In den Wehen (Joh 16, 16-23)

Altes vergeht
Neues beginnt
Lasten werden getragen
Hoffnung wächst
Sterben wird überwunden
neues Leben gefunden

Nach dem Winter
hält Frühling Einzug
Neue Trauben entstehen am Weinstock

Ostern
Seine Auferstehung von den Toten
macht uns lebendig
das Geheimnis
schon JETZT, denn

Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur;
das Alte ist vergangen,
siehe, Neues ist geworden.
(2 Korinther 5,17)

Ostern lässt Menschen wie neu Geborene sein. Davon spricht nicht nur der Sonntag Quasimodogeniti, sondern auch dieser Sonntag: Jubilate, freut euch! Denn: „Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.“ So Paulus in 2 Korinther 5,17, dem Wochenspruch.

Jeder ahnt natürlich, dass das nicht augenscheinlich äußerlich gemeint sein kann. Auch wenn man aus ganzem Herzen Ostern gefeiert hat, auch wenn man in Christus lebt, werden sehr wahrscheinlich morgen immer noch die gleichen Dinge weh tun wie gestern. Der Rücken schmerzt in der Lendenwirbelsäule, die Gedanken drehen sich weiter im Kreis, und schlafen tut man auch nicht besser. Was meint „neu geboren“? Wie wird man eine „neue Kreatur“? Wo ist „Neues“ geworden?

Zu diesem Sonntag ist uns wieder ein Stück aus dem Evangelium nach Johannes aufgegeben, das uns tiefer ins Thema führen kann, ich lese aus Kapitel 16 ab Vers 16:

»Es dauert nur noch kurze Zeit, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen. Und es dauert noch einmal eine kurze Zeit, dann werdet ihr mich wiedersehen.«
Einige seiner Jünger sagten zueinander: »Was meint er damit, wenn er zu uns sagt: ›Es dauert nur noch kurze Zeit, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen. Und es dauert noch einmal eine kurze Zeit, dann werdet ihr mich wiedersehen?‹ Und was bedeutet es, wenn er sagt: ›Ich gehe zum Vater‹?« Sie überlegten hin und her: »›Eine kurze Zeit‹, hat er gesagt. Was heißt das? Wir wissen nicht, wovon er redet.«
Jesus merkte, dass sie ihn gern gefragt hätten. Er sagte zu ihnen: »Überlegt ihr miteinander, was ich meinte, als ich sagte: ›Es dauert nur noch kurze Zeit, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen. Und es dauert noch einmal eine kurze Zeit, dann werdet ihr mich wiedersehen‹?
Ich sage euch: IHR werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen. IHR werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit wird sich in Freude verwandeln. Es geht euch wie der Frau, die ein Kind bekommt: Während der Geburt macht sie Schweres durch, aber wenn das Kind dann geboren ist, sind alle Schmerzen vergessen, so groß ist ihre Freude über das Kind, das sie zur Welt gebracht hat.
Auch ihr seid jetzt traurig; doch ich werde wieder zu euch kommen. Dann wird euer Herz voll Freude sein, und diese Freude kann euch niemand mehr nehmen. An jenem Tag werdet ihr mich nichts mehr zu fragen brauchen. Ich versichere euch: Wenn ihr dann den Vater in meinem Namen um etwas bittet, wird er es euch geben.

Johannes schreibt das ein Menschenleben NACH dem Tod Jesu. Er schreibt es, weil ihn dieses Geschehen erschüttert, berührt und verändert hat. Weil er möchte, dass es seine Leser ebenfalls erschüttert, berührt und verändert. Lasst uns darum versuchen, Johannes jetzt in uns lebendig werden zu lassen.

„Wir wissen nicht, wovon der redet!“
Die hörbare Verzweiflung der Jünger ist doppelt verständlich. Zuerst deshalb, weil die Jünger sich das VOR dem Karfreitag fragen. Sie wissen ja nicht, was wir längst wissen. Will Jesus sich unsichtbar machen und ihnen dann als Geist erscheinen? Will er einfach weggehen und irgendwann wiederkommen? Was meint er damit?

Dazu kommt für uns, dass das Johannesevangelium vielen fremd und schwierig erscheint. Das merken wir auch freitags im Bibelgespräch immer wieder. Johannes erzählt aus der Position eines Menschen, der ganz offenbar die Zeit und Energie hatte, sich wirklich in eine Sache zu vertiefen. Sie zu umkreisen. Sie dann zu verlassen, nur um gleich darauf wiederzukommen und neu zu beschreiben, was er sieht.

Er ist der Dichter unter den Evangelisten, erzählt nicht einfach nur. Er lebt das Geheimnis des Glaubens und schreibt auf, was er in ihm sehen, fühlen und schmecken kann. Das liest und hört sich sicher nicht leicht. Aber wenn man sich mit und für Johannes Zeit nimmt, sich in das Geheimnis vertieft, kann man vieles entdecken.

„Eine kurze Zeit“. Sieben Mal taucht diese Formel in diesem Text auf. Eine kurze Zeit, eine kurze Zeit, eine kurze Zeit… Schon beim bloßen Zuhören wird einem fast schwindelig, man verliert die Orientierung: Wer redet eigentlich gerade, und warum?

Die Bibel kennt wichtige Zahlen. Die 3 zum Beispiel wie bei Vater, Sohn und Heiligem Geist. Die 12 wie bei den Jüngern und der Zahl der Stämme Israels. Die 17, die 153… Aber eben auch die 7, die seit aller Welt Zeit im Sonnenjahr unsere Wochen bestimmt. Unser Sein in Arbeit und Feiertag teilt. Unsere Jahre zusammenfügt. Die Länge eines Menschenlebens beschreibt.

Sieben Mal „eine kurze Zeit“: Das ist hohe Schule der Komposition, ganz sicher kein Zufall. Die Ratlosigkeit der Jünger wird auch zu unserer Ratlosigkeit. Ihr Drehen im Kreis wird unser Drehen im Kreis.

Wiederholungen. Sie sind bei Johannes sind wie das Meer. Seine Wellen branden an, ziehen sich wieder zurück, wieder und wieder. Sie scheinen immer gleich, sind aber jedes Mal andere. Sie scheinen wie ein ewiges Spiel, sind aber voller Kraft und stecken voller Veränderung. Dazu kommen beim Meer noch die Gezeiten, auch sie wirken zunächst harmlos: Mal mehr, mal weniger Wasser. Und doch ziehen sie alles in die Tiefe des Meeres. Johannes will wie das Meer den Menschen in die TIEFE des Glaubens ziehen. In eine Tiefe, die zwar auch nie alles verstehen kann, aber irgendwann doch erkennt.

Die Jünger nehmen die Ansage Jesu wörtlich auf und werfen sie hin und her. Sie schwatzen mehr als sie reden. Aber auch HÄUFIGES Wiederholen bringt ja wenig Klärung. Was? Kann das einer verstehen? Du? Nein, du?

So ein Schwatz erscheint darum vielen überflüssig. So ähnlich, als würde man über das Wetter reden. Ein paar Neuigkeiten mit dem Nachbar austauschen. Freundliche, aber eher unverbindliche Worte wechseln. All das erscheint nicht lebenswichtig. Den Wetterbericht gibt es besser in der Smartphone- App, „Guten Tag“ und „Guten Weg“ sind Höflichkeitsformeln, oft nur so dahingesagt, manchmal gar gelogen.

Und doch ist so ein Schwatzen die Nahrung des Alltages. Er ist die Grundlage, irgendwann über Weitergehendes zu reden. Das ist nur scheinbar belanglos. Wer nicht über das Wetter reden will, will der überhaupt reden? Wer nicht grüßt, will der mit Gutes? Wer aber über das Wetter redet, freundlich grüßt, könnte das Zeug zu einem netten Nachbarn, einem guten Kollegen, vielleicht einem Freund haben.

Die Jünger nehmen die Worte Jesu auf, fragen sich, was sie bedeuten mögen, finden keine Antwort. Und fügen selbst noch hinzu, was sie nicht verstehen konnten: Hat er nicht gesagt, er gehe zum Vater? Ja, das hat er, aber was bedeutet das? reden sie hin und her.

Und genau dadurch sind sie mitten im Thema, gut bei der Sache, und Jesus weiß, dass sie jetzt genau zuhören, wenn er weiterspricht. Vielleicht werden sie ihn immer noch nicht verstehen- aber sie werden auch nicht vergessen, was er sagt: „Ich sage euch: IHR werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen. IHR werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit wird sich in Freude verwandeln.“

„Ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen“: Wir wissen, Jesus spricht über den Karfreitag. Und auch wenn wir nach dem Osterfest leben: Mit dem Karfreitag haben wir es schwer.

Wie schwer aber müssen es erst die Jünger gehabt haben! An unseren Glauben stellt das nur schwierige Fragen, aber IHR Leben warf das völlig aus den Fugen. Und davon hatten sie jetzt ja noch einmal eine blasse Ahnung! „Wir wissen nicht, wovon der redet.“

„Ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit wird sich in Freude verwandeln.“ Es wird sein wie bei einer Frau, die gebiert. Durch die Wehen muss. Schmerzen erleidet. Aber alle Schmerzen vergisst, wenn sie das Kind in den Armen hält. IHR Kind.

Eine Frau in den Wehen. Das Hin und Her, das wellenförmige Anbranden der immer gleichen Fragen, es ist genau so wie bei den Wehen einer Frau. Sie kommen und gehen, scheinen fast endlos das Gleiche zu bringen und bringen doch unaufhaltsam Neues- bis zur Geburt. Ein Prozess, der nur wenig änderbar ist, dem sich die Gebärende hingeben muss. Auch all die, die sich mit ihr um die Geburt sorgen. Hebamme, Ärztin, Ehemann. Sie können unterstützen, vielleicht helfen: Die Wehen aber bleiben, bis zur Geburt.

Geburt aber ist Verwandlung. Die Schmerzen werden zur Freude. Angst weicht der Erleichterung. Und wo bisher nur ein Mensch war, sichtbar zumindest, die Mutter allein, sind nun zwei. Aus der Frau wird eine Mutter, ihr Kind tritt in das Licht unserer Welt.

Geburt. Darum geht es im Johannesevangelium immer wieder, und immer wieder anders. Als zum Beispiel Nikodemus in der Nacht zu Jesus kommt, um mit ihm zu reden, auf der Suche nach Wahrheit, versucht auch er zu verstehen. Und Jesus versucht ihm genau das zu erklären, was er hier seinen Jüngern zu erklären versucht.

Es geht um die Geburt, die Geburt eines neuen Menschen, um neues Leben in Gott. Es sei denn, dass jemand von neuem geboren werde aus Wasser und Geist: Dann kann er das Reich Gottes sehen. Wir wissen: Jesus spricht von der Taufe. Nikodemus weiß das noch nicht.

Die Jünger wissen auch nicht, aber sie sind jetzt mitten in einer schweren Geburt. Sie erleben Wehen, die immer schmerzvoller werden. Dem, was da geschieht, können sie sich wie die werdende Mutter nicht entziehen. Sie können sich nur hingeben. Und doch steckt es schon in ihnen, ein neues Leben, und auch sie kennen das noch nicht. Jesus kann ihnen zwar beistehen, vielleicht erklären. Aber abnehmen kann er ihnen ihre Geburts-Wehen nicht.

Jesus, den sie als Mensch erlebten, wird zum Christus werden, eins mit dem Vater und dem Heiligen Geist.  Davor aber geschieht die Passion mit dem Kreuz. Die schwere Zeit der Wehen macht es möglich, das Neue, das in Auferstehung und neuem Leben seinen glücklichen Anfang findet. Dass seine Jünger grundlegend verändert. Bis auf den heutigen Tag und für immer. „ Dann wird euer Herz voll Freude sein, und diese Freude kann euch niemand mehr nehmen. An jenem Tag werdet ihr mich nichts mehr zu fragen brauchen.“

Johannes schreibt von diesem guten Ende her. Er weiß um die Abschiede, die den Jüngern bevorstanden. Nach dem Tod Jesu war ja nicht alles vorbei: Die Auferstehung brachte neues Leben, die Trauer wurde zur Freude, nur um den nächsten Abschied erleben zu müssen, als der Auferstandene sie zu Himmelfahrt wieder verließ. Um den Platz an der rechten Gottes einzunehmen, auf den er gehört. Abschiede wie die Wehen, die Wellen, Gezeiten…

Meine Schwestern, meine Brüder:

Mir hat Johannes einen tiefen Blick in das Leben geschenkt.
Das Leben ist wie das Meer, durchzogen von Brandung und Gezeiten. Denen möchte ich mich zwar gern entziehen, aber ich kann es nicht.

Tage, an denen besonders viel zu erledigen ist, aber nichts so richtig gelingt.
Menschen, die ich liebe, bei mir behalten möchte, die aber trotzdem gehen.
Probleme, die ich gerne lösen möchte, aber für die mir keine Klärung einfällt.
Den weiten Horizont meines Glaubens, den ich anderen gern zeigen möchte, den ich ihnen aber nicht genau genug zeigen kann.

All das ist wie bei den Wehen einer Frau.
Auch wenn alles manchmal zu schwer oder aussichtslos erscheint: Die Wellen kommen immer wieder, die Gezeiten bleiben nicht aus, aber aus allem wächst ein Neues, auch wenn ich es jetzt noch nicht zu sehen vermag.

Dass Tage, die mir entgleiten, mich wachsen lassen: Zumindest in der Erkenntnis, wie wenig ich doch in der Hand habe.
Das selbst der Tod, den wir auf dieser Erde sterben müssen, kein Abschied für immer ist. Auch wenn ich mir das schwer vorstellen kann.
Dass der nächste Tag wirklich neu ist. Er wird zwar genau so lang sein wie der heutige. Aber vielleicht viel breiter.
Dass ich es nicht bin, der Horizonte zeigt, sondern Gott selbst es ist, der sie sehen lässt.

Johannes sagt: Nur noch kurze Zeit.
Ostern ändert alles. Es führt in ein neues Leben, über, vor, neben oder unter dem alten. Dorthin, wo ich plötzlich erkenne, dass alles nicht einfach nur so ist, wie es im ersten Augenschein aussieht.

Vielleicht könnt auch Ihr mit Johannes sehen, dass alles neu wird. Dann werdet Ihr den Christus hören, der sagt:

Euer Herz wird voll Freude sein, und diese Freude kann euch niemand mehr nehmen.

Dann lebt ihr wie Johannes
in der Liebe Gottes,
durch die Gnade unseres Herrn Jesus Christus
und aus der Gemeinschaft des Heiligen Geistes. Amen.

Dieser Beitrag wurde unter Predigten abgelegt und mit , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.