Glauben ist unglaublich (Apg 16, 16-34)

Zum Erkennen kommt Gefühl
zum Wort der Ton
aus dem Menschen kommt ein Lied
frei, ohne Hemmung, denn:

Gott schenkt uns diesen Tag
unser Leben
unser Glück
Singet dem HERRN ein neues Lied, denn:
er tut Wunder.
Psalm 98,1
***

Also, es passiert mir wirklich selten, beim Lesen von theologischer Fachliteratur lauthals lachen zu müssen. In Vorbereitung auf diese Predigt aber war es so. Im Kommentar zur Apostelgeschichte von 1960 urteilt Ernst Haenchen über den Predigtabschnitt so:

„Kurz, die ganze Perikope ist ein solches Nest von Unwahrscheinlichkeiten, dass man sie als unhistorisch streichen muss. Ihr Fehlen ergibt nicht einmal eine Lücke.“
Armer Lukas. Gnade dir Gott, wenn Du erst einmal unter die Theologen gefallen bist!

Zum Glück gibt es da aber auch noch Gnädigere. Und für meinen Glauben ist die Frage, ob in einem Bibeltext etwas wirklich so geschehen ist oder eher nicht, ohnehin selten wichtig. Wichtig wird mir, welche Botschaft in den Texten steckt. Was sie den Menschen, die sie lesen, SAGEN wollen. Für ihren Glauben.

Darum hinein in das „Nest von Unwahrscheinlichkeiten“, so wie Lukas es in seiner Apostelgeschichte im 16. Kapitel aufgeschrieben hat.

Paulus und sein Gefährte Silas waren während der zweiten Missionsreise gerade erst in Philippi angekommen, als es schon großen Ärger gibt. So ist zu lesen:

16 Eines Tages – wir waren gerade auf dem Weg zur Gebetsstätte – begegnete uns eine Frau, die von einem Wahrsagegeist besessen war; sie war eine Sklavin und brachte ihren Besitzern mit ihrer Wahrsagerei viel Geld ein.
17 Die Frau lief hinter Paulus und uns anderen her und schrie in einem fort: »Diese Leute sind Diener des höchsten Gottes! Sie sagen euch, wie ihr gerettet werden könnt!«
18 So ging das viele Tage, bis Paulus es schließlich nicht mehr ertragen konnte. Er drehte sich um und sagte zu dem Wahrsagegeist: »Im Namen von Jesus Christus gebiete ich dir: Verlass diese Frau!« Im selben Augenblick verließ der Geist die Frau.

Hat Haenchen nicht Recht? Das ist WIRKLICH unglaublich! Eine Wahrsagerin, die von einem Wahrsagegeist besessen ist, der sogar die Wahrheit sagt. Unfassbar. Aber Lukas erzählt es trotzdem.

Und ich denke zuerst: Seltsam. Da sagt die Frau zweifelsohne die Wahrheit – und Paulus geht das so auf die Nerven, dass er ihr den Wahrsagegeist austreibt. Wenn der gelogen hätte, dann wäre die Sache ja klar. Aber er sagt doch die Wahrheit! Und wird doch vertrieben. Ist das nicht seltsam?

Wenn ich aber weiter darüber nachdenke, ist es das dann doch nicht. Kurz vorher erzählt Lukas, wie Paulus die wohlhabende Purpurhändlerin Lydia trifft. Wie sich während dieses Treffens ein Gespräch entwickelt. Wie Paulus mit dem, was er Lydia über seinen Glauben erzählt, ihre Seele erreicht. Wie das Lydias Leben verändert, sie sich taufen lässt, sich und alle, die zu ihr gehörten.

Und jetzt stelle ich mir vor, da wäre VOR oder BEI diesem Gespräch diese Sklavin herumgelaufen und hätte immerzu gerufen: „Diese Leute sind Diener des höchsten Gottes! Sie sagen euch, wie ihr gerettet werden könnt!“ Meint Ihr, Paulus hätte dann noch wirklich eine Chance zu einem tiefgehenden Gespräch bekommen? Wohl kaum.

Das ist so wie bei allen richtigen Sätzen, Formeln oder Reden. Sie stimmen, aber sie bewegen nicht. Dem Glauben an Jesus Christus aber kommt alles darauf an, dass ein Mensch ihm VERTRAUEN entgegenbringt. Also muss die Verkündigung beim Gegenüber um EINVERSTÄNDNIS werben. Da schadet es nur, wenn jemand vorher herumläuft und sagt: Das ist die Wahrheit!

Denn solche fraglosen Wahrheiten sind für die Lebendigkeit des Glaubens tödlich. Sie verlangen Zustimmung, Unterwerfung, verbieten Widerworte und eigenes Denken. Genau das aber hat mit dem Glauben an Jesus Christus nichts zu tun. Hier ist der Mensch kein Opfer, sondern Gegenüber. Hier lernt man keine Dogmatik. Hier findet man neues Leben. Glaube begegnet Christus, der das Grab nicht nur der Richtigkeiten verlassen hat, der lebendig ist.

Es ist also folgerichtig, dass Paulus dem Geist der Wahrsagerin Einhalt gebietet. Aber daraus folgt neues, noch größeres Ungemach. Lukas weiter:

19 Als die Besitzer der Sklavin begriffen, dass mit dem Wahrsagegeist auch ihre Aussicht auf Gewinn verschwunden war, packten sie Paulus und Silas und schleppten sie zum Marktplatz, wo die Stadtbehörde ihren Sitz hatte.
20 Sie führten sie den ´beiden` Prätoren vor, ´den höchsten Justizbeamten von Philippi,` und sagten: »Unsere ganze Stadt ist in Aufruhr wegen dieser Leute hier! Juden sind sie,
21 und sie propagieren Sitten, die wir als römische Bürger nicht gutheißen können und die wir auf keinen Fall übernehmen dürfen.«
22 Als dann auch noch die Volksmenge in diese Anschuldigungen einstimmte, ließen die Prätoren Paulus und Silas die Kleider vom Leib reißen und ordneten an, sie mit der Rute zu schlagen.
23 Nachdem man ihnen eine große Zahl von Schlägen gegeben hatte, ließen die Prätoren sie ins Gefängnis werfen und wiesen den Gefängnisaufseher an, sie scharf zu bewachen.
24 Das tat dieser dann auch: Er sperrte die beiden in die hinterste Zelle des Gefängnisses und schloss ihre Füße in den Block.

Wie schnell Glaubensangelegenheiten doch zu hochpolitischen Angelegenheiten werden! Dass Paulus und Silas im Gefängnis landen, noch dazu im Hochsicherheitstrakt, die Füße in den Block geschlossen, hängt ja nicht zuerst an Glaubensfragen, sondern wieder einmal am lieben Geld.

„Die Besitzer“ der Sklavin sehen sich um ihren Gewinn gebracht. Das kann man sich in einer Handelsmetropole nicht bieten lassen, von niemandem. Das Volk bekommen sie schnell auf ihre Seite, niemand will sich sein Geschäft verderben lassen. Unter dem Vorwand, religiösen Aufruhr anzuzetteln, werden die Apostel misshandelt und eingekerkert. Damit nähert sich die Geschichte ihrem Höhepunkt, Lukas erzählt weiter:

25 Gegen Mitternacht beteten Paulus und Silas; sie priesen Gott mit Lobliedern, und die Mitgefangenen hörten ihnen zu.
26 Plötzlich bebte die Erde so heftig, dass das Gebäude bis in seine Grundmauern erschüttert wurde. Im selben Augenblick sprangen sämtliche Türen auf, und die Ketten aller Gefangenen fielen zu Boden.
27 Der Aufseher fuhr aus dem Schlaf hoch, und als er die Türen des Gefängnisses offen stehen sah, zog er sein Schwert und wollte sich töten, denn er dachte, die Gefangenen seien geflohen.
28 Doch Paulus rief, so laut er konnte: »Tu dir nichts an! Wir sind alle noch hier!«
29 Da ließ der Aufseher Fackeln bringen, stürzte in das Gefängnis und warf sich zitternd vor Paulus und Silas zu Boden.
30 Während er sie dann nach draußen führte, fragte er sie: »Ihr Herren, was muss ich tun, damit ich gerettet werde?«
31 Sie antworteten: »Glaube an Jesus, den Herrn, und du wirst gerettet werden, du und alle, die in deinem Haus leben!«
32 Und sie verkündeten ihm und allen, die bei ihm im Haus wohnten, die Botschaft des Herrn.
33 Der Gefängnisaufseher kümmerte sich noch in derselben Stunde, mitten in der Nacht, um Paulus und Silas und wusch ihnen das Blut von den Striemen ab. Dann ließen sich er und alle, die zu ihm gehörten, ohne zu zögern taufen.
34 Anschließend führte er die beiden in sein Haus hinauf und ließ eine Mahlzeit für sie zubereiten. Er war überglücklich, dass er mit seinem ganzen Haus zum Glauben an Gott gefunden hatte.

Jetzt ist auch klar, warum dieser Text bei uns zum Sonntag Kantate zu hören ist. Denn jetzt, mitten in der Nacht, dringt aus dem tiefen Loch und aus aller Bewegungsunfähigkeit heraus das Lob zur Ehre Gottes.
Es ist das gesungene Lob Gottes, das in besonderer Weise das Verhältnis des glaubenden Menschen zu Gott beschreibt.

Davon reden schon die Psalmen: „des Nachts singe ich ihm und bete zu dem Gott meines Lebens“ (42,9), und auch das Buch Hiob schreibt davon: „Wo ist Gott, ….der Lobgesänge gibt in der Nacht“ (35,10). Denn der, der Gott begegnet ist, hat das Beste seines Lebens gefunden. Der kann gar nicht anders, als zu seinem Erkennen das Gefühl kommen zu lassen. Der braucht Musik wie die Luft zum Atmen.

Die Mitgefangenen hören ihnen zu, der Aufseher aber schläft. Bis die Erde bebt. Kein unheilvolles Erdbeben, sondern ein menschenfreundliches, das Türen und Fesseln sprengt. Frei sind alle Gefangenen. Und bleiben freiwillig, wo sie sind: Im Gefängnis.

Gefangen aber ist der Aufseher. Er ist so aussichtslos in seinen Lebensumständen gefesselt, dass er sich sogar töten will- in getreuer Pflichterfüllung.

Aber als Christ gewinnt er sein Leben. Weil zwei in EINER Nachtstunde, nicht im wochenlangen Unterricht, zu sagen verstehen, worin das Heil besteht.

Die Wahrheit des Glaubens ist eben nicht als theologische Formel zu haben. Zur Wahrheit wird der Glaube nur als eine den ganzen Menschen ergreifende Beziehung. Dafür steht der Aufseher, und darin ist er das glatte Gegenbild zum Wahrsagegeist der Sklavin. Wer wie er die existentielle Frage stellt: „Was muss ich tun, damit ich gerettet werde?“ erfährt die Antwort: „Glaube an Jesus, den Herrn, und du wirst gerettet werden, du und alle, die in deinem Haus leben!“

Und so passiert es, das Unglaubliche. Der, der sich eben noch ins Schwert stürzen wollte, hört den Gefangen zu, wischt ihnen das Blut ab, führt sie aus dem Gefängnis, lässt sich mit allen aus seinem Haus taufen und feiert ein Festmahl.

Und selbst jetzt ist Haenchens „Nest von Unwahrscheinlichkeiten“ noch nicht leer geräumt. Wer erfahren will, warum Paulus und Silas nicht nur frei kommen, sondern sogar noch vollständig rehabilitiert wurden, der kann das in Kapitel 16 weiter nachlesen.

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

diese Geschichte schreibt Lukas für uns auf, nicht TROTZDEM, sondern WEIL sie so unglaublich scheint. Es ist für viele Menschen unvorstellbar, dass Glaube nicht einfach auswendig gelernte Formel, sondern lebendig ist. Es ist für viele unvorstellbar, dass die, die Christus einmal begegnet sind, selbst im finstersten Kerker singen können. Und erleben, wie Ketten zerreißen und Türen aufspringen. Aber genau das ist er, der Glaube an Christus. Unvorstellbar lebendig.

Nun ist nicht jeder Taufe ein Erdbeben vorausgegangen. Und Konfirmandenunterricht und Konfirmation können oft nur eben diese fraglose Wahrheit vermitteln, weil Konfirmanden und Unterrichtende den rechten Zugang zueinander nicht finden können. Tiefgründige Gespräche wie die zwischen Paulus und Lydia oder ein Erlebnis der Befreiung, wie der Aufseher es hatte, gibt es eben nicht auf Bestellung.

Aber genau die gibt es im Leben mit Jesus Christus. Mit unserer Taufe tragen wir SEIN JA an unserem Körper. Für immer, solange wir auf dieser Welt leben. Für alle sichtbar durch das Zeichen des Wassers.

Und alle Momente der Bestätigung wie Konfirmationen oder aus vollem Herzen gesprochene Bekenntnisse zu Christus sind Gottes Geschenke an uns, um unseren Glauben lebendig zu halten. Damit er unsere Herzen offen findet, wenn er unsere Fesseln zerreißt und die Türen sprengt.

Auch heute bekommen wir so ein Geschenk, wenn wir unsere Taufen, Konfirmationen oder Momente erfüllten Bekennens erinnern. Gott lässt uns so neu wissen:

Unser Glaube an Jesus ist keine auswendig gelernte Bekenntnis- Formel. Er lässt Unglaubliches geschehen. Er sprengt Fesseln, schenkt Leben, lässt Wahrheit erkennen. Das ist Grund zur Freude, zum Singen und beten.

Denn die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sind unser Leben.
AMEN

Keine feste Formel, ein
ANDERS GLAUBENSBEKENNTNIS heute:
Dorothee Sölle

Ich glaube an Gott
der die Welt nicht fertig geschaffen hat
wie ein Ding das immer so bleiben muss
der nicht nach ewigen Gesetzen regiert
die unabänderlich gelten
nicht nach natürlichen Ordnungen
von Armen und Reichen
Sachverständigen und Un-Informierten
Herrschenden und Ausgelieferten

Ich glaube an Gott
der den Widerspruch des Lebendigen will
und die Veränderung aller Zustände
durch unsere Arbeit
durch unsere Politik

Ich glaube an Jesus Christus der recht hatte, als er
„ein einzelner, der nichts machen kann“
genau wie wir
an der Veränderung aller Zustände arbeitete
und darüber zugrunde ging

an ihm messend erkenne ich
wie unsere Intelligenz verkrüppelt
unsere Phantasie erstickt
unsere Anstrengung vertan ist
weil wir nicht leben wie er lebte

jeden Tag habe ich Angst
dass er umsonst gestorben ist
weil er in unseren Kirchen verscharrt ist
weil wir seine Revolution verraten haben
in Gehorsam und Angst vor den Behörden

Ich glaube an Jesus Christus
der aufersteht in unser Leben
dass wir frei werden
von Vorurteilen und Anmaßung
von Angst und Hass
und seine Revolution weitertreiben
auf sein Reich hin

Ich glaube an den Geist
der mit Jesus in die Welt gekommen ist
an die Gemeinschaft aller Völker
und unsere Verantwortung für das
was aus unserer Erde wird
ein Tal voll Jammer Hunger und Gewalt
oder die Stadt Gottes

Ich glaube an den gerechten Frieden der herstellbar ist
an die Möglichkeit eines sinnvollen Lebens
für alle Menschen
an die Zukunft dieser Welt Gottes.
Amen.

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