Vom Turmbau zu Babel, den Geistern und dem Geist (1.Kor 12 4-11 und 1.Mose 11 1-9)

PFINGSTEN
Die Gemeinschaft der Heiligen feiert
sie ist begeistert
vom Wort Gottes, dass Herzen entzündet
und das Leben wandelt
in ewiges Leben

Es soll nicht durch Heer oder Kraft,
sondern durch meinen Geist geschehen,
spricht der HERR Zebaoth.
Sacharja 4 Vers 6
***

Von außen sehen sich die Menschen grundsätzlich sehr ähnlich. Weil sie eben Menschen sind. Zwei Arme, zwei Beine, Kopf auf einem Hals ganz oben, Körper dazwischen.
Einfach fünf Striche und einen kleinen Kreis für den Kopf aufs Papier – und jeder sieht, dass das da ein Mensch ist.

Sieht man genauer hin, sieht allerdings keiner aus wie der andere. Es gibt Frauen und Männer, weiße und schwarze, dicke und dünne und ganz, ganz viel dazwischen. Selbst eineiige Zwillinge sind Einzelstücke: Irgendwo am Körper sieht einer anders aus als der andere. Auch wenn Menschen sich grundsätzlich sehr ähnlich sehen: Wir sind alle Einzelanfertigungen.

Und was für das äußere Erscheinungsbild gilt, gilt auch für die innere Bauform. Der eine ist eher lustig, die andere eher ernst; die eine mag es lieber süß, der andere scharf; der eine ist sehr offen, die andere eher verschlossen; die eine mag mich leiden, der andere nicht.
Leider oder zum Glück.

Das macht das Leben nicht gerade einfacher. Vor allem, weil am äußeren Erscheinungsbild eines Menschen durch nichts sichtbar ist, wes Geistes Kind dieser Mensch ist. Das aber muss man irgendwie herauszubekommen versuchen, will man wissen, wie man sich ihm gegenüber verhalten soll. Oder will.

Man muss sich also genauer anschauen, was ein Mensch sagt und was er tut. Dann kann man vielleicht auch irgendwann wissen, wes Geistes Kind er ist. VIELLEICHT deshalb, weil alle persönliche Beobachtung, alles Analysieren des Gegenübers nie verhindern kann, dass man falsch liegt, sich irrt, enttäuscht wird. Menschen, die leicht verletzbar sind, haben es da schwerer als die mit der dickeren Haut. Letztere können Enttäuschungen nämlich leichter wegstecken als erstere.

Wes Geistes Kind Menschen sind oder sein können, das ist eine uralte Frage der Menschen. So ist es kein Wunder, dass sich auch die Urgeschichte im ersten Mosebuch damit beschäftigt. Die Geschichte vom Turmbau zu Babel zum Beispiel, die Predigttext für diesen Pfingstsonntag ist (Gen 11).

Dieser Turmbau begann mit der Entdeckung eines neuen Baustoffes: Erdharz. Klebrig und schwarz war er im Boden zu finden. Heute heißt dieses teerartige Kohlenwasserstoffgemisch Bitumen, und mischt man es mit Mineralstoffen, wird daraus Asphalt.

Mit diesem neuen Baustoff beginnt die Geschichte des Großbauprojektes „Turmbau Babel“. Fundamente eines solchen Turms hat man tatsächlich im heutigen Irak südlich von Bagdad ausgegraben, auf einer Fläche fast so groß wie ein Fußballfeld.

Bei antiken Geschichtsschreibern ist zu lesen, er habe acht Stufen und oben leuchtend blau glasierte Ziegel und ein goldenes Dach gehabt, über 70 Meter hoch, ungefähr so hoch wie der Turm der Katharinenkirche nebenan.

So ein Turm war für die Zeit ungefähr 1800 Jahre vor Christi Geburt ein wirklich gewaltiges Bauwerk. Doch er soll schon zu seiner Zeit Geschichte gewesen sein: Eine Bauruine. Das eben ist der Stoff, aus dem Geschichte ist und Geschichten werden.

Was aber lässt sich an diesem Turm über den Geist der Menschen sagen, die an ihm bauten? Auf den ersten Blick scheint es in der biblischen Geschichte ja um die „babylonische Sprachverwirrung“ zu gehen:

Vorher sprechen alle eine Sprache, aber mitten im Bau gibt es plötzlich ganz viele Sprachen, die Handwerker können sich nicht mehr absprechen, der Bau kommt zum Erliegen und scheitert.

Wer die Bibel besser kennt, weiß, dass das zu einfach ist. Denn direkt VOR der Turmbaugeschichte ist in der Völkertafel (Gen 10) beschrieben, wie sich nach der Sintflut Stämme, Völker UND Sprachen entwickeln und in alle Welt verteilen.

So scheint mir der erste Satz in der Turmbaugeschichte „Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache“ (11,1) eine Anspielung auf etwas ganz anderes zu sein.

„Babel“ als Ort des Turms ist ja auch zentraler Ort der Verbannung Israels. Die Israeliten hatten die Sieger als Gleichmacher erlebt: Eine Mon-Archie, das Herrschen EINES Menschen über alle anderen, und die mussten Einheit leben. Einheitspartei, Einheitsdenken, Einheitshandeln. So gesehen wird diese Geschichte zu einer Geschichte über die Macht. Die Macht eines Herrschers, die sich bis zum Größenwahn entwickelt.

„Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche“ (11,4). In den Himmel, weil alle wissen: Da wohnt Gott. Der aber muss sich herunterbemühen, muss sich bücken, um überhaupt sehen zu können, was die Menschen da so treiben.

Missfällt ihm der schöne Turm? Missfällt ihm, dass die Menschen alle zusammen an einer Sache arbeiten? Missfällt ihm, dass sie ihm den Himmel streitig machen wollen?

Aber die Menschen hätten ja noch „ewig“ weiterbauen müssen, damit Gott sich hätte nicht mehr herunterbücken müssen, um überhaupt sehen zu können. Wer weiß, ob ihnen das nicht zu langweilig geworden wäre. Oder das Geld wäre ihnen ausgegangen.

Und die Geschäftsidee, sich „einen Namen“ zu machen, hat so auch kaum funktioniert. Wer unter uns weiß heute schon, dass der derzeit höchste Turm der Welt mehr als zehn Mal so hoch ist wie der in Babel war und dass der in Dubai steht?
Und ein noch höherer bereits im Bau ist, der über 1000 Meter hoch sein soll?
Und wer von uns will da im Fahrstuhl stecken bleiben?

Einheitsvolk, Einheitsstadt und Einheitstun zum Erweis der eigenen Macht: DAS scheint mir zu sein, was Gott missfällt. Und ich kann mir gut vorstellen, dass die meisten Zuhörer der alten Geschichte zustimmend mit den Köpfen nicken, wenn sie das göttliche Urteil über den Größenwahn hören:

Gott drückt den Reset-Knopf. Wie beim PC oder dem Smartphone: Alles auf Anfang.
Alles wieder auf Vielfalt, viele Völker, viele Sprachen, viele Länder, viele Kulturen.

Ich kann ja durchaus verstehen, dass manche Menschen sich nach Einheit sehnen. Sie vermuten wahrscheinlich, dann gäbe es weniger Streit und Stress, niemand würde mehr etwas tun, was dem Anderen schadet; man könnte die Kräfte bündeln und schaffen, was man allein niemals schaffen kann. Und wenn alle eine Sprache sprechen würden, würde man sich auch einfacher verstehen können.

Aber wer von uns würde sich da wirklich wohl fühlen? Die meisten können sich doch noch gut daran erinnern wie es war, in DDR- Zeiten von der Einheitsmeinung abzuweichen. Und da hat die Einheitssprache der Aktuellen Kamera kaum weiterhelfen können.

Solche Einheit bedeutet in letzter Konsequenz doch Gefangenschaft: Man muss seine Freiheit aufgeben, also auch Dinge tun, die man nicht tun will. Man muss sich dieser Einheit unterordnen, sonst funktioniert sie nicht.

Aber es gibt heute keine politische Partei in Deutschland, in der das System Politbüro der SED auch nur ansatzweise funktionieren würde. Ganz links nicht, ganz rechts nicht, und in der so genannten Mitte auch nicht.

Auch wenn die vielen Geister der Menschen, wenn sie aufeinandertreffen, wirklich anstrengend sind und ermüden. Auch wenn es manchmal verlockend wäre, eine würde sagen, wo es lang geht, und niemand würde meckern, dagegen sein oder es besser wissen:

Ich bin überzeugt: Wirklich SEHNEN wir uns nach einem Geist, der die unendliche Vielfalt der Schöpfung und der Geschöpfe zusammenbringt. In der jeder das tun kann, was er am besten kann. Niemand verlacht wird, weil er etwas nicht kann. Die Gaben, die man hat, gesehen, gebraucht und gefördert werden.

Wir sehnen uns nach einem Geist, der uns dahin führt, Wahrheit zu erkennen und das Richtige zu tun. Nach einem Geist, der das Chaos aufhält und den Frieden schafft. Nach einem Geist, der ÜBER all dem Durcheinander SCHWEBEN kann, den nichts und niemand in die Depression runterziehen kann und der stark genug ist, alles gut werden zu lassen.

Wir sehnen uns nach dem Geist, der aus dem „wüst und leer“, dem Tohuwabohu der Schöpfung, Meere, Kontinente und Leben werden lässt.

Nach dem Geist, der siebzig Älteste dahin bringt, mit Mose die Last eines ganzen aufmüpfigen Volkes zu tragen (wie wir das in der Lesung vorhin hörten, Num 11,11ff).
Wir sehnen uns nach dem Geist, der kurz nach der Himmelfahrt Jesu über seine verschreckte und verstörte Jüngerschaft kommt und sie fähig macht, in allen Sprachen der Welt von den großen Taten Gottes zu reden (Apg 2).

Wir sehnen uns nach einem Geist, der nicht von irgendwelchen wenig berechenbaren Menschen kommt, sondern nach GOTTES Geist, der die Vielfalt der Schöpfung und der Geschöpfe zu etwas Großem, Neuem zusammenbringt. Zu etwas Neuem, was diese Welt heilt, sie gelingen lässt, sie schön macht. Den Geist, den wir durch Jesus Christus fanden.

Das Wirken dieses Geistes beschreibt Paulus im ersten Korintherbrief (in diesem Jahr Predigttext für den Pfingstmontag). Der Geist Gottes vermag gewissermaßen die Quadratur des Kreises: Wo er wirkt, da wird die Vielfalt der Geschöpfe so stark gemacht, dass sie trotz ihrer Vielfalt zu einer Gemeinschaft und in dieser Gemeinschaft zu einer Einheit werden kann, die der ganzen Schöpfung gut tut.

Paulus spricht von der Vielfalt, den vielen Farben, den aufregenden Unterschieden in der Gemeinde. Diese Rede von den Zuteilungen der Geistesgaben Gottes strahlt eine große Gelassenheit und Ruhe aus, und das mitten in dem turbulenten Großstadtleben Korinths, das ähnlich bunt gewesen sein muss wie das heute in Kreuzberg oder Neukölln.

Eindrücklich ist seine Rhetorik in drei genau parallelen Sätzen:
Es sind verschiedene Gaben; aber es ist nur ein Geist.
Und es sind verschiedene Ämter; aber es ist ein Herr.
Und es sind verschiedene Kräfte; aber es ist ein Gott.
Alle Geistesgaben der Menschen entspringen ein und derselben Quelle.

Damit sagt er nicht:
Dass ihr so unterschiedlich seid, das ist doch gar nicht so schlimm! Sondern:
Besser kann es doch gar nicht kommen. Gott hat euch genau so gewollt! Sein Geist ist nicht kurzsichtig, im Gegenteil:
„In einem jeden offenbart sich der Geist zum Nutzen aller“.
Das ist wohl der zentrale Satz.
Wirklich jede Fähigkeit, und sei es nur ein Lächeln; jede Begabung, und sei es nur Fröhlichkeit zu vermitteln, wird durch den Geist Gottes zu einem Teil des Heils für die Gemeinde des Volkes Gottes.

Meine Schwestern, meine Brüder:

Das ist der genaue Gegenentwurf zu dem Geist der Einheit, der die Menschen den Turm bauen ließ. Paulus beschreibt den Geist Gottes als den Geist der Freiheit, der jeden einzelnen von uns wichtig und stark macht. Wo dieser Geist weht, da geht es anders zu als sonst in der Welt.

Zu Pfingsten feiern wir, dass VOR allen Geistern dieser Welt
der Geist Gottes war und sein wird.
Denn er schafft NICHT aus der Vielfalt eine Einheit, in der Menschen machen müssten, was er will.
Er schafft, dass Menschen begreifen können, wie unendlich groß, bunt und vielfältig Gott selbst ist.
Und dass sie selbst Ebenbild Gottes sind.
Groß, bunt, vielfältig und gut.

Wir feiern, dass der Geist Gottes Menschen zusammenführt und Gottes Volk sein lässt, vom Beginn der Zeit bis zu ihrem Ende.
Wohlauf! Wo der Geist Gottes wirkt,
da können wir frohgemut seines Geistes Kind sein.

Und der Friede Gottes, der größer ist als aller Menschen Geist,
wird unsere Herzen und Sinne bewahren
durch Christus Jesus, unseren Herrn. AMEN

ÜBRIGENS:
Ich habe nicht vergessen, den Predigttext zu lesen. Aber ich habe versucht, euch neugierig zu machen.
Wenn es gelungen ist, hier die Stellen für Eure Wohnzimmerbibel:
1. Kor 12 ab Vers 4
und
1. Mose 11

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