Unser Gottesdienst am 19. Sonntag nach Trinitatis zum Nachhören ist für vier Wochen hier zu finden.
Für nur drei Dinge des Tages
Gott dankbar zu sein
manchmal leicht
manchmal unmöglich
Krankheit, innere Not,
Fehlverhalten und Zweifel
werden zur Last der Seele
Gott aber
rührt den Menschen an
fragt
willst du gesund werden
dich und mich
auch wenn das bedeutet
das Leben anders zu leben
anders zu sein
Gott lässt uns
seinen Weg sehen:
Heile du mich, HERR
so werde ich heil;
hilf du mir,
so ist mir geholfen.
(Jer 17,14)
***
Joh 5, ab 1: Danach war ein Fest der Juden, und Jesus zog hinauf nach Jerusalem. Es ist aber in Jerusalem beim Schaftor ein Teich, der heißt auf Hebräisch Betesda. Dort sind fünf Hallen; in denen lagen viele Kranke, Blinde, Lahme, Ausgezehrte.
5 Es war aber dort ein Mensch, der war seit achtunddreißig Jahren krank. Als Jesus ihn liegen sah und vernahm, dass er schon so lange krank war, spricht er zu ihm: Willst du gesund werden?
Der Kranke antwortete ihm: Herr, ich habe keinen Menschen, der mich in den Teich bringt, wenn das Wasser sich bewegt; wenn ich aber hinkomme, so steigt ein anderer vor mir hinein. Jesus spricht zu ihm: Steh auf, nimm dein Bett und geh hin! Und sogleich wurde der Mensch gesund und nahm sein Bett und ging hin.
„Man kann sehr wohl in einer Geschichte sein,
ohne sie zu verstehen.“
Aus: Thomas Mann, „Joseph und seine Brüder“.
Sich in einer Geschichte wiederzufinden, die man nicht versteht: So muss sich wohl der kranke Mensch gefühlt haben, spätestens in dem Moment, als er auf einen Menschen trifft, von dem zunächst nur wir Lesende wissen, wer er war. Der kranke Mensch in dieser Geschichte wusste das nicht. Und doch wird er von diesem fremden Menschen angesprochen und geheilt.
Der Evangelist Johannes verpackt diese Wundergeschichte in die Beschreibung eines Dialogs zwischen dem Kranken und Jesus.
DEUTLICH beschreibt Johannes:
Es sind viele Menschen dort, die an verschiedenen Krankheiten leiden. Deutlich auch: Jesu Sehen, seine Erkenntnis über die 38 Jahre Krankheitsdauer und die Klage des Kranken darüber, dass er keinen Menschen hätte, der ihn zum rechten Zeitpunkt in den Teich bringt.
Sehr KNAPP beschreibt Johannes dann die Heilung selbst:
Jesus befiehlt, und der Kranke folgt diesem Befehl, weil er ihm ganz plötzlich folgen KANN.
WELCHE Krankheit Jesus heilt, erfahren wir nicht.
UNDEUTLICH ist das Gesamtbild:
Um welches jüdisches Fest geht es hier eigentlich?
Und was ist das für ein „Teich“, der nördlich des Tempels am Schaftor liegen soll? Nur Johannes berichtet uns im Neuen Testament von diesem Teich.
Zur Lebenszeit Jesu sind dort aber nur Zisternen belegt.
Zu Lebenszeit des Johannes allerdings gibt es Hinweise auf Wasserbecken dort, denen eine Heilungswirkung zugeschrieben wurde.
Auch der NAME Betesda lässt mehrere Deutungen zu, meinen die Gelehrten. Er könnte sowohl „Haus der Gnade“, „Ort des Fließens“ oder „Ort von Ölbäumen“ bedeuten.
Der Name hilft also auch nicht weiter.
Und wie soll man sich diese Hallen vorstellen? Wie ein Sanatorium, eine Art Heilanstalt? Wie Überdachungen für diesen Teich?
Was hat es schließlich mit dieser Bewegung des Wassers auf sich, die offenbar diejenigen heilt, die dabei als erste in das Wasser kommen – was unserem Kranken aber nie gelingt, weil er nicht schnell genug ist?
Ganz offenbar hat das viele Menschen beim Lesen so beschäftigt, dass spätere Bibelabschreiber sicherheitshalber ein paar Zeilen als Verse 3b+4 zur Erklärung dazuschrieben:
Alle Kranken „…warteten darauf, dass das Wasser in Bewegung geriet. Denn von Zeit zu Zeit stieg ein Engel des Herrn in den Teich hinunter und brachte das Wasser in Bewegung. Wer als Erster in das Wasser hineinstieg, nachdem es in Bewegung geraten war, der wurde gesund, ganz gleich, an welcher Krankheit er litt.“ Also – weil ein Engel badete, bewegte sich das Wasser.
38 Jahre:
Das heißt zunächst einmal sehr lange. Damals bedeutete das statistisch fast ein ganzes Menschenleben.
Schaut man aber genauer in die Bibel, dann sind 38 Jahre die Zeit der Strafwanderung Israels in der Wüste (Dtn 2,14). 2 Jahre hatte man in der Wüste gelagert, 38 Jahre waren die Israeliten unter Gottes Zorn unterwegs, bis sie dann nach zusammengezählt 40 Jahren im gelobten Land ankamen.
Sollte der Kranke nun genauso lange zur Bewegungslosigkeit verdammt sein, wie sich seine Vorfahren durch die Wüste bewegen mussten? Und was hält einen Kranken über so viele Jahre am Leben?
Und DIESEN Menschen fragt nun der ihm unbekannte Mensch:
„Willst Du gesund werden?“
„Man kann sehr wohl in einer Geschichte sein,
ohne sie zu verstehen.“
Ja, er hätte auch mit Fug und Recht diese Frage mit „Nein“ beantworten können. Denn das Gesundwerden wird alles, wirklich alles in seinem bisherigen Leben aus den Fugen reißen. Nichts, gar nichts wäre mehr so wie zuvor.
Trotzdem lässt Johannes Jesus diese merkwürdige Frage stellen: „Willst du gesund werden?“ Für moderne Ohren von heute eine psychologische Frage von grundsätzliche Bedeutung, denn ohne den Willen zur Genesung ist gar keine Krankheit heilbar.
Doch die Erzählung des Johannes lässt jedes psychologisches Interesse vermissen. Ihm geht es mit dieser Frage also um etwas anderes: Er lässt Jesus jede Übergriffigkeit, jeglichen Versuch der Bevormundung vermeiden. So wird die Würde des Kranken bewahrt, der auch klar hätte „Nein“ sagen können.
Das aber tut er nicht. Er versucht vielmehr zu erklären, woran es liegt, dass er immer noch krank ist. Jesus versteht – und handelt. Und der gerade noch Kranke ist offenbar mit seinem neuen Leben einverstanden. Er geht hinein in dieses Leben und beginnt einen neuen Abschnitt. Er „nahm sein Bett und ging hin“.
Joh 5, ab 9b: Es war aber Sabbat an diesem Tag.
Da sprachen die Juden zu dem, der geheilt worden war: Heute ist Sabbat, es ist dir nicht erlaubt, dein Bett zu tragen. Er aber antwortete ihnen: Der mich gesund gemacht hat, sprach zu mir: Nimm dein Bett und geh hin! Sie fragten ihn: Wer ist der Mensch, der zu dir gesagt hat: Nimm dein Bett und geh hin? Der aber geheilt worden war, wusste nicht, wer es war; denn Jesus war fortgegangen, da so viel Volk an dem Ort war.
„Man kann sehr wohl in einer Geschichte sein,
ohne sie zu verstehen.“
Der Kranke ist plötzlich der Geheilte. Und dann wird er gefragt, warum er am Sabbat arbeitet, indem er sein Bett trägt. Warum er, der seit 38 Jahren krank war, nun gesund ist, interessiert die Moralwächter nicht.
Der Geheilte ist überfordert. Er weiß die Antwort nicht. Er kann Jesus im Getümmel des Festes nicht mehr finden. Der Geheilte bleibt den Moralwächtern die Antwort schuldig. Und die werden ihn ihm Auge behalten, soviel ist sicher. Schließlich sind Regeln dazu da, dass sie eingehalten werden. Sonst bräuchte man sie ja nicht.
Joh 6, ab 14: Danach fand ihn Jesus im Tempel und sprach zu ihm: Siehe, du bist gesund geworden; sündige nicht mehr, dass dir nicht etwas Schlimmeres widerfahre. Der Mensch ging hin und berichtete den Juden, es sei Jesus, der ihn gesund gemacht habe. Darum verfolgten die Juden Jesus, weil er dies am Sabbat getan hatte.
„Man kann sehr wohl in einer Geschichte sein,
ohne sie zu verstehen.“
„Sündige nicht mehr, dass dir nicht etwas Schlimmeres widerfahre“, hört der Geheilte von dem Menschen, der ihn geheilt hatte.
Bis hierher war von „Sünde“ nicht die Rede. Wieso plötzlich jetzt?
Welche Sünde sollte der Mensch in 38 Jahren Krankheit begangen haben? Hatte er sich nicht genug angestrengt, um ans Wasser zu kommen, wenn es sich bewegte?
Sollte die Krankheit etwa durch Sünde verursacht sein?
Steht „Sünde“ als die eigentliche „Krankheit zum Tode“ da?
Oder ist die Heilung des einen Menschen doch MEHR als nur EINE Heilung? Soll sie uns darauf hinweisen, dass Jesus, der Messias Israels, sein Volk aus der Krankheit in Sünde führen will?
Dann wäre der Geheilte auch ein Begnadigter aus Israel, der am eigenen Leib den Messias erfährt.
Schön ist hier die Übertragung der Volx-Bibel zu lesen, da sagt Jesus zum Geheilten:
„Einen Rat hab ich noch: Lass nichts mehr zwischen dich und Gott kommen, ja? Nicht, dass dir noch etwas Schlimmeres passiert als diese Krankheit!“
Das dürfte der Geheilte verstanden haben.
Was nun aus ihm wird?
Folgt er Jesus, indem er ihn vor den Moralwächtern bekennt? Oder verpetzt er Jesus bei ihnen?
Auch das für uns zu klären scheint Johannes nicht wichtig zu sein.
Meine Schwestern, meine Brüder:
„Man kann sehr wohl in einer Geschichte sein,
ohne sie zu verstehen.“
Das gilt hier vor allem für den Fall, wenn man gerade nach den Dingen fragt, die Johannes nur vage andeutet, weil sie ihm offenbar UNWICHTIG sind.
Dann bleibt man in dieser Geschichte, OHNE sie verstehen zu können.
Wenn ich diese Geschichte nun aber verstehen möchte, um meinen Platz in ihr zu finden, werde ich mich an die Dinge halten müssen, die Johannes offenbar WICHTIG sind.
Johannes zeigt mir, dass ein kranker Mann seit 38 Jahren versucht, dadurch gesund zu werden, dass er als erster in einen Gesundbrunnen gelangt.
An diesem Gesundbrunnen herrscht das gnadenlose Prinzip der Konkurrenz: Nur der gewinnt, der schnell genug ist. Heilung kann nur der erlangen, der der Schnellste ist.
Schnell zu sein ist nicht genug, schneller als alle anderen, das ist der Maßstab. Es geht um Alles oder Nichts.
So wird der Mensch dem Menschen zum Teufel. Das lässt Menschenleben scheitern, und daran hat sich bis heute nichts geändert.
Mich lässt das schaudern, so ein Leben macht mir Angst.
„Herr, ich habe keinen Menschen!“
Diese Erfahrung des Kranken, im entscheidenden Augenblick immer allein dazustehen, ist eine Alltagserfahrung vieler Menschen auch unserer Tage. Wenn es darauf ankommt, habe ich niemanden, dann bin ich auf mich allein gestellt.
Unsere „moderne“ Zeit hat nun auch „moderne“ Lösungsversuche.
Komme ich die Treppe zuhause nicht mehr hoch, gibt es Treppenlifte.
Bevor ich berufsunfähig werde, schließe ich eine Versicherung ab.
Kann ich Haus und Garten nicht mehr in Ordnung halten, kein Problem, wenn ich genug Bares auf die Seite gelegt habe: Dann kümmert sich der Facility Manager….
Der Mann am Teich kann sich nicht selbst helfen. Das zeigt uns Johannes deutlich. Er kann sich nur helfen lassen. Und für Johannes kommt diese Hilfe von außen. Jesus spricht diesen Menschen an. Jesus überwindet die Isolation des Kranken.
Johannes geht es ganz offenbar um das Menschsein. Namen spielen keine Rolle. Der Geheilte ist „Mensch“, nach dem „Menschen der zu dir gesagt hat: Nimm dein Bett und geh hin“ fragen die, die das Sagen haben. Jesus ist Mensch.
Und dieser Mensch hat einen guten Rat auch für mich:
„Lass nichts mehr zwischen dich und Gott kommen, ja? Nicht, dass dir noch etwas Schlimmeres passiert als diese Krankheit!“
Ich verstehe diese Geschichte für mich also so:
Gott überwindet unsere Isolation, indem er uns als Mensch begegnet. ER überwindet alle Unmenschlichkeit des „Alles oder Nichts“ durch unseren Herrn Jesus Christus. ER ist es auch, der nichts mehr zwischen Gott und Mensch kommen lässt.
So wird auch mein Leben neu, neu „in Beziehung“ und damit stärker als jede Krankheit, jede Krise, jede Enttäuschung.
So sind die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
das Ende der Isolation des Menschen.
Für uns alle.
AMEN
EG 324: 12-14
12. Du füllst des Lebens Mangel aus
mit dem, was ewig steht,
und führst uns in des Himmels Haus,
wenn uns die Erd entgeht.
13. Wohlauf, mein Herze, sing und spring
und habe guten Mut!
Dein Gott, der Ursprung aller Ding,
ist selbst und bleibt dein Gut.
14. Er ist dein Schatz, dein Erb und Teil,
dein Glanz und Freudenlicht,
dein Schirm und Schild, dein Hilf und Heil,
schafft Rat und lässt dich nicht.

