Bete! (Lk 11, 5ff)

Rogate! Betet!
Der Name dieses 5. Sonntages nach Ostern
ist von einem liturgischen Brauch abgeleitet.
Um heidnische Flurprozessionen zu verchristlichen
wurden im 4. Jahrhundert Bittprozessionen eingeführt.

Betet! Schon immer
Ermahnung und Ermutigung zugleich.
Denn wer betet, spricht mit Gott,
der das Grab verlassen hat,
und der Furcht und Traurigkeit vertreibt.

Kurt Marti:
Auch ich kann nicht beten.
Ich glaube,
man sieht uns allen an,
dass wir nicht beten können.

Man sieht es auch denen an,
die weiterhin beten
oder zu beten meinen.

Dennoch kann ich mir
die Sprache einer besseren Zukunft
nicht vorstellen
ohne etwas
wie Gebete.

Rogate – Betet!
Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft
noch seine Güte von mir wendet!
Ps 66 20 ***

Weißt du was, sagt einmal ein Soldat zu mir, mit dem Beten ist es nicht anders als mit der fünften Naturgewalt. Ich sehe ihn an, verstehe ihn aber nicht. Er merkt das und erklärt:

Die vier Naturgewalten kennst du: Feuer/ Wasser/ Erde/ Luft. Und die fünfte ist: Das Schweigen einer Frau. Das hält ja auch kein Mann aus. Darum können Männer auch so schlecht beten. Weil Gott schweigt.

Ich sage: Gott schweigt nicht. Du verstehst ihn vielleicht nicht. Oder überhörst ihn.

Und dann erzähle ich ihm, wann ich das für mich begriffen habe.

Klasse 13, mein Mathelehrer sagt: „Ich überlege, ob wir jetzt nicht einen Test scheiben sollten.“ Oh Gott, bete ich, lass diesen Kelch an mir vorübergehen! Aber mein Stoßgebet wird nicht erhört. Eine Begründung für diese Ablehnung bekomme ich auch nicht, dafür aber ein Mangelhaft im Test.

Die Äußerung eines Klassenkameraden lässt mich dann zum ersten Mal sehr lange über das Thema Gebet nachdenken. Er, der zwar auch keine besondere Leuchte in Mathe, dafür aber katholisch und mein Freund war, schrieb ein „Gut“. Und er kommentierte das so:

„Es war eine Gebetserhörung! Ich hatte abends zuvor Gott gebeten, der Lehrer möge nun auch einmal eine Arbeit schreiben. Wenn ich es schon mal begriffen und geübt habe. Und Gott hat gesagt: Fleiß kann auch mal belohnt werden, selbst wenn er nur gelegentlich ist.“

Und ich dachte: Woran es wohl liegt, dass ein Gebet erhört und eines nicht erhört wird? Der eine die Stimme Gottes offenbar hört, der andere nicht? Es liegt bestimmt nicht daran, das er katholisch und ich evangelisch bin.

Aber klar ist zuerst: Uns BEIDEN hätte Gott es ja unmöglich recht machen können. Und womöglich gab es ja NOCH jemanden in der Klasse, der vielleicht anders gebetet hat: „Herr, lass ihn keine Arbeit schreiben, sondern eine mündliche Kontrolle machen- du weißt, das kann ich besser.“ Das hätte das Erhörungs- Ablehnungsverhältnis schon auf 1:2 gedrückt. Schon rein rechnerisch ist also Gebetserhörung sehr unsicher.

Und dann zweitens: Seit tausenden von Jahren werden Worte Gottes aufgeschrieben, von Menschen, die ihn gehört und verstanden haben. In der eigenen Sprache aufgeschrieben, weitergegeben, gepredigt. Aber ganz einfach ist es nie gewesen, Gottes Sprache zu verstehen. Wird es wohl auch nicht. Es ist mindestens so schwer wie das Erlernen einer Fremdsprache. Oder die Sprache seiner Katze oder seines Hundes.

Mein Freund hatte Gottes Sprache verstehen können, und ich schließlich auch. Denn Gott als Notnagel für mangelnden Fleiß in Mathe zu missbrauchen ist eben genau das: Missbrauch. Das kann jeder erkennen, auch der Nichttheologe.

Ich erzähle diese Geschichte zum Anfang, weil sie deutlich macht:
Beten ist nicht einfach. Niemand KANN das einfach so. Man muss es erlernen.

Darum sagte einer seiner Jünger zu Jesus: »Herr, lehre uns beten; auch Johannes hat seine Jünger beten gelehrt.« So Lukas 11,1. Und Jesus erfüllt den Wunsch, indem er das „Unser Vater“ lehrt (11, 2-4).
Und weil Jesus weiß, dass alle Lehre besser verstanden wird, wenn sie mit Beispielen unterlegt wird, erzählt er ihnen, und jetzt lese ich den Predigttext ab Vers 5:

»Angenommen, einer von euch hat einen Freund. Mitten in der Nacht sucht er ihn auf und sagt zu ihm: ›Bitte leih mir doch drei Brote! Ein Freund von mir hat auf der Reise bei mir Halt gemacht, und ich habe nichts, was ich ihm anbieten könnte.‹
Und angenommen, der, den er um Brot bittet, ruft dann von drinnen: ›Lass mich in Ruhe! Die Tür ist schon abgeschlossen, und meine Kinder und ich sind längst im Bett. Ich kann jetzt nicht aufstehen und dir etwas geben.‹
Ich sage euch: Er wird es schließlich doch tun – wenn nicht deshalb, weil der andere mit ihm befreundet ist, dann doch bestimmt, weil er (es!!) ihm keine Ruhe lässt. Er wird aufstehen und ihm alles geben, was er braucht.
Darum sage ich euch: Bittet, und es wird euch gegeben; sucht, und ihr werdet finden; klopft an, und es wird euch geöffnet. Denn jeder, der bittet, empfängt, und wer sucht, findet, und wer anklopft, dem wird geöffnet.
Ist unter euch ein Vater, der seinem Kind eine Schlange geben würde, wenn es ihn um einen Fisch bittet? Oder einen Skorpion, wenn es ihn um ein Ei bittet?
Wenn also ihr, die ihr doch böse seid, das nötige Verständnis habt, um euren Kindern gute Dinge zu geben, wie viel mehr wird dann der Vater im Himmel denen den Heiligen Geist geben, die ihn darum bitten.«

Ein Ärgernis will ich gleich klären: „ihr, die ihr doch böse seid“ – Jesus beschimpft hier seine Jünger nicht. Es geht ihm vielmehr um die Beschreibung eines Unterschiedes, der größer nicht sein könnte.

Und im Vergleich zur Menschenfreundlichkeit Gottes kommt die Menschenfreundlichkeit der Menschen nun einmal schlecht weg. Das verstehen sie Jünger auch, sie protestieren nämlich nicht. Wenn es das Böse gibt, kommt es vom Menschen. Das wissen sie, das wissen auch wir.

Nun zurück zum Thema. Jesus hat das Beten nicht erfunden. Es gehörte in seinem Volk schon damals zu den wichtigsten Glaubensäußerungen.

Da war das 18-Bitten-Gebet, das der fromme Jude DREI MAL täglich spricht, das so beginnt: „Gott Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jakobs! Höchster Gott, Gründer von Himmel und Erde! Unser Schild und Schild unserer Väter!“ Jesus wird es gekannt und auch gesprochen haben. Dieses oder einen der vielen Psalmen, von dem er einen selbst in seinen letzten Atemzügen am Kreuz spricht.

Das Beten ist für ihn Grundnahrungsmittel in der Beziehung zu Gott. Darum kann er es vergleichen mit einem Freund, der für einen Freund mitten in der Nacht nach Brot sucht. Der braucht das Brot genauso dringend wie die Gottesbeziehung das Gebet.

Denn eine Beziehung ohne Gespräch stirbt. Eheleute, die sich nichts sagen wollen, werden ihre Beziehung nicht mehr retten können. Freunde, die sich um nichts mehr bitten, werden ihre Freundschaft nicht bewahren können.

Wenn Menschen nicht mehr erkennen, dass Gott sie auf verschiedenste Weise in ihrem Leben anspricht, und wenn sie darauf nicht mit ihrem Gebet reagieren, wird Gott für sie zum unendlich fernen Weltbeweger, der nichts mit ihrem Leben zu tun hat. Zum unnahbaren Nachbarn, den man nicht nur nachts in Ruhe lässt, sondern immer: Selbst wenn man seine Hilfe dringend nötig hätte.

Das Gebet ist also zuerst das Gespräch mit Gott. Etwas, das unsere Glaubenshygiene dringend nötig hat. Das geübt werden muss. Nicht nur gegen Trägheit, sondern auch gegen den Zweifel: Darf ich Gott immer wieder dasselbe sagen? Und: Weiß er nicht ohnehin alles?

Ja, sagt Jesus, rede! Wer betet: Unser tägliches Brot gibt uns heute! und zum Mittagessen das Tischgebet vergisst – verhält der sich nicht zumindest unhöflich? Sei so aufdringlich wie der Freund in der Nacht. Gott ist dein Freund, müht sich gern und verzeiht. Deine Sorgen lassen auch ihm keine Ruhe. Er wird aufstehen und dir geben, was du brauchst. Alles.

Der Mensch muss sich eine Gesprächskultur schaffen, wenn er bestehen will: Bestehen in seiner Beziehung zum Lebenspartner, zum Freund, zum Nachbarn, zu Gott. Ohne Mühe geht das nicht. Bitten, Suchen und Anklopfen sind dabei Angelegenheiten, die darum Mühe machen, weil sie vor allem eines sind: Unangenehm.

Denn wer bittet, muss eingestehen, dass er nicht selbst kann, worum er bitten will. Muss sich überwinden, um nicht einfach zu sagen: Na, dann lass ich es eben, dann habe ich es eben nicht.

Mit dem Anklopfen ist es ähnlich: Hast Du jetzt für mich Zeit? Jetzt!? Auch das kostet Überwindung. Schließlich will man ja nicht stören.

Und wer suchen muss, weiß nicht, wo etwas ist. Peinlich genug. Da hilft auch der Volksmund nur wenig: Wer Ordnung hält, ist nur zu faul zum Suchen. Wer hätte sie nicht gern, die ganze Zeit als Zusatzurlaub, die er in seinem Leben mit Suchen verbracht hat.

Bitten, Suchen, Anklopfen: Das braucht Übung. Die katholischen Geschwister kennen dazu Hilfsmittel, die bei uns fast ganz aus dem Gebrauch gekommen sind. Die regelmäßige persönliche Beichte, in der der Beter persönlich Gott gegenüber auf den Punkt zu bringen versucht, was sein Leben belastet. Oder den Rosenkranz, der mit 58 Perlen für 58 Gebete oder Gebetsteile steht und Gebets – Disziplin übt.

Schließlich zum Thema Gebetswünsche: Nicht alles, was wir uns wünschen würden, würde auch zu unserer körperlichen oder seelischen Gesundung beitragen. Genausowenig wie die Schlange anstelle des Fisches oder der Skorpion anstelle des Eis.

Dass unsere Wünsche auch zur Selbstbeschädigung führen können, weiß schon das Märchen. „Zur Zeit, als das Wünschen noch geholfen hat …“, so beginnen einige Märchen. Ein häufiges Märchenmotiv sind die drei offenen Wünsche, aber nicht jeder Wunsch führt zur Erlösung.

„Hans im Glück“ zum Beispiel lässt uns erleben, dass Wünsche eben auch zur Selbstbeschädigung führen können (vom Goldklumpen bis zu den Steinen). Und doch wendet sich durch Gottes Gnade, von der das Märchen am Schluss (zumindest in der Urfassung der Gebrüder Grimm) ausdrücklich spricht, alles zum Guten.

Hans erkennt nämlich am Ende, dass er von allem, was seinem Glück hinderlich gewesen ist, befreit worden ist.

Er dankt auf Knien seinem Schöpfer dankt und kann sagen: „So glücklich wie ich gibt es keinen Menschen unter der Sonne.“ Das ist keine Naivität. Das ist Weisheit!

Meine Schwestern, meine Brüder:

Natürlich höre ich auch die Fragen des Schmerzes, den alle Betenden haben und immer wieder neu haben werden. Fragen, die um die eigene Existenz fürchten wie:

Warum werde ich nicht gesund, warum muss ich krank sein? Warum stirbt ein Mensch, der mir so wichtig ist wie keiner sonst? Warum bleibt die Welt grausam und ungerecht, warum muss ich mich an jedem Tag meines Lebens damit plagen?

Das ist noch ein neues Thema, für den Moment nur so viel: Ich glaube fest, dass Paulus eine der größten Lebensweisheiten entdeckt hat, wenn er im Römerbrief schreibt:

„Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, ALLE Dinge zum Besten dienen“ (Röm 8, 28). ALLE, das bedeutet ALLE, auch dann, wenn ich es nicht begreifen kann.

HIER sagt Jesus nur so viel: Redet mit Gott! Rogate! Betet! Lasst nicht nach! Es lohnt sich!

Denn Eure Beziehung zu Gott wird dadurch die Beziehung zu einem Freund. Ein Freund, der euch nie im Stich lassen wird. Den ihr mitten in der Nacht aus dem Bett klopfen könnt. Der dann über die Schlafmatten seiner Familie klettert, nur um euch zu öffnen. Der euch alles geben wird, was ihr so dringend nötig habt.

Sören Kierkegaard schrieb:
„Gott dringend nötig zu haben, ist des Menschen höchste Vollkommenheit.“

Das Gebet ist der wichtigste Schritt zu dieser Vollkommenheit.
Denn im Gebet begegnet uns Gott als Freund, der uns liebt und uns hört. Der das Ganze im Auge behält. Der uns nichts zum Schaden gereichen lässt.

Den es glücklich macht, dass er uns geben kann, worum wir bitten. Mindestens genauso, wie es uns glücklich macht, wenn unsere Kinder haben, was sie sich wünschen: Den Fisch statt einer Schlange, das Ei statt einem Skorpion.

Lasst uns Gott begegnen als die, die sich ernsthaft um ihn mühen,
von ihm alle Hilfe erwarten und seiner Entscheidung in allem vertrauen. Wir werden alles haben, was wir nötig haben:

Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes.
Amen.

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