Die Erwählung (5. Mose 7, 6-12)

Wozu bin ich, wie fülle ich meine Tage?
Was kann Ziel meines Lebens sein?
Wie gelange ich dorthin?

Du bist getauft:
Du gehörst jetzt schon
IHM.
Der Herr aller Zeit
und Schöpfer aller Welt
hat dich erwählt.

So spricht der Herr, der dich geschaffen hat:
Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst;
ich habe dich bei deinem Namen gerufen;
du bist mein!
Jesaja 43,1

***

Unser Wochenspruch ist einer der Verse, der in der Auswahl von Lieblingssprüchen weit oben auf der Liste steht. Egal ob Taufe, Konfirmation oder Beerdigung: Er ist immer schön. Denn aus ihm spricht das, was jeder Mensch lebenslang sucht, egal ob bewusst oder nicht: ERWÄHLUNG.

Erwählung, die alles bedeutet: Erlöstes Leben. Das Ende aller Furcht. Denn der, der da erwählt, ist Gott selbst: Der, der alles, auch mich, erschaffen hat.

Erwählung. Von der alten Frau Rick wird erzählt, dass Sie eigens auf die Urlaubsfahrt mit ihren Kindern verzichtet habe, nur um bei sich zu Hause ein Ferienkind aus Ungarn aufzunehmen. Die Gemeinde hat das organisiert. Zur Organisation gehört, dass niemand vorher genau weiß, welches der Kinder zu ihm kommt.

Es dürfen nur Wünsche geäußert werden. Frau Rick hat sich darum einen kleinen, schwarzhaarigen Jungen mit pfiffigen Augen gewünscht. Aber wen bekommt sie bei Ankunft der Gruppe? Judith, ein langes, blondes Mädchen.

Frau Rick ist enttäuscht, geht zur Pastorin und fragt, warum ihr Wunsch nicht erfüllt würde. Die Antwort überrascht sie. Erst am Ende der Ferien erzählt sie ihrer Tochter, was die Pastorin ihr erzählt hat. Als die Kinder zum Gemeindehaus kamen, da hatte Judith vor sich hingesprochen: Die Frau da, die sieht lieb aus. Zu der will ich!

Und Frau Rick sagt zu ihrer Tochter: Seit ich das wusste, war alles anders. Denn da standen auch ganz andere als ich, die Taschen voller Geschenke, das dicke Auto vor dem Haus. Aber mich alte Frau hat sie gewollt. Darum bin ich so glücklich mit dem Mädchen. Denn ich habe plötzlich verstanden, dass nicht ICH jemanden gewünscht habe, sondern dass MICH jemand gewünscht hat.

Erwählung. Sich selbst als einen Menschen zu begreifen, der erwählt ist: Etwas Schöneres gibt es kaum. Denn mit ihr beginnt LIEBE.

Wenn zwei Menschen sich lieben, sagen Außenstehende gern: „Das ist ihr Auserwählter“ oder „Sie ist seine Auserwählte“. Aus dieser Redewendung kann man hören, dass Auswählen etwas mit Liebe zu tun hat. Und mit Freiheit. Denn die Wahl der Liebenden ist eine freie Wahl. Hier hat sich in einer Alltagsweisheit das Wissen um wichtige Zusammenhänge bewahrt. Erwählung hat etwas mit Liebe zu tun und mit Freiheit.

Wer Gott finden will, kommt OHNE diesen Zusammenhang nicht weit. Der Gott der Bibel ist ein erwählender Gott. Schon immer, für immer. Das vertieft der Predigttext für heute, der ein Abschnitt aus dem 5. Buch Mose im 7. Kapitel ist. Ich lese ab Vers 6 (Elberfelder Bibel 2006):

6 Denn du bist dem HERRN, deinem Gott, ein heiliges Volk. Dich hat der HERR, dein Gott, erwählt, dass du ihm zum Volk <seines> Eigentums wirst aus allen Völkern, die auf dem Erdboden sind.
7 Nicht weil ihr mehr wäret als alle Völker, hat der HERR sich euch zugeneigt und euch erwählt — ihr seid ja das geringste unter allen Völkern —, sondern wegen der Liebe des HERRN zu euch, und weil er (darum) den Eid hielt, den er euren Vätern geschworen. (Nur darum) hat der HERR euch mit starker Hand herausgeführt und dich erlöst aus dem Sklavenhaus, aus der Hand des Pharao, des Königs von Ägypten.
9 So ERKENNE denn, dass der HERR, dein Gott, der Gott ist, der treue Gott, der den Bund und die Güte bis auf tausend Generationen denen bewahrt, die ihn lieben und seine Gebote halten, 10 und der denen, die ihn hassen, ins Angesicht vergilt, um sie umkommen zu lassen. …
11 (Darum) sollst du das Gebot und die Ordnungen und die Rechtsbestimmungen halten, die zu tun ich dir heute befehle.
12 Und (dann wird es) geschehen: Dafür, dass ihr diesen Rechtsbestimmungen gehorcht, sie bewahrt und sie tut, wird der HERR, dein Gott, dir den Bund und die Güte bewahren, die er deinen Vätern geschworen hat.

Wer spricht hier? MOSE werden diese Worte in den Mund gelegt. ER spricht sie. Er hält seinem Volk eine Predigt. Darin erinnert er sein Volk an Dinge, die es längst weiß. Er erinnert an die besondere Stellung Israels unter den Völkern. Er beschreibt die große Gnade Gottes, die seinen Zorn bei weitem übersteigt. Und er redet über die Verpflichtung des Volkes, seinerseits die Gebote und Regeln Gottes zu halten.

All das wird hier jedoch in einen Zusammenhang gebracht, der in dieser Offenheit und Schönheit hier zum ersten Mal geäußert wird: Gott LIEBT sein Volk.

DESHALB ist es für ihn einzigartig. Deswegen hält er den Bund. Dieser Bund ist für ihn wie ein Ehebund, der auf der anderen Seite nun auch das Volk verpflichten müsste, ihm die Treue zu halten. Also nach den Empfehlungen und Regeln zu leben, die Gott sein Volk hat wissen lassen.

Wie aber kommt es zu dieser Liebe? Mose stellt fest: Ihr seid nicht das bedeutendste unter den Völkern, sondern das unbedeutendste. Ihr seid nicht deshalb das Volk Gottes, weil ihr ein großes stattliches, mächtiges Volk seid, ein Volk, mit dem man sich sehen lassen könnte. Ihr seid es NUR deshalb, weil Gott euch ERWÄHLT hat.

Diese Begründung klingt beim ersten Hinhören ziemlich nüchtern. Etwa so: Unter normalen Bedingungen kämt ihr als Partner nie in Betracht. Wer vernünftig wählt, würde wohl kaum so jemanden wählen wie euch. Aber es geht hier nicht um Vernunft. Es geht um Liebe.

Mose gibt damit seinem Volk die einzig mögliche Antwort auf eine wichtige Frage: Warum sollte man uns eigentlich abnehmen, dass der mächtigste Gott, der die Gestirne und den Himmel lenkt und der auf der Erde die Geschichte schreibt, sich besonders und zuerst um ein kleines, zänkisches Völkchen kümmert, das eben noch den großen Ägyptern als Sklaven dienen musste? Welchen Grund kann es dafür geben, dass der mächtigste Gott aller Welten der Gott Israels ist? Dass dieses kleine Volk GOTT kennen lernen darf, den Allmächtigen, den alle anderen Völker bisher übersehen haben?

Diese Erwählung Gottes kann nur Liebe sein! Liebe, die Gott auf tausend Generationen in Folge denen verspricht, die ihn lieben. Also auf immer. Denn wenn diese Erwählung aus Liebe geschehen ist, kann Gott nie endgültig böse werden. Wenn sie Liebe ist, ist das Leben gerettet. Wenn sie Liebe ist, kann alles andere nicht mehr wichtig sein. Dann kann aus erstem Verliebtsein eine große Liebesbeziehung werden.

Das ist bei keiner Liebesbeziehung je anders gewesen. Im Anfang der Liebe denkt man: Jetzt ist dein Leben wie ausgetauscht. Nun ist nichts anderes mehr wichtig. Jetzt kann kommen, was will.

Später aber entdeckt man, dass auch die Liebe feste Bräuche nötig hat. Denn die bedingungslose Zuwendung der Liebe verführt dazu, sich selbst oder den anderen zu verlieren. In der Gewissheit, dass der andere mir vergibt, was ich auch tue, wird man sich zu sicher und unbekümmert.

Diese Unbekümmertheit der Liebe ist wie die eines kleines Kindes, das glaubt, sich auf die Liebe seiner Eltern immer verlassen zu können. Auch wenn es so über die Stränge schlägt, das überall nur Scherben liegen bleiben.

Eine erwachsene Liebesbeziehung aber braucht mehr. Nicht nur das Geliebtwerden, sondern auch das Lieben. Nicht nur das Gehörtwerden, sondern auch das Hören. Nicht nur, dass man Hilfe erfährt, sondern dass man hilft. Nicht nur, dass man selbst erwählt wird, sondern dass man erwählt.

Dann wird aus kindlicher Liebe starke Liebe, die wächst und stärker wird an allem, was sie miteinander erlebt. Von solcher erwachsenen Liebe ist in unserem Text die Rede. So schärft Mose Israel ein: Darum halte das Gesetz, die Satzungen und Rechte, die ich dir heute gebe, dass du danach tust. Und du wirst erleben, wie Gott seinerseits den Bund halten und die Huld bewahren wird, die er deinen Vätern geschworen hat.

Aus der Liebe wird ein Bund, der für beide Seiten unverzichtbar ist. Gott erwählt, weil er liebt. Die Menschen erkennen das und leben eine Beziehung, in der sie den lebendigen Gott kennenlernen und DARUM darauf hören, das er ihnen zu sagen hat. Das ist eine erwachsene Liebesbeziehung. Eine große Liebe, die lebt bis zum heutigen Tag.

Was aber haben die anderen Menschen davon? Alle die, die nicht zu Israel gehören? Liebt Gott die anderen nicht? Erwählt er die anderen nicht? Fragen, die die Menschen schon immer bewegt haben. Und uns direkt betreffen, weil wir nicht zu Israel gehören und dennoch mit Gott leben wollen.

Aber Gott vermag, was Menschen nicht vermögen. Unsere Liebe ist oft schon überfordert, wenn es nur um wenige Partner im Leben, um einige wenige Liebesbeziehung geht.

Kein Wunder, dass die Menschen in ihrer Entwicklung erkannt haben, dass man mit nur EINEM Partner im Leben besser lieben kann als mit einem Harem. Dass es schwer genug ist, mit nur einem Partner wirkliche Liebe wachsen lassen zu können. Dass es schwer genug ist, nicht nur ihn, sondern auch noch Kinder oder Enkel so zu lieben, dass sie Liebe spüren.

Gottes Liebe aber reicht für alle Menschen. Er hat mit Israel einen Anfang gemacht, damit die Menschen ihn überhaupt kennen lernen können. Aber nirgends steht geschrieben, dass es bei Israel allein bleiben soll. Sondern es ist vielmehr so, wie wir vorhin schon aus dem Buch des Propheten Jesaja gehört haben (Jes 42 6+7):

Ich, der Herr, habe dich gerufen in Gerechtigkeit/ und halte dich bei der Hand und behüte dich/ und mache dich zum Bund für das Volk,/ zum Licht der Heiden (also derer, die Gott nicht kennen!!),/ dass du die Augen der Blinden öffnen sollst/ und die Gefangenen aus dem Gefängnis führen/ und, die da sitzen in der Finsternis, aus dem Kerker.

Gott BEGINNT mit der Erwählung Israels. Und darum kommen aus Israel die Menschen, die den anderen Völkern die Augen über Gott öffnen. Gott hat die Welt sehen lassen, wie er auch Jesus erwählt hat: In seiner Taufe, bei der die Menschen den Geist Gottes als Taube sehen und Gottes Stimme hören konnten: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.

Das ganze Leben Jesu sieht die Welt dann als große, bis zu seinem Kreuz immer stärker werdende Liebesbeziehung zu Gott. Und so spricht auch Jesus von der Befolgung seiner Worte, als er den Jüngern aufträgt, in alle Welt hinauszugehen und zu taufen:

Darum geht zu allen Völkern, heißt es am Schluss des Matthäusevangeliums, das wir heute in der Lesung gehört haben, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.

Auch für Jesus gilt die Reihenfolge: Erst die Taufe, erst die Erwählung Gottes und dann: Sagt ihnen, wie man in Gott lebt! Sagt ihnen, was ich euch gezeigt habe! Zeigt ihnen, wie wir ohne Angst leben, obwohl wir verletzlich sind!

Meine Schwestern, meine Brüder:

Eure Taufe ist der Moment, an dem Gott sichtbar und hörbar werden lässt, dass er Euch erwählt hat, weil er euch lieben will. Ihr braucht den Moment der Taufe, denn NUR durch die Taufe wisst ihr von eurer persönlichen Erwählung. Eure Eltern und Paten haben es Euch bezeugt, wenn Ihr es nicht gar selbst gehört und gesehen habt, weil ihr erwachsen getauft wurdet.

Gottes Erwählung macht es den Getauften leichter, mit ihrer Kleinheit und Schuld umzugehen. Sie macht es den Getauften möglich, einen realistischen Blick auf sich selbst zu werfen: Ich bin nicht der Held unter den Völkern. Ich bin nicht der strahlende Gottesmann oder die Mustertochter. Ich kriege es nicht mal hin zu leben, ohne andere zu verletzen. Ich mag mich manchmal selber nicht. Ich spüre manchmal, wie die Dunkelheit so nahe an mich herankommt, dass ich kein Licht mehr sehe.

Aber Gott hat mir dennoch sein Herz zugewandt und mich erwählt. Er liebt mich! Er will, dass ich ihn kennen und darum auch lieben lerne. Dass aus dem ersten Verliebtsein eine starke Liebesgeschichte wird.

Das haben wir seit der Taufe in unserer Hand. Dass wir nicht nur von Gott erwählt sind, sondern ihn erwählen können. Dass wir nicht nur geliebt sind, sondern lieben. Dass wir nicht nur gehört werden, sondern hören. Dass aus unserer Geschichte mit Gott ein Bund fürs Leben wird. Dass wir auf Gottes Wort antworten – jede und jeder mit dem, was er oder sie vermag. Was sollte uns dann je schaden können?

Die Taufe ist das Heil eures Lebens, denn sie bringt die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes in euer Leben.
Bis auf tausend Generationen. Amen.

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