Das Erbe (Röm 8 14-17)

Unser Gottesdienst am 14. Sonntag nach Trinitatis zum Nachhören ist für vier Wochen hier zu finden.

Locus iste a Deo factus est,
inaestimabile sacramentum,
irreprehensibilis est.

Dieser Ort ist von Gott geschaffen,
ein unschätzbares Geheimnis,
kein Fehl ist an ihm.

Für mich ein Hymnus auf diese Erde
wunderbar, tadellos
Anton Bruckners Stimmen
kommen aus meinem Inneren

Gerade an diesem 1. September,
dem 85. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen,
der über 6 Millionen Polen das Leben kosten sollte,
viele von ihnen Juden.

Mancher Alptraum lastet
auch auf unseren Tagen
Krankheit oder Bosheit
Überheblichkeit oder Ratlosigkeit

Aber Gott
schenkt jedem von uns
sein Erbe
das Heil des Lebens.

Lobe den HERRN, meine Seele,
und vergiss nicht,
was er dir Gutes getan hat.
Ps 103,2

***
Paulus.
Jeder, der sich auch nur irgendwann einmal mit dem Christentum beschäftigt hat, kennt diesen Namen. Man weiß um sein Damaskuserlebnis, das ihn vom Christenverfolger zum Christenmissionar werden ließ, das ihn, wie ein Sprichwort heute mein, „vom Saulus zum Paulus“ machte.

Dieser alten Geschichte wegen müsste man sich allerdings heute um ihn nicht mehr kümmern. Doch die Briefe, die Paulus als Missionar schrieb, wurden und werden gelesen, bis heute. Sein Brief an die Römer wurde zum theologischen Grundtext der Reformatoren im 16. Jahrhundert, vor allem für Luther, Melanchton oder Calvin.

Dass Paulus auch noch heute, knapp zweitausend Jahre nach seinem Tod, immer noch in so vieler Munde ist, und das überall auf der Welt, muss seine Gründe haben. Und die liegen nicht einfach in den Erzählungen der frühen Christenheit über seine Bekehrung oder seinen Märtyrertod Mitte des ersten Jahrhunderts in Rom begründet.

Man muss vielmehr fragen: Wie gelang es Paulus, die Botschaft einer Sekte des Judentums in die griechisch-römische Welt zu tragen? Warum wurde er der wohl wichtigste neutestamentliche Theologe? Warum war die Sammlung von Briefen, die er verfasst hat oder haben soll, der vermutlich allererste feste Bestandteil des „Neuen Testament“, also des zweiten Teils unserer Heiligen Schrift?

Dass die katholische Kirche aus ihm einen Heiligen mit Vorbildfunktion machte, hat sicher dort seinen Grund. Doch damit ist noch lange nicht jedes Wort, was aus seiner Feder kommt, heilig:

Auch bei Paulus fließen menschliches und allzu menschliches und Wort Gottes ineinander und müssen entflochten werden von denen, die Paulus heute lesen und nach Gottes Wahrheit suchen.
Aber was man dann bei ihm finden kann, das ist dann eben ganz große göttliche Wahrheit.

HIER liegt dann wohl das Geheimnis seiner Wirkung. Paulus hatte etwas zu SAGEN, was viele Menschen HÖREN wollten. DARUM konnte er auf seinen drei Missionsreisen an vielen Orten in Kleinasien und Griechenland christliche Gemeinden gründen. SO legt er den Grundstein für eine Christen-Begeisterung, die sich einmal durch die ganze Welt ziehen wird: Eine Begeisterung für den Gott Israels, der ein Leben schenkt, das diesen Namen verdient.

Nun zum Römerbrief. Während die anderen Briefe des Paulus an Gemeinden geschrieben wurden, die er gegründet hat oder zumindest gut kannte, weil er schon vor Ort gewesen war, war Paulus doch noch nie in Rom.

Nun aber befindet sich Paulus an einem für ihn entscheidenden Punkt seiner Arbeit: Er will auch im Westen des römischen Imperiums missionieren. Darum plant er eine neue Reise über Rom nach Spanien.

Im Zusammenhang mit diesen Reiseplänen stellt er sich den römischen Christus-Gläubigen, die sehr wahrscheinlich in mehreren Hausgemeinden in der Stadt leben, in einem Brief als Apostel der Nichtjuden vor und kündigt einen Aufenthalt an. So entsteht der Römerbrief.

Schon an der Grußliste in Kapitel 16 kann man erkennen, dass Paulus in Rom zwar einige, aber nicht viele Christen PERSÖNLICH kannte. Das wird ihm das Schreiben sicher nicht einfacher gemacht haben, weil der Brief so ein Empfehlungsschreiben in eigener Sache an ihm zumeist fremde Personen war. Vielleicht deshalb wurde dieser Brief wohl auch der längste von ihm, der uns erhalten ist.

In den ersten elf Kapiteln – unser Bibeltext heute kommt aus diesem Teil – legt Paulus „sein“ Evangelium dar. Er entwickelt und begründet, dass es nicht allein den Juden, sondern auch den Nichtjuden gilt. Damit durchbricht er seine eigene jüdische Tradition.

Paulus wurde wahrscheinlich in Tarsus geboren. Das liegt im Süden der heutigen Türkei nicht weit von der Grenze zu Syrien. Er kam aus einer Familie von Pharisäern. Seine Ausbildung als Schriftgelehrter bekam er wohl beim damals berühmten Rabbiner Gamaliel I. in Jerusalem.

So erzogen war er zunächst zum Christenverfolger geworden, insbesondere wohl deshalb, weil die Botschaft des Juden Jesus aus Nazareth am alten Gottesverständnis rüttelte, wonach man den Gott Israels nur finden und ihm glauben könne, wenn man auch selbst gebürtiger Jude war.

Doch das Damaskuserlebnis hatte Paulus dann auf einen ganz anderen Weg geführt: Die Liebe Gottes zu seinen Menschen machte nicht an ethnischen der Welt halt. Sie gilt der gesamten Schöpfung. Das galt es zu verkünden, das war jetzt die Überzeugung des Paulus, für die er lebte – und wohl auch starb.

Die Liebe Gottes für die Menschen ERLEBBAR zu machen, sie ihr irdisches Leben neu begreifen und sie auf ewiges Leben hoffen zu lassen: Darum ging es Paulus. Und er war wie vor ihm auch Jesus zu Recht der Auffassung, dass diese Liebe Gottes so auch in der Heiligen Schrift der Juden beschrieben war, also dem ersten Teil unserer Bibel.

Die für heute ausgewählten Verse 14-17 des Predigttextes aus Kapitel 8 sind ein gutes Beispiel dafür. So gut, dass Luther schrieb: „Das ist ein trefflicher, tröstlicher Text und billig mit güldenen Buchstaben zu schreiben“!

Ich lese ihn in der Übersetzung des reformierten Theologen Karl Barth aus dessen Römerbriefkommentar von 1922:

14 Denn die,
welche vom Geiste Gottes getrieben werden,
die sind Söhne Gottes.
15 Denn ihr habt nicht
einen Geist der Knechtschaft empfangen
aufs neue zur Furcht,
sondern den Geist der Sohnschaft habt ihr empfangen,
in welchem wir schreien Abba! Vater!
16 Der Geist selbst ist unserem Geiste Zeuge,
dass wir
KINDER Gottes sind.
17 Sofern wir aber Kinder sind, sind wir auch Erben:
Erben Gottes und Miterben des Christus,
so gewiss wir mitleiden, um auch mitverherrlicht zu werden.

In unserer Zeit, in der wir zu recht versuchen, das Gleichsein aller Menschen auch in unsere Sprache hineinzutragen, ist allerdings schon der Anfang unseres Textes eher ein Stolperstein als der Grund für Begeisterung. Männlich, weiblich, divers: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Die KANN nicht am Geschlecht hängen oder gar abgestuft werden: Die Männer bekommen mehr, die Frauen weniger, die Diversen bestenfalls einen Rest.

Also: Warum sollte das Wirken des Geistes Gottes uns alle zu SÖHNEN machen? Zumal das Wort „Geist“ in der Sprache des Alten Testaments weiblich, des Neuen Testaments sächlich und erst für uns männlich geworden ist?

Man könnte einfach anders übersetzen. Vielleicht so:
Alle, die von der Heiligen Geistkraft angetrieben werden, sind Töchter und Söhne Gottes!
Und so übersetzen denn auch fast alle unserer geläufigen Übersetzungen von Luther über die Zürcher bis zur Bibel in gerechter Sprache.

Doch stellt sich damit eine neue Frage:
Warum spricht Paulus erst über Söhne und Sohnschaft, dann aber darüber, dass wir KINDER Gottes seien? Macht er das nur, weil er sonst eine schlechte Note im schriftlichen Ausdruck bekommen hätte, weil er zu oft das Wort Sohn nutzt, oder gibt es einen anderen Grund?

Und in der Tat, ich glaube, den gibt es.
Wir wissen ja, dass Paulus römisches Bürgerrecht hatte. Wir wissen zwar nicht, wie er dazu gekommen ist, aber DASS er es hatte, ist sehr sicher. Paulus wusste also sehr gut, wie die Sklavenhaltergesellschaft und in ihr das Bürgerrecht des „Freien Römers“ funktionierte.

Und gerade darum redet Paulus hier von Söhnen und der Sohnschaft. Das ist für ihn ein JURISTISCHER Terminus. In der Gesellschaft damals waren Knechtschaft, also das Sklavesein, gleichbedeutend mit Unmündigkeit, Rechtslosigkeit, Unfreiheit.

Um das Wirken der Gottesgeistkraft zu beschreiben setzt Paulus darum der SKLAVEREI die SOHNSCHAFT gegenüber, die im römischen Recht eben genau das GEGENTEIL beschreibt: Mündigkeit, Freiheit, mit allen Bürger-Rechten.

Die, die sich vom Geist Gottes in ihrem Leben antreiben alles – was für ein schönes Bild für einen Lebens-Motor! – sie ALLE werden Söhne Gottes und damit Miterben Christi. Egal ob Frau oder Mann, Sklave oder Bürger.

Sie alle werden darum ABBA! Vater! rufen. Abba, Vater so liebevoll und voller Vertrauen wie Jesus im Garten Gethsemane, der angesichts der Passion nach Mk 14, 36 betete: „Abba, Vater, alles ist dir möglich; nimm diesen Kelch von mir; doch nicht, was ich will, sondern was du willst!“

Wer sich von der Gottesgeistkraft antreiben lässt, der wird von Jesus auch dieses unglaubliche Gottvertrauen erben, welches Jesus selbst den Weg ans Kreuz gehen ließ. Diese unglaubliche Gotteskraft, die nicht einmal mit dem Tod am Kreuz am Ende war, sondern durch die Auferstehung Jesu triumphierte.

Paulus lässt keine Zweifel aufkommen: Diese Gotteskraft, dieser Triumph gehören zu dem Erbe, das der Geist Gottes mit sich bringt. Und dieses Erbe kann eben ALLEN zukommen – völlig unabhängig von irgendwelchem Menschenstatus.

Und Paulus lässt auch keine Zweifel daran aufkommen, dass dieses Erbe NICHT das Ende des Leids auf dieser Welt bedeutet. „So gewiss wir mitleiden“: Das meint nicht plakativ einen frühen Kreuzestot. Jesus litt, wenn Menschen um ihn litten, er litt, wenn Menschen Menschen diese Welt zur Hölle machten, er litt an Lieblosigkeit, Engstirnigkeit, Machtbessenheit, Egoismus ebenso wie am Leid durch Unfall, Katastrophe oder Krankheit.

Schließlich lässt Paulus keine Zweifel daran aufkommen, dass Gottes Geist stärker ist als diese Sklavereien dieser Welt. Denn am Ende wird nicht das Erbe dieser Welt, sondern das Erbe Gottes stehen. Paulus beschreibt das als „Verherrlichung“: Alles wird als etwas Herrliches gepriesen und dargestellt werden. Alles und Alle.

Meine Schwestern, meine Brüder:

„Das ist ein trefflicher, tröstlicher Text und billig mit güldenen Buchstaben zu schreiben“! (Luther):

14 Denn die,
welche vom Geiste Gottes getrieben werden,
die sind Söhne Gottes.
15 Denn ihr habt nicht
einen Geist der Knechtschaft empfangen
aufs neue zur Furcht,
sondern den Geist der Sohnschaft habt ihr empfangen,
in welchem wir schreien Abba! Vater!
16 Der Geist selbst ist unserem Geiste Zeuge,
dass wir
KINDER Gottes sind.
17 Sofern wir aber Kinder sind, sind wir auch Erben:
Erben Gottes und Miterben des Christus,
so gewiss wir mitleiden, um auch mitverherrlicht zu werden.

Paulus trägt im Römerbrief eine Botschaft hinaus in die Welt, die alles aus den Angeln hebt. Alle Sklaverei dieser Welt wird durch die Sohnschaft beendet.
Nicht irgendwann, sondern jetzt.
Die Geistkraft Gottes ist Motor unseres Lebens.
So, und NUR so, wird das Leid,
das die Sklaverei dieser Welt bedeutet,
für jede und jeden in Verherrlichung gewandelt.

Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes

machen uns zu GOTTES herrlichen Kindern.
AMEN

EG 134: 1.2.4
1. Komm, o komm, du Geist des Lebens,
wahrer Gott von Ewigkeit,
deine Kraft sei nicht vergebens,
sie erfüll uns jederzeit;
so wird Geist und Licht und Schein
in dem dunklen Herzen sein.
2. Gib in unser Herz und Sinnen
Weisheit, Rat, Verstand und Zucht,
dass wir anders nichts beginnen
als nur, was dein Wille sucht;
dein Erkenntnis werde groß
und mach uns von Irrtum los.
4. Reiz uns, dass wir zu ihm treten
frei mit aller Freudigkeit;
seufz auch in uns, wenn wir beten,
und vertritt uns allezeit;
so wird unsre Bitt erhört
und die Zuversicht vermehrt.
7. Herr, bewahr auch unsern Glauben,
dass kein Teufel, Tod noch Spott
uns denselben möge rauben.
Du bist unser Schutz und Gott;
sagt das Fleisch gleich immer Nein,
lass dein Wort gewisser sein.
8. Wenn wir endlich sollen sterben,
so versichre uns je mehr
als des Himmelreiches Erben
jener Herrlichkeit und Ehr,
die uns unser Gott erkiest
und nicht auszusprechen ist.

 

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