Wer ist dieser? (Mk 4 35-41)

Hier ist unser Gottesdienst vom 4. Sonntag vor der Passionszeit für vier Wochen zum Nachhören zu finden.

Stürme des Lebens
das Wasser steht bis zum Hals
der Boden unter den Füßen
entgleitet

Jesus, der Christus
Gottes-Fels in der Brandung
Herr des Sturms
Gebieter über die Wogen
Quelle der Ruhe
der Friedens
Grund unseres Glaubens

Kommt her und sehet an die Werke Gottes,
der so wunderbar ist
in seinem Tun an den Menschenkindern.
Ps 66,5
***
Zum Predigttext für heute. Er ist ein Abschnitt aus dem Evangelium nach Markus, Kapitel 4, ab Vers 35; ich lese ihn in eigener Übersetzung:

35 Und er sagte zu ihnen an diesem Tag, als es dunkel wurde: „Lasst uns zum anderen Ufer fahren!“ 36 Und nachdem sie das Volk weggeschickt hatten, nahmen sie ihn, so wie er war, mit ins Boot. Auch andere Boote waren dabei. 37 Da erhob sich ein heftiger Sturm; Wellen schlugen in das Boot, so dass das Boot vollzulaufen drohte. 38 Doch er lag achtern auf einem Kissen und schlief.
Da weckten sie ihn auf und sagten zu ihm: „Lehrer, KÜMMERT es dich nicht, dass wir untergehen?“
39 Nachdem er aufgewacht war, bedrohte er den Wind und sprach zum See:“ Sei still! Und bleibe stumm!“ Und der Sturm wurde müde; eine ohrenbetäubende Stille trat ein.
40 Und zu ihnen sagte er: „Warum seid ihr so verzagt? Glaubt ihr noch nicht?“
41 Sie aber befiel eine große Furcht und sie sagten zueinander: „Wer ist denn dieser, wenn ihm sogar Wind und Wellen gehorsam sind?“

GNADE SEI MIT EUCH und Friede von dem, der da ist,
der da war und der da kommt. AMEN!

Wer ist denn dieser?
Wer das fragt, ist der Jüngerkreis. Das ist zwar hier nicht ausdrücklich gesagt, ergibt sich aber zweifellos aus dem, was Markus vor dieser Geschichte der Sturmstillung erzählt.
Und „dieser“ ist dann genau so zweifellos Jesus, der hier auch nicht mit seinem Namen, sondern mit „Lehrer“ angesprochen wird.

Wer ist denn dieser?
Seine Hinrichtung am Kreuz ist wahrscheinlich bereits über dreißig Jahre her, als Markus sein Evangelium schreibt. Ein Beleg dafür, dass selbst Jahrzehnte nach Jesu Tod sein Leben und Sterben die Menschen immer noch aufwühlt. Dass sie wissen, dass sie verstehen wollen: Wer ist denn dieser -Jesus?

Diese Aufmerksamkeit, besser: diese Aufregung ist nicht zu verstehen, wenn es bei Jesus nur um einen unter vielen gegangen wäre, der von den Römern ans Kreuz genagelt wurde. Da muss mehr passiert sein, wenn sich einer jetzt noch hinsetzt, um dieser Frage nachzugehen:
Wer ist denn dieser?

Es MUSS mehr passiert sein als eine Hinrichtung, auch mehr als ein Justizmord. Denn Markus sollte nicht der Einzige bleiben, der sich mit dieser Frage auseinandersetzte. Und da sind nicht nur die vier Evangelisten gemeint, die sich im zweiten Testament unserer Bibel finden lassen; da waren, wie man weiß, noch viele mehr.

Wer ist denn dieser?
Zuerst erzählt Markus von der Taufe Jesu durch Johannes. Dabei sieht Jesus den Himmel sich teilen, den Geist wie eine Taube auf ihn herabsteigen und hört eine Stimme: „Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen.“ (1,11) Das irgendein anderer Mensch das auch mitbekommen habe – davon erzählt Markus nicht.

Wer ist denn dieser?
Markus erzählt weiter, dass nach dem gewaltsamen Tod des Täufers Jesus beginnt, zu predigen. „Erfüllt ist die Zeit, und nahe gekommen ist das Reich Gottes. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“ (1,15). Dieser Predigt-Überschrift fügt Markus Gleichnisse an, die die Botschaft vom Reich Gottes für die Hörenden deutlich werden lassen können.
Fazit: Jesus war Prediger.

Weiter erzählt Markus, dass Jesus eine Schülerschar um sich sammelt. Er beginnt mit vier Fischern, die er offenbar überzeugen kann, einfach alles stehen und liegen zu lassen, um mit ihm zu gehen. Später kommen noch weitere acht dazu, die dann die nächste Zeit ihres Lebens mit ihm teilen. Zwölf sind es also, Jünger genannt, damals ein durchaus üblicher Vorgang.
Also: Jesus war ein Lehrer.

Und Markus berichtet von Heilungen.
Jesus heilt einen Besessenen, die Schwiegermutter seines Jüngers Simon Petrus und überhaupt „alle“ Kranken und Besessenen der Umgegend. Nach Jesu Weggang aus Kapernaum – wobei dieser „Weggang“ eher wie eine Flucht anmutet – heilt Jesus weitere Menschen. Jesus war also auch begnadeter Heiler, heute würde man sagen: ein Arzt.

Wer ist denn dieser?
Dieser war also zunächst:
Prediger, Lehrer, Heiler. Und in diesen Dingen außerordentlich erfolgreich.
Wo wir bei der Kehrseite dieses Erfolgs angelangt sind.

Das ganze Markusevangelium ist nämlich davon durchzogen, dass Jesus kaum noch eine ruhige Minute findet. „Und sie kamen zu ihm von überall her“ (1,45) und bedrängten in so, „dass nicht einmal mehr vor der Tür Platz war“ (2,1), „ und sie kamen nicht einmal dazu, etwas zu essen“ (3,20). Davon erzählt Markus sogar zweimal, um auch dem Letzten klar zu machen: Jesus war ein Getriebener.

Wer ist denn dieser?
Alles läuft ihm nach, diesem Prediger, Lehrer und Heiler. Seine Familie ist darum langsam in echten Sorgen: „Und als seine Verwandten davon hörten, machten sie sich auf, um sich seiner zu bemächtigen, denn sie sagten: Er ist von Sinnen.“ (3,21)

Die Unruhe, in der Jesus lebt, steckt die Menschen an, steckt die Familie an. Der junge Mann scheint für sie auf dem besten Weg zu sein, verrückt zu werden. Und seine erklärten Gegner schließen sich dieser Sicht auf ihre Weise an: „Und die Schriftgelehrten, die von Jerusalem herabgekommen waren, sagten: Er hat den Beelzebul, und: Durch den Fürsten der Dämonen treibt er die Dämonen aus.“ (3,22)

Wer ist denn dieser?
Eine klare Antwort kommt von ungeahnter Seite: „Und die unreinen Geister warfen sich vor ihm nieder, sobald sie ihn sahen, und schrien: Du bist der Sohn Gottes!“ (3,11)

Zu dieser Antwort aber sind zunächst nicht einmal die in der Lage, denen Jesus aus auswegloser Situation geholfen hat: „Und er nimmt die Hand des Kindes und spricht zu ihm: Talita kum! Das heißt: Mädchen, ich sage dir, steh auf! Und sogleich stand das Mädchen auf und ging umher. Es war zwölf Jahre alt. Da waren sie
fassungslos vor Entsetzen.“ (5, 41f)

Fassungsloses Entsetzen – das ist es wohl auch, was den Regional-König Herodes packt. Der hatte Johannes den Täufer enthaupten lassen und hörte nun, was die Leute über Jesus erzählten.

Die einen hielten Jesus für den großen Elija, zumindest aber für einen Propheten, schließlich sogar für Johannes. „Als Herodes das hörte, sagte er: Johannes, den ich enthaupten ließ, der ist auferweckt worden.“ (6,16)

Seit Jesus aus Nazareth in die Öffentlichkeit getreten ist, brodelt es im Volk, macht sich die Familie Sorgen, werden die Mächtigen nervös. Und Jesus selbst – er lebt im Dauer-Stress. Abend für Abend muss er zunächst irgendwie die Leute loswerden und dann wenigstens ein bisschen Schlaf finden.
Irgendwie, irgendwo, irgendwann.

Und an diesem Abend also soll es per Boot an die andere Seite des Sees Genezareth gehen. Dass es auf dem abends oft Fallwinde und gar Sturm gibt, muss zumindest den vier Fischern bei Jesus klar gewesen sein.

Es sieht so aus, dass alle dieses Risiko in Kauf nehmen, auch die anderen Boote. Alles wohl nur, um auf der anderen Seeseite an ein Nachtlager zu kommen.

Jesus ist so müde, dass er gleich auf einem Kissen weich einschläft und seinen Jüngern die Arbeit überlässt. Und weiterschläft, als der Sturm losbricht und das Boot voll Wasser läuft.

Die nervöse, vielleicht sogar gereizte Frage der Jünger erinnert an den Kapitän im Buch Jona: Jona schläft auch, als sein Schiff im Meer unterzugehen droht und muss vom Kapitän aus dem Tiefschlaf geholt werden, und als er endlich wach ist, fragt er: „Was ist mir dir? Du schläfst ja! Mach dich auf, rufe zu deinem Gott, vielleicht erinnert der Gott sich unser, und wir gehen nicht zugrunde“ (Jona 1,6). Ähnlich hier die Jünger. „Lehrer, KÜMMERT es dich nicht, dass wir untergehen?“ (V 38)

Wie die Geschichte ausgeht, habt ihr gehört. Als selbst der Sturm müde geworden ist, fragt Jesus seine Jünger: „Warum seid ihr so verzagt? Glaubt ihr noch nicht?“ (V 40).

Manch einer hört Vorwurf in seiner Stimme, bei anderen ist gar zu lesen, dass Jesus sie „anherrschte“.

Aber davon schreibt Markus nichts. Ich höre eher Trauer und Enttäuschung in Jesu Worten. Nach all dem, was sie von ihm gehört haben, nach all dem, was sie von ihm gesehen haben: Nach all dem ist Gottvertrauen ihnen immer noch so fern?

Und die Jünger? Sie sind nicht froh über die Rettung des eigenen Lebens, nein, sie packt die Furcht. Und sie stellen sich untereinander die Frage der Fragen: „Wer ist denn dieser, wenn ihm sogar Wind und Wellen gehorsam sind?“ Und finden die Antwort – offenbar nicht.

Und in Kapitel 8 ist zu lesen (ab V 16): „Sie aber machten sich Gedanken darüber, dass sie kein Brot hatten. Und er merkt es und sagt zu ihnen: Was macht ihr euch Gedanken darüber, dass ihr kein Brot habt? Begreift ihr noch nicht und versteht ihr nicht? Ist euer Herz verstockt? Augen habt ihr und seht nicht, und Ohren habt ihr und hört nicht?

Erinnert ihr euch nicht? Als ich die fünf Brote für die fünftausend brach: Wie viele Körbe voll Brocken habt ihr da eingesammelt? Sie sagen zu ihm: Zwölf. Und bei den sieben für die viertausend: Wie viele Körbe voll Brocken habt ihr da eingesammelt? Sie sagen: Sieben. Und er sagte zu ihnen: Versteht ihr noch immer nicht?“

Nun endlich scheint bei den Jüngern „der Groschen gefallen“ zu sein. Denn auf die Frage kurz später, was denn die Jünger meinen, wer er sei, antwortet Petrus: „Du bist der Messias!“ (8,29).

Doch was die Jünger nun endlich sehen, wenigstens für diesen Moment, schafft weder Ruhe noch Frieden. Judas wendet sich ab, Petrus verleumdet Jesus, Jesus wird ans Kreuz geschlagen. Und als die Frauen am leeren Grab von seiner Auferstehung hören, ist es nicht Freude, sondern pure Angst, die sie packt:

„Da gingen sie hinaus und flohen weg vom Grab, denn sie waren starr vor Angst und Entsetzen. Und sie sagten niemandem etwas, denn sie fürchteten sich.“ (16,8) Nach allem, was wir wissen, ist das der letzte Satz des Markus in seinem Evangelium.

Meine Schwestern, meine Brüder,

Wer ist denn dieser?
Bis zum Schluss es Markusevangeliums finden die Menschen auf diese Frage KEINE eindeutige, klare Antwort. Und seitdem hat sich daran nichts geändert, bis heute.

Und diese Frage ist keine Nebensache.
Denn wenn dieser Jesus aus Nazareth ein Prediger, Lehrer und Heiler war, ist seine Zeit seit fast Zweitausend Jahren vorbei.

Denn was nutzt es irgendeinem Menschen heute, wenn Jesus damals Kranke geheilt und sogar Gestorbene ins Leben zurückgebracht hat?
Wie sollte man durch uralte Geschichten über eine Heilung durch Jesus selbst geheilt werden?
Wie soll man aus uralten Geschichten aus der Seelsorge Jesu selbst Rettung für die eigene Seele finden?

Natürlich sind die Predigten Jesu für viele Menschen damals Schlüsselerlebnisse auf ihrer Suche nach dem Gott Israels gewesen, und auch heute ist das für viele Menschen noch der Fall. Aber was würde Jesus dann von anderen Predigern wie Paulus, den anderen Briefeschreibern oder den Evangelisten grundsätzlich unterscheiden?

Doch ist Jesus der Christus, ist er Gott selbst, dem nichts unmöglich ist, dem selbst Wind und Wellen gehorsam sind, der auferstanden ist und ewig lebt: Wenn Jesus dieser ist, dann gerät auch meine Welt ebenso aus ihrem gewohnten Lauf wie Markus das für die irdischen Lebzeiten Jesu beschrieben hat. Dann hat alles, selbst das Gesetz der Natur, seinen Meister in Jesus gefunden.

Dann verlieren die Mächte dieser Welt die Macht, mir die von Gott geschenkte Freiheit zu beschneiden oder gar zu nehmen.
Die Gesetze dieser Welt werden nicht mehr verhindern können, dass ich erkenne, wozu Gottes Gnade fähig ist: Nämlich seine Liebe zur Schöpfung, zum Leben und zu den Menschen selbst zu erkennen und selbst für sie zu leben – NUR für sie.
Dann verliert auch der Tod seine Macht, mich mit dem Ende meines Lebens auf dieser Welt aus der Hand Gottes reißen zu können.

Wer ist denn dieser?
Ich glaube daran:
Er ist der Christus, wahrer Mensch und wahrer Gott.
Er ist der All-mächtige.
Er ändert ALLES:

Nicht Wind und Wellen, sondern durch

die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes

wird unser Leben „geführt und sicher sein“ (EG 281,4)
in dieser Zeit und in Ewigkeit. AMEN

EG 14: 4-6
4. Und wo du kommst herangezogen,
da ebnen sich des Meeres Wogen,
es schweigt der Sturm, von dir bedroht.
Du kommst, dass auf empörter Erde
der neue Bund gestiftet werde,
und schlägst in Fessel Sünd und Tod.
5. O Herr von großer Huld und Treue,
o komme du auch jetzt aufs Neue
zu uns, die wir sind schwer verstört.
Not ist es, dass du selbst hienieden
kommst, zu erneuen deinen Frieden,
dagegen sich die Welt empört.
6. O lass dein Licht auf Erden siegen,
die Macht der Finsternis erliegen
und lösch der Zwietracht Glimmen aus,
dass wir, die Völker und die Thronen,
vereint als Brüder wieder wohnen
in deines großen Vaters Haus.

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