Unser Gottesdienst am sonntag Rogate zum Nachhören ist für vierzehn Tage hier zu finden.
Kurt Marti:
Auch ich kann nicht beten.
Ich glaube,
man sieht uns allen an,
dass wir nicht beten können.
Man sieht es auch denen an,
die weiterhin beten
oder zu beten meinen.
Dennoch kann ich mir
die Sprache einer besseren Zukunft
nicht vorstellen
ohne etwas
wie Gebete.
Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft
noch seine Güte von mir wendet!
Ps 66, 20
***
Aus dem 2. Buch Mose (Exodus), Kap. 32 (7-14)
Der HERR sprach aber zu Mose: Geh, steig hinab; denn dein Volk, das du aus Ägyptenland geführt hast, hat schändlich gehandelt. Sie sind schnell von dem Wege gewichen, den ich ihnen geboten habe. Sie haben sich ein gegossenes Kalb gemacht und haben’s angebetet und ihm geopfert und gesagt: Dies sind deine Götter, Israel, die dich aus Ägyptenland geführt haben… Ich habe dies Volk gesehen. Und siehe, es ist ein halsstarriges Volk. Und nun lass mich, dass mein Zorn über sie entbrenne und sie verzehre; dafür will ich DICH zum großen Volk machen.
Mose wollte den HERRN, seinen Gott, besänftigen und sprach: Ach, HERR, warum will dein Zorn entbrennen über dein Volk, das du mit großer Kraft und starker Hand aus Ägyptenland geführt hast? Warum sollen die Ägypter sagen: Er hat sie zu ihrem Unglück herausgeführt, dass er sie umbrächte im Gebirge und vertilgte sie von dem Erdboden? Kehre dich ab von deinem glühenden Zorn und lass dich des Unheils gereuen, das du über dein Volk bringen willst. Gedenke an deine Knechte Abraham, Isaak und Israel, denen du bei dir selbst geschworen und verheißen hast: Ich will eure Nachkommen mehren wie die Sterne am Himmel, und dies ganze Land, das ich verheißen habe, will ich euren Nachkommen geben, und sie sollen es besitzen für ewig.
Da gereute den HERRN das Unheil, das er seinem Volk angedroht hatte.
Rogate – dass es heute um das Gebet geht, wissen nun wohl alle hier. Sicher auch, dass Gebet Kommunikation mit Gott ist. Und dass jede Beziehung leidet, wenn die Kommunikation darin leidet.
Und schließlich weiß man sicher auch, dass die Kommunikation mit Gott schwierig ist – NOCH schwieriger als die mit dem Menschen neben mir, der meine Sprache spricht. Denn Gottes Sprache muss man lernen, und seine Stimme zu hören auch.
In dieser Erzählung über die Fürbitte des Mose für sein Volk allerdings scheint es ganz anders zuzugehen: Gott spricht mit Mose in klarer Sprache, die beide verstehen; Mose packt Gott scheinbar mühelos bei seiner Ehre (was werden die Ägypter sagen, wenn du das Volk vor die Hunde gehen lässt!); Gott lässt sich von seinem zweifellos berechtigten Zorn gegen sein Volk abbringen und lässt davon ab, Israel zu vernichten.
All das aber hat nur wenig mit unserem Erfahrungsschatz zu tun. Wir kennen schlimmere Verfehlungen als den Tanz um ein goldenes Kalb. Auch wenn man ahnen kann, dass dieses Bild der Verfehlung mehr meint als es ausspricht: Es gibt wirklich schlimmere Dinge auf der Welt als so ein harmloser Aberglauben.
Da müssen wir nur auf die großen Kriege in der Welt oder auf die zusammengeschlagenen Wahlplakatkleber in Dresden am Freitag sehen:
Die zweifellos bekannten Gebote Gottes oder die Jesuanische „Summe des Gesetzes“, die uns zur Liebe gegen Gott und unseren Nächsten und uns selbst mahnt, haben mit all dem jedenfalls nichts zu tun. Die großen und kleinen Gehässigkeiten und Bevormundungen oder die Gleichgültigkeit gegenüber Geschöpfen und der Schöpfung Gottes ebenso wenig.
Was ist da ein Tanz um ein Standbild aus Blech, selbst wenn es aus purem Gold gewesen sein sollte, mehr als der Kleinglaube an ein Zeitungshoroskop? Sollte die Toleranzschwelle Gottes in den paar tausend Jahren bis heute, die für ihn doch weniger als eine Minute sind, inzwischen so hoch geworden sein, dass er heute zu all dem schweigt?
Und was hat unsere Rede vom Gott der Liebe gemein mit dieser Rede vom zürnenden Gott, der bereit gewesen sein soll, seinem Volk erst Treue zuzusagen und es dann in glühendem Zorn zu vernichten?
Schließlich: Soll es Menschen wirklich möglich sein, Gott umzustimmen, wie das hier Mose gelungen sein soll? Hätte Gott dann nicht einst auch die Chemieklausur verhindern müssen, zumal ich ihn mit unschlagbaren Argumenten nur um eine Verschiebung gebeten hatte?
Wenn wir uns das so einfach machen würden,
würden wir gleich zwei wesentliche Fehler machen.
Zum ersten würden wir verdrängen, dass hier ein MENSCH über seine Gottesvorstellung schreibt. Und das nicht heute oder gestern, sondern vor weit über zweitausend Jahren. Dass er – oder sie – da Worte und Bilder nutzt, die in die Zeit damals passen und gehören, liegt doch auf der Hand.
Zum anderen, und das wiegt für mich noch schwerer, würden wir unsere Erfahrungen mit der Welt und unsere Gottesvorstellungen zum Maßstab dessen machen, was gelten oder eben nicht gelten soll.
Damit aber würden wir uns keinen Gefallen tun, würden wir so doch eine Gelegenheit verstreichen lassen, Gott vielleicht näher zu kommen als wir es jetzt sind. Der Tanz ums goldene Kalb ist nicht lediglich eine Kritik an der kapitalistischen Weltordnung, das wäre wirklich zu billig.
Vielleicht haben uns die Welterfahrung und Gottesvorstellung Israels in unserer Erzählung doch MEHR zu sagen als es auf diesen ersten Blick hin den Anschein hat. Lasst uns also zunächst einmal genauer hinsehen.
„Als aber das Volk sah, dass Mose ausblieb und nicht wieder von dem Berge herabkam, sammelte es sich gegen Aaron und sprach zu ihm: Auf, mache uns Götter, die vor uns hergehen! Denn wir wissen nicht, was diesem Mann Mose widerfahren ist, der uns aus Ägyptenland geführt hat.“ (Ex 32,1) Dieser Vers lässt uns die Lage Israels erkennen. Sie ist schlicht verzweifelt.
Hinter Israel liegt Ägypten – der Tod. Denn die Rückkehr dorthin ist ausgeschlossen. Solange sich Israel den Regeln der Versklavung unterworfen hatte, konnte man dort überleben. Jetzt aber war man aus der Versklavung ausgebrochen, und der Weg dorthin zurück war keine Alternative.
Vor Israel lag die Wüste. Ja, irgendwo dahinter sollte das Land liegen, das verheißen war. Nur wann würde man endlich dort ankommen? Und was würde Israel dort erwarten? Wir lesen, dass es vierzig Jahre dauerte und dass sie im Land, in dem Milch und Honig flossen, nicht mit offenen Armen empfangen wurden.
Wann hätte man Wirtschaftsflüchtlinge je willkommen geheißen? Mit Waffengewalt trat man ihnen entgegen. Die Fremden mochten bleiben, wo sie wollten, nur nicht hier. Und ihren Gott sollten sie auch gleich wieder mitnehmen.
Ach ja, ihren Gott. Sie redeten von ihm, nur hatte niemand eine genaue Vorstellung von ihm. Irgendwer meinte, mit ihm sprechen zu können. Aber einen ordentlichen Namen hatte er ebenso wenig wie dass man ihn irgendwo hätte ansehen können. Israel hatte also ganz schlechte Karten, wenn es um die Kommunikation mit neuen Nachbarn ging. Die wussten, wie ihr Gott hieß und wie er aussah und was er wollte.
Hinter Israel lag der Tod. Vor Israel lag die Ungewissheit, und viele sahen schwarz für ihre Zukunft. Und als ob all das noch nicht genug war: „Wir wissen nicht, was diesem Mann Mose widerfahren ist“… Mose, ihr charismatischer Anführer, war verschwunden. Einfach weg. Schon über einen Monat war er in den Bergen verschwunden, niemand konnte wissen, ob er überhaupt noch lebte.
Wie sollte Israel überleben, wenn es nicht einmal einen Gott zum Vorzeigen hatte? Was sollte Aaron anderes tun, als einen Gott zu basteln? Es ging ja nicht einmal darum, einen ANDEREN Gott zu schaffen, sondern die Kräfte SICHTBAR zu machen, die sie aus Ägypten geführt hatten. Nur so kam man auf Augenhöhe mit den Anderen.
Etwas zum Vorzeigen: Ein Gott aus Gold. Ein Kalb – oder vielleicht ein Stier. Symbol der Fruchtbarkeit, Symbol der Stärke… Wenn man so will, hat sich Israel gar keinen neuen Gott gemacht, sondern JHWH nur anders verehrt, als der es gern gehabt hätte. Er hätte sich mit seinen Geboten auch etwas beeilen können, aber die waren ja noch unterwegs…
Gottes Kritik hier ist allerdings auch nachzuvollziehen. Israel schafft es nicht, die durch Gott bewiesene Zuwendung zu seinem Volk über ein Durststrecke zu bewahren. Das gehaltene Versprechen an Stammvater Abraham, ihn zu einem großen Volk zu machen, hat Gott ebenso erfüllt wie er sein Versprechen erfüllt hat, sein Volk aus der Sklaverei zu erretten.
Kaum wird die Lebenssituation aber brenzlig, scheint Israel all das zu vergessen und Gott für tot zu erklären. Gott wirft Israel darum ein Handeln vor, dass er als „schändlich“ bezeichnet. Dieses Wort hört sich im Deutschen harmloser an als es im Hebräischen gemeint ist: „Schachat“ bedeutet, jemanden zu Grunde zu richten.
Israel hat seine Gottesbeziehung zu Grunde gerichtet, völlig zerstört. EINSEITIG zerstört, so dass Gott das Volk jetzt barsch und distanziert als „dein Volk“, also Volk des Mose bezeichnet. Dieses Volk will er jetzt nicht weiterleben lassen. Stattdessen will er Mose wie einst Abraham zu einem großen Volk werden lassen.
Damit wäre Mose ja eigentlich alle Sorgen los: Die „Halsstarrigkeit“, die Gott dem Volk vorwirft, hat ja auch Mose selbst schon oft genug bis an den Rand des Erträglichen belastet. Doch Mose kennt die Seele des Volkes. Sie ist zuerst vor allem: MENSCHLICH.
Und offenbar glaubt Mose nicht daran, dass dieses menschliche Verhalten sich je ändern wird. Neue Probleme würden auf ihn zukommen, und dass die kleiner werden würden als die bisherigen, daran zweifelt er offenbar.
DARUM versucht Mose, Gott umzustimmen und nimmt die Abraham-Rolle an, aber anders als gedacht: Wie einst Abraham für Sodom gebeten hat, bittet Mose jetzt für Israel.
Auf „Augenhöhe“ aber ist Mose nur gekommen, weil er sich nicht aufführt wie der Ton, der dem Töpfer Anweisungen geben will, was er denn aus ihm zu formen hätte.
Mose weiß, dass Gott allein die Macht hat, Himmel und Erde zu schaffen – und Israel zu erwählen oder zu verwerfen. Dass Gottes Ratschluss nicht wie der des goldenen Blechkalbs vorhersehbar, sondern unbegreiflich ist – und bleiben wird.
Mose preist darum die Kraft und die Ausdauer, mit der JHWH Israel aus Ägypten befreit hat. Und er macht deutlich, dass die Ägypter es ganz sicher missverstehen, wenn Israel jetzt scheitern würde: Sie würden sich im Recht fühlen und das auch durch den Untergang Israels bestätigt sehen.
JHWH ist nun eben kein toter Gott aus Goldblech. Er ist lebendig. Er spricht, hört, handelt. So auch jetzt: Ihn „gereut“ das über Israel beschlossene Unheil. „Gereuen“ ist von hebräischen Wort für trösten abgeleitet und bedeutet hier, dass Gott etwas von Herzen leid tut und er sich darum eines anderen besinnt.
Sein Entschluss, Israel zu verschonen, kommt ihm also „vom Herzen“, ist Ausdruck von „Barmherzigkeit“: Israel kann weiterleben aus der Barmherzigkeit Gottes.
Übrigens wird dieses „gereuen“ im ersten Teil unserer Bibel 30 mal von Gott ausgesagt, aber nur 7 mal von Menschen. Im Umkehrschluss heißt das für mich, dass ich Barmherzigkeit eher bei Gott als bei den Menschen finden kann. Leider…
Meine Schwestern, meine Brüder:
eine sehr menschliche Sicht auf Gott. Doch ist sie wirklich weit entfernt von „moderner“ Gottessicht? Der Gott des Zorns aus dem ersten Teil der Bibel – ist er wirklich ein anderer als mein Gott, von dem ich „Gerechtigkeit“ erwarte? Ein anderer als Christus, der kommen wird, „zu richten die Lebenden und die Toten“?
Und: Sind wir wirklich besser dran und so viel klüger geworden als Israel damals, das zwischen Tod und Tod sein Leben zu finden suchte und sich am Blechkalb festhielt?
Für viele Menschen um uns herum sind die das Leben bedrohenden Mächte scheinbar lange erledigt. Einst tödliche Krankheiten sind besiegt oder durch Impfungen im Griff zu behalten; seit über zwei Generationen gibt es auf deutschem Boden keinen Krieg, Hunger und Mangel finden beim Discounter nicht statt.
Doch wenn Katastrophen dieses Leben treffen und man sie sich nicht mehr durch Verdrängung von Leib und Seele fernhalten kann, was bleibt dann?
Viele Menschen, wohl die meisten, geben sich im Wohlstand der Illusion hin, das Leben sei beherrschbar. Wenn aber Krankheiten obsiegen, Kriege immer näher rücken, Armut droht, Wahlkämpfende verprügelt werden: Dann ist auch für sie guter Rat unbezahlbar, Wut und Verzweiflung unausweichlich.
Die goldenen Kälber heißen dann: Regierungen, die das Rezept zur Lösung der Probleme zu haben hätten; Macht, die einen endlich frei entscheiden lassen könne; Karriere, die einen zu einem erfolgreichen Menschen machte; Wohlstand, der einen aus der Masse herausheben würde, kurz: Mit denen man den Nachbarn beweisen kann, dass man kein Niemand ist.
Doch unser Gott ist kein goldenes Kalb. Für uns wurde er in Jesus Mensch, dass auch wir erkennen: Er lebt. Er lebt mit uns, stirbt für uns. Er hat die Macht, Himmel und Erde zu schaffen und zu erhalten. Nicht einmal der irdische Tod kann ihn bezwingen: Darum feiern wir mit ihm gerade Ostern.
Diese Erfahrungen mit der Welt und das Gottesbild haben Konsequenzen für das Gebet. Wenn WIR beten, reden wir mit dem lebendigen Gott. Dem wir auf Augenhöhe begegnen können, solange wir ihn nicht zum goldenen Kalb machen. Von dem wir wirklich Hilfe zum LEBEN erwarten können, selbst WENN diese Welt uns den Raum dafür nicht zu geben scheint. Unser Gespräch mit Gott erdet uns in dieser Welt und öffnet uns seinen Himmel.
Beten bedeutet: Von der
Liebe Gottes, der Gnade unseres Herrn Jesus Christus
und der Gemeinschaft des Heiligen Geistes
alles zu erwarten.
Leben, Lebensrichtung, Heil-
und wenn jemand barmherzig ist,
dann ist GOTT das.
AMEN
MUSIK
LIED Ist Gott für mich 351: 1-3 9.10
1. Ist Gott für mich, so trete
gleich alles wider mich;
sooft ich ruf und bete,
weicht alles hinter sich.
Hab ich das Haupt zum Freunde
und bin geliebt bei Gott,
was kann mir tun der Feinde
und Widersacher Rott?
2. Nun weiß und glaub ich feste,
ich rühm’s auch ohne Scheu,
dass Gott, der Höchst und Beste,
mein Freund und Vater sei
und dass in allen Fällen
er mir zur Rechten steh
und dämpfe Sturm und Wellen
und was mir bringet Weh.
3. Der Grund, da ich mich gründe,
ist Christus und sein Blut;
das machet, dass ich finde
das ewge, wahre Gut.
An mir und meinem Leben
ist nichts auf dieser Erd;
was Christus mir gegeben,
das ist der Liebe wert.
9. Sein Geist spricht meinem Geiste
manch süßes Trostwort zu:
wie Gott dem Hilfe leiste,
der bei ihm suchet Ruh,
und wie er hab erbauet
ein edle neue Stadt,
da Aug und Herze schauet,
was es geglaubet hat.
10. Da ist mein Teil und Erbe
mir prächtig zugericht’;
wenn ich gleich fall und sterbe,
fällt doch mein Himmel nicht.
Muss ich auch gleich hier feuchten
mit Tränen meine Zeit,
mein Jesus und sein Leuchten
durchsüßet alles Leid.