Ein Traum! (Ps 126)

Unser Gottesdienst am Ewigkeitssonntag zum Nachhören ist für 4 Wochen hier zu finden.

unsere Zeit auf dieser Welt
gemessen
zwischen Anfang und Ende
Geburt und Tod

die Grenzen unserer Zeit aber
lösen sich auf
in die Ewigkeit Gottes

alle Tränen werden getrocknet
kein Leid, kein Geschrei
bei GOTT ist
was in dieser Welt
nicht sein kann

Zeit des Lebens
im Angesicht der Ewigkeit
braucht
den wachsamen Blick für das
was wirklich wichtig ist

Lasst eure Lenden umgürtet sein
und eure Lichter brennen.
WSp Lukas 12,35
***
Du träumst wohl!?
Kürzlich hatte ich ein Kinderbuch mit diesem Titel in der Hand. Ein kleiner Hund träumt davon, ein großer Hund zu sein.
So wie der große Hund Bulli vom Nachbarhof.
Denn der hat alles, was der kleine Hund nicht hat.
Und das findet der kleine Hund sehr gemein.

In seinen Tagträumen ist der kleine Hund dann richtig groß – „hochhausriesig“, die anderen Hunde wären dann „schnirkel-schneckchen-klein“. Und er wäre „Bratwurstmillionär“, und alle ANDEREN fänden das gemein.
Das wäre mal kleine-Hund-gerecht.

So träumt der kleine Hund Tag für Tag seinen großen Traum.
Wenn der kleine Hund ein großer Hund wäre, natürlich noch größer als Bulli, versteht sich, dann wäre alles besser im Leben.
Doch:
Wie käme er dann an seinen geliebten Gutenachtkuss, ohne den er nicht einschlafen will, nicht einschlafen kann?

Du träumst wohl!
Diese drei Worte habe ich schon als Kind von meiner Mutter zu hören bekommen. Und glaubt mir, das war gar nicht so selten. Wenn meine Vorstellungen über das, was ich haben oder erleben wollte, den Rahmen sprengten, wollten diese drei Worte mir sagen:
Das, mein lieber Sohn, das kannst du lieber gleich wieder vergessen.

Traum.

Ein durchaus ambivalentes Wort.
Ein mehrdeutiges, zwiespältiges, ja unentschiedenes Wort.
Oft genutzt mit dem Gestus des Abwinkens:
Bist du noch nicht ganz wach!? Und wovon träumst du nachts?
Oder eben: Du träumst wohl! Sogar am helllichten Tag!
Als Träumer bezeichnet zu werden – das ist heutzutage eher ein Makel denn eine Auszeichnung.

Und doch nutzt man das Wort „Traum“ auch voller Enthusiasmus, voller Begeisterung und Freude.
Schon dann, wenn der Urlaub oder das Konzert gestern „ein Traum“ waren.

Nahezu durchgehend positiv besetzt ist „Traum“ für die Menschen der Bibel.
Für sie bedeutet das Träumen, einen Einblick zu bekommen in Bereiche, die dem Menschen im Wachzustand unerreichbar sind. Und solche Einblicke können durchaus auch tagsüber geschehen, indem ein Mensch sehen kann, was nicht zu sehen ist.
„Nachtgesichte“, Träume sind Visionen vom Göttlichen.

Da redet Gott mit den Menschen, schreckt sie auf, warnt sie, liest man in Hiob 33, und Traumdeuter wie Daniel oder Josef helfen, diese Visionen recht zu interpretieren. Jakob träumt von der Himmelsleiter, Pharao sieht fette und magere Kühe aus dem Nil kommen, König Salomo bekommt seinen Herzenswunsch, weise zu sein, zugestanden.

Auch Zimmermann Josef aus Nazareth weiß nicht, wie ihm geschieht: Da wird die eigene Verlobte schwanger und behauptet, mit keinem Mann beisammen gewesen zu sein. Das ist starker Tobak, insgeheim überlegt er, Maria zu verlassen. Ein Engel überzeugt ihn im Traum, dies nicht zu tun, indem er das Unglaubliche erklärt: Maria sei vom Heiligen Geist geschwängert; das Kind, Jesus, werde das Volk retten.

Die BILDER in Visionen und Träumen lassen dabei meist überdimensional Großes erkennen, das sich anders als in eben solchen Traum-Bildern kaum begreifen lässt.

Um so überdimensional Großes geht es in auch in unserem Tages-Psalm 126, ich lese den ersten Teil in der Übersetzung der Zürcher Bibel:

Als der HERR wandte Zions Geschick,
waren wir wie Träumende.
2 Da war unser Mund voll Lachen
und unsere Zunge voll Jubel.
Da sprach man unter den Nationen:
Der HERR hat Großes an ihnen getan.
3 Großes hat der HERR an uns getan,
wir waren voll Freude.

Sehr wahrscheinlich spielt der Psalm hier auf die Rückkehr aus der babylonischen Verbannung an. Luther übersetzt denn auch in V 1 „Gefangene Zions“. Das war für die Verbannten nicht für möglich gehalten, völlig überraschend. Für sie war der Berg Zion unerreichbar gewesen, und für viele unter ihnen war so auch ihr Gott in große Ferne gerückt. Nun kehren sie zum Zion zurück, und auch Gott ist wieder dort.

Jetzt fühlen sie sich traumhaft: Sie bekommen zu sehen, was für sie bisher fern jeder Realität war. Sie erleben plötzlich eine Nähe zu Gott, sie sehen in die Weite seiner Unendlichkeit, können erkennen, dass seine Größe, seine Allmacht das möglich werden lassen, was sie für unmöglich hielten:
Eine Wende ihres Schicksals.

Diese Nähe zu Gott ist ein Blick in Gottes Ewigkeit, seine Weite, seine unendlichen Möglichkeiten, wie man sie nur im Traum beschreiben kann.

Die Menschen erleben die Überwindung von Gottesferne, das ist für sie eine unfassbare Befreiung. Diese Befreiung kommt von Gott selbst in ihr Leben, von außen, wie jeder Traum.
Alles, das ganze Leben, ist mit einem male Lachen. Jubel. Freude.

Und nicht nur die Befreiten sehen das so.
Auch unter den Nationen sagt man: Der Herr hat Großes an ihnen getan! (V 2) Und sie selbst erinnern sich:
Ja, genau so war es, wir liefen über vor Freude! (V3)

Das ist die Vergangenheit. Eine große Vergangenheit, aber eben Vergangenheit.
Die Gegenwart, der Alltag sieht anders aus. Die Gemeinde geht durch schwere Zeiten. Davon spricht der zweite Teil des Psalms:

4 Wende, HERR, unser Geschick,
versiegten Bächen im Südland gleich.
5 Die mit Tränen säen,
werden mit Jubel ernten.
6 Weinend geht hin,
der den Saatbeutel trägt,
doch mit Jubel kommt heim,
der seine Garben trägt.

Wende Herr, unser Geschick, man kann auch aus dem Hebräischen übersetzen: Kehre doch, Gott, zu uns zurück! Also: Komm uns wieder nah! Komm wieder zurück wie die Bäche im Südland, wie eine reiche Ernte!

Zwei Bilder aus der Natur kommen hier in den Blick:
Wenn die völlig ausgetrockneten Betten in der Wüste Negev sich durch Sturzregen wieder mit Wasser füllen. Das kann man dort auch heute noch erleben.

Wenn dies geschieht, dann erblüht die Wüste. Wo vorher nur Staub und Steine zu sein schienen, wachsen und blühen plötzlich zart Blumen und verwandeln alles.

Wenn der Mensch weinend mit dem Saatbeutel auf den Acker geht. Weinend, denn die Saat, die er auswirft, muss er sich im wahrsten Sinne des Wortes vom Munde absparen, er muss vielleicht darum sogar hungern.

Und er kann nicht wissen, ob er die Körner nur wegwirft, weil sie danach nicht keimen können und vertrocknen, oder aber sich das Weinen in Jubel wandelt, weil sich das Risiko gelohnt hat und volle Garben ein Vielfaches an Korn zum Menschen zurück bringen.

Die Gegenwart ist von Mühsal und Tränen gezeichnet. Die Glaubenden fühlen sich allein, Gott scheint fern. Doch das führt nicht in Mutlosigkeit, nicht in die endgültige Depression. Der Psalm erinnert an das überschäumende Glück, das Gott auslöste, als er das Geschick der Gemeinde einst schon einmal gewandelt hatte.

Er erinnert an das sprudelnde Lachen, an den überfließenden Jubel damals, an den Traum, in dem sie die unendliche Größe ihres Gottes begriffen und erlebten. Die Gemeinde kann sich sicher sein: So, wie aus der Wüste Blumen sprießen, kann Gott handeln. So, wie der Mensch den Samen aus seiner Hand geben muss und durch Gottes Gnade erntet, wird Gott sein Volk leben lassen.

So, wie er es schon getan hat. Immer wieder neu seit der Schöpfung der Himmel und der Welten. Die Hoffnung des Volkes: Großes hat der Herr an uns getan! Großes wird er wieder tun! So wie er es tut, sichtbar und fühlbar!

Meine Schwestern, meine Brüder:

Psalm 126 legt ein eindrückliches Zeugnis ab: Träume ändern die Wirklichkeit von Menschen. Sie erinnern, sie mahnen, die lassen die so genannte Realität neu sehen, das Leben neu justieren. Selbst der Traum des kleinen Hundes hat dessen Leben neu justiert, aber das lest selbst nach.

Psalm 126 erinnert:
Die Nähe des Menschen zu Gott, der sie im Traum die Unendlichkeit und die Ewigkeit Gottes sehen lässt, lässt die Menschen neu leben, schenkt ihnen neues Leben. So wie er neues Leben schenkte, als er das Schicksal Zions wandte, die Wüste blühen ließ, reiche Ernte schenkte.

In diesem Psalm geht es um die Überwindung von Gottesferne. Gott kehrt zurück und wendet damit das Schicksal. Gottesnähe ändert das Geschick des Menschen. Gottesnähe ist die Voraussetzung, dass sich Tränen in Jubel verwandeln.

Das, was da geschehen ist und wieder auf die Menschen zukommt, ist so überraschend und unbeschreiblich groß und erfüllend, dass es staunend nur als Traum wahrgenommen werden kann. Und dieser Traum ergreift Menschen ganz real und verändert ihr Jetzt.

Es gibt wohl keinen Tag dieser Welt, wo Menschen sich nicht wünschten, ihr Schicksal möge gewendet werden. Da sind
Hunger, Durst, Kälte.
Terror, Krieg, Gewalt.
Häme, Anteilslosigkeit, Überheblichkeit.
Und die sind wohl, so lange diese Welt sich dreht
in Raum und Zeit.

Am Ende des Kirchenjahres kommt dazu auch das Ende des Lebens besonders in den Blick.
Das Ende des eigenen Lebens, das Ende des Lebens von Menschen oder auch Tieren, die man liebte.

Und auch wenn viele das eigene Lebensende nicht sonderlich fürchten, sondern bestenfalls Angst davor haben, WIE sie sterben werden – der Tod von Menschen, die man liebte, lässt oft das ganze eigene Leben aus den Fugen geraten.

Doch der Traum von der Rückkehr Gottes zum Menschen und umgekehrt, die Vision von Gottes unendlicher Macht und ewiger Klarheit, die Erkenntnis der Ewigkeit Gottes kann das Leben neu machen, neu justieren, so dass Lachen und Jubel von einst auch wieder die von heute werden können.

Denn das ist sicher:
Wann immer und wo immer Gott unter uns wohnt (Joh 1,14), bricht Jubel aus, breitet sich Segen aus,
herrschen Frieden und Freude, in der Ewigkeit ohne Ende.
Und im Abendmahl feiern wir diese Zukunft
in seiner Gegenwart schon jetzt,
denn Gott lässt sie uns träumend schauen:

Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes.
AMEN.

EG 298:
1. Wenn der Herr einst die Gefangnen
ihrer Bande ledig macht,
o dann schwinden die vergangnen
Leiden wie ein Traum der Nacht;
dann wird unser Herz sich freun,
unser Mund voll Lachens sein;
jauchzend werden wir erheben
den, der Freiheit uns gegeben.
2. Herr, erhebe deine Rechte,
richt auf uns den Vaterblick;
rufe die verstoßnen Knechte
bald ins Vaterland zurück.
Ach, der Pfad ist steil und weit,
kürze unsre Prüfungszeit;
führ uns, wenn wir treu gestritten,
in des Friedens stille Hütten.
3. Ernten werden wir mit Freuden,
was wir weinend ausgesät;
jenseits reift die Frucht der Leiden
und des Sieges Palme weht.
Unser Gott auf seinem Thron,
er, er selbst ist unser Lohn;
die ihm lebten, die ihm starben,
bringen jauchzend ihre Garben.

 

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