Änderung der Perspektive (Joh 18 28 – 19 5)

Unser Gottesdienst Judica zum Nachhören ist für vier Wochen hier zu finden.

Ferner Gott
Seinen Sohn schickt er ans Kreuz
Fordert das Leid
Will das Opfer

Naher Gott
Gehorsam ist er
Dienend
Zu sehen durch alles Dunkel
Leben, aber anders

Der Menschensohn ist nicht gekommen,
dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene
und gebe sein Leben
zu einer Erlösung für viele.
Matthäus 20,28
***

Wir müssen uns immer wieder
sehr lange und sehr ruhig
in das Leben, Sprechen, Handeln,
Leiden und Sterben Jesu versenken,
um zu erkennen,
was Gott verheißt
und was er erfüllt.
Dietrich Bonhoeffer

Immer wieder, sehr lange und sehr ruhig
versenken in das Leben, Leiden und Sterben Jesu
um irgendwie zu verstehen, was nicht zu verstehen ist

Passionszeit
UNSERE Zeit der Leidenschaft für das Kreuz Christi
UNSER Versenken, UNSER immer wieder, lang und ruhig.

Ein Stück unseres vierten Evangelisten, Johannes genannt.
Jesus und Pilatus, ein Stück in insgesamt sieben Szenen.
Heute und hier: Die Szenen 1-5.

Szene 1: Draußen, Joh 18 ab V 28, Neue Genfer Übersetzung

28 Die, die Jesus verhört hatten, brachten ihn nun vom ´Haus des` Kajafas zum Prätorium, ´dem Amtssitz des römischen Gouverneurs`; es war jetzt früh am Morgen. Sie selbst betraten das Gebäude nicht, um die Reinheitsvorschriften nicht zu verletzen; sie hätten sonst nicht am Passafest teilnehmen können.
29 Deshalb kam Pilatus zu ihnen heraus. »Was für eine Anklage erhebt ihr gegen diesen Mann?«, fragte er.
30 Sie erwiderten: »Wenn er kein Verbrecher wäre, hätten wir ihn nicht zu dir gebracht.«
31 Da sagte Pilatus: »Nehmt doch ihr ihn und richtet ihn nach eurem Gesetz!« Die Juden entgegneten: »Wir haben nicht das Recht, jemand hinzurichten.«
32 So sollte sich das Wort erfüllen, mit dem Jesus angedeutet hatte, auf welche Weise er sterben werde.

Nach Johanes wird Jesus noch VOR dem Passahfest ans Kreuz geschlagen. Während um ihn herum die Passahlämmer geschlachtet werden, stirbt er als wahres Passahlamm.

Sie wollen das Passahfest feiern. Darum wollen sie sich die Hände nicht schmutzig machen. Doch ihr Passah MIT ihm feiern wollen sie auch nicht.

Also muss Roms Statthalter Pilatus ihn aus dem Weg räumen.
Soldaten und Kreuze hat er genug.
Sieges- und selbstbewusst ihr Auftreten:
Glaubst Du, wir würden Dir jemanden bringen,
der es nicht ganz sicher verdient hat?

Doch das reicht Pilatus nicht.
Richtet ihr ihn doch, Gesetze habt ihr schließlich genug.
Aber sie wollen kein Geld, keine Folter, keinen Kerker.
Ihr Hoher Rat hat gesprochen:
Lassen wir Jesus gewähren, dann kommen die Römer und nehmen uns Tempel und Volk (11,48).
Sie haben die Stimme des Hohenpriesters gehört:
Es ist besser für euch, EIN Mensch stürbe für das Volk,
als dass das ganze Volk verderbe (11,50)

Sie haben Angst vor ihm. Sie wollen endlich Ruhe vor ihm.
Sie wollen ihn los sein. Jetzt und für immer.
Und das, Pilatus, das ist DEIN Job.

Szene 2: Drinnen, ab Vers 33

33 Pilatus ging ins Prätorium zurück und ließ Jesus vorführen. »Bist du der König der Juden?«, fragte er ihn.
34 Jesus erwiderte: »Bist du selbst auf diesen Gedanken gekommen, oder haben andere dir das über mich gesagt?« –
35 »Bin ich etwa ein Jude?«, gab Pilatus zurück. »Dein eigenes Volk und die führenden Priester haben dich mir übergeben. Was hast du getan?«
36 Jesus antwortete: »Das Reich, dessen König ich bin, ist nicht von dieser Welt. Wäre mein Reich von dieser Welt, dann hätten meine Diener für mich gekämpft, damit ich nicht den Juden in die Hände falle. Nun ist aber mein Reich nicht von dieser Erde.«
37 Da sagte Pilatus zu ihm: »Dann bist du also tatsächlich ein König?« Jesus erwiderte: »Du hast Recht – ich bin ein König. Ich bin in die Welt gekommen, um für die Wahrheit Zeuge zu sein; dazu bin ich geboren. Jeder, der auf der Seite der Wahrheit steht, hört auf meine Stimme.« –
38 »Wahrheit?«, sagte Pilatus zu ihm. »Was ist Wahrheit?«

Bist du der König der Juden?
Das wäre für Pilatus vielleicht ein Grund, um selbst einzuschreiten. Der Kaiser in Rom herrscht.
Er allein bestimmt, wer in seinem Reich welches Amt bekommt.
Ein König, der sich selbst dazu erklärt, das wäre Hochverrat.
Genau das werfen sie ihm vor. Darum haben sie ihn zu Pilatus geschleppt. Daran lassen sie auch nach unseren Szenen nicht den geringsten Zweifel aufkommen: Wir haben keinen König außer dem Kaiser! (19,15)

Also: Bist du der König der Juden?
Und Johannes lässt auf diese Frage ein längeres Gespräch zwischen Pilatus und Jesus in mehren Teilen entstehen.
Jesus antwortet zunächst:
Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Diese Welt würde für mich kämpfen. Mit Propaganda und Schwert.
Mein Reich aber ist nicht von hier.
Mein Königtum ist das Zeugnis für die Wahrheit.
Und wer die Wahrheit kennt, versteht mich auch.

Pilatus aber ist von dieser Welt. Ein Mann der Karriere, ein Mann der Macht, der staatlichen Gewalt.
Diese Diskussion liegt ihm nicht. Sie ist etwas für Priester oder Philosophen. Aber nichts Handfestes, nichts, was man beweisen, womit man umgehen könnte, sicher kein Grund für ein Todesurteil.

Wahrheit, was ist schon Wahrheit?
Macht sich nicht jeder seine?
König der Wahrheit:
Das war kein Fall für den Kaiser der Weltmacht Rom.

Szene 3: Draußen, ab Vers 38

Damit brach Pilatus das Verhör ab und ging wieder zu den Juden hinaus. »Ich kann keine Schuld an ihm finden«, erklärte er.
39 »Nun habt ihr ja nach eurem Brauch Anspruch darauf, dass ich euch am Passafest einen Gefangenen freigebe. Wollt ihr, dass ich euch den König der Juden freigebe?« –
40 »Nein, den nicht!«, schrien sie zurück. »Wir wollen Barabbas!« Dieser Barabbas war ein Verbrecher.

Verbrecher.
Was griechische Wort was Johannes hier nutzt, im Deutschen oft als „Räuber“ übersetzt, hört sich heutzutage harmloser an als es damals gemeint war. Denn was man Barabbas damals vorwirft, würde heutzutage eher den Tatbestand des Terrorismus erfüllen.

Sie wollen also lieber einen Meuchelmörder und Bombenleger frei sehen als ihn. SEINEN Namen schreien sie Pilatus entgegen: Barabbas, ER soll frei sein! Aber nicht dieser selbsternannte König!

Doch – was hatte der gesagt?
Mein Reich ist nicht von dieser Welt,
mein Reich ist das Reich der Wahrheit.
Was soll Pilatus nun tun?
Hier seine juristische Haltung als Römer,
dort die zornige Menge, zwischen den Fronten Jesus.

Pilatus hat noch andere Mittel als ein Verhör im Gespräch,
um irgend etwas aus einem Menschen herauszuholen,
was er als seine Wahrheit akzeptieren könnte.
Etwas Handfestes, etwas juristisch Belastendes.

Szene 4: Drinnen, ab Kap. 19 V 1

1 Daraufhin ließ Pilatus Jesus abführen und auspeitschen.
2 Nachdem die Soldaten ihn ausgepeitscht hatten, flochten sie aus Dornenzweigen eine Krone, setzten sie Jesus auf den Kopf und hängten ihm einen purpurfarbenen Mantel um.
3 Dann stellten sie sich vor ihn hin, riefen: »Es lebe der König der Juden!« und schlugen ihm dabei ins Gesicht.

Pilatus tut, was üblich war, wenn kein Geständnis vorlag.
Folter soll diesen „König“ brechen.
Er überlässt ihn seinen Folterknechten.

Die Geißel, eine Vielfachpeitsche mit Bleistücken darin.
Dornenkrone.
Verspottung.
Schläge.
Danach:

Szene 5: Draußen, Verse 4+5

4 Anschließend wandte sich Pilatus ein weiteres Mal an die Menge.
Er ging hinaus und sagte: »Ich bringe ihn jetzt zu euch heraus. Ihr sollt wissen, dass ich keine Schuld an ihm finden kann.«
5 Jesus trat heraus. Auf dem Kopf trug er die Dornenkrone, und er hatte den Purpurmantel um.
Pilatus sagte zu der Menge: »Hier ist er jetzt, der Mensch!«

Immer noch:
Pilatus hat nichts, was er gegen Jesus in der Hand hätte.
Nur die äußeren Zeichen von Folter, Spott und Demütigung.
Sie zeigen der Menge:
Seht her, ich habe es versucht. Ganz nach Vorschrift.

Aber mehr habe ich immer noch nicht.
„Hier ist er jetzt, der Mensch.“

DAS ist er für Pilatus, nicht mehr und nicht weniger.
Und obwohl in dieser Szene der Karrierist und Machtmensch Pilatus,
Statthalter von Roms Gnaden, harter Krieger
und ganz sicher weder Philosoph oder Menschenfreund
diese Worte spricht,
kommen sie aus dem Herzen des Johannes:

Hier steht Jesus. Kein Mensch wie jeder Andere.
Wahrer Mensch. Unschuldig gefoltert.
König der Wahrheit. König seines Herzens.

In den beiden Szenen, die unserem Text noch folgen, wirft die Menge Jesus noch vor, behauptet zu haben, Sohn Gottes zu sein. Sie baut sich bedrohlich vor Pilatus auf: „Wenn du den freilässt, bist du nicht mehr der Freund des Kaisers!“ (V 12)

Nun erst sieht Pilatus keinen Ausweg mehr, er setzt sich auf seinen Richterstuhl auf dem gemauerten Podest und verkündet von dort das Urteil. Und selbst jetzt formuliert Pilatus noch so, dass die Schuld nicht bei ihm liegt. Es heißt nicht mehr: „Hier ist er jetzt, der Mensch!“
Sondern: „Seht da, euer König!“ (19 V 14)

Liebe Geschwister,

ungefähr zwei Generationen nach Jesu Hinrichtung und Auferstehung blickt Johannes zurück. Für ihn ist das Kreuz Symbol eines einzigartigen Triumpfes geworden. Johannes will die historischen Fakten nicht leugnen. Aber er will, dass wir seine Perspektive auf das Passionsgeschehen zur Kenntnis nehmen:

Jesus behält im ganzen Prozess souverän die Oberhand, obwohl die Menge tobt und Pilatus nicht Recht spricht, sondern sich dem Volkszorn beugt.

Selbst nach Folter und Verspottung muss Jesus nicht getragen werden. Er geht selbst. Er wird auch selbst sein Kreuz nach Golgatha tragen. Noch vom Kreuz aus wird er sich um seine Mutter und seinen Lieblingsjünger kümmern, sie zu Mutter und Sohn machen.

Weder Trauer noch Klage werden von ihm zu hören sein. Er nimmt schriftgemäß den Essig zu sich und scheidet mit der schlichten Feststellung „Es ist vollbracht“ aus diesem Leben.

So sieht Johannes Jesus sterben, den Sohn Gottes, den König der Wahrheit, den König seines Herzens. So sieht er Jesus siegen über die Wut der Menge, über den Justizskandal des Pilatus, über die Weltmacht des Kaisers in Rom.

Der König seines Herzens stirbt, aber trägt den Sieg davon. Denn er wird das Reich der Wahrheit beherrschen, und Wahrheit gibt es nur durch Gott und bei Gott. Diese Sicht des Johannes auf das Kreuz Christi lässt meine Perspektive auf diese Welt, dieses Leben eine andere sein.

Egal wie sie heißen, die großen und kleinen Könige dieser Welt, egal wie sie sich aufführen mit ihren Kriegen, Verschwörungen und Strafzöllen, selbst egal ob das Leben mir mehr schwere als schöne Tage bringen wird: Ich kann sehen, dass Jesu Kreuz mein Leben verändert hat, weil es die Wahrheit in diese Welt trägt.

Ich kann Jesu Stimme hören: „Jeder, der auf der Seite der Wahrheit steht, hört auf meine Stimme“. So will ich leben, ich will auf seine Stimme hören.

Die Worte Hiobs prägen sich mir ein: „Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der Letzte wird er über dem Staub sich erheben.“ Und diese Sicherheit wird in mir wach, die Dietrich Bonhoeffer weiter beschreibt:

Gewiss ist,
dass im Leiden unsere Freude,
im Sterben unser Leben verborgen ist;
gewiss ist,
dass wir in dem allen
in einer Gemeinschaft stehen,
die uns trägt.

Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes

tragen uns in Leben und Freude.
AMEN

Dieser Beitrag wurde unter Predigten abgelegt und mit , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.