Schlechte Hirten
vor ihnen wird gewarnt
wohl schon immer
wird es sie schon immer gegeben haben
bringen ihr Schäflein ins Trockene
weiden sich selbst
Wölfe im Schafspelz
Der gute Hirte
Glücksfall der Menschen
denn seine Herde ist seine Leidenschaft
sein Leben wird ihr Leben
denn er liebt sie
Der gute Hirte
wer ihn kennt, lernt sie kennen
Miserikordias Domini
die Barmherzigkeit des Herrn
Christus spricht: Ich bin der gute Hirte. Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben.
(Joh 10, 11.27f)
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Hirten, Schafe, Wölfe: Unüberhörbar die Schlagworte dieses Sonntages.
Nun sind hier weder Wölfe oder Schafe und sehr wahrscheinlich nicht einmal Hirten in dieser Kirche.
Nein, auch ich bin keiner.
Aber sie sind Teil unseres Alltages, Schafe, Hirten, Wölfe. Unbemerkt oder nicht. Wörtlich oder übertragen. Nicht nur im Dorf, sondern auch mitten in der Stadt.
Neues Deutschland online, gestern: „Wölfe reißen seit Jahresbeginn 55 Schafe.
Arneburg. Tödliche Angriffe von Wölfen auf Weidetiere haben seit Jahresanfang in Sachsen-Anhalt zugenommen. Bislang gab es 16 Attacken, bei denen vermutlich ein Wolf der Angreifer war, wie der Experte der Referenzstelle Wolfsschutz, Andreas Berbig, in Arneburg sagte. Dabei wurden 55 Schafe, 23 Damwildtiere und zwei Ziegen getötet. Im (gesamten) Vorjahr registrierte die Referenzstelle insgesamt (nur) 21 tödliche Vorfälle.“
Gleich darunter eine Anzeige: Stoppt den Geheimplan der Konzerne! Nestle, Goldman Sachs, Deutsche Bank, ups, Disney, Google, Facebook und andere sind da als Wölfe im Schafspelz beschrieben, die mit dem TISA- Abkommen versuchten, Demokratie zu untergraben, uns in ungeahnte Abhängigkeiten zu bringen, Datenschutz auszuhöhlen. „Die Konzerne wollen sogar auf die Wasserversorgung zugreifen, um neue Profitmöglichkeiten zu erhalten.“
Wölfe im Schafspelz- das sind schon die Hirten bei Ezechiel: „Wehe den Hirten …, die sich selbst weiden!… ihr esst das Fett und kleidet euch mit Wolle und schlachet das Gemästete … das Schwache stärkt ihr nicht und das Kranke heilt ihr nicht, das Verwundete verbindet ihr nicht, das Verirrte holt ihr nicht zurück und das Verlorene sucht ihr nicht; das Starke aber tretet ihr nieder mit Gewalt…“ (Ez 34, ab Vers 2).
An die dreitausend Jahre alt, aber wer hätte auch heute nicht das unbestimmte Gefühl, überall von ähnlichen Hirten umgeben zu sein.
Wenn wir selbst in diesen Bildern weder Wölfe noch Hirten sind oder sein wollen, bleibt für nur noch das Schaf. Aber auch um die Schafe steht es nicht zum Besten.
Beim berühmten Tierforscher Alfred Brehm ist zu lesen : „Das Hausschaf ist ein ruhiges, geduldiges, sanftmütiges, einfältiges, knechtisches, willenloses, furchtsames und feiges, mit einem Wort /ein höchst langweiliges Geschöpf.
Besondere Eigenschaften vermag man ihm kaum zuzusprechen; einen Charakter hat es nicht. … Im Übrigen bekundet das Schaf eine geistige Beschränktheit, wie sie bei keinem Haustiere weiter vorkommt. Es begreift und lernt nichts, weiß sich deshalb auch allein nicht zu helfen. …
Seine Furchtsamkeit ist lächerlich, seine Feigheit erbärmlich. Jedes unbekannte Geräusch macht die ganze Herde stutzig, Blitz und Donner und Sturm und Unwetter überhaupt/ bringen sie gänzlich außer Fassung …“ (Brehms Tierleben).
Natürlich lässt die moderne Wissenschaft von heute dieses Schaf-Bild des 19. Jahrhundert nicht unwidersprochen gelten. Es gibt Untersuchungen, die belegen, dass Schafe durchaus clever sein können (die lesen sich aber nicht so lustig).
Aber egal ob unbelehrbar oder clever:
Wohl dem Schaf, um das sich jemand ordentlich und gewissenhaft kümmert. Wohl dem, der einen guten Hirten hat.
Darum redet dieser „Sonntag vom guten Hirten“, wie viele den Sonntag der Barmherzigkeit des Herrn nennen, in allen seinen Texten irgendwie darüber. Da waren der Wochenspruch und das Evangelium (beide aus Joh 10) oder der Tagespsalm (Ps 23): Wölfe, Schafe und Hirten sind Bilder unseres Lebens. Schon immer. Überall.
In unserem Predigttext, der ebenso wie der am vergangenen Sonntag aus dem ersten Brief des Petrus kommt, erscheint das Bild allerdings erst im Schlussvers. Ich lese: (2,21b-25)
Auch Christus hat ja für euch gelitten und hat euch damit ein Beispiel hinterlassen. Tretet in seine Fußstapfen und folgt ihm auf dem Weg, den er euch vorangegangen ist –
22 er, der keine Sünde beging
und über dessen Lippen nie ein unwahres Wort kam;
23 er, der nicht mit Beschimpfungen reagierte, als er beschimpft wurde,
und nicht ´mit Vergeltung` drohte, als er leiden musste,
sondern seine Sache dem übergab, der ein gerechter Richter ist;
24 er, der unsere Sünden an seinem eigenen Leib ans Kreuz hinaufgetragen hat,
sodass wir jetzt den Sünden gegenüber gestorben sind
und für das leben können, was vor Gott richtig ist.
Ja, durch seine Wunden seid ihr geheilt.
25 Ihr wart umhergeirrt wie Schafe, ´die sich verlaufen haben`; doch jetzt seid ihr zu dem zurückgekehrt, der als euer Hirte und Beschützer über euch wacht.
Christus, der Hirte und Beschützer: Dass er das für seine Gemeinde sein kann, jetzt und immer, verdanken wir Ostern.
Aber der Predigttext erinnert uns an den bitteren Teil der Geschichte. Denn erst an diesem Teil der Geschichte ist zu erkennen, warum Jesus sich uns als der GUTE Hirte zeigt.
Diesen bitteren Teil der Geschichte zitiert Petrus aus einem Christushymnus, vielleicht weil die Gemeinde diesen Hymnus kennt, an ihn erinnert werden kann. Damit wird die Verbindung hergestellt zwischen dem Leiden Christi und dem Leiden der Menschen: Sein Leid hat etwas mit unserem Leid zu tun.
Der Predigttext erinnert daran, was in der Osterzeit schnell wieder aus dem Blick gerät. Die Osterzeit ist hell, freundlich und bunt. Wir erleben die Auferstehung im Frühling.
Aber davor liegt eben genau das: Jesus hat gelitten. Das war schlimm für ihn, denn es war sein Tod. Daran erinnert das Kreuz.
Das Kreuz erinnert aber auch: In Jesus hat Gott für seine Menschen gelitten. Und das ist gut für uns. Der gute Hirte geht dahin, wo es allen weh tut. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe; wenn es sein muss.
Grundsätzlich singt dieser Christushymnus im Petrusbrief dieselbe Melodie wie das Tagesevangelium. Der gute Hirte kennt seine Herde und ist bereit, sein Leben für seine Herde einzusetzen.
Christus LEIDET für seine Herde: Das VERLEIDET vielen das Christentum. Denn die Frage, ob das denn sein muss, dass Jesus sein Leben für uns lässt, quält viele und treibt manchen zur Verzweiflung. Ich will nicht, dass jemand meinetwegen leiden muss. Herrgott, musste das sein?
Wenn man aber im Bild bleibt, ist das eine Frage an die Schafe. Eine Erinnerung an Herrn Brehm: „Im Übrigen bekundet das Schaf eine geistige Beschränktheit, wie sie bei keinem Haustiere weiter vorkommt. Es begreift und lernt nichts…“ Also wäre die Antwort nach Brehm: Woher sollen die Schafe das also wissen können?
Lassen wir das doch lieber den Hirten entscheiden. Wenn der also meint, dass die Gefahr für die Herde so groß ist, dass er sein Leben einsetzen muss, wird er schon Recht haben. Selbst wenn ich meine, zu den cleveren Schafen zu gehören, von denen Herr Brehm offenbar gar nichts wusste:
Petrus nennt die Gefahr, um die es hier geht, sehr deutlich beim Namen. Es geht um DIE SÜNDE schlechthin. Also nicht nur um einen Fehltritt oder einen Schuldschein. Sondern um alle Schuld der Welt.
Kein Schaf der Welt aber kann so klug sein, dass es ohne Sünde durchs Leben kommt. Nicht einmal das cleverste.
Der Heidelberger Katechismus brachte diese Wahrheit vorhin auf den Punkt (Frage 114): Können aber die zu Gott Bekehrten diese Gebote vollkommen halten? Nein, sondern es kommen auch die frömmsten Menschen in diesem Leben über einen geringen Anfang dieses Gehorsams nicht hinaus…
Kein Schaf der Welt kann so leben, dass es ohne Sünde durchs Leben kommt. Das Tückische ist doch, dass man Schuld oft gar nicht vorhersehen kann. Das man etwas mit den besten Absichten beginnt, dann eins zum anderen kommt und man sich prompt verzettelt hat.
Das kann nur der verhindern, der den großen Überblick nicht nur hat, sondern bis zum Schluss behält. Ohne Sünde durchs Leben kommt nur der GUTE Hirte.
Er wurde geschmäht und beschimpft, aber er schimpfte nicht zurück. Ihm wurde gedroht und ihm wurde Leid zugefügt, aber er blieb freundlich. In seinem Munde fand sich kein Betrug, als er um sein Leben betrogen wurde. Er übergab alles nicht irgendeinem Gericht, sondern dem einzig gerechten Richter.
Alle Alternativen, die den Schafen bisher eingefallen waren, hatten ja nichts gebracht. Schuld blieb Schuld, trennte die Menschen vom Leben, das Gott für sie wollte.
Aber jetzt verliert das Böse seine Macht. Weil es so offenbar ans Kreuz geschlagen wird, dass jeder es als das erkennen muss, was es ist: Das Böse.
Was auch auf den Hirten einprasselte, das ganze Übel der Welt: Er nahm es hin. Böses wird bei ihm nicht mit Bösem vergolten. „Ja, durch seine Wunden seid ihr geheilt.“ Diesen Spuren sollen wir folgen.
„ Deine Spuren im Sand, die ich gestern noch fand, hat die Flut mitgenommen …“ So Howert Carpendale 1974. Die Fußstapfen Jesu aber sind von ganz anderem Format. Sie sind mindestens so dauerhaft wie der Hufabdruck an der Rosstrappe.
Kein Sturm, kein Regen dieses Lebens kann die Spur Jesu in der Geschichte je wegwaschen. Keine noch so gut angelegten Täuschungsmanöver von selbsternannten Hirten können die Spur Christi unsichtbar machen.
Meine Schwestern, meine Brüder:
Diese Fußtapfen sind groß. Zu groß. Schon deshalb zögern viele, ihnen nachzufolgen. Dazu kommt: An seinen Fußtapfen kleben Blut und Tränen, Angstschweiß und Schmerzen.
Der Weg zum Leben: Ein Weg durch das Leid? Da setzt in unserer christlichen Schafherde ein ängstliches Blöken ein. Da beschleicht uns arme Schafe, unbelehrbare oder clevere geleichermaßen, ein böser Verdacht:
Der Hirte könnte nicht den BESTEN Weg für uns ausgesucht haben.
Flüchtlingselend, Bürgerkrieg, Terror: Soll das immer so weitergehen?
Vorzeitiger Tod, Krankheit, Schmerz, Elend:
Hört das nie auf?
Dass Geld die Welt regiert und Zuwendung, Nähe und Barmherzigkeit auf der Strecke bleiben, unbezahlbar werden? Durch all das sollen wir hindurch müssen, weil am Ende als Belohnung das Ewige Leben winkt?
Nicht Imitation, sondern NACHFOLGE bringt das Heil, schreibt Petrus. Niemand kann, niemand muss genauso werden wie Jesus war, die Fußtapfen ausfüllen, die Jesus hinterlassen hat.
Ihm nachzufolgen bedeutet jemanden zu haben, zu dem man immer sicher aufsehen kann. Er wird uns nicht enttäuschen, weil wir wissen: Was er tat, tat er für uns.
Nachfolge bedeutet jemanden zu haben, dessen Lebensrichtung man getrost folgen kann. Vergebung statt Vergeltung zu leben, Gerechtigkeit durch Gott zu erwarten und sein Heil nicht in der Durchsetzung eigenen Rechtes zu suchen. (Um nicht missverstanden zu werden: Für Gerechtigkeit einzutreten ist etwas anderes, als sein Heil darin zu suchen.)
Jesus nachzufolgen bedeutet schließlich auch, sehen zu lernen, dass alles Leid dieser Welt nicht verhindert hat, dass es Ostern geworden ist.
Niemand weiß, was das Leben ihm bringt. Zum Glück – genau deshalb lieben wir es. Wir haben aber den guten Hirten, dem wir bedenkenlos nachfolgen können. Und diese Nachfolge wird Folgen für unser Leben haben.
Wenn wir seinen Fußtapfen folgen, seine Worte verinnerlichen, sein Leben und Sterben sehen, wird sich unsere Sicht auf diese Welt verändern. Das wird uns mutiger machen, neue Einsichten schenken und Energie. Wir werden immer öfter für die eintreten, die an unserem Weg stehen und unsere Hilfe brauchen können. Vergebung statt Vergeltung leben, Gerechtigkeit von Gott erwarten. Unser Heil nicht in der Durchsetzung eigenen Rechtes suchen.
Und egal, was unserer Schafherde auf diesem Lebensweg begegnet: Selbst der Tod wird unserem Heil nicht im Weg stehen. Denn der Friede Gottes, der größer ist als all unsere Vernunft, wird unsere Herzen und Sinne bewahren in Christus, dem guten Hirten. Amen.