Cloud (Hebr 12 1-3)

Hände
schwingen Palmzweige
ballen sich zur Faust
Münder
rufen Hosianna
schreien kreuzige ihn
Jesu Weg in das Dunkel
Weg zum Licht der Welt

Der Menschensohn muss erhöht werden,
auf dass alle, die an ihn glauben,
das ewige Leben haben.
Joh 3,14b.15
***
Vielleicht habt ihr euch ja schon gewundert, als ihr auf die Liedtafel gesehen habt: Nummer 14. So weit vorn stehen doch gar keine Passionslieder. Ein Adventslied also, und dann sogar noch als thematisches Wochenlied: Dein König kommt in niedern Hüllen.

Doch erster Advent und Palmsonntag liegen tatsächlich thematisch eng beieinander. Sie teilen sich zum Beispiel als Evangelium die Geschichte vom Einzug Jesu in Jerusalem.

Die Geschichte vom Eselskönig: Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel …

Auch wer die Weissagung Sach 9,9 kennt: Die Geste Jesu als solche BLEIBT widersprüchlich. Jesus hält auf einem Esel Einzug in Jerusalem. Im Advent wie ein König begrüßt, wenig später wie ein Verbrecher hingerichtet. Größer können die Widersprüche kaum sein.

Der 1. Advent liest die Geschichte in der Version des Evangelisten Matthäus, der Palmsonntag in der nach Johannes. Und in der steht mittendrin der Satz: „Das verstanden seine Jünger zuerst nicht; doch als Jesus verherrlicht war, da dachten sie daran, dass dies von ihm geschrieben stand und man so an ihm getan hatte.“ (Joh 12,16)

Habe ICH es denn wirklich verstanden? Gehöre ich zu denen, die VERSTEHEN, was es bedeutet, dass Jesus erst bejubelt, dann gekreuzigt wird? Bin ICH wirklich das, was man einen Christen nennen würde?

„Christ“ – das wäre ich gern, darum bin ich jetzt hier. Wie ihr alle jetzt. Weil an einer Antwort auf die Kernfrage nicht nur vieles, sondern alles, ja unser Leben hängt: Was ist GOTT für uns?

Alles, das bekennen wir. Was aber bin ICH? Ein Christ? Was genau ist das eigentlich? Und bin ich das?

Mancher würde vielleicht sagen, Christ sei, wenn man sich an die Gebote halte. Auch darum erinnert unsere Liturgie sonntäglich daran. Aber die Botschaft der Bibel macht es uns nicht so einfach.
Denn schon WIE die Gebote zu befolgen sind, kann niemand ganz genau wissen. Kein Mensch kann zum Beispiel leben, ohne zu töten. Nicht einmal der Vegetarier.

Und dann: Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe. Zwischen der biblischen Witwe, die ihren letzten Groschen, und zum Beispiel Herrn Hoeneß, der Euro-Millionen gespendet hat, ist sicher ein Unterschied. Der Mensch sieht, was vor Augen ist, Gott aber sieht das Herz an, heißt es.
Was sieht Gott da?

Andere würden sagen: Christ ist, wer regelmäßig in die Kirche geht. Aber nicht das Regelmäßig des „Alle Jahre wieder“. Eher das Regelmäßig „Einmal im Monat“- wenigstens.

So einfach ist aber auch DAS nicht. Der Pfarrer und Arzt Albert Schweizer hat dazu einmal bemerkt: Man ist noch lange kein Christ, nur weil man sonntags in der Kirche ist. Man wird ja schließlich auch kein Auto, nur weil man in einer Garage steht.

Was ist ein Christ? Eine Karikatur, die ich in im Netz sah, zeigt eine Gruppe von Menschen auf einem Sektempfang. Ach nein, also Christ sind sie! Ja, was macht man denn da so?

Eine Frage, die sich wohl jede Generation neu stellen muss. Ja: Was macht man denn da so? Was unterscheidet den Christen von anderen Menschen, die ihr Leben versuchen, ordentlich zu leben?

Uli Hoeneß wurde ordentlich und ging dafür ins Gefängnis. Wenigstens vorübergehend. Davor hatten ihn auch die Spenden nicht bewahren können. Und er sagte dazu: „Das entspricht meinem Verständnis von Anstand, Haltung und persönlicher Verantwortung. Steuerhinterziehung war der Fehler meines Lebens. Den Konsequenzen dieses Fehlers stelle ich mich“.

„Respekt“ empfand damals Frau Bundeskanzlerin für diese Stellungnahme des zerknirschten Steuersünders. Respekt – ein sehr großes Wort. Geht es doch um eine Selbstverständlichkeit, die in Gesetz gegossen Steuerhinterziehung zu einer Straftat macht, weil sie das gesellschaftliche Miteinander vergiftet.

Muss ein Christ nicht irgendwie anders sein als jemand, der ein ordentliches oder respektvolles Leben zu führen sucht? Der nach Anstand, Haltung und persönlicher Verantwortung sucht? Was aber sucht ein Christ dann?

Die Gemeinde des Hebräerbriefes hat eine große Vergangenheit. Die frühen Christen haben den „Kampf des Leidens“ (10,32) durchgestanden. Viele haben gar den Verlust ihres Besitzes erleben müssen (10,34), haben aber den aufrechten Gang dabei nicht aufgegeben.

Das bedeutet freilich nicht, dass alles zum Besten steht mit ihrem Christsein. Im Gegenteil. Nachdem man sich standhaft gegen heftige Repressalien zur Wehr gesetzt hatte, wird man jetzt müde.

„Verlasst die Versammlungen nicht!“ Der Schreiber des Hebräerbriefes scheint eine erste Kirchenaustrittswelle zu erleben. Die große Vergangenheit der Gemeinde, alle erbrachten Hoch- Leistungen, die aufrechte Haltung- all das reicht ganz offenbar nicht. Was also ist christlich?

Der Hebräerbrief versteht sich als „Wort der Ermahnung“ (13,22). … liebe Geschwister, nehmt dieses Wort der Ermahnung an; ich habe euch ja nur kurz geschrieben…“. Wobei 13 Kapitel nur RELATIV kurz sind.

Der Autor will Christen beieinander halten, weil es ihm wehtut, zu sehen, dass ihr Christsein sie mehr quält als stark macht. Er tut das, indem er ihnen schreibt, was es heißt, GOTT DURCH CHRISTUS ZU GLAUBEN.
GENAU DAS ist es für ihn, was das Christsein ausmacht. Nichts, was irgendwie äußerlich sichtbar wäre, sondern eine ganz innere Angelegenheit.

Ein starker Satz bringt für mich auf einen Punkt, was dieser Glaube ist:
„Es ist aber der Glaube eine gewisse (also nicht relative, sondern besonders feste – unerschütterliche!) Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.“

Beim Glauben geht es also nicht um das WAS, sondern um das DASS. Glaube ist, dass ich nicht ständig zweifeln muss, nur weil ich Gott nicht sehe und niemals verstehen kann. So wie ich Hoffnung oder Liebe auch weder sehen noch wirklich verstehen kann.

Was aber, wenn Zuversicht und Gewissheit gerade einmal nicht ausreichen?
Wenn sie unter die Räder zu kommen drohen, was wird dann aus meinem Christsein?
WAS ich glauben soll, kann ich wissen.
Aber DASS ich glaube, kann ich nicht machen.

Hier hält der Hebräerbrief einem den festen Glauben und die Glaubenswege der Vorfahren vor Augen. Er versucht, damit Mut zu machen. In Predigttext für heute ist es eine ganze Wolke von Zeugen, ich lese aus Kapitel 12 die Verse 1-3:

12,1 Darum wollen denn auch wir, die wir von einer solchen Wolke von Zeugen umgeben sind, alle Last ablegen und die Sünde, die uns so leicht umgarnt. Wir wollen mit Ausdauer laufen in dem Wettlauf, der noch vor uns liegt,
2 und hinschauen auf den, der unserem Glauben vorangeht und ihn vollendet, auf Jesus, der im Blick auf die vor ihm liegende Freude das Kreuz erduldet, die Schande gering geachtet und sich zur Rechten des Thrones Gottes gesetzt hat.
3 Denkt doch an den, der von Seiten der Sünder solchen Widerspruch erduldet hat, damit ihr nicht müde und mutlos werdet.

Lasst uns ablegen!
Hut, Schal, Mantel, Jacke: Kleider ablegen mag ich nur, wo ich mich geschützt weiß. Es muss warm genug sein, ich muss sicher sein, nicht gleich wieder gehen oder frieren zu müssen. Ein freundliches Klima ist wichtig – sonst lass ich die Sachen lieber an.

Andererseits: Manchmal ist ein Zuviel an Kleidung regelrecht hinderlich. Wenn ich arbeiten will, egal ob am Schreibtisch oder anderswo, darf ich nicht zu viel anhaben. Das hindert, macht mich träge. Kommt, legt ab: Ihr seid auf sicherem Boden. Weil wir eine solche Wolken von Zeugen um uns haben.

Wolke: Das erinnert einerseits an die Wolkensäule, durch die Gott seinem Wolk den Weg durch die Wüste wies. Für viele ist sie aber auch ein Bild der Geborgenheit. Vielleicht erinnert sich mancher noch an das Telebärchen, das sich kurz vor der Tagesschau um 20 Uhr in die Mondsichel zur Ruhe legte und sich mit einer kuschligen Wolke zudeckte?

Es gib sie, diese Wolke von Menschen, die vor und mit uns den Glaubensweg gingen und gehen. Jeder von uns kennt solche Menschen persönlich. In den Familien, Gemeinden, Partnergemeinden. In dieser Welt. Ungefähr ein Drittel der Menschen weltweit gehört heute zu irgend einer christlichen Kirche. Viele sind es, die jetzt in diesem Augenblick wie ich den Weg des Glaubens gehen wollen und gehen. Und viel mehr noch sind es, die diesen Weg in ihrem Leben schon gegangen sind.

Wenn so viele Menschen Gottes Geist erfahren haben, warum nicht auch ich? Das ist eine Rückversicherung, die helfen kann. Gerade heute. Denn wir gehen in die sicher schwierigste Woche im Kirchenjahr. Vor uns liegen die Abschiedsfeier Jesu am Gründonnerstag und seine Hinrichtung am Karfreitag, vor uns liegt die Gottesverlassenheit des Karsamstag. In all dem einen Sinn zu entdecken, ja: Auf diesem Geschehen das Tragende des Lebens aufzubauen, im Kreuz nicht den Galgen, sondern den Lebensbaum des Paradieses zu entdecken – das fällt nicht leicht.

Und nicht nur in diesem Jahr, sondern in jedem, das war – und in jedem, das noch kommen wird. Dass es Milliarden Menschen sind und waren, die mit uns um diesen Sinn ringen, kann es uns leichter machen. Leichter machen, abzulegen.

Kommt, legt ab, was euch beschwert – trennt euch von dem, was euch unbeweglich macht. Wer täte das nicht gern? Ballastfrei in diese Woche? Wer würde nicht gern die Fesseln ablegen, die wie den Körper und Geist an freier Bewegung hindern?

All das ablegen und „mit Ausdauer laufen in dem Wettlauf, der noch vor uns liegt“- da wären wir allerdings bei einem unsympathischen Satz. Das klingt nach erzwungener Schufterei, nach nicht enden wollenden Runden auf der Aschenbahn rund um den Sportplatz.

Churchill hat einmal auf die Frage, was er für seine Gesundheit tue, mit einer guten Zigarre in der Hand geantwortet: No Sports! Kein Sport! Dieser Spruch ist mir wesentlich sympathischer. Könnte man den Weg des Glaubens nicht doch lieber in der Rauchwolke einer guten Zigarre oder Pfeife gehen? In aller Ruhe, mit Genuss, in Gelassenheit? Muss „mit Ausdauer laufen in dem Wettlauf“ schweißtreibendes Lebensprogramm sein?

Andererseits: Wer den Lebens- Ausdauerlauf die anderen laufen lässt, wird selbst nicht an ein Ziel kommen können. Wer also seine Bibel allein den so genannten „Profis“ überlässt, muss sich nicht wundern, dass immer weniger Kinder etwas über den Glauben erfahren, dass auch IHREN ALLTAG betrifft. Der muss sich auch nicht wundern, dass er anderen keine gute Antwort mehr auf Glaubensfragen geben kann.

Die Wolke der Zeugen aber nimmt uns mit in den Glauben des Alltages. Ein Leben mit Gott an jedem Tag. Dann SEHE ich nicht nur das Kreuz, dann HEBT SICH MEIN BLICK und ich sehe das Kreuz. Spüre, dass das Kreuz mehr ist als Balken aus Holz. Hier, am Kreuz, geschah nicht nur eine grausame Hinrichtung, sondern am Karfreitag die unbegreiflichste Wendung des Lebens. Hier beginnt der Weg, der in ewiges Leben führt.

Und in der Wolke der Zeugen entdecke ich selbst, dass das Kreuz nicht das Zeichen der Friedhofsruhe ist, sondern Siegel des Weges Gottes in die Auferstehung vom Tod. Ein Weg, den er MIR öffnet. Den er MIR durch die Taufe schenkt, so wie er ihn Milliarden von Menschen vor mir durch die Taufe geschenkt hat.

Meine Schwestern, meine Brüder:

Diese Wolke von Zeugen ist ein Gottesgeschenk. Sie kann uns das Glauben leichter machen. Wir sind nicht und niemals allein auf diesem Weg durch das Kreuz in das Leben.

Diese Wolke von Zeugen hat und wird erfahren, dass Glauben kein Ausstieg aus dem Leben dieser Welt, sondern ein Einstieg in ein Leben mit Gott ist.

Diese Wolke HATTE und HAT genug von dieser unerschütterlichen Zuversicht, auch wenn sie MIR auszugehen droht: Sie wird weiter an Gottes Himmel schweben. Sie deckt mich zu, wenn ich müde werde. Sie lässt mich zu einem Teil von ihr werden.
So auch jede und jeden von euch.
Also:

Lasst euch TRAGEN
von der Liebe Gottes, der Gnade unseres Herrn Jesus Christus und der Gemeinschaft des Heiligen Geistes.
AMEN.

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