Berge versetzen und Maulbeerbäume verpflanzen (Luk 7, 5+6)

Unsere Sprache nutzt Wörter, die mit Bildern verknüpft sind. Dadurch bekommen einzelne Worte viele, sehr unterschiedliche Bedeutungen. Nehmen wir als einfaches Beispiel das Schloss: Ich muss schon genau hinhören, um zu wissen, wo ich es kaufen kann. Im Baumarkt oder aber beim Makler.
Oder das Wort Himmel: Wenn hier Menschen zum Mond fliegen und Satelliten die Erde umkreisen: Wo ist dann der „siebente Himmel“?

Dann gibt es Wortspiele, die nur dann verstanden werden können, wenn man sie NICHT wörtlich nimmt.

Wenn z.B. jemand sagt: „Heute kann ich Bäume ausreißen!“, käme doch niemand auf die Idee, ernsthaft zu antworten: Hier, fang mit dem da an. Der alte Apfelbaum da, der stört mich schon lange in meinem Garten. Nimm ihn, reiß ihn aus: Das spart mir die Motorsäge und das Stubbenbuddeln!  Man würde vielmehr verstehen: Der fühlt sich heute ausgeschlafen, bärenstark, einfach nur gut.

Unser Predigttext für heute enthält eine Mischung aus solchen Worten und Wortspielen. Ich lese aus dem Evangelium nach Lukas Kapitel 7 die Verse 5 und 6: (NGÜ)

5 Die Apostel baten den Herrn: »Gib uns doch mehr Glauben!« 6 Der Herr antwortete: »Selbst wenn euer Glaube nur so groß wäre wie ein Senfkorn, könntet ihr zu diesem Maulbeerbaum hier sagen: ›Heb dich samt deinen Wurzeln aus der Erde und verpflanze dich ins Meer!‹, und er würde euch gehorchen.«

Beeindruckend, was Jesus da über die Kraft des Glaubens sagt. Doch schon beim Wort Glauben wird es für viele Mitmenschen schwer, weil sie da gewissermaßen einspurig sind. Soldaten haben ja für vieles klare Bilder, hier würden sie sagen: Wie Panzerfahrer – breit fahren und schmal denken.

Denn viele reduzieren den Wortsinn schmal naturwissenschaftlich.  Hier bedeutet „ich glaube“ schlichtweg: „Ich weiß es nicht genau.“ Wer in der Physik, Chemie oder Mathematik die Antwort auf eine Frage mit „Ich glaube…“ beginnt, hat schon verloren: „Was gibt Eins plus Eins?“  „Ich glaube drei“ – das stimmt bestenfalls in der Biologie, und das auch nicht ohne Zeitverzug.

Von dieser Sorte Glauben kann hier aber nicht die Rede sein. Hier geht es nämlich um etwas Breites, wenn sich Menschen danach sehnen. Anders ist die Bitte der Jünger doch nicht zu verstehen: Jesus, gib uns mehr davon!  Die Jünger wollen nicht mehr „ich weiß nicht genau“, mehr „kann sein oder auch nicht“. Es geht ihnen sicher nicht um ein mehr an Vielleicht oder mehr Unsicherheit. Denn wer kann das schon wollen?

Für die Jünger ist Glaube etwas anderes. Er ist ganz offenbar eine Kraft, die Dinge im Leben vermag, die nicht einfach physikalisch noch chemisch zu erklären sind. Jesus weiß, wovon sie sprechen, und antwortet ihnen in einem Bild. „Selbst wenn euer Glaube nur so groß wäre wie ein Senfkorn, könntet ihr zu diesem Maulbeerbaum hier sagen: Heb dich samt deinen Wurzeln aus der Erde und verpflanze dich ins Meer!, und er würde gehorchen.

Wer versuchte, das wörtlich zu verstehen, verstünde nichts. Es gibt keinen Glauben, der zu sehen wäre, egal was für einen. Also kann seine Größe auch nicht gemessen werden. Ein Maulbeerbaum hat weder Ohren noch steht es in seiner Macht, seinen Ort zu wechseln. Er könnte also niemals gehorchen und ins Meer springen. Schließlich: Glaube, der etwas sinnlos Falsches bewirkt, kann niemandem helfen. Ein Maulbeerbaum aber, der im Salzwasser des Meeres schwimmt, ist sinnlos und falsch.

Weder die Jünger damals noch wir heute würden versuchen, Jesus wörtlich zu nehmen. Wir verstehen, dass Jesus meint: Selbst wenn euer Glaube nur ganz klein wäre, könnte er wirklich Großes bewirken. Kleinste Ursache, größte Wirkung.

Die nächste Frage ist, um welchen Glauben es hier eigentlich geht. Aber das ist zugegebenermaßen keine echte Frage. Denn wir sind hier „Kirche“, wir hören hier auf unsere Heilige Schrift, die Bibel, so wie die Jünger und Jesus selbst es auch taten.  Hier kann es also nur um den Glauben an den Gott gehen, der sich den Menschen als  „Schöpfer des Himmels und der Erde“ zu erkennen gibt, wie es in unserem wichtigsten Glaubens-Bekenntnis sprechen. Und es ist sicher: Weder die Jünger noch Jesus selbst sprechen von einem anderen Glauben. Es geht um den Glauben an den Gott Abrahams, Sarahs und Jakobs.

Bleibt wenigstens noch die Frage: Warum kann der Glaube an Gott überhaupt Kraft entwickeln? Warum kann es Großes bewirken, wenn ich sage: Ich glaube an Gott, der Vater, Sohn und Geist ist? Diese Frage muss man versuchen, zu beantworten. Sonst kann man nämlich nicht verstehen, warum die Jünger mehr davon wollen.  Eine von vielen möglichen Glaubensstärken lässt unser Tagesevangelium erkennen, der Abschnitt aus der Bergpredigt über das Sorgen, den wir vorhin hörten (Mt 6, 25-34).

Es war zu lesen: Gott ist der, der die Vögel am Himmel ernährt, obwohl sie sich keine Sorgen um ihr Leben machen. Gott ist der, der die Lilien auf dem Felde schön macht. Schön ohne Kleider, ohne Schuhgeschäft. Gott ist der, der sich um alles kümmert, was er geschaffen hat-und ganz sicher kümmert er sich auch um alles, was wir Menschen für unser Leben brauchen.

Wer diesen Worten Glauben schenken, wer diesem Gott vertrauen könnte: Wie einfach könnte das Leben sein! Man würde irgendeiner Arbeit nachgehen, die der Tag gerade bietet, sich um die Gerechtigkeit Gottes kümmern, die aus der Liebe kommt – und alles Lebensnotwendige würde einem einfach zufallen.

Stattdessen: Sorge um die Arbeitsstelle, die kranken Eltern, die eigenen Kinder, die Karriere; Angst vor dem Nächsten nebenan oder im Betrieb, der Schule, der Überfülle der eigenen Aufgaben, der mangelnden finanziellen Absicherung, einem zu frühen Tod.

Sorge, Angst, Sorge, Angst. Und meint einer, er hätte ausgesorgt, dem geht es ähnlich wie dem reichen Kornbauern oder er wird von der nächsten Immobilienblase heimgesucht.

Jesu Jünger wissen um die Kraft, die ihrem Glauben innewohnt. Sie hören, was Jesus zu sagen hat; sehen, wie er das Leben von Menschen zurecht bringt; fühlen, dass nichts in ihrem Leben wichtiger sein kann.  Sie erkennen, dass ihr Glaube ihnen eine Sicht auf diese Welt ermöglicht, die allen Höhen, aber auch allen Tiefen menschlichen Seins gewachsen sein kann.

Gleichzeitig erleben sie, wie der Sinn ihres Lebens von anderen bedroht, angegriffen und ausgelacht wird. Kein Tag ohne harte Worte, Spott und Hohn. Darum wollen sie vorsorgen, wollen stärker werden.

Darum: Herr, gib uns doch mehr Glauben!

Durch die Jahrtausende hindurch ist diese Bitte nicht verstummt. Der Zweifel, ob der eigene Glaube stark genug ist, sich im Leben zu bewähren, findet in jedem Leben mehr Nahrung, als ihm lieb ist.

Ich kann mich noch gut erinnern, als der Berliner Philosoph Herbert Schnädelbach seinen Rundumschlag gegen das Christsein austeilte. Und das war nicht vor, sondern nach 1989- in einer Zeit also, von der ich dachte, dass offene Anfeindung des Christentums durch führende Vertreter dieser Gesellschaft endlich der Vergangenheit angehörten.

Schnädelbach war damals Professor an der Humboldt- Universität, als er im Jahr 2000 seinen Artikel „Der Fluch des Christentums“ veröffentlicht und von den sieben Geburtsfehlern des Christentums redet.

Er brandmarkt z.B. die Lehre von der Erbsünde als „menschenverachtend“, den Glauben an die Rechtfertigung als „blutigen Rechtshandel“ oder den „Missionsbefehl“ als „Toleranzverbot“. „Die Kirche“ solle das endlich erkennen und sich selbst auflösen, um der Menschheit einen letzten Dienst zu erweisen.

Ich bin heute noch einigermaßen fassungslos, dass es solche Menschen gibt. Sie mühen sich nicht einmal ansatzweise, Grundaussagen meines Glaubens zu verstehen. Gleichzeitig schrecken sie nicht davor zurück, als „Freunde der Wissenschaft“ plumpe Ideologie zu verbreiten. Menschen, die so denken, behaupten oft, die „Moderne“ zu vertreten, pflegen sich „Atheisten“ oder zumindest „Nichtchristen“ zu nennen und leben in der Überzeugung, den „wahren Geist der Aufklärung“ zu repräsentieren. Sie sind sich sicher, dass Menschen vor allem durch Natur-Wissenschaft, aber auch die Philosophie die Welt nicht nur erklären, sondern auch verbessern können.

Dabei finden sie nicht nur hier im Osten, sondern auch im Westen unserer Republik zahlreiche Anhänger. Weil nicht wenige Menschen  nur noch naturwissenschaftlich denken, wird Religion für sie „Opium fürs Volk“: Glaube, Christentum, Kirche- das ist hier im „modernen Europa“ Voraufklärungszeit, dunkles Mittelalter, Volksverdummung.

Breit fahren, schmal denken. Sie glauben unerschütterlich, dass die moderne Wissenschaft mit der Macht menschlichen Verstandes in der Lage sei, alle Probleme der Menschheit letztendlich klären zu können.

Glauben: Ja, auch sie glauben, auch ihr Glaube ist die Kraft ihres Lebens, auch er wird zum Sinn ihres Seins. Nur der Gott, dem sie dienen, ist ein anderer als meiner. Diesem Gott möchte ich schon deshalb nicht dienen, weil er mich gesprächsunfähig machen würde. Denn wer mit dem Glauben des anderen so umgeht, will nicht verstehen, sondern will treffen, verletzen, mundtot machen. Das aber verstößt so ziemlich gegen alles, was ich glaube.

Aber wie kann mein Glaube so stark werden, dass er so etwas ertragen kann? Was hat er „Panzerfahrern“ entgegenzusetzen? Reicht es schon, dass mir gute Argumente einfallen, um die Schnädelbachs meines Lebens nicht Überhand gewinnen zu lassen?  Oder ist es nicht vielmehr so, dass alle Argumente meines Verstandes zusammen nicht vermögen, die Momente zu überstehen, wo mein Glaube mir schwach, wehrlos, ja gar sinnlos scheint? Die Schnädelbachs kommen doch immer wieder und immer neu. Sie sind wie Windmühlenflügel, und der Kampf gegen sie bekanntlich sinnlos.

Wie begegnet Jesus den Glaubenszweifeln seiner Jünger?

In Jesu Antwort klingt ein frohes Lachen: Lasst doch den Kopf nicht hängen! Auch wenn ihr nur winzigen Glauben hättet: Ihr könntet SELBST DANN Maulbeerbäume verpflanzen. Ihr müsstet euch nicht einmal krumm machen, ihr braucht nur zu sagen: Reiß dich selber aus! Er würde euch gehorchen!

Ein Maulbeerbaum wird übrigens doppelt so weit vom Wasser angepflanzt wie alle anderen Bäume. Damit seine Wurzeln sich nicht das Wasser wegsaugen. Denn er ist besonders breit und tief verwurzelt. Den kann keiner einfach umpflanzen, auch unter allergrößter Mühe nicht. Das kommt einem Versetzen von Bergen gleich. Berge, nicht Komposthaufen!

Also, liebe Jünger: Nicht verzagen, nicht ängstlich sein. Gott wäre nicht Gott, wenn er euch im Stich ließe.

Meine Schwestern, meine Brüder:

Nicht nur um Essen und Kleidung müssen wir uns nicht sorgen. Auch um unseren GLAUBEN nicht. Denn wir MACHEN ihn nicht, er kommt nicht aus UNS. Er wird geboren und wächst, wenn Gott in unser Leben tritt und es heil werden lässt. Wenn Christus uns begegnet und wir durch ihn erleben, dass Gottes Liebe Berge versetzt und Maulbeerbäume verpflanzt.

Wenn WIR unseren Glauben machen müssten, würden wir jeden Tag neu an unsere Grenzen stoßen, wäre das Ende unseres Lebens auch das Ende unseres Glaubens.  Unser Gott aber hat keine Grenzen, lässt keine Menschen-Grenzen übermächtig werden. Wir können darum in unseren Grenzen leben, weil die Macht Gottes grenzenlos ist. Wir müssen nur „schmecken und sehen, wie freundlich der Herr ist“. Das allein reicht.

Also:  Größer als ein Senfkorn muss unser Glaube gar nicht sein, denn Gott schenkt uns alles:

Seine Liebe, die Gnade Jesu Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes. Sie versetzen Berge und verpflanzen Maulbeerbäume. Amen.

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