Wer die Geschöpfe betrachtet, lernt den Schöpfer kennen (Pred 12 1-7)

Heute gibt es im Gottesdienst mal sehr weltliche Musik von den Puhdys.

Zu Beginn ist „Alt wie ein Baum“ zu hören; ein Text, der sich an Psalm 1 anlehnt. In der Mitte dann „Wenn ein Mensch lebt“; hier haben sie sich an das Buch des Predigers gehalten.
Zum Schluss dann „Was bleibt“.

***
Wir suchen
Wege ins Leben
Wege zu Gott
darum sind wir hier
wie oft aber gehen wir Wege
von Gott weg
weg vom Leben
Tag für Tag
wie sollen wir handeln
wohin sollen wir gehen

Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist
und was der HERR von dir fordert,
nämlich Gottes Wort halten
und Liebe üben
und demütig sein vor deinem Gott.
Micha 6,8
***

Er hatte auf sie schlecht gelaunt und mürrisch gewirkt und war ihnen darum auf den ersten Blick nicht gerade sympathisch. Aber sie waren keine Kinder mehr und wollten etwas lernen, darum gingen sie ja schließlich auf diese Schule. Und wenn der Alte hier Lehrer war, musste er irgend etwas besonders gut können – sonst wären seine Seminare ja leer und er hätte sich längst eine neue Stelle gesucht haben müssen.

Also beschlossen sie, ihm eine Chance zu geben und schrieben sich bei ihm ein. Und merkten bald, dass er wirklich etwas Besonderes war.

Zunächst fanden sie es befremdlich, dass sich hier niemand mit Namen anreden sollte. Weil es hier nicht um Namen, Ehre und Einfluss gehen solle, sagte er. Wenn man ihn etwas fragen wolle: „Versammlungsleiter“ oder „Lehrer“ genüge vollkommen, dann wisse er schon, dass er gemeint sei.

Irgendwann merkten sie dann, dass es diesem merkwürdigen Alten damit wirkich ernst war. Es ging ihm nicht um Personen, sondern um Inhalte, sagte er. Und machte es seinen Schülerinnen und Schülern damit nicht gerade leicht. Da war nicht nur die Sache mit der Anrede. Sondern auch sonst war er nicht einfach zu nehmen. Was vor allem daran lag, dass er irgendwie immer anderer Meinung zu sein schien als alle anderen.

Sie fanden das zunächst ganz schön übertrieben. Denn manchmal war er sogar anderer Meinung als er selbst. Er schien es regelrecht darauf anlegen zu wollen, dass alle lernten, zu widersprechen. Grundsätzlich immer, stets und ständig. Selbst wenn man die Meinung des Gegenübers teilte.

Irgendwann aber begriffen sie, dass sie der Alte damit ohne es zu thematisieren dazu gebracht hatte, ganz von selbst die Perspektive zu wechseln. Weil eben nichts, aber auch gar nichts auf der Welt so ist, wie es auf den ersten Blick scheint.

Der Name der Lehrveranstaltung, der auf dem Vorlesungsplan stand, war ihnen immer wieder entfallen. Der war irgendwie nichtssagend für sie. Mit der Zeit versuchten sie auch gar nicht mehr, sich an ihn zu erinnern. Aber sie kamen auch nicht auf die Idee, sein Seminar zu schwänzen. Sie hatten begriffen, dass es hier um Wesentliches ging, so etwas wie die Naturgesetze des Menschseins. Und dass der „Versammlungsleiter“ ihnen etwas zu sagen hatte, was sie vorher SO noch nie gehört hatten.

In den Seminaren, wo es so voll war, dass man keinen Sitzplatz mehr bekam, wenn man erst zehn Minuten vor Beginn auftauchte, war der Tenor: Der Mensch müsse vor allem versuchen, Gott alles Recht zu machen, dann würden sich Erfolg und Glück im Leben einstellen, wenn nicht sofort, dann zumindest irgendwann später.

Ganz anders das, was er sagte. Egal, wo man hinsieht auf das Leben auf dieser Erde: Alles ist nichtig. Die Klugen sterben wie die Dummen, egal wie früh, egal wie spät. Und ist man auf etwas besonders stolz: Irgendwann hat es auch das schon einmal gegeben. Man hat das nur wieder vergessen, weil man irgendwie in seinem Inneren immer denkt, dass VOR einem nichts wirklich Bedeutendes gewesen sein könne.

Alles ist nichtig: Eine richtige Marotte des Alten. Und nicht gerade ein Ansporn für die Jungen, das Leben in die eigenen Hände zu nehmen. Seine Weisheiten klangen oft düster und waren pessimistisch, als ob ihm mit dem Tod seiner Frau jeder Optimismus abhandengekommen wäre.

Doch seine Reden waren brillant und zogen sie immer tiefer in seinen Bann, und sie konnten gar nicht so genau erklären, warum eigentlich. Weil er rhetorisch einfach gut war und man ihm schon darum gern zuhörte? Weil ihm so unglaubliche Bilder für das Leben einfielen? Weil selbst in seinem Pessimismus oft mehr Witz steckte als in der oft aufgesetzten Lustigkeit der Anderen?

Ja, er machte einen tiefen Eindruck auf sie, und langsam genossen sie es, ihre eigenen Gedanken von ihm auf andere Wege führen zu lassen. Der Mensch solle sich selbst nicht so ernst nehmen, denn alles auf der Welt wäre überall so angestrengt tätig:

Die Sonne geht auf und geht unter und läuft an ihren Ort, dass sie dort wieder aufgehe. Der Wind geht nach Süden und dreht sich nach Norden und wieder herum an DEN Ort, wo er anfing. Alle Wasser laufen ins Meer, doch wird das Meer nicht voller; an DEN Ort, dahin sie fließen, fließen sie immer wieder.

(Auch) Alles Reden ist so voll Mühe, dass niemand damit zu Ende kommt. Das Auge sieht sich niemals satt, und das Ohr hört sich niemals satt. Was geschehen ist, eben das wird hernach sein. Was man getan hat, eben das tut man hernach wieder, und es geschieht nichts Neues unter der Sonne (Pred 1, 5-9)

Dem Menschen sei ja – leider?- von Gott die Möglichkeit gegeben, nachzudenken. Vor allem über den Sinn seines Lebens. Doch Ergebnisse? Fehlanzeige, jedenfalls keine von Bestand. Es sei so, als wenn man versuchen würde, den Wind mit der Hand zu fangen (1,17).

Warum dann ÜBERHAUPT nachdenken?
Naja – im Vergleich zu den Dummen hat man dann wenigstens den einen oder anderen Vorteil im praktischen Leben.

Aber am Ende ginge es den Klugen genauso wie den Dummen; darum lohne es sich eigentlich nicht, sich um so viel Wissen zu bemühen. Nicht einmal in der Sorge für die Nachkommen liegt Sinn, wie so viele behaupten. Denn niemand wisse schließlich, wie diese mit der Hinterlassenschaft umgehen.

Nicht einmal während seines Lebens könne man sich darauf verlassen, sich am Erwirtschafteten erfreuen zu können, denn selbst das läge in der Hand Gottes. Genuss sei ein Geschenk Gottes, und er würde es eben nur an die verschenken, an die er wolle.

Und da ohne Gottes Zustimmung nun einmal nichts möglich sei, sei es zwangsläufig, dass alles unter der Sonne seine bestimmte Zeit hat. Keine irgendeine beliebige Zeit, sondern eine von Gott festgesetzte.

Eines Abends sehen sie sich im Club den DDR- Kultfilm „Die Legende von Paul und Paula“ an. Dabei fällt es ihnen wie Schuppen von den Augen: Auch andere Menschen sind beeindruckt von dem, was ihr „Versammlungsleiter“ da lehrt. Die Puhdys singen den Titelsong:

MUSIK Wenn ein Mensch lebt Puhdys

Jegliches hat seine Zeit… Leben und Sterben und Frieden und Streit… Genau das waren seine Worte, noch gar nicht lange her, ihnen scheint, als hätten sie es erst gestern gehört.

Wenn auch die Puhdys hier ihre ganz eigenen Schlüsse daraus ziehen (oder ziehen mussten, zu DDR- Zeiten konnte ja nicht jede sagen was sie wollte…) Aber das würde der Alte ihnen sicher nicht übel nehmen. Wenn ja ohnehin alles nichtig ist…

Jegliches hat seine Zeit.
So kam dann irgendwann der Tag, vor dem sie sich ein wenig fürchteten: Sein letzter Arbeitstag. Ihr Lehrer würde in den Ruhestand gehen; das heute war das letzte Seminar für sie mit ihm. Ziemlich wehmütig gingen sie in diese Stunde und hörten sich am Schluss an, was er ihnen zum Abschied zu sagen hatte.

Das sind die Worte des Predigttextes für heute (Pred 12 1-7):
Denk an deinen Schöpfer in deiner Jugend, ehe die bösen Tage kommen und die Jahre nahen, da du wirst sagen: “Sie gefallen mir nicht”;
2 ehe die Sonne und das Licht, der Mond und die Sterne finster werden und die Wolken wiederkommen nach dem Regen, –
3 zur Zeit, wenn die Hüter des Hauses zittern und die Starken sich krümmen und müßig stehen die Müllerinnen, weil es so wenige geworden sind, wenn finster werden, die durch die Fenster sehen,
4 wenn die Türen an der Gasse sich schließen, dass die Stimme der Mühle leise wird und sie sich hebt, wie wenn ein Vogel singt, und alle Töchter des Gesanges sich neigen;
5 wenn man vor Höhen sich fürchtet und sich ängstigt auf dem Wege, wenn der Mandelbaum blüht und die Heuschrecke sich belädt und die Kaper aufbricht; denn der Mensch fährt dahin, wo er ewig bleibt, und die Klageleute gehen umher auf der Gasse; –
6 ehe der silberne Strick zerreißt und die goldene Schale zerbricht und der Eimer zerschellt an der Quelle und das Rad zerbrochen in den Brunnen fällt.
7 Denn der Staub muss wieder zur Erde kommen, wie er gewesen ist, und der Geist wieder zu Gott, der ihn gegeben hat.

Sie verstehen ihn inzwischen.
Und begreifen nur zu gut, warum dem Alten selbst die Jahre gar nicht gefallen, denn:

„Hüter des Hauses“ sind die Arme, die immer schwächer werden und überdies zittern;
„die Starken“ sind die Beine, die sich krümmen;
„die Müllerinnen“ sind die Zähne, die immer weniger werden;
„die Fenster“ sind die Augen, durch die immer weniger Licht dringt;
„die Türen an der Gasse“ die Ohren;
die „Stimme der Mühle“ die alternde Stimme, die brüchig und piepsig wird und die die „Töchter des Gesangs“, also die Lieder, nach und nach verstummen lässt.

Blühender Mandelbaum, Heuschrecke und aufbrechende Kapern stellen die Natur da, die ihren Lauf nimmt, auch wenn der Mensch sterben muss. Der silberne, reißende Strick ist der Lebensfaden; die goldene zerbrechende Schale das Zerbrechen des Lebens; das zerbrochene Rad im Brunnen der Leichnam im Grab. Und sich selbst bezeichnet er als Staub, der hingehen muss, wo er hergekommen ist – dessen Geist aber zu Gott, von dem er ihn hat.

Selten, ja eigentlich NIE hatten sie jemanden mit so viel heiterer Ironie über Alter und Sterben sprechen hören. Und sie verstanden auch, dass für IHN das Nachdenken über Gott ungleich belasteter war als für sie, die ja bestenfalls gelegentlich einmal Kopfschmerzen hatten und daran nicht selten selbst Schuld waren, weil sie am Vorabend mehr Wein getrunken hatten als gut gewesen wäre.

Und wie sie erwartet hatten, kam auch heute ganz zum Schluss wieder sein „alles ist nichtig“, als er seine Sachen zusammenpackte und ohne weitere Worte nach Hause ging.
Ein starker Abgang.
Sie würden ihn sehr vermissen, ihren alten „Versammlungsleiter“.

Aber warum genau eigentlich? Natürlich, weil er ihnen als Mensch ans Herz gewachsen war. Weil sie hinter seinem offen zur Schau getragenen Pessimismus längst seine Lebensfreude entdeckt hatten. Aber eigentlich waren sie doch an dieser Schule, um etwas über Gott zu lernen. Hatte der Alte sie damit überhaupt weitergebracht?

Sicher, er hatte nie einen Zweifel daran gelassen, dass die einzige Konstante, die das Menschenleben kannte, Gott war. Aber er hatte darüberhinaus keine besonders innige Beziehung zu Gott. Er rechnete damit, dass die Menschen mit ihrem ganzen Leben, mit allem, was ihnen Last gewesen war oder ihnen Freude gemacht hatte, letztendlich vor Gottes Gericht landen würden, der über alles Rechenschaft fordern würde. Über alles Sichtbare und Verborgene. Nur was er von Gottes Urteilsspruch erwartete, darüber hatte er nie gesprochen.

Was also hatten sie über Gott gelernt? Auf dem Nachhauseweg fiel ihnen der Rat ein, den der Alte ihnen gegeben hatte: An den Schöpfer zu denken, solange man noch jung sei. Und ihnen wurde klar, dass man über den Schöpfer eine Menge lernen konnte, wenn man sich seine Geschöpfe genauer ansah. Vor allem natürlich das Leben der Menschen, die Gott ja – leider? – mit der Gabe ausgestattet hatte, nachzudenken.

Und über das Leben der Menschen hatten sie vieles vom Alten gehört, das des weiteren Nachdenkens wert war.
Dass man nichts im Leben in der eigenen Hand hatte, was Gott einem da nicht selbst hineingelegt hatte.
Das alles, was einem wichtig erschien, so nichtig war.
Dass sich alles so angestrengt bewegte.
Dass es nichts wirklich Neues unter der Sonne geben würde.
Dass alles die Zeit hat, die Gott ihm zugedacht hat. Sollten sie jetzt mit Gott hadern? Ungefähr so, wie Hiob und seine Freunde mit Gott und dem Schicksal haderten?

Der Alte hätte wohl gefragt: Wohin sollte es führen, mit Gott zu hadern? Doch nur dazu, dass man mit seinem Leben hadert. Wäre es da nicht besser, das Leben zu nutzen und seine guten Stunden zu genießen? Hätte man nicht gerade dafür gute Argumente am Tage des göttlichen Gerichts?

Man kann vieles über den Schöpfer lernen, wenn man seine Geschöpfe ansieht. Über sein Geschöpf Mensch aber hatten sie vieles vom Alten gelernt. Und darum sahen sie jetzt auch tatsächlich klarer auf Gott, seine Allmacht, seine Möglichkeiten und das, was er mit ihnen vorhatte.

Nein, mit Gott oder dem Leben zu hadern, vielleicht gar ein Buch darüber zu schreiben – alles vergebliche Mühe, alles nichtig. Wie hatte er doch einmal gesagt? „Lass dich warnen: Des vielen Büchermachens ist kein Ende, und viel Studieren macht den Leib müde.“ (12,12) Vielleicht würden sie sich so mit ihrem Leben anfreunden können, wie ihr Schöpfer es für sie gedacht hatte.

Man kann vieles über den Schöpfer lernen, wenn man sich seine Geschöpfe ansieht. Vielleicht gerade deshalb ist das Buch „Kohelet“ oder „Prediger“ in die Bibel aufgenommen worden, dass auch wir Spätgeborenen diese Lektion lernen können. Und die Worte des alten Lehrers mit Gewinn auch für uns lesen.

Denn sie bringen uns dem Frieden mit Schöpfung und Schöpfer nah.
Dem Frieden Gottes, der unsere Leiber und Seelen bewahrt.
In Christus Jesus. AMEN

 

 

Dieser Beitrag wurde unter Predigten abgelegt und mit , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.