Ihr. sollt. heilig. sein. (3 Mose 19 1–3. 13–18. 33–34)

Unser Gottesdienst am 13. Sonntag nach Trinitatis zum Nachhören ist für vier Wochen hier zu finden.

Heilig, heilig, heilig,
heilig ist der Herr,
heilig, heilig, heilig,
heilig ist nur er.

Er der nie begonnen,
er, der immer war,
ewig ist und waltet
sein wird immerdar.

Allmacht, Wunder, Liebe,
alles rings umher!
Heilig, heilig, heilig,
heilig ist der Herr.

Weil Menschen denken, wie sie denken
reden, wie sie reden
handeln, wie sie handeln
ächzt die Schöpfung
leiden Menschen Qualen
sterben vor der Zeit
Die Liebe aber sagt in Christus:

Was ihr getan habt
einem
von diesen meinen geringsten Brüdern,
das habt ihr mir getan.
Mt 25,40
***

‚Ihr sollt heilig sein; denn ich, der HERR, euer Gott, bin heilig.
3 Jeder soll seine Mutter und seinen Vater ehren und den wöchentlichen Ruhetag, meinen Sabbat, beachten. Ich bin der HERR, euer Gott!
13 Erpresst und beraubt nicht eure Mitmenschen. Wenn jemand um Tageslohn für euch arbeitet, dann zahlt ihm seinen Lohn noch am selben Tag aus.
14 Sagt nichts Böses über einen Tauben, der es nicht hören und sich nicht wehren kann, und legt einem Blinden keinen Knüppel in den Weg. Nehmt meine Weisungen ernst: Ich bin der HERR!
15 Wenn ihr einen Rechtsfall zu entscheiden habt, dann haltet euch streng an das Recht. Bevorzugt weder den Armen und Schutzlosen noch den Reichen und Mächtigen. Wenn ihr als Richter über einen Mitmenschen das Urteil sprecht, darf allein die Gerechtigkeit den Maßstab abgeben.
16 Verbreitet keine Verleumdungen über eure Mitmenschen. Sucht niemand dadurch aus dem Weg zu schaffen, dass ihr vor Gericht falsche Anschuldigungen gegen ihn vorbringt. Ich bin der HERR!
17 Wenn du etwas gegen deinen Bruder oder deine Schwester hast, dann trage deinen Groll nicht mit dir herum. Rede offen mit ihnen darüber, sonst machst du dich schuldig.
18 Räche dich nicht an deinem Mitmenschen und trage niemand etwas nach.
Liebe deinen Mitmenschen wie dich selbst.
Ich bin der HERR!‘
33 Unterdrückt nicht die Fremden, die bei euch im Land leben,
34 sondern behandelt sie genau wie euresgleichen. Jeder von euch soll seinen fremden Mitbürger lieben wie sich selbst. Denkt daran, dass auch ihr in Ägypten Fremde gewesen seid. Ich bin der HERR, euer Gott!

Ihr. sollt. heilig. sein.
Ein Festival der Vielfalt sollte es werden, dieses Stadtfest zum 650jährigen Bestehen der Stadt Solingen. Am Freitagabend hatte es begonnen. Doch eine Messerattacke beendete den Traum von fröhlichem, ausgelassenen Miteinanderfeiern.

Mehrere Todesopfer gibt es und Menschen, die in Krankenhäusern um ihr Leben ringen. Sicherheitskräfte sperren den Marktplatz der Innenstadt ab. Die Bewohner werden aufgefordert, in ihren Wohnungen zu bleiben. Der oder die Täter seien noch nicht gefasst, ist in den Nachtnachrichten zu hören. Angst geht um und Entsetzen über das Unfassbare.

So kann man nicht miteinander leben, wenn man Angst haben muss, einen Fuß auf die Straße zu setzen. Und wer glaubt, dass Solingen weit weg und man hier in Brandenburg und Hohenbruch sicher sein könne, hat schon die letzten Wohnungseinbrüche vergessen, die alle treffen können und das Gefühl der Verletzlichkeit selbst der eigenen vier Wände zurücklassen.

Zumal die Gefahr auch von innen kommen kann. Gewalt in der Familie, Gewalt in der Kirche, Gewalt im Chor, im Sportverein, in der Schule. Menschenbeziehungen werden zumeist irreparabel zerstört und lassen lebenslange Traumata zurück. So kann man nicht miteinander leben, das ist unheilig.

Ihr. sollt. heilig. sein.
Doch was ist das eigentlich: Heilig?
Als wir im Musikunterricht in der Schule das Lied „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“ lernten, hatte ich vor allem mit dem Vers „ewig der Sklavrei ein Ende, heilig die letzte Schlacht“ meine Probleme.

Ich dachte: Geht das, eine Schlacht heilig zu sprechen? Ein Gemetzel, in der Menschen andere Menschen um ihr Leben bringen, nur weil die ein anderes Leben führen wollten?

Im Vorfeld des Deutschen Evangelischen Kirchentages 2013 wurden zweitausend Deutsche über 14 Jahre befragt, was ihnen heilig sei. Das Ergebnis: 73 Prozent der Deutschen ist die Familie heilig, 53 Prozent die Kinder, 52 Prozent die Partner, 13 Prozent die Religion.

Gefragt wurde auch nach Werten, die als heilig angesehen werden: 42 Prozent nannten Ehrlichkeit, 40 Prozent die Menschenwürde, 38 Prozent Gerechtigkeitsgefühle, 34 Prozent Verlässlichkeit. Nicht ganz so wichtig waren damals die Ehrfurcht vor der Natur mit 24 Prozent oder die Toleranz mit 21 Prozent. Wäre das heute, elf Jahre danach anders?

Mit den Umfragen ist es allerdings wie mit Statistiken – ich glaube nur die, die ich selbst geschrieben habe, denn zu unterschiedlich sind die Voraussetzungen und Bedingungen, unter denen sie entstehen.

Alle Angaben dieser Umfrage eben drehten sich ja irgendwie um Beziehungen zwischen Menschen. Ich kenne aber Menschen, denen sind auch Dinge heilig. Autos oder Boote zum Beispiel. Sie opfern ihnen den größten Teil ihrer Freizeit, kämen niemals auf die Idee, andere damit fahren zu lassen oder gar zu verborgen. Dann fallen mir noch Karrieren ein oder Eigenheime oder das Vermögen auf der Bank. Wenn es um diese ihnen „heiligen“ Dinge geht, verstehen sie plötzlich keinerlei Spaß mehr.

Ihr. sollt. heilig. sein.
Heilig: Was genau ist das nun? Das Wort „heilig“ kommt von dem germanischen Wort helgen, was „zueignen“ bedeutet. Ich verstehe das so, dass etwas durch diese Zueignung ein Teil meines Lebens, vielleicht gar von mir selbst wird. Weil es mit so wichtig wird, dass ich mir ein Leben ohne dieses „Heilige“ nicht mehr vorstellen kann.

Die Sehnsucht nach dem „Heiligen“ steckt wohl in allen Menschen. Und da geht es dann doch eher weniger um materielle Heiligtümer wie Besitz oder Karriere, sondern um ein gelingendes, glückliches Leben. So gesehen war die Umfrage vorhin für mich denn doch auf der richtigen Spur: Es geht um gelingende, glückliche Beziehungen.

Wir Menschen versuchen daher immer wieder und immer wieder neu, die Beziehungen verbindlich zu beschreiben. Dass die Eltern zu fürchten seien, wie es in unserem Bibeltext (V 3) hieß oder zu ehren, wie das im 5. Gebot (4. Gebot in lutherischer/katholischer Zählung) heißt, hat ja nicht nur da ihren Grund, dass sie einem das Leben möglich machten und einen groß gezogen haben.

Von ihrer Generation hören und lernen wir, worauf es ihnen im Leben ankommt. Eltern sind also diejenigen, die uns ihre Grundlage der Regeln, nach denen Menschen zusammenleben, in unser eigenes Leben tragen. Einige dieser Regeln wurden für uns „heilig“, wurden zu unseren Regeln, weil wir sie uns aneigneten, andere wiederum nicht. Und inzwischen kann man ja Regeln, auf die man sich bereits geeinigt hat, nicht nur weitersagen, sondern auch aufschreiben und drucken lassen.

Da wären wir bei den Gesetzen. In unserem Land regelt zum Beispiel das Bürgerliche Gesetzbuch so gut wir alle Fragen des täglichen Lebens in unserer Gesellschaft. Es hat derzeit 2385 Paragraphen, jeder für sich eine gesetzliche Regel.

Doch die meisten Menschen werden die 2385 Gesetze darin nicht kennen, werden einzelne vielleicht noch nie gehört haben. Oder werden sie entweder nie verstehen oder akzeptieren.

„Die Rechtsfähigkeit des Menschen beginnt mit der Vollendung der Geburt“ zum Beispiel. Juristisch ist das vielleicht zu nachzuvollziehen. Doch ethisch ist das umstritten: Haben ungeborene Kinder keine Rechte?

Ein anderes Beispiel: Manch einer wird auch die Sache mit den Erbschaftsregelungen nie akzeptieren, weil er meint, dass all das, was er in seinem Leben erwirtschaftet hat, ihm allein gehört. Also will er auch allein bestimmen dürfen, wer erbt und wer nicht.

Und die Sache mit der Erbschaftssteuer hat ja schon fast Potential für einen Bürgerkrieg: Die einen sind glühende Verfechter, die anderen lehnen sie grundsätzlich ab.

Man kann sicher viele weitere Beispiele benennen. Damit kommt die Frage auf: Welche Gesetze eigenen sich die einzelnen Menschen an, welche sind für ihr Leben wichtig geworden, also „heilig“?

Die Sehnsucht nach „heiligen“ Gesetzen steckt dem Menschen doch im Blut, denn jeder Mensch möchte ein gutes Leben führen dürfen und glücklich auf dieser Erde sein. Oder zumindest nicht unglücklich!

Also: Welcher MAßSTAB gilt für „das Heilige“? Was sollte wirklich heilig sein, also immer und für alle gelten? Worauf ist wirklich Verlass?

Ihr. sollt. heilig. sein.
Die Sehnsucht nach dem Heiligen treibt auch die Kultusgemeinde Israel um. Man rückt im 4. Jahrhundert vor Christi Geburt enger zusammen und fragt, was künftig in der Tempelgemeinschaft gelten soll.

Die Priester haben in dieser Diskussion einen großen Einfluss, ihre Meinung hat Gewicht. Ihre ausführliche Interpretation und Auslegung der Gebote ist das, was uns im 3. Buch Mose, dem Buch „Leviticus“ vorliegt. Sie legen hier das auf den Tisch, was für sie „heilig“ ist, also angeeignet werden sollte, damit das Zusammenleben gelingen kann.

Doch ist es automatisch „heilig“, nur weil es in der Bibel steht? Wer sich die Mühe macht, das ganze Buch Leviticus zu lesen, merkt schnell, dass es ein Zeugnis seiner Zeit ist. Vorschriften, wer mit wem schlafen darf, welche Tiere gegessen werden dürfen und welche nicht, wie der Ausschlag bei Menschen, ja sogar der Ausschlag bei Häusern oder Kleidungsstücken zu behandeln sind, wie geopfert werden muss und wie nicht – all diese Regeln berühren unser Leben nicht und werden uns schon darum nicht heilig werden.

Selbst wer nur das Kapitel 19 als Ganzes liest, aus dem der Bibeltext für heute eine Auswahl darstellt, wird berechtigt Zweifel an der Heiligkeit einer Regeln haben:

19,19: „Lege kein Kleid an, das aus zweierlei Faden gewebt ist.“ Doch wer von uns würde freiwillig auf Textilien verzichten, die aus Mischgewebe hergestellt sind? Von der Unterhose bis zur textilen Motorradkombi ist mein Kleiderschrank voll davon, und euch wird es da ähnlich gehen.

Und 19,27 erinnert mich mehr an die neuen Vorschriften der Taliban in Afghanistan als an ein ernst zu nehmendes heiliges Gesetz meiner heiligen Schrift: „Ihr sollt euer Haar am Haupt nicht rundherum abschneiden noch euren Bart stutzen.“ Das ist zumindest ein Fall für den Gleichstellungsbeauftragten.

In Kapitel 20,9 heißt es dann sogar: „Wer seinem Vater oder seiner Mutter flucht, der soll des Todes sterben.“ Ja, seinen Eltern Flüche hinterherzuschicken ist sicher keine nette Sache. Wie aber soll das „des Todes sterben“ gemeint sein, wenn man doch nicht töten darf?

Die Verse in unserer Text-Auswahl nennen nun allerdings gerade die Gebote, die hier kaum jemand ablehnen dürfte, weil sicher jeder von euch innerlich spürt, dass sie einfach richtig, dass sie Wahrheit sind:

Achtung der alten Generation, Fairnessverpflichtung gegenüber dem Mitmenschen, die Achtung vor Menschen mit Behinderungen. Ablehnung von Korruption und Verleumdung, Ablehnung der Rache, „du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“.

Und die ausdrückliche Schutzverpflichtung für Geflüchtete mit der Erinnerung an die eigene Geschichte des Geflüchtetseins. Flucht vor Elend und Krieg stehen auch bei fast jedem von uns irgendwo im Familienstammbaum. Nicht nur Verpflichtung zum Schutz, sondern gar zur Liebe: Sie sollen unter uns wohnen wie Einheimische, ich soll sie lieben wie mich selbst…

Ja, wieviel Elend würde mit der Einhaltung dieser Regeln vermieden, hier bei uns wie in dieser Welt!

Meine Schwestern, meine Brüder:

Ihr. sollt. heilig. sein.
Wahrscheinlich ahnen hier alle, dass damit Wahrheiten ausgesprochen werden, die SCHON immer und FÜR immer Grundlage für gelingendes Miteinander und damit gelingendes Lebens sind. Sie sind auch die Grundlage dessen, was Jesus im Tagesevangelium über den barmherzigen Samariter erzählt, diesen Ausländer, der sich um das kümmert, was dem Ausgeraubten not tut. Diese Wahrheiten hätten also das Zeug dazu, dass wir sie wirklich heilig halten.

Doch werden WIR dadurch heilig, wenn wir diese Regeln erfüllen?
Ihr erinnert euch, wir lesen es im Gottesdienst öfter, dass der Heidelberger Katechismus fragt: Können aber die zu Gott Bekehrten diese Gebote vollkommen halten? und antwortet:
Nein, sondern es kommen auch die frömmsten Menschen in diesem Leben über einen geringen Anfang dieses Gehorsams nicht hinaus…. (HK 114)

Nein, unsere Karten liegen schlecht. Wir haben nicht das Zeug dazu, all diese Regel einzuhalten. Die zehn Gebote nicht, die 613 Gesetze der Tora nicht, die 2385 Paragraphen des Bürgerlichen Gesetzbuches nicht. Jeder Mensch hat doch MINDESTENS zwei Seiten – eine gute und eine schlechte. Und die schlechte kann er vielleicht in Schach halten. Aber ablegen kann er sie nie.

Und das bedeutet doch: Aus uns selbst heraus KÖNNEN wir nie und nimmer heilig werden. Und doch zeigt unser Bibeltext klar und deutlich, wie das dennoch geht.

Wir glauben an Gott, die Allmacht, die Schöpferkraft, die Unendlichkeit, die Ewigkeit, die nur in Gott sind.
Wirklich heilig kann für uns darum nur Gott allein sein, so steht es hier auch im Text, der uns Gott hören lässt:
Ich BIN heilig!

Wir glauben doch daran:
Es KANN nichts Heiliges geben, es kann nichts Heiliges sein als Gott allein. Und genau GOTT ist es, der uns hören lässt:
Ihr. sollt. heilig. sein.

Wir werden heilig, weil WIR Gott heilig sind.
Er – der Schöpfer!- ist es, der sich UNS – seine Geschöpfe! aneignet, uns zur „Gemeinschaft der Heiligen“ macht:
Zu Menschen, die bei ihren täglichen Entscheidungen unterscheiden lernen zwischen dem,
was gut für das Leben ist und was schadet.
Zu Menschen, die begreifen, dass sie Geschöpfe sind und ihre Entscheidungen an Gott messen.
Allein an Gott, der Schöpfermacht,
aus der alles ist, was existiert, alles, was lebt.

Die Liebe Gottes die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sagen es uns zu:
Ihr. sollt. heilig. sein.
AMEN

EG 263: 1.6.7

1. Sonne der Gerechtigkeit,
gehe auf zu unsrer Zeit;
brich in deiner Kirche an,
dass die Welt es sehen kann.
Erbarm dich, Herr.
6. Lass uns deine Herrlichkeit
ferner sehn in dieser Zeit
und mit unsrer kleinen Kraft
üben gute Ritterschaft.
Erbarm dich, Herr.
7. Kraft, Lob, Ehr und Herrlichkeit
sei dem Höchsten allezeit,
der, wie er ist drei in ein,
uns in ihm lässt eines sein.
Erbarm dich, Herr.

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