Das Größte

(Phil 2, 12+13)

Dass Kirche ein Fels in der Brandung menschlicher Moden und Irrtümer sein solle, wünscht sich mancher. Schutz für das Leben, das endlich ist, Schutz für die Seele, die verletzlich ist. Unveränderliches im Meer der Veränderungen.

Aber auch Felsen liegen nur scheinbar unveränderlich in der Brandung des Meeres. Wir können nur nicht sehen, dass sie immer kleiner und kleiner werden, weil wir dazu einfach nicht lange genug leben.

Auch die Stadtmauern des Mittelalters können niemanden mehr schützen. Sie sind heute nur noch imposante Bauwerke, die inzwischen selbst Schutz brauchen.

Kirchen machen da keine Ausnahme: Den Wehrkirchen des Mittelalters, in denen Menschen Schutz vor Feinden fanden, geht es so wie den Stadtmauern. Und innen: Welchen Schutz haben Christen anderen Menschen denn zu bieten?

Kürzlich befragte man Jugendliche am Leipziger Hauptbahnhof, wie sie sich selbst einordnen würden: Als Christen, als religiöse oder areligiöse Menschen. Die meisten waren ratlos, eine Antwort kam dann irgendwann bezeichnend für viele: „Keine Ahnung, wir sind einfach normal.“

Kirche ist nicht normal: Heute sind wir von religiösem Grundwissen in der Bevölkerung ebenso weit entfernt wie von einer religiösen Aufbruchsstimmung. Viele Gemeinden vermögen es nicht, den Glauben aus der Nische der sonntäglichen Privatangelegenheit dorthin zu bringen, wo er hingehört:
In den Alltag eines erlösten, frohen Menschen.

Nach kurzer Zeit des Nachdenkens kann einem so das Lächeln über diese Antwort vergehen. Es wächst die Furcht, dass sich hinter dieser Antwort auch eine Bankrotterklärung heutigen Kircheseins verbergen könnte.

Sicher, jeder von UNS würde sagen: Ohne meinen Glauben wäre mein Leben nichts wert.

Aber dies weiterzugeben scheitert oft. Nicht wenige werden sprachlos bei den Anfragen, die kommen: Fragen von Freunden, Kollegen, Kindern. Darum gibt es immer mehr Christen, die ihren Glauben zwar in sich drinnen bewahren, ihn aber nicht mehr zum Gesprächsgegenstand machen können. Wer will schon als unnormal gelten!

Da aber wären wir schon beim Thema: Eine Reformation müsste her. Heute, jetzt, hier. Jeder spürt: Es kann am Reformationstag nicht darum gehen, alte Zeiten hochleben zu lassen und die Reformatoren Luther, Zwingli oder Calvin als Glaubenshelden auf einen Denkmal- Sockel zu heben.

Es geht vielmehr darum, sie von dort herunterzuholen in unseren Alltag. Von ihnen das zu lernen, was WIR brauchen, um Kirche für diese Welt zu sein.

Dabei ist es wenig hilfreich, sich hinzustellen und zu klagen. Darüber zum Beispiel, dass Halloween immer bekannter und der Reformationstag immer unbekannter wird.

Nein: Es geht nicht darum, dass unsere Gesellschaft Kerzen in Kürbismasken austauscht gegen „Ein feste Burg ist unser Gott“. Zumal Halloween AUCH christliche Wurzeln hat.

Es geht in allem darum, den Auftrag der Kirche zu erfüllen.
Was genau aber meint das?

Arbeitet an euch selbst mit Furcht und Zittern,
damit ihr gerettet werdet!
Ihr könnt es, denn Gott selbst bewirkt in euch
nicht nur das Wollen,
sondern auch das Vollbringen,
so wie es ihm gefällt.

In diesen knappen Sätzen des Predigttextes aus dem 2. Kapitel des Philipperbriefes (Verse 12+13 in der Übertragung der „Guten Nachricht“) fasst Paulus im Gefängnis zusammen, was ihm selbst dort Hoffnung auf Morgen gibt: Die Arbeit der Geretteten.

Wer immer dachte, die Dialektik sei eine Erfindung von Hegel oder gar Marx, wird hier eines Besseren belehrt. An der eigenen Rettung arbeiten, die doch nur Gott selbst vollbringen kann, scheint ein klassischer dialektischer Widerspruch zu sein.

Aber gerade so wird die Größe dessen beschrieben, was mit glatten, widerspruchslosen Worten niemals erklärt werden könnte. Hier werden Bilder aus Worten bemüht für etwas, wofür alle Worte der Welt nie ausreichen.

„Arbeitet an euch selbst mit Furcht und Zittern“ –
Furcht überfällt uns, wenn wir dem nicht mehr dem standhalten können, was auf uns zukommt.
Dann zittern Menschen, ohne dagegen etwas tun zu können. Es wird ihnen unmöglich, die Haltung zu bewahren.

So aber kann man gar nicht arbeiten, nicht an sich selbst, erst recht nicht für die eigene Rettung. „Furcht und Zittern“ machen handlungsunfähig.

Aber gerade wenn es um das Heil, die Rettung, das Wunder des Lebens und der Liebe geht, geht es um etwas so Großes, das Furcht und Zittern nicht ausbleiben können. Denn nur der kann Rettung in jedes Leben bringen, der jedes Leben und Sein schafft: Gott selbst. Es geht also um die Begegnung des Menschen mit dem lebendigen Gott.

Soeren Kierkegaard sagte dazu: „Furcht und Zittern bedeutet, dass ein Gott da ist, was kein Mensch und kein Bestehendes einen einzigen Augenblick vergessen darf.“

Paulus würde vielleicht hinzufügen: Denn Gott schenkt euch alles, was das Leben ja ausmacht. Überall und immer. Selbst im Gefängnis.

Und er schreibt es immer und immer wieder: Ihr habt alles empfangen, was zum Leben nötig ist. Sogar all das, was zum ewigen Leben führt.

Das kann für Paulus nur eine Konsequenz haben: Also tut jetzt alles, was in euren Kräften steht, um Gottes willen! Schafft euer Heil!

Glücklicherweise nicht DAS HEIL DER WELT, aber EUER Heil! Aber vergesst nicht, dass Gott selbst euch dabei begegnen wird. ER wird euch dabei ändern, euch anders werden lassen.

Lasst euch von Gottes Liebe verändern, und dann traut der Liebe zu, die Welt zu verändern.

Und dieses Anders-Werden bedeutet auch Zerbrechen, Umgestaltet-Werden. Anders-Werden IST Furcht und Zittern, weil wir uns selber lieber durchhalten, uns hindurchretten wollen. Nicht umsonst hat mancher schon den Partner vor dem Traualtar stehen lassen: Weil ihn Furcht und Zittern überkam. Ohne Furcht und Zittern wird niemand für das Große GEÖFFNET, das Gott in uns wirken will.

Bevor uns dieses Große nun die Luft nimmt, bevor uns diese Änderung vor Angst vergehen lässt, fällt uns Paulus erneut in die Gedanken: IHR KÖNNT ES! Gott selbst wirkt und vollendet es!

Weil GOTT in seiner Gnade alles wirkt, auch das Vollbringen, kann und muss der Christ tun, wozu er aus sich selbst nie und nimmer fähig wäre: Das eigene Heil schaffen, indem er bedingungslos liebt. So, dass andere das erleben können.

Rettung sichtbar machen bedeutet: In einem Leben des Gehorsams und der Liebe ans Ziel der vollendeten Gemeinschaft mit Gott gelangen. Ein Christ kann das nur mit Furcht und Zittern tun, also im Wissen um seine völlige Abhängigkeit von Gott.

Dass diese Rettung das Größte ist, was seinem Leben widerfährt, hat Martin Luther durch sein Familienwappen zum Ausdruck gebracht. Damit wollte er „Merkzeichen seiner Theologie“ beschreiben. Alle haben diese „Lutherrose“ am Eingang bekommen. In einem Brief am 8. Juli 1530 schreibt Martin Luther zu seinem Wappen:

„Das erste sollte ein Kreuz sein – schwarz – im Herzen, das seine natürliche Farbe hätte. Denn so man von Herzen glaubt, wird man gerecht … Solch Herz soll mitten in einer weißen Rose stehen, anzeigen, dass der Glaube Freude, Trost und Friede gibt … darum soll die Rose weiß und nicht rot sein; denn weiße Farbe ist der Geister und aller Engel Farbe. Solche Rose steht im himmelfarbenen Feld, dass solche Freude im Geist und Glauben ein Anfang ist der himmlische Freude zukünftig … Und um solch ein Feld einen goldenen Ring, dass solche Seligkeit im Himmel ewig währt und kein Ende hat und auch köstlich über alle Freude und Güter, wie das Gold das edelste köstlichste Erz ist …“

Luthers Familienwappen will sichtbar festhalten: Glauben ist HERZENSSACHE, bei der es um ALLES geht –
das Kreuz Christi mitten im lebendig roten Herzen.
Es geht um ein Leben, das sich auf Gott verlassen kann und so BEWAHRT ist, egal was die Lebenstage bringen mögen.

Meine Schwestern, meine Brüder,

von F. v. Weizsäcker stammt der Satz:
„Die Kirche hat nicht den Auftrag, die Welt zu verändern.
Wenn sie aber ihren Auftrag erfüllt, verändert sich die Welt.“

Heute hören wir: In der Kirche treffen sich die, die mit Furcht und Zittern an ihrer Rettung arbeiten. Das erinnert das Familiensiegel Luthers, wann immer man darauf schaut.

Es sagt: Hier geht es um das ganze Leben, um „Freude, Trost und Friede“.

Es geht um die weiße Rose in Gottes Himmel, in dem 5 Buchstaben zu sehen sind: „VIVIT“ steht da auf dem himmelblauen Feld.

Ein lateinisches Wort für das Größte, was man erleben kann: Er lebt! Und weil Christus lebt und ich ihm begegne, weiß ich, worauf ich mich verlassen kann. Auf seine Liebe, die das Leben rettet.

Wer aus und für Gottes Liebe lebt, verändert nicht nur sein Leben, sondern auch das von jedem, der ihm begegnet. Gottes Liebe leben- das ist der Auftrag von Kirche.

Denn nur hier werden ihn die Vielen finden können: Den Frieden Gottes, der größer ist, als alles menschliche Denken es fassen kann und der allein die Rettung ist, weil er Leiber und Seelen bewahren kann in Christus Jesus.
Lutherrose

Nächster Termin: 9. November 10 Uhr Ritterstraße 94 in 14770 Brandenburg a.d. Havel,

15 Uhr Dorfkirche zu Hohenbruich

Dieser Beitrag wurde unter Predigten veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

2 Antworten zu Das Größte

  1. KarolaKadau sagt:

    Fängt gut an. Erklärung ist dann für mich nicht so ganz einfach zu verstehen.
    Aber die Lutherrose ist schön, bin dann zufällig auf dieses Gedicht gestoßen:
    1. Das Kreuz steht fest und zeichenhaft im Herzen.
    Es tötet nicht, denn unter Angst und Schmerzen
    hat der Gekreuzigte das Heil gebracht.
    Sein Kreuz bringt erst das rote Herz zum Leuchten,
    weil nur der Glaube uns lebendig macht.
    Er schenkt uns Kraft und ein erhöhtes Haupt.
    Man wird gerecht, wenn man von Herzen glaubt.

    2. Das Herz mit Kreuz erschreckt kein Weltgetose.
    Es schlägt inmitten einer weißen Rose.
    Sie zeigt, dass Glaube Trost und Frieden bringt.
    Nicht wie die Welt, die um die rote Rose
    von zweifelhafter Lust und Ehre ringt.
    Die Farbe für den Geist und Engelkreis
    ist fröhlich glänzend das erlöste Weiß.

    3. Die Rose ist von Himmelsblau umworben.
    Es kündet an: Die Zukunft kommt von oben.
    Schon ist ein Hauch von ew’ger Freude nah,
    vom Atem Hoffnung sind wir schon ergriffen.
    Doch noch ist Gottes Reich nicht sichtbar da.
    Wir stehen, weil uns das Kreuz am Leben hält,
    erwartungsvoll im offnen Himmelsfeld.

    4. Mein ist das Kreuz und weiß mich zu erretten.
    Mein Herz darf sich in weißer Rose betten
    und jetzt schon wie im Himmel selig sein.
    Ein Ring aus Gold, wie Gottes Freude kostbar,
    fasst diese Seligkeit für immer ein.
    Die Traurigkeit der Welt wird klein und stumm.
    Vivit! Er lebt! So steht es klar rundum.
    Detlev Block (Aus „Erde, atme auf“.)

  2. malte sagt:

    Danke für das Gedicht, das erhellt. Fazit: Weil er lebt, lieben wir. So wird Kirche, die Welt ändert.

Kommentare sind geschlossen.