Glauben: Was ist das?
Nachfolge: Was bedeutet das?
Diese Fragen bedenken die Sonntage
der Zeit bis zum Osterfest.
Der Sonntag Septuagesimae lässt sehen:
Wer glaubt, ist abhängig
nicht von seiner Lebensleistung
sondern von Gott
der die Barmherzigkeit in Person ist
Wer sich gefangen nehmen lässt
von ihm
wird frei
auf ewig
Wir liegen vor dir mit unserm Gebet und vertrauen nicht auf unsre Gerechtigkeit, sondern auf deine große Barmherzigkeit.
Daniel 9,18
Wenn man eine Predigt anfängt, geht eines gar nicht, hat uns mein Lieblings- Predigtlehrer beizubringen versucht: Die Krankmeldung des Predigers oder des Textes.
Was er damit gemeint hat, ist leicht erklärt. Da sagt einer im Bibelgesprächskreis: „Das ist ja entsetzlich! Paulus hat mich mit seiner Arroganz schon so oft wütend gemacht. Und dieser Text hier, der ist für mich regelrecht erschreckend. Einfach /nur / entsetzlich!“
Und eine Frau, ein paar Jahre älter als ich: „Ist das nicht furchtbar? Diese Kampfbilder, dieses Leistungsdenken, diese Siegermentalität, diese Leibfeindlichkeit! Da hat doch der gute Paulus bestimmt wieder in erster Linie an sexuelle Enthaltsamkeit gedacht! Sich nur ja nichts gönnen, so sind wir Frauen über Jahrhunderte erzogen worden. Lebensfeindlich, lustfeindlich. Das ist Quälerei, das kann nicht Evangelium sein. Das ist typisch Mann, typisch Paulus, aber niemals Jesus!“
Schließlich ein Dritter aus der Runde: „Genau- Generationen haben darunter gelitten, dass die Kirchen den Körper madig geredet und aus der Sexualität die Sünde schlechthin gemacht haben. Paulus, der Erfinder des Zölibates und sexueller Enthaltsamkeit- man sieht ja, wohin die Kirche das gebracht hat.“
Worum es hier konkret ging? Um den Predigttext für heute. Ein Abschnitt aus dem ersten Brief, den Paulus an die Gemeinde in Korinth schrieb. Im 9. Kapitel heißt es da ab Vers 24 in der NGÜ:
24 Ihr wisst doch, wie es ist, wenn in einem Stadion ein Wettlauf stattfindet: Viele nehmen daran teil, aber nur einer bekommt den Siegespreis. Macht es wie der siegreiche Athlet: Lauft so, dass ihr den Preis bekommt!
25 Jeder, der an einem Wettkampf teilnehmen will, unterwirft sich einer strengen Disziplin. Die Athleten tun es für einen Siegeskranz, der bald wieder verwelkt. Unser Siegeskranz hingegen ist unvergänglich.
26 Für mich gibt es daher nur eins: Ich laufe wie ein Läufer, der das Ziel nicht aus den Augen verliert, und kämpfe wie ein Boxer, dessen Schläge nicht ins Leere gehen.
27 Ich führe einen harten Kampf gegen mich selbst, als wäre mein Körper ein Sklave, dem ich meinen Willen aufzwinge. Denn ich möchte nicht anderen predigen und dann als einer dastehen, der sich selbst nicht an das hält, was er sagt.
//Mal ehrlich: Wer hätte nach einer solchen Einleitung überhaupt noch Lust, über diesen Text nachzudenken? Krankmeldung des Textes: Wirklich ein schlechter Anfang.
Andererseits, wenn ich in mich gehe: Es ist schon in grobem Maße unfair, dass gerade ich heute eine Predigt mit supersportlichem Hintergrund halten soll. Geht man in Brandenburgs Neustadt durch die große Münzenstraße Richtung Dom, kommt man irgendwann an dem Haus vorbei, an das ich die schlimmsten Erinnerungen meiner Schulzeit habe: Der Sporthalle der Curie- Schule.
Schon immer war Sport für mich fürchterlich, wenn es nicht gerade Schwimmen oder Volleyball war. Aber Sport mit Benotung – das war ein Alptraum. Alle, alle konnten es besser. Sport ist Mord- daran hat sich auch heute für mich nichts geändert. (Manch einer meint, dass man mir das auch ansieht.)
Und jetzt soll ich mich auch noch im Glauben den anderen hinterher hecheln sehen, ohne jede Aussicht auf Erfolg? Hängt der Siegeskranz, den Paulus da aufgehängt hat, nicht deutlich zu hoch?
//Jetzt auch noch die Krankmeldung des Predigers – Dabei kann ja nichts Ordentliches herauskommen. Dabei ist all das Gemeckere nur ein sehr deutliches Beispiel dafür, was passiert, wenn man etwas völlig aus seinem Kontext herauslöst.
Dann nämlich fängt ein solcher Vergleich so zu hinken an, dass am Ende gar nichts mehr stimmt: „Glaube gleich Leistungssport“, gar noch gleichzusetzen mit dem präzisen Schlag des Profi-Boxers, der seinen Gegner so unter dem Auge trifft, dass es zuschwillt und ihn kampfunfähig macht!?
Dabei hat Paulus schon selbst begonnen, seinen Vergleich zu relativieren: „Die Athleten tun es für einen Siegeskranz, der bald wieder verwelkt. Unser Siegeskranz hingegen ist unvergänglich.“ Während im Sport nur vergänglicher Ruhm als Belohnung winkt, ist dem Glaubenden ein unvergänglicher Siegespreis versprochen: Ewiges Leben beim allmächtigen Gott.
Außerdem: Wenn Paulus gewusst hätte, was sich heutzutage so im Sport abspielt, hätte er dieses Briefstück kaum geschrieben. Schwimmerinnen, die so lange gedopt werden, bis sie ihren männlichen Boxerkollegen äußerlich in kaum etwas nachstehen. Skiläufer, die sich auf halsbrecherischen Pisten alle Gräten brechen. Formel 1 Fahrer, die pro Jahr mehrere Millionen verdienen. Fußballspiele, die in illegalen Wettbüros verschoben werden.
Schon damals in Korinth waren Sportveranstaltungen Veranstaltungen der Reichen und Schönen. Die meisten Glieder der kleinen Gemeinde in Korinth gehörten zu den Ärmeren in der Stadt. Wie sollte Sport da eine Vorbildwirkung für ihren Glauben entfalten? Worum ging es Paulus also wirklich?
Schon wenn man nur einen EINZIGEN Vers VORHER mit dem Lesen angefangen hätte, hörte sich alles ganz anders an:
„23 Das alles tue ich wegen des Evangeliums; denn ich möchte an dem Segen teilhaben, den diese Botschaft bringt.“ Oder: „denn ich möchte mithelfen, Menschen für diese Botschaft zu gewinnen.“ Darum geht es Paulus: Um das Evangelium für die Menschen.
Gerade wir in der Kirche der Reformation wissen doch, WAS Paulus über dieses Evangelium denkt: Es macht gerecht allein durch den Glauben, schon jetzt und ganz ohne des Menschen Zutun. Paulus weiß also sehr genau, dass bei Gott niemand vom Sieg ausgeschlossen bleibt, dass das Christsein also (wenn überhaupt) eine Mannschaftssportart ist.
Das aber setzt dem Bild vom Einzel-Podestplatz im Leistungssport, ja das setzt jeglichem Leistungsdenken klare Grenzen. Und genau das zwingt uns auch, dieses Bild im Kontext der Gesamtbotschaft des Paulus zu bedenken.
Paulus weiß: Mit dem LEIB geht es in der Bibel um den ganzen Menschen. In der Sicht sowohl des Alten als auch des Neuen Testamentes IST der Mensch Leib. Er HAT nicht nur einen Körper.
In dieser Leiblichkeit ist der Mensch von Gott geschaffen. In dieser Leiblichkeit wird er von Gott aufgesucht, wie im Johannesevangelium zu lesen ist: „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns“.
Davon weicht Paulus keinen Millimeter ab: In seiner Leiblichkeit wird der Mensch von Gottes Geist belebt: „Habt ihr denn vergessen, dass euer Körper ein Tempel des Heiligen Geistes ist?“ (1.Kor 6,19). Christen erwarten das Heil des ganzen Menschen, auch des Körpers, Röm 8, 23: „Wir warten darauf, dass auch unser Körper erlöst wird“.
Wer meint, mit seinem Leib Schindluder treiben zu können, bekommt es mit Gott zu tun: „Wisst ihr nicht, dass ihr der Tempel Gottes seid und dass Gottes Geist in euch wohnt? Wer den Tempel Gottes zerstört, zerstört sich damit selbst, weil er Gottes Gericht über sich bringt. Denn Gottes Tempel ist heilig, und dieser heilige Tempel seid ihr” (1.Kor 3,16f).
Keine Rede von einer Minderwertigkeit des Leibes, wohl aber davon, dass Gott den Menschen LEIBHAFTIG meint. Dass das Evangelium nicht nur den Geist, sondern auch den Körper meint.
Paulus weiß klar zu unterscheiden zwischen SelbstHINgabe und SelbstAUFgabe. Zwischen heilsamer Konzentriertheit, die auch den Verzicht einschließt, und einem leib- und lebensfeindlichen, lieblosen Rigorismus. „Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib verbrennen und hätte die Liebe nicht, so wäre mir’s nichts nütze“ – auch das in diesem ersten Brief an die Gemeinde in Korinth nachzulesen (13,3).
Wenn Paulus seinen Leib hier also mit einem Sklaven gleichsetzt, geht es nicht um schlechte Behandlung, sondern den Zweck der Behandlung. Paulus will klar machen, dass die Teilhabe am Evangelium nicht ohne den Einsatz des GANZEN Lebens, des ganzen Menschen zu gewinnen ist.
Damit steht er mitnichten allein da. Der Evangelist Markus lässt Jesus sagen: „Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach“ (Mk 8,34).
Matthäus zitiert Jesus: „Wenn dich dein rechtes Auge zum Abfall verführt, so reiß es aus und wirf’s von dir. Es ist besser für dich, dass eins deiner Glieder verderbe und nicht der ganze Leib in die Hölle geworfen werde“ (Mt 5,29).
All diese Aussagen aber sind Bilder. Verständlich werden sie nur in ihrem Gesamtzusammenhang. Ihre Wahrheit liegt nicht einfach auf der flachen Hand. Schon gar nicht sind sie als Anleitung zu verstehen, handgreiflich zu werden, gar gegen sich selbst.
Paulus sagt, dass der GANZE Mensch gemeint ist, wenn es um den Glauben geht. Dass Glauben mit angezogener Handbremse nicht auf dem Siegerpodest, sondern mit ausgeglühten Bremstrommeln in der Reparaturwerkstatt endet. Und wer will da schon hin.
Es geht ihm schließlich darum, die Erkenntnis wach zu halten, dass Botschaft und Botschafter unter den Menschen nie voneinander getrennt werden. Wer Wasser predigt und Wein trinkt, kann sich das Predigen sparen. Und das betrifft nicht nur den Prediger auf der Kanzel.
Meine Schwestern, meine Brüder:
Die Position des Paulus ist ein Gegenpol zu der Position, die die Körperlichkeit zum wesentlichen Lebensinhalt macht. So, wie sie vielleicht in einer Bemerkung Franz Beckenbauers zum Ausdruck kommt, der gesagt haben soll: „Den Tod fürchte ich nicht, was ich fürchte, ist eine Glatze zu bekommen“.
Vielleicht hat er das nicht so ernst gemeint wie die Werbung eines Fitness-Centers: „Sie machen eine gute Figur. Fitness World. Wir sind an ihrer Seite. Wellness tut sooo gut. Wellness ist das unheimlich starke Wohlgefühl nach getaner Trainingsarbeit … Wellness heißt: ich bin gut drauf, ich fühl mich wohl“. Das würde bedeuten, dass sich niemand mehr wohl fühlen kann, der über 50 ist. Denn irgendwas tut immer weh.
Paulus fürchtet keine Glatze. Er fürchtet auch keinen dicken Bauch oder Rückenschmerzen. Er fürchtet nicht einmal die Epilepsie, die er wahrscheinlich hatte. Er fürchtet auch nicht den Tod. Er fürchtet nur, dass es an ihm liegen könnte, dass irgendeinem Menschen die Größe des Evangeliums verborgen bleibt.
Das heutige Evangelium von den Arbeitern im Weinberg und unser Predigttext liegen gedanklich nicht gerade nahe beieinander. Aber sie ergänzen sich heilsam.
Das Evangelium sagt: Wenn Du dich nur mühst, ist es vor Gott egal, ob Du dich schon immer mühst oder nur in der Stunde vor dem Feierabend. Gott bietet Dir vollen Lohn. Und Paulus sagt: Aber MÜHE geben ist Pflicht.
Was treibt eigentlich Millionen von Menschen dazu, in Fußballstadien, in Arenen oder den Fernsehgeräten gebannt zuzusehen, wie Sportler sich zu Höchstleistungen treiben?
Eine weitere Frau im Bibelgesprächskreis brachte das auf diesen Punkt: „Hier ist so eindeutig von einem Ziel die Rede. Dann hat es doch Sinn, das Laufen. Das beeindruckt mich wirklich sehr.“
Bezogen auf das Zuschauen beim Sport: Hier kann man Leidenschaft sehen. Dabei sein, wenn Menschen alles geben, was in ihnen steckt. Mit ihnen siegen – und mit ihnen untergehen. Viele finden hier die Grundsehnsucht des Lebens: Die Leidenschaft.
Leidenschaft für Gott, der für uns Barmherzigkeit will: Legt mal die Chipstüte beiseite, steht mal vom Sofa auf! Das ehrliche Ringen muss uns schon anzusehen sein.
So können wir dem Sport etwas von seinem guten Geist abgucken. Sportliche Freude ausstrahlen, dass wir dabei sein dürfen und uns mit Leidenschaft dem Ziel widmen, das Gott für uns gedacht hat: Barmherzigkeit.
Auch wenn Leidenschaft Leiden schafft: Die macht Christen nicht zu finsteren Asketen, sondern zu lebensfrohen Menschen, denen Kämpfen und Laufen Ausdauer und Kondition bringt.
Der Siegeskranz lohnt sich. Das sollten wir nie vergessen:
Die Liebe Gottes und die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sind alle Leidenschaft wert. Amen.