Unser Gottesdienst am 3. Advent zum Nachhören ist für vier Wochen hier zu finden.
Gott wird Gerechtigkeit schaffen
sein Advent ist Ende der Gottlosigkeit
kein Unrecht, Leid und Schmerz
für alle und jeden
Wir
sind wir auf dem Weg zum Heil der Welt
oder verlaufen wir uns
leben wir für Gottes Gerechtigkeit
oder für die Macht der Menschen
den Lauf der Welt
nehmen wir ihn einfach hin
oder mischen wir uns ein
weil Gott sich einmischt
Bereitet dem HERRN den Weg;
denn siehe, der HERR kommt gewaltig.
WSp Jesaja 40,3.10
***
Anfang August des Jahres 2005, es waren meine ersten Tage mit dem achten Kontingent ISAF der Bundeswehr in Kabul. Ich hatte neben den ersten Terminen gerade erst meine Sachen im Dienstzimmer aus den Transportkisten in Schrank und Regal sortiert. Die letzten Soldaten des siebenten Kontingentes wiederum packten ihre Kisten gerade wieder ein, um endlich nach Hause zu fliegen.
Es war am Sonntag, dem 7., kurz nach meinem ersten Gottesdienst. Ich war etwas müde, aber froh: 70 von 1300 deutschen Soldatinnen und Soldaten im Camp waren dabei, auch der General und Offiziere aus dem Stab, ein Oberstleutnant hatte den Gottesdienst auf dem Keyboard begleitet (was er sonst in seiner Gemeinde in Hamburg auch tat), ein Chor unter Leitung der Stabsapothekerin gesungen.
Und beim Gottesdienstkaffee im Anschluss war es in den Gesprächen auch um das gegangen, was ich in der Predigt gesagt hatte, es war also gehört worden: Viel besser hätte es für mich nicht laufen können.
Gerade zurück in meinem Büro klingelte das Telefon. General Ammon wünschte meinen katholischen Kollegen und mich noch einmal zu sprechen, wir sollten doch möglichst schnell in sein Büro kommen. Ich versprach, dass wir uns beeilen würden.
Was würde Ammon wollen? Mein Kollege und ich ahnten, dass irgendetwas passiert sein musste, denn er hätte ja auch schon vor zwei Stunden nach dem Gottesdienst mit uns reden können.
Wir liefen also an das andere Ende des Lagers, das Klima machte uns beiden zu schaffen, es war sehr diesig und vierzig Grad heiß; die Luft in Kabul, das fast 1800 m hoch liegt, war grottenschlecht.
Endlich im Büro des Generals angekommen sollten wir die Tür schließen – und uns setzen. Gleich zur Sache: Er sei mit dem Vorsatz nach Kabul gegangen, all „seine“ Frauen und Männer lebendig wieder nach Hause zu bringen, aber schon in den ersten Tagen sei ihm das nun verwehrt worden.
Er hatte feuchte Augen, als er berichtete, dass wir den ersten toten deutschen Soldaten unseres Kontingentes hatten – nach gerade zwei Wochen im Einsatz, und dann auch noch durch einen völlig sinnlosen Unfall. Uns beiden blieb fast das Herz stehen. Denn auch wir hatten gehofft, dass wir das nicht würden erleben müssen.
Nun hatte General Ammon den Eltern des gerade erst erwachsenen Hauptgefreiten am Telefon erklären müssen, wie ihr Sohn ums Leben gekommen war: Er war der Fahrer eines offenen Mercedes-Geländewagens, mit dem er, zwei weitere deutsche und ein ungarischer Soldat auf Patrouille gefahren waren.
Der Geländewagen hatte sich auf unbefestigter Straße bei Kabul überschlagen, der Hauptgefreite war aus dem Auto herausgeschleudert worden, der Wagen auf ihn gefallen. Die anderen drei Soldaten waren verletzt, er aber tot.
Und Ammon musste den Eltern, die natürlich wissen wollten, wie das hatte passieren können: ohne Feindeinwirkung, ohne Verkehr auf einer einsamen Wüstenpiste, die Wahrheit sagen. Und wir hätten nicht in seiner Haut stecken wollen:
Ihr Sohn hatte sich über mindestens zwei Vorschriften hinweggesetzt. Er war als Fahrer dafür verantwortlich gewesen, dass alle Insassen angeschnallt waren – aber alle vier waren das nicht gewesen.
Und er war auf unbefestigter Straße nicht mit der vorgeschriebenen Höchstgeschwindigkeit von maximal 40, sondern fast doppelt so schnell unterwegs gewesen. Da hatte eben ein größerer Stein auf dem Weg für die Katastrophe ausgereicht.
Soldaten setzten sich ja manchmal über Vorschriften hinweg, besonders wenn sie der Meinung waren, gute Argumente dafür zu haben.
Gegen das Anschnallen sollte sprechen, dass man dann schneller das Auto verlassen konnte, wenn man angegriffen werden sollte. Und dafür, schneller als 40 zu fahren, dass man dann bei einem Beschuss schlechter als Ziel auszumachen wäre.
Doch nun gab es ganz ohne Beschuss durch Leichtsinn einen Toten, und wir drei mussten nun unsere nächsten Schritte besprechen. Wir verabredeten, vor der Überführung des Sarges am morgigen Tag einen Gedenkappell durchzuführen.
Wir verteilten die Rollen: Ammon übernahm die persönliche Würdigung des Toten, ich sollte etwas zu Tod und Leben sagen, mein Kollege ein Gebet formulieren. Für den Rest des Tages saßen wir beide an unseren Schreibtischen und rangen um die richtigen Worte für die je fünf Minuten, in denen wir morgen etwas sagen wollten.
Nach einer Nacht fast ohne Schlaf ging es dann am Montag früh mit sehr mulmigen Gefühl im Bauch auf den Appellplatz. Dort waren alle angetreten, die irgendwie im Tagesgeschäft verfügbar waren: Mindestens vierhundert deutsche und noch einmal genau so viele ausländische Soldaten, nicht wenige Frauen darunter.
Das militärische Zeremoniell nahm dann seinen geordneten Lauf und half allen, ihre Erschütterung und Sprachlosigkeit in diesem Moment irgendwie auszuhalten. Und ich konnte so trotz allem mit fester Stimme reden. Wie der General vor mir und mein Kollege nach mir.
Aber dann, nach dem Gebet meines Kollegen, das Vaterunser. Und zu meiner großen Überraschung sprachen gefühlt ALLE auf dem Platz dieses Gebet mit, laut, fest und deutlich: Dein Reich komme, dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.
Nie bin ich durch dieses Gebet so getragen, so emotional mitgenommen worden wie auf diesem Appellplatz, auch nicht auf Kirchentagen oder großen Beerdigungen. Dort in Kabul hörte ich es als einen gesprochenen, gemeinsamen Lobpreis auf einen gemeinsamen Gott, auf den wir irgendwie alle gemeinsam hofften. Trotz aller Unterschiede in der Motivation hier in Kabul zu sein, trotz aller Unterschiede in den Konfessionen oder Kirchenzugehörigkeiten oder in der Nationalität.
In diesem Vaterunser war es zu spüren:
Gottes Reich erwarteten wir, wir erwarteten Gott selbst, der all den Irrsinn dieser Welt durch seine Herrschaft über alle beenden würde.
Für mich war dieses Vaterunser ein Schlüsselerlebnis meiner Hoffnung auf den Advent Gottes, auf seine Ankunft in meinem Leben.
Im Römerbrief Kapitel 15 lese ich ab Vers 7 heute:
Nehmt einander an,
wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Ehre.
8 Denn ich sage:
Christus ist ein Diener der Beschneidung geworden
um der Wahrhaftigkeit Gottes willen,
um die Verheißungen zu bestätigen,
die den Vätern gegeben sind;
9 die Heiden aber sollen Gott die Ehre geben
um der Barmherzigkeit willen, wie geschrieben steht
(Psalm 18,50): „Darum will ich dich loben unter den Heiden und deinem Namen singen.“
10 Und wiederum heißt es (5. Mose 32,43):
„Freut euch, ihr Heiden, mit seinem Volk!“
11 Und wiederum (Psalm 117,1):
„Lobet den Herrn, alle Heiden,
und preisen sollen ihn alle Völker!“
12 Und wiederum spricht Jesaja (Jesaja 11,10):
„Es wird kommen der Spross aus der Wurzel Isais,
und der wird aufstehen, zu herrschen über die Völker;
auf den werden die Völker hoffen.“
13 Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch
mit aller Freude und Frieden im Glauben,
dass ihr immer reicher werdet an Hoffnung
durch die Kraft des Heiligen Geistes.
Und irgendwie stehe ich, indem ich das lese, wieder auf diesem Appellplatz im staubigen Kabul: „Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat…“ Denn auch wenn ich es kaum erklären kann, habe ich genau das gefühlt:
Dass Christus uns alle, so wie wir da standen, ratlos und unserer Lebens-Sicherheit beraubt, angenommen hatte.
Unabhängig davon, wie fest oder schwach unser Glaube war. Unabhängig davon, welcher Konfession wir angehörten
oder ob wir überhaupt einer angehörten.
Unabhängig davon, welche Muttersprache wir sprachen.
Vom Hautgefreiten bis zum General.
Wir gehörten zusammen. In IHM.
„…zu Gottes Ehre.“
Dieses gemeinsam gesprochen Vaterunser aus fast tausend Mündern war für mich genau das: Eine Ehrenbezeugung Gottes. Ein gemeinsam gesprochener Lobpreis. Der gemeinsam bekannte Glaube daran, dass er wieder kommen wird, „der Spross aus der Wurzel Isais“, um unser Leben zu retten.
Nahezu hymnisch, wie ein Festgesang, spricht der Bibeltext aus dem Römerbrief, der uns für diesen dritten Advent ausgewählt wurde.
Er spricht unüberhörbar und eindringlich vom Lob Gottes, vom Lob seiner Barmherzigkeit, seiner Herrschaft, seiner Wahrhaftigkeit. Dass Gott es ist, dem Ehre gebührt, den nicht nur sein Volk, sondern ALLE Völker loben, auf den ALLE Völker hoffen würden.
Natürlich wäre Paulus nicht Paulus, wenn er nicht den historischen Wahrheiten ihr Recht einräumen würde. „Christus ist ein Diener der Beschneidung geworden“ – ja, Jesus war Jude unter Juden, sein Leben schreibt die Geschichte Gottes mit seinem Volk Israel weiter, Jesu Wirken bestätigt die Verheißungen Gottes an sein Volk.
Aber das bewirkt kein „Aus“ für die anderen Völker. Denn auch das gehört zur historischen Wahrheit, und auch das verschweigt der erste Teil der Bibel nicht: Gott ist nicht nur Gott für Israel, sondern will das Heil für alle Völker.
Denn Gott ist barmherzig:
Er öffnet sein Herz für seine Menschen.
Er sieht sie, er verzeiht ihnen, er lässt sich von ihnen anrühren, er leidet mit ihnen, er lässt sie seine Herzensgüte spüren.
Und dabei nimmt er niemanden aus, der sich ihm zuwendet, egal wer das ist, egal wo das ist, egal wann das ist.
Aber wenn das so ist, dann kann das Glück des Menschen nicht darin zu finden sein, dass er SEIN Leben meistert. Es kann nur GEMEINSAM gefunden werden. Also nicht in Abgrenzung GEGEN, sondern in der ANNAHME des Nächsten.
Nichts anderes hat Gott in Christus gezeigt: Die Menschwerdung Gottes geschieht nicht für einfach für die, die Gott glauben, sondern für alle Menschen.
Meine Schwestern, meine Brüder:
Dieser Paulustext schließt die theologischen Erörterungen des Römerbriefes ab.
Dieses wohl wichtigsten Briefes im zweiten Teil unserer Bibel, der immer wieder in der Kirchengeschichte wichtiger Impulsgeber für Reformen und Erneuerungsbewegungen gewesen ist. Augustinus, Martin Luther, John Wesley oder Karl Barth haben sich grundlegend auf diesen Brief bezogen.
Paulus gibt nun in diesen Schlussversen den Menschen, die diesen Brief lesen werden, seinen Rat mit auf den Weg. Seinen Rat, wie es weitergehen müsste, wenn es gut werden soll. Wenn Gott in Christus nicht nur einmal auf diese Welt gekommen ist, sondern Tag für Tag kommt und am Ende aller Zeit herrschen wird.
Und Paulus sagt: Glück definiert sich nur aus der GEMEINSCHAFT. Glück meint nicht Gesundheit oder Wohlstand oder andere Arten des persönlichen Wohlergehens.
Glück ist einzig, Gott bei sich ankommen zu lassen, dem es in Christus doch nur darum geht, alles dafür zu tun, den Nächsten mit sich in das Reich Gottes zu nehmen.
Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat:
Wenn Gott so in unser Leben kommt,
wird die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
zum geschwisterlichen großen Lobpreis
der Ankunft Gottes werden,
der allen Menschen gemeinsam
aus den Herzen sprechen wird.
AMEN
EG 4: 1.2.4
1. Nun komm, der Heiden Heiland,
der Jungfrauen Kind erkannt,
dass sich wunder alle Welt,
Gott solch Geburt ihm bestellt.
2. Er ging aus der Kammer sein,
dem königlichen Saal so rein,
Gott von Art und Mensch, ein Held;
sein’ Weg er zu laufen eilt.
4. Dein Krippen glänzt hell und klar,
die Nacht gibt ein neu Licht dar.
Dunkel muss nicht kommen drein,
der Glaub bleib immer im Schein.