Das Kreuz leuchtet (Joh 19 16-30)

Unser Gottesdienst Karfreitag zum Nachhören ist für vier Wochen hier zu finden.

Karfreitag
der Tag, an dem die Erde bebte
die Sonne ihren Glanz verlor
der Vorhang im Tempel zerriss

spüren was geschieht
am Tag der Kreuzigung Jesu
neben ihm stehen
heute

DER TOD greift das Leben an
ein Tag wie so unendlich viele
Menschen opfern Menschen
für ihr Leben
oder das, was sie dafür halten
Tag für Tag neu

Karfreitag
KEIN Tag wie irgend-ein anderer
MENSCHEN greifen das Leben an
Gott leidet aus Liebe
der Tod seines Sohnes
seine Tat für seine Menschen

So sehr
hat Gott die Welt geliebt,
dass er seinen eingeborenen Sohn
gab,
damit alle, die an ihn glauben,
nicht verloren werden,
sondern das ewige Leben haben.
(Joh 3,16)
***

Aus Joh 19 (Predigttext ab V 16)
12 Von da an trachtete Pilatus danach, ihn freizulassen.
Die Juden aber schrien: Lässt du diesen frei,
so bist du des Kaisers Freund nicht; wer sich zum König macht, der ist gegen den Kaiser.

15 … Weg, weg mit dem! Kreuzige ihn! Spricht Pilatus zu ihnen: Soll ich euren König kreuzigen? Die Hohenpriester antworteten: Wir haben keinen König außer dem Kaiser.
16 Da überantwortete er ihnen Jesus, dass er gekreuzigt würde.
Sie nahmen ihn aber,
17 und er trug selber das Kreuz und ging hinaus zur Stätte, die da heißt Schädelstätte, auf Hebräisch Golgatha.
18 Dort kreuzigten sie ihn und mit ihm zwei andere zu beiden Seiten, Jesus aber in der Mitte.
19 Pilatus aber schrieb eine Aufschrift und setzte sie auf das Kreuz; und es war geschrieben: Jesus von Nazareth, der Juden König.
20 Diese Aufschrift lasen viele Juden, denn die Stätte, wo Jesus gekreuzigt wurde, war nahe bei der Stadt. Und es war geschrieben in hebräischer, lateinischer und griechischer Sprache.
21 Da sprachen die Hohenpriester der Juden zu Pilatus: Schreibe nicht: Der Juden König, sondern dass er gesagt hat: Ich bin der Juden König.
22 Pilatus antwortete: Was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben.
23 Die Soldaten aber, da sie Jesus gekreuzigt hatten, nahmen seine Kleider und machten vier Teile, für jeden Soldaten einen Teil, dazu auch den Rock. Der aber war ungenäht, von oben an gewebt in einem Stück.
24 Da sprachen sie untereinander: Lasst uns den nicht zerteilen, sondern darum losen, wem er gehören soll. So sollte die Schrift erfüllt werden, die sagt (Psalm 22,19): „Sie haben meine Kleider unter sich geteilt und haben über mein Gewand das Los geworfen.“ Das taten die Soldaten.
25 Es standen aber bei dem Kreuz Jesu seine Mutter und seiner Mutter Schwester, Maria, die Frau des Klopas, und Maria Magdalena.
26 Als nun Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er lieb hatte, spricht er zu seiner Mutter: Frau, siehe, das ist dein Sohn!
27 Danach spricht er zu dem Jünger: Siehe, das ist deine Mutter! Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich.
28 Danach, als Jesus wusste, dass schon alles vollbracht war, spricht er, damit die Schrift erfüllt würde: Mich dürstet.
29 Da stand ein Gefäß voll Essig. Sie aber füllten einen Schwamm mit Essig und legten ihn um einen Ysop und hielten ihm den an den Mund.
30 Da nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er:
Es ist vollbracht. Und neigte das Haupt und verschied.

Warum hat Gott Jesus am Kreuz sterben lassen? Wenn der doch sein Sohn gewesen sein soll? Gerade einmal dreißigjährig ausgeliefert der Folter und Hinrichtungsprozedur der damaligen Weltmacht Römisches Reich? Warum lässt Gott das überhaupt zu?

Und warum lässt Gott mit diesem Karfreitag vor beinahe zweitausend Jahren alle Menschen, die Jesus damals folgten, heute folgen oder je folgen werden, mit diesem Welträtsel allein, so dass sie mit der Schmach der Verbrecherhinrichtung ihres Herrn lebenslang werden klar kommen müssen?

Den Bibeltext aus dem Johannesevangelium, der uns heute bei diesem Fragen zur Seite stehen soll, habe ich euch schon vorgelesen. Ich habe zu Beginn ein Paar Verse mehr als den ausgewählten Predigttext gelesen, um daran zu erinnern, was am Palmsonntag zu hören war.

Johannes hat eine ganz besondere Sicht auf die Dinge. Pilatus versucht hier bis zum Schluss, um diese Hinrichtung herumzukommen, beugt sich aber dem Druck der Menge, weil ihm Karriere wichtiger ist als Recht. Dazu kommt: Szenen rund um die Kreuzigung werden bei Johannes zwar erwähnt, aber weniger drastisch beschrieben.

Jesus wird keinen Becher mit Myrrhe trinken, der als Betäubungsmittel gedacht war. Weder vom Publikum oder dem Kreuzigungskommando noch den Mitgekreuzigten werden Schmähungen gegen Jesus laut. Kein „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“, kein Schmerzensschrei ist von Jesus zu hören.

Die beiden Mitgekreuzigten sind nur als „zwei andere“ gerade soviel Erwähnung wert, dass man verstehen kann, dass Jesus zu den „Übeltätern“ gerechnet ist, wie wir es im vierten Gottesknechtlied vorhin aus dem Jesajabuch (Kap. 53) gehört haben.

Die Diskussion, die die Volkes-Führer mit Pilatus um die Kreuzaufschrift führen wollen, ist dem dann auch deutlich zu viel. Die kann seiner Karriere nicht schaden, sondern muss schon ihretwillen genau so stehen bleiben, wie sie steht. So wird aktenkundig, dass Jesus ist, was er ist: König der Juden. Wahrer König der Juden.

„Sie teilen meine Kleider unter sich und werfen das Los um mein Gewand.“ So, wie wir es vorhin nach Psalm 22 (V 19) gesprochen haben, geschieht es: Jesu Gewand wird nicht aufgeteilt, sondern im Kreuzigungskommando verlost.

Jesus selbst ist es dann, der dafür sorgt, dass er als Zeichen der Demütigung mit Essig getränkt wird – auch das ein klarer Verweis auf einen Psalm, nämlich Ps 69 (V 22): „Sie geben mir Galle zu essen und Essig zu trinken für meinen Durst.“

Damit ist der Schrift Genüge getan: „Es ist vollbracht“ sagt Jesus wie einer, der SELBST SEINEN GEIST AUFGIBT, sein Leben beendet und stirbt.

Für Johannes klingen in all dem, was er da beschreibt, die Worte über den leidenden Gerechten nach: „Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre … Als er gemartert ward, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf …“

Für Johannes ist klar, was sich hinter dieser Hinrichtung, hinter diesem Justizmord verbirgt:

Gottes Plan kommt zu seinem Ziel. Gottes Christus, wahrer Messias Israels, tritt seine Königsherrschaft unter den Menschen an. Die Heilige Schrift, in der der göttliche Wille schon erkennbar und deutlich ist, wird erfüllt. An diesem Kreuz erweist sich Jesus als der vollkommene leidende Gerechte Gottes.

Dieses Kreuz ist der irdische Höhepunkt der Geschichte Gottes mit seinen Menschen: Von nun an wird Gott durch das Wort Jesu weiter wirksam sein bei allen, die es hören und bewahren.

So wird aus der irdischen Geschichte von Versagen und Untergang, an der die Jesus-Bewegung nach Jesu Tod zu zerbrechen drohte, auf einmal eine himmlische Erfolgsgeschichte. Die Menschen können sehen:

Alles, was geschehen ist, ergibt höchsten Sinn.
Jesus scheitert nicht, sondern wird als Messias bestätigt.

Nun hören wir heute diese Worte viele Hundert Jahre, nachdem sie aufgeschrieben wurden. Auch ist uns der jüdische Glaubenshintergrund nicht so vertraut, wie Johannes dies noch voraussetzen kann.
Was also nehmen wir heute mit aus der Erzählung im Johannes-Evangelium, wie verstehen wir, was der Tod Jesu am Kreuz für uns bedeutet?

Als erstes spricht für mich aus den vielen Schriftbezügen ein großes Vertrauen:
Was Gottes Wort einmal ausgesprochen hat, wird sich bewahrheiten. Es geht darum, wie die erlebten Geschehnisse zu verstehen, wie sie einzuordnen sind, so dass in ihnen Gottes Wirken spürbar wird.

In unserer Zeit heute stehen dagegen eher solche Warum-Fragen im Vordergrund, die wenig mit Verstehen, aber viel mit Anklage zu tun haben. Anklage, warum es nicht anders gekommen ist, so, wie es einem lieber gewesen wäre.

Zum Beispiel fragt mich eine Achtzigjährige, warum Gott denn ihren Mann zuerst hat sterben lassen und sie übrigbleiben muss.
Ein Arbeitsloser fragt mich, warum Gott zugelassen hat, dass ausgerechnet er seine Arbeit verliert. Ein Jugendlicher fragt, warum Gott nicht verhindert hat, dass sein Freund beim Motorrad-Unfall querschnittsgelähmt wurde.

Lauter Warum-Fragen, hinter denen spürbar wird, dass das, was geschehen ist, nicht angenommen werden kann als etwas, das zum Weg mit Gott dazu gehören könnte, und auf die es schon deshalb keine Antwort geben kann.

Bei Jesus aber erkennt Johannes ein vollkommenes Vertrauen, dass Gott Jesus einen Weg gehen lässt, der einen Sinn ergibt. Und dass Gott diesen Sinn selbst in das Geschehen legt. Darauf vertraut Jesus, und DAS gibt ihm die Kraft, seinen Weg durch Leid und Schmerz zu gehen bis zum Tod.

Das ist mehr als nur Gehorsam, sehr viel mehr als blinder Gehorsam. Das ist die innere Größe, die Jesus zum Messias Gottes macht.

Ich verstehe ein Zweites:
Der Messias zu sein, kostete Jesus das Leben.
Aber es kostete ihn nicht die Liebe Gottes.

Immer wieder aber sagt mir irgendjemand, dass er oder sie es ablehnt, durch den Tod Jesu am Kreuz erlöst zu werden – solch ein „Blutopfer“ sei eines liebenden Gottes doch nicht würdig. Und einen zornigen Gott, der zu seiner Besänftigung den Tod seines Sohns verlangt, könne er oder sie nicht akzeptieren.

Es passt für viele eben nicht zu den Allmachts-Vorstellungen Gottes, dass er sich freiwillig allen schlechten Eigenschaften der Menschen ausliefert, ohne sich mit Gegenwehr durchzusetzen: Dass er Verrat, Verleumdung, Gier, Gewalt, Hass und Brutalität auf sich nimmt. Friedlich, ohne seine Machtmittel einzusetzen, die er doch haben müsse.

Jesus zeigt uns hier jedoch: Es ist die größtmögliche Liebe, wenn jemand alles auf sich nimmt, was andere ihm antun, damit die Wahrheit Gottes, der Liebe und Frieden ist, nicht verleugnet wird.

Darum ist Tod Jesu am Kreuz ist für Erlösung: Jesus steht mit seinem Leben dafür ein, dass jedes Wort seiner Verkündigung über das Heil Gottes für uns Menschen verbunden hat, wahr ist und wahr bleibt. Jedes einzelne Wort und jede einzelne Tat spricht von Gottes Liebe zu uns, egal wer wir sind.

Das Kreuz Jesu ist darum Zeichen für Gottes vollkommene Zuwendung und Hingabe an uns Menschen, ein Ausdruck seiner souveränen Macht und Stärke – so stark, dass sie sich selbst aufgeben kann. Das Kreuz ist ein Mahnmal gegen die Gewalt und für die Liebe.

Und schließlich verstehe ich:
Es lohnt sich, genau hinzuschauen, welchen Autoritäten wir folgen. Menschen haben sehr verschiedene Vorstellungen darüber, wessen Aussagen über Leben und Glauben sie folgen.

Viele Jugendliche richten sich zum Beispiel nach Vorbildern in den sogenannten sozialen Medien. Die lassen sich dort aus über Körpermaße, Kleidung, Kosmetik oder Orte, die man selbst gesehen haben müsse.

Viele Erwachsene sagen, für sie würde nur das gelten, was sich wissenschaftlich beweisen lasse. Sie lehnen Erkenntnis ab, die auf andere Weise gewonnen wird. Und doch bauen viele von ihnen Wohlstand, Karriere und Familie als ihre Besitzgötter auf, denen sie dienen.

Welche Autorität hat Gott, der Vater Jesu Christi für uns?
Zur Zeit Jesu passte dafür das Bild der Königsherrschaft Gottes. Das ist ein Bild einer politischen Struktur, die damals allgegenwärtig war. Das Bild eines Königreiches verstand jeder.

In Gottes Königreich gelten seine Ordnungen, sein Wille, seine Gerechtigkeit. So hätte in der damaligen Auffassung der Priester der Messias mit königlichem Glanz und Gloria erscheinen müssen. Dann hätten sie akzeptiert, dass er von Gottes Gnaden kommt. Dass er Anspruch darauf hat, Herr im Reich Gottes zu sein, ihr König zu heißen.

Darum wollen sie die Tafel am Kreuz „Jesus von Nazareth, der Juden König“ – also auf Latein Jesus Nazarenus Rex Iudaeorum, kurz INRI – nicht akzeptieren. Denn am Kreuz zu hängen, ist unter ihrem Blickwinkel das Gegenteil davon, ein König zu sein.

Doch weil Jesu Königreich ja „nicht von dieser Welt“ ist, kann auch sein König-Sein ganz anders aussehen. Und das sieht es auch:
Für Johannes wird das Kreuz, das Jesus über die Menge der Schaulustigen emporhebt, zum Thron. Nicht zum Thron weltlicher Macht, sondern zum Thron der Liebe Gottes. Ein König sitzt auf seinem Thron erhöht, damit das Volk zu ihm aufschauen kann. Jesus wird am Kreuz erhöht, damit sich das Abbild der Liebe Gottes allen, die es sahen und sehen, einprägen kann.

Meine Schwestern meine Brüder:

Niemand von uns, auch alle Menschen zusammen nicht, werden den Plan Gottes für diese Welt und das Leben auf ihr je verstehen können. Unser Leben wird, so lange diese Welt sich dreht, niemals normal, gerecht, fair sein.

Jesu Kreuz lässt uns sehen, was am letzten Ende stärker ist als jede Macht, jede Ungerechtigkeit, jede Unfairness: Gottes Zusage seiner Liebe, die uns Menschen durch alles, was kommen kann, zu ihm trägt.

Mit Jesus Christus zu reden, zu ihm zu beten bedeutet dann, Gott besser verstehen zu lernen, seiner Zuwendung und Liebe zu vertrauen, besonders dann, wenn wir in schweren Situationen des Lebens stehen.

Das Kreuz des Karfreitag steht höher als jeder Thron, auf denen sich die großen und kleinen Fürsten dieser Welt räkeln. Zu Christus im Gebet aufzusehen – das kann aus jedem Warum ein Ja machen.

Dann: Mit dem Kreuz Jesu hat Gott, der Schöpfer und Erhalter dieser Welt, für alle und allezeit sichtbar darauf verzichtet, den Machenschaften der Herrscher dieser Welt mit seiner Macht Einhalt zu gebieten.

Damit verzichtet Gott darauf, uns Menschen zu seinen Marionetten zu machen. Und wir behalten die Freiheit, zu erkennen, dass und wie sich an Karfreitag Gottes Liebe zu uns zeigt.

Ohne diese grundlegende Freiheit wären wir lebenslang nicht in der Lage, selbst zu lieben. Uns nicht, Gott nicht, unseren Nächsten nicht.
Johannes ist entschieden.
Das Kreuz leuchtet für ihn.
Es lässt er uns den Sieg Gottes am Ende dieser Welt
jetzt schon sehen:

Die Liebe Gottes,
die Gnade unsres Herrn Jesus Christus
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes

werden so zur Autorität UNSERES Lebens.
Für alle sichtbar durch das Kreuz auf Golgatha.
AMEN

EG 93: 1-3

1. Nun gehören unsre Herzen
ganz dem Mann von Golgatha,
der in bittern Todesschmerzen
das Geheimnis Gottes sah,
das Geheimnis des Gerichtes
über aller Menschen Schuld,
das Geheimnis neuen Lichtes
aus des Vaters ewger Huld.
2. Nun in heilgem Stilleschweigen
stehen wir auf Golgatha.
Tief und tiefer wir uns neigen
vor dem Wunder, das geschah,
als der Freie ward zum Knechte
und der Größte ganz gering,
als für Sünder der Gerechte
in des Todes Rachen ging.
3. Doch ob tausend Todesnächte
liegen über Golgatha,
ob der Hölle Lügenmächte
triumphieren fern und nah,
dennoch dringt als Überwinder
Christus durch des Sterbens Tor;
und die sonst des Todes Kinder,
führt zum Leben er empor.

Dieser Beitrag wurde unter Predigten abgelegt und mit , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.