Nein! Ja! (Mi 4 1-5+7b)

Unseren Gottesdienst am Drittletzten Sonntag des Kirchenjahres zum Nachhören finden Sie für vier Wochen hier.

Die Gefahr:
Dass Hoffnung untergeht
untergeht im Leid unserer Zeiten
dass Menschen unter Menschen verlassen sind
dass ein Leben ohne Gott ist
ohne Antwort
Die Hoffnung:
Der Tag wird kommen
wo jeder Mensch, der
je gelebt hat und lebt
Gott so sehen wird, wie er ist
Liebe, Frieden, Gerechtigkeit

GOTT lässt schon jetzt
Menschen in seinem Geist
leben im Glanz seines Reiches

Selig sind, die Frieden stiften,
denn sie werden Gottes Kinder heißen
(WSp, Mt 5,9)
***
Aus dem Buch das Propheten Micha jetzt der Predigttext. Ich lese aus Kapitel 4 ab Vers 1 (1-5. 7b Gute Nachricht, leicht geändert):

1 Es kommt eine Zeit, da wird der Berg,
auf dem der Tempel des HERRN steht,
unerschütterlich fest stehen
und alle anderen Berge überragen.
Die Völker strömen zu ihm hin.
2 Überall werden die Leute sagen:
»Kommt, wir gehen auf den Berg des HERRN,
zu dem Haus, in dem der Gott Jakobs wohnt!
Er soll uns lehren, was recht ist;
was er sagt, wollen wir tun!«
Denn vom Zionsberg in Jerusalem
wird der HERR sein Wort ausgehen lassen.
3 Er weist mächtige Völker zurecht und schlichtet ihren Streit,
bis hin in die fernsten Länder.
Dann schmieden sie aus ihren Schwertern Pflugscharen
und aus ihren Speerspitzen Winzermesser.
Kein Volk wird mehr das andere angreifen
und niemand lernt mehr das Kriegshandwerk.
4 Jeder Mensch wird in Frieden
bei seinen Feigenbäumen und Weinstöcken wohnen,
niemand braucht sich mehr zu fürchten.
Der HERR, der Herrscher der Welt, hat es gesagt.
5 Jetzt allerdings lebt noch jedes Volk
im Vertrauen auf seinen eigenen Gott
und nach dessen Weisungen.
Wir aber vom Volk Israel
gehen unseren Weg im Vertrauen
auf den HERRN, unseren Gott;
ihm und seinen Weisungen folgen wir.
Und so bleibt es in alle Zukunft.
Und Gott unser HERR,
wird dann für alle Zukunft auf dem Zionsberg
König aller sein.

Der Staat DDR, in dem ich seit 1962 aufwuchs, wollte Gerechtigkeit. Das schrieb er sich auf die Fahnen, das lernte ich in der Schule.

HATTE ich zu lernen. Glauben konnte ich das allerdings nie, denn meine Erfahrungen mit diesem Staat waren andere, waren zu oft das Gegenteil, zumindest für mich.

Die erste Sache, die für mich eine ausgemachte Ungerechtigkeit war, war die sogenannte „demokratische Bodenreform“ ab dem Jahr 1945. Ja, die geschah lange vor meiner Geburt, und doch habe ich sie als zutiefst ungerecht empfunden.

Das hatte merkwürdiger Weise etwas mit meinem Vornamen zu tun. „Malte“ rief in meinem Lebensumfeld immer Erstaunen, oft Ratlosigkeit, manchmal sogar Kopfschütteln hervor: „Malte“ hieß sonst niemand. In meiner Klasse nicht, in meiner Schule nicht, ja nicht einmal in meiner Geburtsstadt Zehdenick – zumindest soweit ich das damals überblicken konnte.

Doch es gab ihn wirklich, diesen Namen, er war keine Erfindung meiner Eltern, und es gab ihn sogar prominent: Malte Ludolph Franz Eugen von und zu Putbus. In der Schule lernte ich ihn als den drittgrößten Großgrundbesitzer Deutschlands kennen, dessen Reichtum zum Himmel schrie und auf dem Rücken der landlosen Bauern erwirtschaftet worden sei. Meine Mitschüler meinten daraufhin, meine Eltern hätten mich besser anders nennen sollen.

Unter der Losung „Junkernland in Bauernhand“ wurden nun dieser Malte und andere Feinde der Arbeiter- und Bauernmacht enteignet und ihr Land unter landlose Bauern verteilt. Endlich Gerechtigkeit für alle.

Doch meine Großmutter Wanda, die gestern vor 126 Jahren geboren wurde, sah das ganz anders. Sie erzählte mir, dass im Heimatdorf ihrer Familie, nämlich in Hohenbruch, Menschen schon deshalb enteignet worden waren, weil sie nur einen Quadratmeter mehr Land besaßen als die 100 Hektar, die man als Enteignungs-Grenze festgelegt hatte.

Und dass sie nicht nur das verloren, was sie mehr als das hatten, sondern alles – Land, Haus, Nebengelass, Besitz – ganz egal, ob sie Nazis gewesen waren oder nicht. Und dass die neuen Machthaber das Land dann oft in Kleinstflächen verteilten.

Meine Großmutter erhielt zum Beispiel in Hohenbruch kurz vor dem Weg zur Schleuse eine Fläche von einem halben Hektar, um die sie sich dann zu kümmern hatte. Ohne Wasseranschluss, ohne Schuppen oder Scheune, ohne Haus, dafür aber mit so weitem Fußweg dorthin, dass er bei Wind und Wetter und dazu mit Arbeitsgeräten eine Zumutung war.

Das war nicht einmal gut zum Anbau von Gemüse, brachte nur Arbeit und einmal im Jahr ein paar Pflaumen. Nicht einmal die Genehmigung für den Bau eines Hauses darauf würde man bekommen. Und das alles auf Kosten von Menschen, die man kannte, die vielleicht sogar Freunde waren.

Und dieser Malte von und zu Putbus, der war doch im Februar 1945 von den Nazis im KZ Sachsenhausen umgebracht worden. Und dessen Familie hatte man einfach ein paar Monate später auch noch von Land und Hof verjagt.

Was bitte, meinte meine Großmutter, sollte daran gerecht sein? Und für mich hatten meine Großmutter recht und meine Lehrer unrecht. Unrecht durch Unrecht zu beseitigen – das konnte nicht funktionieren.

Ungerecht empfand ich auch, dass meine Reisefreiheit eigentlich aufgehoben wurde. Dass ich all die aus meiner Familie, die im Westen wohnten und die ich wirklich gern hatte, nicht einfach in den Ferien besuchen durfte.

Die genehmigten Alternativen, in den Ferien mal nach Polen oder in die Tschechoslowakei zu fahren, empfand ich mit den Jahren zunehmend als nicht gut für mich. Ja, auch dort lebten Menschen, und auch dort hatte ich Freunde.

Aber wenn mein sozialistisches Vaterland schon überall grau und trist für mich war und nach Braunkohlefeuerung und Zweitaktbenzin roch, waren unsere Nachbarländer das noch viel mehr. Ein Urlaubsgefühl kam für mich dort bestenfalls dann auf, wenn ich irgendwo im Gebirge oder am Strand der Ostsee im Pommern oder sonst mitten in der Natur war.

Die Bilder aus dem unerreichbaren Westen aber, die selbst im Schwarz-Weiß-Fernseher für mich bunt aussahen, waren da schon etwas anderes. Dahin hätte ich gern gewollt.

Ungerecht empfand ich auch, dass ich meine Meinung nicht öffentlich äußern konnte, ohne erhebliche Nachteile in Kauf nehmen zu müssen. Meinungs- und Versammlungsfreiheit waren zwar durch Artikel 27 der DDR- Verfassung garantiert, doch diese Garantie war nicht viel wert, weil die Verfassung zur Auslegeware der Mächtigen verkommen war.

Das war nicht zuletzt daran abzusehen, dass die Sommerrüstzeiten meiner Jungen Gemeinde bald nur noch an der polnischen Ostseeküste auf Zeltplätzen stattfanden, weil sie in meiner DDR nicht mehr geduldet waren, und nach der Verhängung des Kriegsrechtes in Polen 1981 dann nicht einmal mehr dort.

Ungerecht empfand ich auch das Kriegsgebaren der Sowjetunion. Ja, auch die Kriege zuvor in Korea oder Vietnam. Doch Sowjetsoldaten waren die, mit denen ich lebte. Sowohl in Vogelsang bei Zehdenick, wo fünfzehntausend oder mehr Soldaten stationiert waren, oder auch später in meiner Heimatstadt Brandenburg: Sie waren überall.

Und die marschierten 1979 auch in Afghanistan ein – wegen eines Hilfeersuchens einer kommunistischen Regierung dort, die ihrerseits auch nur durch einen durch die SU unterstützen Putsch an die Macht gekommen war.

Die kyrillischen Buchstaben an den überall sichtbaren Militärfahrzeugen, die eigentlich Kürzel für Sowjetskaja Armia waren, für uns aber aussahen wie ein CA, wurden schnell zu „camping afghanistan“ umbenannt. Es begann ein grausamer Stellvertreterkrieg im „Kalten Krieg“, der fast zehn Jahre dauerte, weit über eine Million Menschen tötete und fünf Millionen in die Flucht trieb…

Ich könnte meine Ungerechtigkeitsliste nun noch um vieles verlängern, aber es ist euch sicher schon jetzt deutlich, warum ICH den DDR-Machthabern nicht abnehmen konnte, dass sie für eine Gerechtigkeit eintreten würden, die auch ich als solche hätte akzeptieren können: Eine Gerechtigkeit nicht nur für einige wenige.

Und die Macht, etwas daran zu ändern, glaubte ich nicht zu haben. Die Machtfrage sei entschieden, meinte mein Vater manchmal, und das Wort der Väter hat ja Gewicht…

Über die Umstände, unter denen das Buch des Propheten Micha entstand, weiß man nur wenig sicher, ebenso wenig wie über die genaue Zeitspanne seiner Worte. Aber geschichtliche Fakten lassen sich schon zuordnen. Ungerechtigkeiten bei der Verteilung von Grund und Boden, Korruption, Einschränkungen der Grundfreiheiten der Menschen, Krieg und Verfolgung: All das gab es auch zu Zeiten der Propheten, von denen Micha einer war.

Und die Sehnsucht der Menschen nach einer Gerechtigkeit für alle – auch die gab es schon damals, und auch die war schon damals groß. Und genau dieses Bild einer umfassenden Gerechtigkeit wird hier im Michabuch entwickelt:

Der Zion, der Berg des „Hauses JHWHs“, der Tempelberg, aus der Perspektive der babylonischen und persischen Großmächte ein unbedeutender Hügel, wird zum höchsten Berg, zu dem viele Völker strömen.

Sie alle werden nicht genötigt, nicht gezwungen, nicht deportiert. Sie WOLLEN da hin, wollen diesen neuen Weg, weil sie spüren: Alle ihre alten Wege führen ins Unglück. DARUM sagen sie (V 2): „Kommt, wir gehen auf den Berg des HERRN, zu dem Haus, in dem der Gott Jakobs wohnt! Er soll uns lehren, was recht ist; was er sagt, WOLLEN wir tun!“
Denn sie spüren diese neue, diese friedliche Macht: „ vom Zionsberg in Jerusalem wird DER HERR sein Wort ausgehen lassen“.

Und dieses Wort des Herrn, des Gottes Israels, hat bisher nie dagewesene, ja unglaubliche Folgen: „Dann schmieden sie aus ihren Schwertern Pflugscharen und aus ihren Speerspitzen Winzermesser. Kein Volk wird mehr das andere angreifen und niemand lernt mehr das Kriegshandwerk. Jeder Mensch wird in Frieden bei seinen Feigenbäumen und Weinstöcken wohnen, niemand braucht sich mehr zu fürchten“ (V 3+4).

Gottes Wort aus dem Munde Michas: Ein klares, deutliches NEIN! zum Zustand dieser Welt, ihrer menschengemachten Ungerechtigkeiten, des Leids, das so über die Menschen gebracht wurde und wird.

Ein klares, deutliches JA! zum Wollen und Wirken des Gottes Israels, der Frieden unter den Menschen will und kein Krieg, Barmherzigkeit und keine Gewalt, Leben durch Liebe und nicht durch Hass. Das ist der Kern der Weisung Gottes, der sich durch die zehn Gebote bis hin zur neutestamentlichen Summe des Gesetzes zieht:
Gott IST die Liebe in Person.
Und DAS ändert alles.

Meine Schwestern, meine Brüder:

Seit 1980 gibt es sie.
In den Niederlanden als Friedenswoche ins Leben gerufen, wurde die Initiative von den Kirchen in der DDR im gleichen Jahr aufgenommen und fast zeitgleich auch im Westen Deutschlands, dort bei dem von der Aktion Sühnezeichen – Friedensdienste und der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden organisierten Festival der Friedensdienste. Aus der Woche wurde eine Dekade, die ökumenische Friedensdekade, die seither in jedem Jahr mit diesem drittletzte Sonntag im Kirchenjahr beginnt und am Buß- und Bettag endet.

Ihr Symbol wurde das Michawort „Schwerter zu Pflugscharen“. Ein Aufnäher wurde gestaltet, der eine Skulptur darstellt, die die Sowjetunion eins der UNO in New York schenkte. Sozialistischer Realismus: Ein Muskulöser Mann schmiedet aus einem Schwert eine Pflugschar.

Viele trugen diesen Aufnäher bereits 1981. Die bundesgrüne Petra Kelly trug 1983 bei einem Treffen mit Erich Honecker ein T-Shirt damit und schaffte es damit sogar auf die erste Seite des ND.

Ich hatte auch einen solchen Aufnäher an meiner Jacke. Für mich war das damals mein NEIN zu den politischen Zuständen in meinem Land, mein JA zum Gott der Liebe.

Die Staatsführung der DDR erkannte allerdings bald, dass diese Aufnäher kein Lob an die Sowjetunion für ihr Geschenk an die UNO, sondern ein Tadel ihrer sozialistischen Realpolitik war und schritt ein. Man konnte den Aufnäher schlecht verbieten. Aber man konnte Menschen festsetzen und sie so zwingen, ihn zu entfernen. Bei mir übernahm das die Transportpolizei auf dem Brandenburger Hauptbahnhof.

Doch wie höre ich dieses Prophetenwort heute, am Beginn der Friedensdekade 2024? In einem Jahr, in dem in Israel und bald auch in den USA Männer Präsidenten sein dürfen, die sich vor aller Augen den gegen sie anstehenden Gerichtsverfahren entziehen? In dem die Taliban in Afghanistan Frauen und Mädchen entrechten? In dem nicht nur in Israel-Palästina und der Ukraine Kriege toben, sondern fast auf jedem Erdteil – ausgenommen die Antarktis und Australien: Drogenkrieg in Mexiko, Bürgerkrieg in Äthiopien, Myanmar, Sudan? In einer Welt so voller Hass und Ungerechtigkeit? In einem Land, in dem die Politik unwillig zu sein scheint, ihre Arbeit zu machen?

Mir ist klar, dass „Schwerter zu Pflugscharen“ kein Rezept zum Umgang mit Regierungen wie denen in Russland, Nordkorea oder dem Iran ist oder sein kann.

Aber die große Friedensvision des Micha bleibt doch, was sie schon immer war: Das klare, deutliche NEIN zum Zustand dieser Welt. Das klare, deutliche JA zum Gott des Friedens und der Liebe.

So wird für mich ein zunächst unscheinbarer Vers dieser Micha-Vision immer wichtiger: „Jetzt allerdings lebt noch jedes Volk im Vertrauen auf seinen eigenen Gott und nach dessen Weisungen.
Wir aber vom Volk Israel gehen unseren Weg im Vertrauen auf den HERRN, unseren Gott; ihm und seinen Weisungen folgen wir. Und so bleibt es in alle Zukunft“ (V5).

Denn dieser Vers bedeutet doch: Egal, wie lange es dauert, bis die Zeit anbricht, in der Schwerter zu Pflugscharen umgeschmiedet werden: Wir, das Gottesvolk, folgen diesem Gott des Friedens HEUTE schon, und das für immer.

Dann KANN die Machtfrage auf dieser Welt nie entschieden sein. So, wie sie sich durch eine Wahl dieses Herrn Trump zum augenscheinlichen Unfrieden für die Menschen gewendet hat, kann sie sich auch wieder ins Gute, zum Frieden hin wenden, wenn Menschen dem Weg Gottes folgen.

Auch wenn es anstrengend ist und bleiben wird, lebenslang diesem Weg zu folgen, zu diesem Weg das Ja zu sprechen und das Nein zum Sosein dieser Welt, so trägt doch der Glaube:

Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes

werden Gerechtigkeit, Frieden und Liebe schaffen.
Jetzt – und eines Tages für alle.

AMEN

EG 426

1. Es wird sein in den letzten Tagen,
so hat es der Prophet gesehn,
da wird Gottes Berg überragen
alle anderen Berge und Höhn.
Und die Völker werden kommen
von Ost, West, Süd und Nord,
die Gott Fernen und die Frommen,
zu fragen nach Gottes Wort.
Auf, kommt herbei!
Lasst uns wandeln im Lichte des Herrn!
2. Es wird sein in den letzten Tagen,
so hat es der Prophet geschaut,
da wird niemand Waffen mehr tragen,
deren Stärke er lange vertraut.
Schwerter werden zu Pflugscharen
und Krieg lernt keiner mehr.
Gott wird seine Welt bewahren
vor Rüstung und Spieß und Speer.
Auf, kommt herbei!
Lasst uns wandeln im Lichte des Herrn!
3. Kann das Wort von den letzten Tagen
aus einer längst vergangnen Zeit
uns durch alle Finsternis tragen
in die Gottesstadt, leuchtend und weit?
Wenn wir heute mutig wagen,
auf Jesu Weg zu gehn,
werden wir in unsern Tagen
den kommenden Frieden sehn.
Auf, kommt herbei!
Lasst uns wandeln im Lichte des Herrn.

 

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