(Mk 10, 35-40)
Was ist eigentlich der Lohn des Christseins? Was hat man davon?
Christen sind nicht die besseren Menschen. Aber sie sind besser dran. Das ist der Lohn: Besser dran zu sein. Aber was bedeutet das? Für mich? Für euch?
Die Passionszeit lässt eine Antwort auf diese Frage besonders schwer erscheinen. Jesus – auf dem Weg nach Jerusalem, wir mit ihm. Zweitausend Jahre später, aber doch auf dem gleichen Weg wie seine Jünger. Wir wissen, wovor sie sich fürchteten: Der Weg nach Jerusalem endet auf Golgatha. In der Hinrichtung am Kreuz.
Sicher: Nach Karfreitag kommt Ostern. Alle Jahre wieder neu. Aber Ostern spielt in einer anderen Liga. Ostern spielt im Himmel, zumindest in der Welt zwischen Himmel und Erde.
Karfreitag aber spielt hier, auf dieser Welt. Keine Filmszene, sondern Wirklichkeit der Grausamkeit. Man kann es doch gar nicht überlesen: „Unruhe hatte die Jünger ergriffen, und auch die anderen, die mitgingen, hatten Angst“ (Markus 10,32).
Und diese Angst wurde sicher nicht kleiner, als Jesus seine Jünger zum dritten Mal beiseite nimmt und Klartext spricht darüber, was sie in Jerusalem erwartet. Folter, Schmähung, Hinrichtung.
Was ist die frohe Botschaft der Hinrichtung am Kreuz? Je mehr man sich einer Antwort auf diese Frage zu nähern sucht, desto deutlicher spürt man: Ein Menschenleben ist zu kurz für eine Antwort, die keine Zweifel übriglässt. Selbst wenn man 200 Jahre alt würde: Jede Antwort bliebe Fragment, stellte neue Fragen.
Auch zweitausend Jahre danach. Sind wir also besser dran, weil es immer neue Fragen gibt? Sind wir wirklich besser dran, weil wir Karfreitag haben? Ist das der Lohn?
Jakobus und Johannes wünschen sich einen Lohn. Davon ist im Predigttext für heute zu hören. Ich lese den ersten Teil aus dem Evangelium nach Markus Kapitel 10 ab Vers 35 in der Neuen Genfer Übersetzung:
35 Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, traten an Jesus heran und sagten: „Meister, wir möchten, dass du uns eine Bitte erfüllst.“ – 36 „Was wollt ihr?“, fragte er. „Was soll ich für euch tun?“ 37 Sie antworteten: „Wir möchten, dass du uns in deiner Herrlichkeit neben dir sitzen lässt, den einen an deiner rechten Seite und den anderen an deiner linken Seite.“ – 38 „Ihr wisst nicht, um was ihr da bittet“, entgegnete Jesus. „Könnt ihr den bitteren Kelch trinken, den ich trinken werde, und die Taufe empfangen, mit der ich getauft werden muss?“ – 39 „Das können wir!“, erklärten sie. Da sagte Jesus zu ihnen: „Den Kelch, den ich trinke, werdet ihr zwar auch trinken, und die Taufe, mit der ich getauft werde, werdet auch ihr empfangen. 40 Aber darüber zu verfügen, wer an meiner rechten und an meiner linken Seite sitzen wird, das steht nicht mir zu. Wer dort sitzen wird, das ist von Gott bestimmt.“
Jakobus und Johannes wünschen sich Nähe. Wenn es nun schon sein muss, dass die Gottesnachfolge in den frühen Tod führt, dann soll doch wenigstens danach alles gut werden. Das Reich Gottes aufgerichtet, Jesus auf dem Thron, Jakobus und Johannes an seiner Seite. Ist das nicht mehr als verständlich?
Nehmen nicht auch wir diesen Wunsch mit der Muttermilch auf? Egal ob Kindergarten, Schule oder Hochzeitsfeier: Wollte ich nicht schon immer neben dem sitzen, den ich wirklich mag?
„Ich bin klein, mein Herz mach rein, soll niemand drin wohnen als Jesus allein“ – auch wenn das in aufgeklärten Ohren nahezu kitschig klingt: Ist das nicht Ausdruck einer tiefen Sehnsucht nach der Nähe zu Jesus, dieselbe Sehnsucht, die auch die beiden Jünger hier umtreibt?
Aber Jesus reagiert, als sei er sich unsicher, ob er sich verhört hätte. Ihr wisst nicht, was ihr sagt! Habt ihr mir eigentlich gerade eben zugehört? Zum dritten Mal habe ich euch gesagt, wo mein Weg enden wird. Es geht ans Kreuz. Der Kelch ist bitter. Eine Taufe des Scheiter- Haufens. Habt ihr das nicht verstanden?
Doch. Sie haben nicht nur verstanden. Sie sind auch fest entschlossen, diesen Weg mitzugehen. Und viele Hinweise der Geschichte sprechen dafür, dass den beiden der Märtyrertod ebenfalls nicht erspart blieb. Auch Jesus wird das klar. Und sie bleiben bei ihrer Bitte.
Sie haben verstanden. Jesus ist der, neben dem sie sitzen wollen, der Besondere, dem sie folgen, den sie mögen, ja den sie lieben. Sie haben begriffen: Er ist das Licht, von dem die Menschen träumen. „Das Volk, das in Finsteren wandelt, sieht ein großes Licht… Denn das Joch, was auf ihnen lastete, den Stab auf ihren Schultern, den Knüppel des Antreibers über ihnen hast du zerbrochen… ein Sohn ist uns gegeben, und die Macht ruht auf seiner Schulter…“ (Jesaja 9)
Jesu Schultern sind diese Schultern. Sie haben verstanden.
Was sie noch nicht verstanden haben: Der Lohn in Gottes Welt wird anders gezahlt als die Löhne dieser Erde. Der Lohn des Lebens, wie Gott es für uns will, ist ein anderes Leben. Nicht irgendwann in einem fernen Reich, sondern jetzt, in dieser Zeit. Das habe sie noch nicht verstanden.
Die übrigen zehn übrigens auch nicht, wie man weiterlesen kann. Denn die ärgern sich über Jakobus und Johannes. Weil sie denken, dass sie sich vordrängeln wollten. Damit beweisen sie, dass sie alle in den Maßstäben dieser Welt denken. Immer noch. Darüber der zweite Teil unseres Textes ab Vers 41:
41 Die übrigen zehn Jünger hatten dem Gespräch zugehört und ärgerten sich über Jakobus und Johannes. 42 Da rief Jesus sie alle zusammen und sagte: „Ihr wisst, dass die, die als Herrscher über die Völker betrachtet werden, sich als ihre Herren aufführen und dass die Völker die Macht der Großen zu spüren bekommen. 43 Bei euch ist es nicht so. Im Gegenteil: Wer unter euch groß werden will, soll den anderen dienen; 44 wer unter euch der Erste sein will, soll zum Dienst an allen bereit sein. 45 Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben als Lösegeld für viele hinzugeben.“
Auszeit! winkt der Trainer. Er ruft seine Spieler zu sich, sie bilden einen Kreis, stecken die Köpfe zusammen. Was er jetzt zu sagen hat, ist wichtig. Soll das Spiel wenden, neu formieren, die Strategie ändern.
Auszeit! Jesus ruft die 12 zusammen. Was jetzt kommt, ist wichtig. Es soll das Leben wenden, es neu formieren, seine Strategie ändern.
Die Zwölf bekommen zu hören: „Bedenkt, was ihr euch wünscht, wenn ihr so ganz nah bei mir sein wollt. Denn ich bin kein Herr wie die Mächtigen dieser Welt, die ihre Völker niederhalten, ihnen Gewalt antun. Ich bin kein Gönner, der Vorteile und Vergünstigungen verteilt an die, die mir nach dem Mund reden. Ich bin nicht der, der jenen Macht einräumt über andere.“
„Sondern“, sagt Jesus, „wer mir nahe sein will, der soll Diener der Menschen sein, die ihn brauchen. Wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein.“
Gott will für seine Menschen ein Leben der himmlischen Maßstäbe. Die Maßstäbe der Welt: Macht, Ehre, Gewalt. Der himmlische Maßstab: Der Dienst. Ein schlechter Tausch? Ruhm und Ehre gegen Arbeit, Schweiß, Erniedrigung?
Vielleicht erinnert sich mancher, dass Friedrich der Große ähnlich dachte. Er soll gesagt haben: „Als König bin ich der erste Diener meines Staates“.
Auch aus der Geschichte wissen wir, dass er unter den Mächtigen der Welt mit dieser Haltung ziemlich allein dasteht. Dass nicht wenige in Politik und Gesellschaft vor allem sich selbst und ihre Gefolgsleute versorgen. Von Griechenland bis in die Treberhilfe. Schon immer, für immer.
Niemand ist davor sicher. Auch Friedrich der zweite war es nicht. Auch er kam nicht aus seiner weltlichen Haut, auch seine Regentschaft kam nicht aus ohne die Regularien weltlicher Macht und Gewalt.
Darum sagt Jesus: Glaubt doch nicht, dass sich all eure Hoffnungen darin erfüllen, dass ihr auf anderen Wegen bekommt, was die Raffkes dieser Welt bekommen oder zu bekommen versuchen.
Sondern: Groß wird euer Leben, wo Euch etwas gelingt, was einem anderen hilft, sein Leben schöner macht, ja vielleicht sogar sein Leben rettet.
Als Argument fügt Jesus hinzu: Auch ich bin nicht hier, mich bedienen zu lassen. Ich diene. Und setze mein Leben ein, um Freiheit zu bringen. Für euch. Für alle, die das begreifen.
Meine Schwestern, meine Brüder: Niemand von uns ist sicher davor, die Maßstäbe dieser Welt nicht zu den seinen zu machen. Die Zwölf waren es nicht, wir sind es nicht. Gib uns Ehrenplätze an deiner Seite! Wenn schon nicht in dieser Welt, dann wenigstens im Gottesreich!
Wenn man die Diener auf einen irdischen Thron setzt, läuft es falsch. Albert Schweizer, Janusch Korczak, Mutter Theresa: Viele setzen sie auf einen irdischen Thron.
Seelig, ja heilig sollen sie sein! rufen sie. Und meinen: Ruhm und Ehre den Helden der Diakonie! Ihnen soll die Macht gehören, die sich die Mächtigen einfach nehmen!
Aber so verpasst man die Lebenswende. Man stellt die Helden auf ein Podest. Podeste sind hoch, aber nur wenige passen drauf. Man selbst kann auf ihnen keinen Platz mehr haben. Nachahmen, es ihnen nachtun? Was soll eine Welt voller Helden? Dann ist doch keiner mehr er selbst! Ich will doch aber ich selbst sein!
Jesus aber sagt uns: Wirkliche SELBSTverwirklichung kann nur da gelingen, wo der Mensch bei seiner eigentlichen Bestimmung angelangt bin. Dort, wo Gott ihn sich gedacht hat. Bevor der Mensch ging, um selbst Gott zu werden.
Gott aber wollte mein Dasein für andere. Das einzig wirksame Rezept für die Verbesserung dieser Welt. Die einzige Revolution, die sie nicht frisst, ihre Kinder. Die einzige Haltung, die ihn wirklich ändert, den Lauf dieser Welt.
Und wer ich sich ansieht, den Lauf dieser Welt, kann sehen lernen: Alle, die den Lauf der Welt mit der Macht der Welt ändern wollten, sind bestenfalls bis in die Geschichtsbücher dieser Welt gekommen.
Jesus aber hat diese Welt wirklich geändert. Durch Jesus wird sichtbar, dass wirkliche Freiheit die Möglichkeit des Menschen ist, für andere dazusein. dWer frei wird für andere, ist bei seiner Bestimmung angelangt. Wer den Mut zum Dienen findet (De-Mut!), verwirklicht sich tatsächlich selbst, weil er das Leben findet, wie Gott es gemeint hat.
Denn der überlässt die Antwort auf die Frage, wer im Reich Gottes die Ehrenplätze bekommt, einzig der Entscheidung Gottes. Denn er lebt dafür, dass sein Nächster auf einen dieser Plätze kommt. Wenn der Nächste auf den besten Platz des Lebens kommt und ich ihm dabei geholfen habe, wird es auch mir an nichts fehlen.
Jesus geht durchs Kreuz, damit wir frei werden von den Maßstäben dieser Welt und unser Vertrauen in Gottes Liebe setzen. Damit wir dafür leben, dass unser Nächster diese Liebe als die Freiheit seines Lebens erfährt.
Ein guter Tausch. Der große Lohn der Passion Jesu: Zu erkennen, dass es nichts Größeres gibt als die Liebe Gottes, die Gnade Jesu Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes. Denn wo sie die Freiheit Gottes erfahren lassen, sind Menschen nicht nur heute, sondern auch in Zeit und Ewigkeit geborgen. Das ist alles Dienen wert. Demut. Amen.