst es tut.
Paulus will in der Auseinandersetzung mit den Korinthern seinen Lesern zeigen, dass sie ihn missverstehen in dem, was er wirklich will, was ihm wirklich wichtig ist.
Dieser Briefabschnitt ist daher eher ein Stück Paulusbiographie. Biographie: Einer schreibt, wie er fühlt, und hofft darauf, dass die Leser ihn nicht gleich analysieren, diagnostizieren oder gar therapieren.
Nicht sagen: Gestern hat er aber noch etwas anderes gesagt!
Nicht feststellen: Der ist ja krankhaft zwanghaft!
Nicht den Kontakt zu ihm auf Eis legen, bis er seine Sitzungen
beim Psychotherapeuten abgeschlossen hat.
Also: Was ist Paulus wirklich wichtig?
Zuerst: Das Predigen ist ihm wichtig. Nicht, weil er sich selbst dazu entschlossen hätte, sondern weil er sich dazu gezwungen sieht.
Kein MENSCH ist es, der ihn dazu zwingt. Die BOTSCHAFT SELBST ist es, die eine unüberwindbare Macht entwickelt und ihn zum Predigen zwingt. Er kann sie nicht für sich behalten, sie muss einfach heraus aus ihm wie Luft in einen luftleeren Raum strömt. Er schreibt: Das sei sein Amt. Er hat es sich nicht selbst gesucht, er ist hineingerufen worden.
AMT. Kaum ein anderes Wort mit so vielen und sehr verschiedenen Bedeutungen: Der Beamte als Statusinhaber, das öffentliche Amt eines Politikers, Ämter als staatliche Behörde, das Hochamt als Teil der katholischen Messe, vollzogen durch das Priesteramt, die Amtsleitung beim Telefon, das Ehrenamt als Dienst aus innerer Überzeugung…
Nie meint Amt dasselbe, Ordnungs-Amt oder Finanz-Amt erzeugen bei nicht wenigen gar gewisses Unwohlsein.
Spricht PAULUS hier vom Amt, geht es ihm um seinen Auftrag: Predige das Evangelium! Das ist für ihn amtlich, genau das tut er. Beinahe zwanghaft, nicht davon abzubringen, radikal.
Wichtig ist Paulus weiter, dass er sich für das Predigtamt nicht bezahlen lässt. Paulus ist zwar ein gelehrter Mann, der sich auskennt in Theologie, Philosophie und Geschichte.
Aber er hat auch einen handwerklichen Beruf gelernt: Als Zeltmacher kann er meist allein für seinen Lebensunterhalt sorgen – und tut dies auch.
Warum er das tut? Weil er Menschen für die Botschaft gewinnen will. Er weiß zwar, dass er das Recht hätte, sich für seine Arbeit bezahlen zu lassen. Jeder Religionsdiener hat dieses Recht, hatte es auch schon vor 2000 Jahren. Auch das gerechtfertigt durch Qualifikation und Mehrwert für die Gesellschaft.
Aber er weiß auch: Kaum etwas anderes sät so viele Zweifel und Zwietracht in die Herzen der Menschen wie der Götze, der Mammon heißt. Pfarrer müsste man sein: Sonntags arbeiten und in der Woche frei haben und dafür auch noch Geld kriegen.
Darum geht Paulus noch einen Schritt weiter. Er lässt sich nicht nur nicht bezahlen, sondern bezeichnet das Predigendürfen selbst als Lohn.
Denn schließlich ist ihm wichtig: Viele zu gewinnen, wenigstens einige zu retten. Darum versucht er, sein Gegenüber nicht nur so zu nehmen, wie es ist, sondern sich mit ihm zu solidarisieren.
Für manchen mag das wirklich so aussehen, als hinge Paulus seine Fahne nach dem Wind, als wolle er es allen Recht machen.
Das Ziel des Paulus aber ist es, sich NICHT auf Nebenschauplätzen zu zerreiben und sich dadurch von der Hauptsache wegtreiben zu lassen.
Jude, Nichtjude, Gesetzestreuer, Freier, Starker, Schwacher – jeden meint das Evangelium, ohne Vorzug, aber auch ohne Ausnahme. Darum soll möglichst nichts verhindern, dass die Liebe Jesu ihr Ziel erreicht.
Meine Schwestern, meine Brüder:
Paulus schreibt nicht: Macht es genauso wie ich! Zieht rastlos durch die Welt, lasst Familie Familie sein, predigt, wo und wann ihr nur könnt, lasst euch dafür auf keinen Fall bezahlen!
Sondern er bekennt Farbe. Damit stiftet er dazu an, selbst Farbe zu bekennen. Glauben als das zu benennen, was er ist: Keine Kleinigkeit, keine Sonntagsbeschäftigung für Frühaufsteher, sondern eine Hauptsache des Lebens.
Also: Rede auch Du davon, was dich an deinem Glauben fasziniert! Erzähle aus deinem Lebenslauf, warum Glaube dir Rettung, dein Heil, dein Leben wurde! Warum Glaube etwas mit Tagespolitik zu tun hat! Das ist dein Amt, und das ist es täglich!
Denn der Glaube an Gott Vater, Sohn und Geist ist überfließender Segen: Von den sechs Krügen guten Weines auf der Hochzeit zu Kana oder der Auferweckung des Lazarus oder dem großen Festessen für die, die das Leben sonst übersehen hätte.
Der Glaube verspricht ein volles, gerütteltes und immer noch überfließendes Maß an Leben. Enge, Borniertheit, Kleinlichkeit, Missgunst oder zänkische Rechthaberei haben hier keinen Platz.
Unser Glaube spricht vielmehr von der Freundlichkeit Gottes: Die in Christus Mensch wurde, die von der Würde des Menschseins spricht, die uns schmückt mit Gnade und Barmherzigkeit.
In der Nähe unseres Gottes richten sich – auch heute noch! – Lahme auf, Blinde beginnen zu sehen, Stumme fangen an zu reden, Beleidigte wagen den Blick zum Himmel.
Unserem Glauben ist kein Tod gewachsen, denn Glaube ruft ins Leben. Die Gemeinschaft der Lebendigen: Das macht Kirche so unwiderstehlich und reizvoll.
Paulus schrieb am Schluss unseres Abschnitts: Alles aber tue ich um des Evangeliums willen, um an ihm teilzuhaben. Teilhabe am Evangelium: Nicht ÜBER etwas reden wir, sondern wir sind ein TEIL, gehören selbst dazu. Unser Glaube macht uns zu einem Teil am Leib Christi.
Wir REDEN nicht über eine große Theorie, sondern wir SIND:
Teil einer quicklebendigen Kirche, voller Segen, voller Freundlichkeit, voller Lebens- Überraschungen.
Hier erleben wir den Frieden Gottes, der größer ist als alle Vernunft. Er bewahrt unsere Leiber und Seelen in Christus Jesus. Amen.
Nächster Termin: 6. Juli, 10 Uhr, Ritterstraße 94 (14770 Brandenburg Havel)