Ferner Gott
Seinen Sohn schickt er ans Kreuz
Fordert das Leid
Will das Opfer
Naher Gott
Gehorsam ist er
Dienend
Zu sehen durch alles Dunkel
Leben, aber anders
Der Menschensohn ist nicht gekommen,
dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene
und gebe sein Leben
zu einer Erlösung für viele.
Matthäus 20,28
***
Hiobsbotschaften. Wer nicht genau weiß, was damit gemeint ist, der muss natürlich im Buch Hiob nachlesen. Da lernt man das gleich im 1. Kapitel:
3 Eines Tages aber, da seine Söhne und Töchter aßen und Wein tranken im Hause ihres Bruders, des Erstgeborenen,
14 kam ein Bote zu Hiob und sprach: Die Rinder pflügten und die Eselinnen gingen neben ihnen auf der Weide,
15 da fielen die aus Saba ein und nahmen sie weg und erschlugen die Knechte mit der Schärfe des Schwerts, und
ich allein bin entronnen, dass ich dir’s ansagte.
16 Als der noch redete, kam ein anderer und sprach: Feuer Gottes fiel vom Himmel und verbrannte Schafe und Knechte und verzehrte sie, und
ich allein bin entronnen, dass ich dir’s ansagte.
17 Als der noch redete, kam einer und sprach: Die Chaldäer machten drei Abteilungen und fielen über die Kamele her und nahmen sie weg und erschlugen die Knechte mit der Schärfe des Schwerts, und
ich allein bin entronnen, dass ich dir’s ansagte.
18 Als der noch redete, kam einer und sprach: Deine Söhne und Töchter aßen und tranken im Hause ihres Bruders, des Erstgeborenen,
19 und siehe, da kam ein großer Wind von der Wüste her und stieß an die vier Ecken des Hauses; da fiel es auf die jungen Leute, dass sie starben, und
ich allein bin entronnen, dass ich dir’s ansagte.
Ich allein bin entronnen, dass ich dir’s ansagte.
Ein Tag, eine Stunde, ein paar Minuten: Schlag auf Schlag. Nichts bleibt. Ereignisse, die einem den Boden unter den Füßen wegziehen. Durststrecken, die Ewigkeiten dauern.
Der Blick verengt sich, die Welt gerät aus den Fugen,
und man ist nicht tot.
Man soll noch weiterleben. Leider.
Was Hiob dann aber gesagt haben soll, lässt einen schon die Luft anhalten: Ich bin nackt von meiner Mutter Leibe gekommen, nackt werde ich wieder dahinfahren. Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen; gelobt sei der Name des Herrn! (1,21) Und wenig später: Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen? (2,10)
Hat das noch etwas mit uns zu tun? Sind solche Aussagen jemals „normal“ gewesen? Sicher, das ist durchaus beeindruckend: Hiob bleibt stark und hält durch alle Widrigkeiten und Schicksalsschläge hindurch an seinem Glauben fest.
Aber kennt ihr irgendeinen Menschen in eurem Bekanntenkreis, der das auch so sagen würde? Oder ist hier eine Grundhaltung beschrieben, die Gott von den Menschen fordern würde? Übermenschlich zu sein: Ist es das, was Gott erwartet, von uns erwartet?
Aber das Buch geht ja noch weiter. Hiob erhält Besuch von drei Freunden. Als sie sehen, wie es ihm geht, setzen sie sich zu ihm. Und sagen nichts. Sieben Tagen und sieben Nächte.
Damit machen sie das, was bis heute zu den Grundlagen von Seelsorge ist: Zuerst einfach da zu sein, zu erspüren versuchen, was der andere braucht.
Schließlich beginnt Hiob zu reden. Und er macht das, was wohl alle Menschen bis heute an seiner Stelle machen würden: Er klagt. Bitter. Warum bin ich nicht gestorben? Am besten schon bei meiner Geburt?
Das Festhalten an der Aussage, dass Gott es ist, der uns hält und trägt und dass wir bei ihm geborgen sind, egal, was uns widerfährt: Dieses Festhalten war wohl doch zu schnell.
Was einem widerfährt, muss man emotional durchleben. Davor schützt einen niemand. Man MUSS es aushalten, KANN versuchen, es zu verarbeiten. Und das tut Hiob, zuerst im Schweigen und dann im Reden. Er sucht nach Antworten, nach Erklärungen, nach dem Sinn von dem, was ihm da passiert.
Ist das Leiden eine Strafe für ein Vergehen? Soll er Gott um Verzeihung für irgendwelche Sünden bitten? Aber für welche genau? Oder handelt es sich um eine pädagogische Maßnahme von Gott, mit der er ihn erziehen und fromm machen will?
Das sind Fragen, die sich wohl jeder irgendwann stellt, der mit dem Leiden in Berührung kommt. Egal ob mit eigenem oder dem von Familienmitgliedern oder Freunden: Irgendwie muss es doch möglich sein, zu verstehen, was da passiert.
Aber das ist es eben nicht. Egal, wie sehr man sein Hirn martert, man wird keinen Sinn und keine Erklärung finden, die nicht irgendwie nach Schönreden aussehen. Irgendwann kommt man dann an den Punkt, an dem man begreift: Gott allein ist es, der erklären und begründen könnte, warum Dinge passieren oder auch nicht. Gott. Niemand sonst.
Und zu dieser Erkenntnis kommt nach langen und vielen Reden und Gegenreden auch Hiob. Was seine Freunde sagen, mag in sich schlüssig sein. Aber all das hilft ihm nicht. Es verstärkt sogar sein Leiden. Er fühlt sich unverstanden, nicht mehr geliebt, so als ob er doch selbst schuld an dem allen ist, obwohl er eigentlich weiß, dass es das nicht sein kann. Hiob zweifelt, und er verzweifelt.
Und genau in diesem Moment beginnt unser heutiger Predigttext aus Hiob 19 (19-27):
19 Alle meine Getreuen verabscheuen mich, und die ich lieb hatte, haben sich gegen mich gewandt.
20 Mein Gebein hängt nur noch an Haut und Fleisch, und nur das nackte Leben brachte ich davon.
21 Erbarmt euch über mich, erbarmt euch, ihr meine Freunde; denn die Hand Gottes hat mich getroffen!
22 Warum verfolgt ihr mich wie Gott und könnt nicht satt werden von meinem Fleisch?
23 Ach dass meine Reden aufgeschrieben würden! Ach dass sie aufgezeichnet würden als Inschrift,
24 mit einem eisernen Griffel und mit Blei für immer in einen Felsen gehauen!
Vielleicht kennt ihr das ja auch selbst:
Dass Freunde schnell eine Antwort haben und eine Lösung wissen. Oder dass ihr selbst in so einer Situation ähnlich handelt wie die Freunde Hiobs.
Dann wisst ihr aber auch, dass die Freunde irgendwie gar nicht anders KÖNNEN, weil sie das Leid Hiobs anders nicht ertragen können.
Ändere dieses oder jenes, lass dieses oder das, denke mal an das oder ändere deine Perspektive….
Aber so wenig euch selbst das helfen würde, so wenig hat es Hiob damals geholfen. Im Gegenteil: Rede und Gegenrede quälen ihn, weil sie keine Antwort auf seine Frage bieten: Warum das alles?
Also sagt er: Haltet mein Leiden mit mir aus. Ihr in euren stabilen Leben KÖNNT die Antwort nicht wissen. Ruft mit mir nach Gott. Antwort kann NUR ER geben! Sprecht nicht zu mir, als wäre ich letztlich selbst schuld. Bleibt hier, schweigt mit mir. Und ruft mit mir zu Gott. Dann kann ich vielleicht irgendwann Gottes Antwort hören. Irgendetwas, das mir weiterhilft.
Manche Antworten KANN nur Gott geben. Durch die Kraft seines Geistes kann der Mensch sie hören. Hiob hört. Und begreift, was nicht verstanden werden kann. Und redet Sätze zum Schluss unseres Textes, die gegen jede Vernunft sprechen, aber aus der Tiefe seines Herzens kommen:
25 Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der Letzte wird er über dem Staub sich erheben.
26 Nachdem meine Haut noch so zerschlagen ist, werde ich doch ohne mein Fleisch Gott sehen.
27 Ich selbst werde ihn sehen, meine Augen werden ihn schauen und kein Fremder. Danach sehnt sich mein Herz in meiner Brust.
Hiob weiß nicht mehr aus noch ein. Hiob versteht seine Freunde nicht, empfindet sie nicht als hilfreich, er beschimpft sie sogar. Und jetzt, nachdem er das alles durchlebt und durchlitten ist, kehrt er zu dem zurück, was von Anfang an da war.
Vielleicht irgendwo verborgen in ihm, vielleicht. In jedem Falle aber größer als er selbst, unendlich viel größer. Das Fundament, auf dem alles steht, was da ist, auch er selbst. Die Grundlage von allem. Der Ursprung von allem. Die Antwort auf alles. Gott selbst. Gott ist die Grundlage, das Fundament, der Ursprung. Die Antwort.
Auch wenn er es nicht versteht: Ich weiß, dass mein Erlöser lebt. Ich selbst werde ihn sehen. Der dogmatische Lehrsatz wird in diesem Moment zur Erfahrung seines Herzens: Gott ist da! Nach IHM sehnt sich mein Herz in meiner Brust.
Meine Schwestern, meine Brüder:
Wo ist der Vater? Der, der mich gezeugt hat? Der, zu dem ich gehen kann? Der, der mich auffängt? Wo ist er, der himmlische Vater? Diese Frage steckt in der Übersetzung des Namens „Hiob“. Hiob ist Name, Programm und Verstehenshilfe.
Hiob ist – anders als Jesus Christus – nicht Mensch aus Fleisch und Blut, er ist Kunstfigur. Das Buch Hiob gehört zur Gattung „Weisheitsliteratur“. Und Weisheit schenkt es den Menschen durch die Jahrtausende, seit es existiert.
Leid trifft jeden Menschen. Niemand kann sich entziehen. Auch wenn ich Menschen kenne, die von sich sagen, alt geworden zu sein, ohne selbst leiden zu müssen: Auch sie hatten Menschen, die ihnen nah waren und leiden mussten. Selbst wenn man nicht die Stelle HIOBS einnehmen muss: Auf den Platz der FREUNDE wird jede und jeder im Leben sich setzen müssen. Sehr wahrscheinlich mehr als ein Mal.
Und dort wird guter Rat teuer. Auch nach sieben Tagen und sieben Nächten des Schweigens.
Auf dem Platz des Freundes sitzend erkennt man auch, das Hiobsbotschaften nicht gleich Hiobsbotschaften sind.
Nicht nur Wirbelstürme oder Feuer, nicht nur die Schärfe des Schwertes oder unheilbare Krankheiten führen ins Leid.
Leid ohne Ende gibt es auch, wenn man die Liebe seines Lebens gefunden hat, aber nie mit ihr wird leben können.
Oder lebenslang arbeiten muss, was man weder gelernt noch gewollt hat.
Oder mit ansehen muss, wie ein Mensch, den man liebt, leidet und im Leid zugrunde geht.
Vor gut einem Jahr brach die Hiobsbotschaft der Corona-Pandemie über diese Welt herein. An ihr kann man gut sehen, wie Leid ALLE betrifft: Die, die an Covid 19 sterben mussten, die mit Langzeitfolgen leben müssen, die nach einer Schutzimpfung dagegen starben. Aber auch, die keine sozialen Kontakte mehr haben, die arm und ärmer werden, oder deren Lebens-Alltag sich in eine Katastrophe verwandelt hat, weil homeschooling und homeoffice nur noch Trümmer hinterlassen. Und die, die sieben Tage und Nächte daneben sitzen müssen, ohne helfen zu können.
Wo ist der Vater? Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Der Name Hiobs und der Psalmruf Jesu am Kreuz klingen nicht nur ähnlich. Sie sind Ausdruck des Lebens, das an seine Grenzen stößt und diese Grenzen begreift. Es geht um den Moment, an dem kein Mensch mehr da ist, weit und breit, der helfen kann. Auch nach sieben Tagen und Nächten nicht.
Dann kann nur noch Gott selbst Antwort geben. Er, der Hiob gegen alles Verstehen die ihn erlösende Antwort schenkt: Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der Letzte wird er über dem Staub sich erheben… Ich SELBST werde ihn sehen, MEINE Augen werden ihn schauen und KEIN Fremder…
Gott selbst, der alles Leiden dieser Welt durch Christus ans Kreuz trägt und voller Leidenschaft Qualen und Tod am Ostermorgen in ein neues Leben auflöst. Neues Leben, dass uns in der Taufe geschenkt wird.
So getauft können wir hoffen auf den Moment, in dem auch wir, wenn alle Freunde stumm geworden sind, die Stimme Gottes hören werden:
Wenn die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
mit uns sind.
AMEN.