Wer ist der? (Mt 21 1-11)

Unseren Gottesdienst am 1. Advent zum Nachhören finden Sie für vier Wochen hier.

Johannes Jourdan:

Gott kommt zu uns.
Wir müssen nicht mehr
zweifelnd nach ihm fragen.
Gott kommt zu uns,
um seine Gnade allen anzusagen.
Gott kommt zu uns
und lässt uns wieder hoffen;
denn sein Herz
ist für alle Menschen offen.
Gott kommt zu uns.

Siehe, dein König kommt zu dir,
ein Gerechter und ein Helfer.
Sach 9,9a
***
Aus dem ersten Buch der Könige Kapitel 1:

23 Und sie sagten dem König an: Siehe, da ist der Prophet Nathan. Und als er hinein vor den König kam, fiel er vor dem König nieder auf sein Angesicht zur Erde
24 und sprach: Mein Herr und König, hast du gesagt: Adonija soll nach mir König sein und auf meinem Thron sitzen? 25 Denn er ist heute hinabgegangen und hat geopfert Stiere und Mastvieh und viele Schafe und hat alle Söhne des Königs geladen und die Hauptleute, dazu den Priester Abjatar. Und siehe, sie essen und trinken vor ihm und rufen: Es lebe der König Adonija!

28 Der König David antwortete und sprach: … 30 Ich will heute tun, wie ich dir geschworen habe bei dem HERRN, dem Gott Israels, als ich sagte: Salomo, … soll nach mir König sein, und er soll für mich auf meinem Thron sitzen.

32 Und der König David sprach: Ruft mir den Priester Zadok und den Propheten Nathan und Benaja, den Sohn Jojadas! Und als sie hineinkamen vor den König, 33 sprach der König zu ihnen: Nehmt mit euch die Großen eures Herrn und setzt meinen Sohn Salomo auf mein Maultier und führt ihn hinab zum Gihon. 34 Und der Priester Zadok samt dem Propheten Nathan salbe ihn dort zum König über Israel. Und blast die Posaunen und ruft: Es lebe der König Salomo! 35 Und zieht wieder hinauf hinter ihm her, und er soll kommen und sitzen auf meinem Thron und für mich König sein. Denn ihn setze ich zum Fürsten über Israel und Juda ein.
36 Da antwortete Benaja, der Sohn Jojadas, dem König und sprach: So sei es! Der HERR, der Gott meines Herrn und Königs, bestätige es!
37 Wie der HERR mit meinem Herrn, dem König, gewesen ist, so sei er auch mit Salomo, dass sein Thron größer werde als der Thron meines Herrn, des Königs David!
38 Da gingen hinab der Priester Zadok und der Prophet Nathan und Benaja, der Sohn Jojadas, und die Kreter und Pleter und setzten Salomo auf das Maultier des Königs David und führten ihn zum Gihon.

Evangelium nach Matthäus Kap. 21:

1 Als sie nun in die Nähe von Jerusalem kamen, nach Betfage an den Ölberg, sandte Jesus zwei Jünger voraus
2 und sprach zu ihnen: Geht hin in das Dorf, das vor euch liegt. Und sogleich werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Füllen bei ihr; bindet sie los und führt sie zu mir!
3 Und wenn euch jemand etwas sagen wird, so sprecht: Der Herr bedarf ihrer. Sogleich wird er sie euch überlassen.
4 Das geschah aber, auf dass erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten, der da spricht:
5 „Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen, dem Jungen eines Lasttiers.“
6 Die Jünger gingen hin und taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte,
7 und brachten die Eselin und das Füllen und legten ihre Kleider darauf, und er setzte sich darauf.
8 Aber eine sehr große Menge breitete ihre Kleider auf den Weg; andere hieben Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg.
9 Das Volk aber, das ihm voranging und nachfolgte, schrie und sprach: Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!
10 Und als er in Jerusalem einzog, erregte sich die ganze Stadt und sprach: Wer ist der?
11 Das Volk aber sprach: Das ist der Prophet Jesus aus Nazareth in Galiläa.

Da liegt einer auf dem Bett. Er kann weder leben noch sterben.
Sein Name: David. Selbst Leute, die sich in der Bibel nicht auskennen, wissen meist, wer er war: Der erste König Israels.

Jetzt scharrt einer seiner Söhne schon unüberhörbar mit den Hufen. Er sieht ja, dass es mit seinem Vater zu Ende geht. Adonija, nach dem Tod seines Bruders Absalom nun der älteste, hat bereits zum Festmahl des Thronfolgers geladen: Alles, was im Reich Rang und Namen hat, Kirche und Adel sozusagen, soll kommen. Sein Ziel: Noch vor des Vaters Tod zum König ausgerufen zu werden.

Nicht geladen waren „Kreti und Pleti“, denn die mochte Absalom nicht besonders. Aber es gab noch einige Menschen mehr, die zu seinen besonders Ungeliebten zählten.

Allen voran natürlich Bathseba, des sterbenden Königs Lieblingsfrau. Schließlich hatte sie ja nicht nur mit David die Ehe gebrochen, sondern war zuvor auch noch mit einem Ausländer verheiratet gewesen.

Dann deren Sohn, der Lieblingssohn Davids: Salomo. Und dessen Parteigänger. Der Prophet Nathan, der Priester Zadok, der General Benja. Sie alle durften nicht mit einer Einladung rechnen. Sie waren mehr als unerwünscht.

Doch die Ungeliebten, die Ausgeladenen wehren sich, beschweren sich beim greisen König. Sie wittern einen Staatsstreich. David, hattest du nicht gesagt, Salomo sollte Dein Nachfolger auf dem Thron werden? Stattdessen will sich nun Adonija krönen lassen!

Der greise David mag nun zwar im Sterben liegen, doch tot ist er noch nicht. Darum lässt er sich das nicht bieten. Vom Bett aus befielt er, seinen Sohn Salomo zum König salben zu lassen. Und damit jeder im Volk sieht, dass Salomo SEINE, die Wahl des David ist, lässt er sein Maultier aus dem Stall holen und satteln.

Maultiere sind ja die Kreuzungen aus Pferd und Esel, kleiner als das erste und größer als das zweite. Auf diesem Maultier des Königs lässt David seinen Sohn Salomo in Jerusalem einziehen.

Übrigens das einzige weibliche Maultier, das in der Überlieferung der Bibel eine wichtige Rolle spielt, und damit das einzige weibliche Maultier, dass bei einer Krönung mitwirkte: Bei der Krönung des legendären Salomo. Die anderen Prinzen werden auf männliche Tieren einreiten.

Das Volk versteht diese Symbolhandlung auch ohne Fanfahren und lange Reden. Sie jubeln dem zu, der auf dem königlichen Maultier reitet: Es lebe Israels neuer König Salomo! So wird der von Adel und Kirche Geschmähte und Gemiedene zum König der Herzen, zum legitimen Nachfolger Davids, zum neuen Herrscher des Volkes.

Was uns heute wie eine prähistorische Fassung einer der Intrigenserien von heute vorkommt, war durch die Folgejahrhunderte hindurch eine Hoffnungsgeschichte für die ausgeladenen „Kreti und Pleti“. Auf den legitimen Nachfahren des legendären David hoffen sie immer, die Kreti und Pleti dieser Welt.

So kann man beim Propheten Jeremia Hunderte Jahre später lesen: „Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, dass ich dem David einen gerechten Spross erwecken will. Der soll ein König sein, der wohl regieren und Recht und Gerechtigkeit im Lande üben wird.“ Ein neuer Salomo. Es ist ein Reis entsprungen aus einer Wurzel zart.

Und beim Propheten Sacharja ist zu lesen: „Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin.“

Daraus wurden dann, wahrscheinlich durch ein Missverständnis, zwei Esel, und manche glauben daher, dass Jesus auf zwei Eseln gleichzeitig in Jerusalem eingeritten sei. Vor diesem Hintergrund wird auch etwas klarer, was das Evangelium für den 1. Advent erzählt, Nico hat es uns vorhin vorgelesen (Mt 21,1-11).

Die Menschen um Jesus verstehen, was da geschieht, weil sie ihre Bibel kennen. Es sind die Festtagspilger, die in die Heilige Stadt zum Passahfest strömen. Menschen, die nach Gott suchen und die Jesus in Galiläa begegnet waren, der sie in Staunen versetzt und aufgerüttelt hatte. SIE sind es, die verstehen.

Und sie sind es, die jetzt den Einzug Jesu auf der Eselin mit ihrem Jubel begleiten. Sie huldigen dem König ihrer Herzen – dem Kaiser in Rom und seinem Statthalter Pilatus in Jerusalem zum Trotz.

Ihr „roter Teppich“ ist bunt, sie werfen ihre Kleidungsstücke auf den Weg, den Jesus nehmen wird. Und was den Mächtigen Standarten und Fahnen sind, sind bei dem Volk keine gelben Warnwesten, sondern sattes Grün:

Sie hieben Zweige von den Bäumen. Der Evangelist Johannes redet hier von Palmenzweigen. Das ist wie ein Transparent, denn dieses immerwährende Grün ist das uralte Symbol der Freiheit.

Schließlich auch noch Sprechchöre:
Hosianna! O Herr, hilf doch!
Das ist nicht nur der der flehentliche Schrei derer, die am Ende ihrer eigenen Möglichkeiten sind. Er ist inzwischen in den Gottesdiensten zu festen liturgischen Formel des Beifalls geworden, wie man zum Beispiel in Psalm 118 lesen kann.
Von ihm, dem so Einziehenden, erwarten sie ihre Wende.

Sie setzen ein, was sie gerade zur Hand haben: Die Körper leicht bekleidet, ohne Rüstung und Waffen, ihre Stimmen mit den sehnsüchtig-kämpferischen Pessach-Psalmen auf den Lippen: Macht die Tore weit, dass der Herr der Heerscharen einziehe! Ihr Hosianna ist ihre Lebenssehnsucht nach Gott.

Eine hoch mit Emotionen geladene, für die Machthaber aber auch brisante politische Stimmung im Jerusalem vor knapp 2000 Jahren. Wer ist das überhaupt, der da kommt? Die Jerusalemer haben ja immer wieder erlebt, dass da Leute in ihre Stadt einzogen und sich als Messias wichtig machten, das lässt sich bei Lukas nachlesen (Apg 5, 35ff)

Doch wer ist der da auf der Eselin? „Das ist der Prophet Jesus aus Nazareth in Galiläa“ (Mt 11,11). Aha.
Doch wer weiß was die hier vorhaben?
Wen wundert’s da, dass Statthalter und Kultwächter schließlich die Nerven verloren und diesen Jesus, der da seinen königlich-armen Einzug in die Hauptstadt inszenierte, ans Kreuz schlugen?

Advent:
Der hochgepriesene und bald dem Henker überlassene Befreier Gottes zieht in die Wohnzimmer des Jahres 2024. Dort werden heute Sterne an den Fenstern befestigt, die erste Kerze am immergrünen Adventskranz entzündet. Manch einer kann es nicht erwarten und baut schon Weihnachtspyramide und Krippe auf. Schmückt den Weihnachtsbaum schon am Ewigkeitssonntag.

Was findet dieser sanftmütige König heute vor? Die Weihnachtsgeschichte wurde schon immer in eine Welt erzählt, in der die meisten Menschen das Gefühl haben, dass sich ihre Welt nicht zum Guten, sondern zum Schlechten entwickelt.

Da sind Menschen, die das Gefühl der Ohnmacht täglich erleben. Und die anderen, die meinen, sich ihrer Macht bewusst sein zu dürfen.

Im Großen: Putin schämt sich offenbar nur wenig, die Menschen in der Ukraine in die Steinzeit zurückbomben zu wollen, ihnen Wasser, Strom und das Leben ausknipsen zu lassen. Ein paar Bomben für Syrien fallen da auch noch ab. Krieg und Kriegsverbrechen auch im Libanon, Israel, Gaza.

Und der künftige Machthaber in Amerika lehrt schon vor Amtsantritt seine Justiz, was sie ihm wert ist, und den Rest der Welt das Fürchten. Australien: Der einzige Kontinent in diesem Jahr ohne Krieg. Na gut, in der Antarktis ist auch keiner.

Und im Kleinen sieht es nicht besser aus. Davon können Menschen, Tiere und Pflanzen, davon kann die ganze Schöpfung Gottes ihr ganz eigenes Lied singen.

Und gegen all das, was gegen Gottes Willen auf dieser Welt angeht, zieht er ein: Der Sohn Gottes in Jerusalem, sanftmütig auf einer Eselin, auf dem Weg zur Entscheidung am Kreuz. Hier nimmt er alles, was die Menschen von Gottes Willen trennt, auf seine Schulter. Trägt es in der Liebe Gottes durch den Tod am Kreuz in das Leben, wie Gott es will.

Liebe Geschwister,

wo steht ihr heute?
Wohin gehört Ihr in diesem Jahr? Zu den Unglücklichen oder den Glücklichen? Den Ohnmächtigen oder Mächtigen? Oder lebt Ihr irgendwo dazwischen, gewissermaßen zwischen Baum und Borke?

Und was hat ER Euch zu bieten?
Der Christus im Stall auf seinem Weg zum Kreuz? Der, dessen ewigen Advent wir erwarten dürfen? Der, dem Menschen, am Ende ihrer Möglichkeiten angekommen, das „Hosianna“ – Herr, hilf doch! entgegenrufen? Der König, der mangels Bett in einem Futtertrog geboren wird, dessen Machtinsignien Dornenkrone, Spottmantel, Spottzepter und das Kreuz als Thron werden?

Diese beiden Fragen sind Adventsfragen. Wo steht ihr heute? Was hat ER euch zu bieten? Wer sie sich stellt und für sich zu beantworten sucht, wird auch in diesem Jahr wirklich einen Grund haben, wieder Weihnachten zu feiern.

Wer sich diesen Fragen nicht stellt, wird nur ein paar freie Tage erleben können, gut essen und Geschenke austauschen- wie „alle Jahre wieder“.

Die Antworten auf die Adventsfragen kann auch niemand vorgeben, sie brauchen das persönliche Bemühen jedes Einzelnen von uns. Denn was würde es Euch nützen, wenn ich oder jemand anderes Euch sagen würde, wo Ihr gerade steht?

Wo stehst du?
Was hat Christus dir zu bieten?
Redet darüber. Mit Euch selbst und denen, die euch nahe sind. Vielleicht wird das Gespräch schmerzlich sein. Aber die Adventszeit ist ja Zeit der Neuausrichtung des Lebens, die Bibel würde sagen: der Buße, ihre Farbe ist Violett.

Dieses Gespräch wird euch in die Wahrheit führen, und dann wird auch das Weihnachten 2024 Jahre nach Christi Geburt wieder ein Fest des Lebens. Der Messias wird in euer Leben Einzug halten, der auf einer Eselin einreitet und die Verhältnisse dieser Welt durch Gottes Liebe in ein neues Leben wandelt.

Diese Liebe ist größer, als es König David je war. Sie ist weiser, als es König Salomo je sein konnte.

Denn die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes

halten Advent in unser Leben. AMEN

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