Schutz des Lebens (1 Mose 16)

Unseren Gottesdienst zu Misericordias Domini aus der Dorfkirche Hohenbruch zum Nachhören finden Sie für vierzehn Tage hier.

Schlechte Hirten
vor ihnen wird gewarnt
sie bringen ihr Schäflein ins Trockene
weiden sich selbst
Wölfe im Schafspelz

Der gute Hirte
Glücksfall für die Menschen
seine Herde
ist seine Leidenschaft
sein Leben
wird ihr Leben
durch seine Liebe

Der gute Hirte
wer ihn kennt
lernt sie kennen
Misericordias Domini
die Barmherzigkeit des Herrn

Christus spricht:
Ich bin der gute Hirte.
Meine Schafe hören meine Stimme,
und ich kenne sie,
und sie folgen mir;
und ich gebe ihnen das ewige Leben.
(Johannes 10,11a.27-28a)
***

Misericordias Domini: Die Barmherzigkeit des Herrn.
Alle Jahre wieder feiern wir diesen dritten Sonntag der Osterzeit. Er lebt aus dem Bild vom „guten Hirten“.

Kaum ein Bild wird so oft gebraucht, bedacht und gemalt. Gerade Johannes, der jüngste unserer Evangelisten, aus dem der Wochenspruch für diesen Sonntag stammt, hat es geprägt.

So begleitet uns dieses Bild nicht nur einmal im Jahr durch diesen Gottesdienst, sondern auch darüber hinaus, vielleicht sogar täglich. Dabei wird es sowohl belächelt als auch bewundert.

BELÄCHELT, weil das Bild Schafe klein und Hirten groß macht. Schafe gelten für viele Menschen seit Alfred Brehm als die großen Trottel des Tierreiches. Brehm schreibt in seinem „Tierleben“ über Schafe:

„Dass solche Geschöpfe gutmütig, sanft, friedlich, harmlos sind, darf uns nicht wundern; in der Dummheit begründet sich ihr geistiges Wesen, und gerade deshalb ist das Lamm nicht eben ein glücklich gewähltes Sinnbild für tugendreiche Menschen.“ Niemand will in diesem Sinn gern als Schaf bezeichnet werden. Vor allem nicht, wenn man als „tugendreich“ gelten will.

Und Hirten gelten als die, die bestimmen, was Sache ist. Die die Richtung nicht nur für sich selbst, sondern gleich eine ganze Herde vorgeben. Kaiser, Könige, Diktatoren eben. Und denen will sich niemand gern bedingungslos unterstellen.

BEWUNDERT wird das Bild vom Hirten, weil es der Sehnsucht nach Lebensgeborgenheit entgegen kommt. In einer Herde ist niemand allein oder einsam. Und wenn der Hirte seine Arbeit gut macht, dann sorgt er für Essen und Trinken, Versorgung und Begleitung, für den Schutz vor Feinden.

Nun geht es beim BIBLISCHEN Bild vom Hirten um die Frage, wie Gott schützend das Leben seiner Menschen begleitet. Angesichts der vielen Irrungen, Wirrungen, Niederlagen und Katastrophen, die ein Leben mit sich bringen kann, eine brennenden Frage, wenn es um Gott geht. Hat er alles geschaffen, um es dann einfach sich selbst zu überlassen? Mischt er sich ein? Setzt er seinen Willen durch? Sieht er meinem Leben einfach nur zu, sieht er überhaupt hin, wohin ich gehe?

Das kollektive Denken unserer Bibel kennt nun viele Erzählungen, in denen sich Wege von Menschen überraschend ändern und davon, dass diese Änderungen als Einwirken Gottes verstanden werden. Und das nicht erst mit der Menschwerdung Gottes in Christus. Schon die Vätergeschichten reden davon.

Der Bibeltext für heute erzählt die Geschichte rund um die Jahreslosung des vergangenen Jahres, ich lese aus dem Buch Genesis (1. Mose) das 16. Kapitel:

1 Sarai, Abrams Frau, gebar ihm kein Kind. Sie hatte aber eine ägyptische Magd, die hieß Hagar.
2 Und Sarai sprach zu Abram: Siehe, der HERR hat mich verschlossen, dass ich nicht gebären kann. Geh doch zu meiner Magd, ob ich vielleicht durch sie zu einem Sohn komme. Und Abram gehorchte der Stimme Sarais.
3 Da nahm Sarai, Abrams Frau, ihre ägyptische Magd Hagar und gab sie Abram, ihrem Mann, zur Frau, nachdem Abram zehn Jahre im Lande Kanaan gewohnt hatte.
4 Und er ging zu Hagar, die ward schwanger. Als sie nun sah, dass sie schwanger war, achtete sie ihre Herrin gering.
5 Da sprach Sarai zu Abram: Das Unrecht, das mir geschieht, komme über dich! Ich habe meine Magd dir in die Arme gegeben; nun sie aber sieht, dass sie schwanger geworden ist, bin ich gering geachtet in ihren Augen. Der HERR sei Richter zwischen mir und dir.
6 Abram aber sprach zu Sarai: Siehe, deine Magd ist unter deiner Gewalt; tu mit ihr, wie dir’s gefällt. Da demütigte Sarai sie, sodass sie vor ihr floh.
7 Aber der Engel des HERRN fand sie bei einer Wasserquelle in der Wüste, nämlich bei der Quelle am Wege nach Schur.
8 Der sprach zu ihr: Hagar, Sarais Magd, wo kommst du her und wo willst du hin? Sie sprach: Ich bin von Sarai, meiner Herrin, geflohen.
9 Und der Engel des HERRN sprach zu ihr: Kehre wieder um zu deiner Herrin und demütige dich unter ihre Hand.
10 Und der Engel des HERRN sprach zu ihr: Ich will deine Nachkommen so mehren, dass sie der großen Menge wegen nicht gezählt werden können.
11 Weiter sprach der Engel des HERRN zu ihr: Siehe, du bist schwanger geworden und wirst einen Sohn gebären, dessen Namen sollst du Ismael nennen; denn der HERR hat dein Elend erhört.
12 Er wird ein Mann wie ein Wildesel sein; seine Hand wider jedermann und jedermanns Hand wider ihn, und er wird sich all seinen Brüdern vor die Nase setzen.
13 Und sie nannte den Namen des HERRN, der mit ihr redete: Du bist ein Gott, der mich sieht. Denn sie sprach: Gewiss hab ich hier hinter dem hergesehen, der mich angesehen hat.
14 Darum nannte man den Brunnen: Brunnen des Lebendigen, der mich sieht. Er liegt zwischen Kadesch und Bered.
15 Und Hagar gebar Abram einen Sohn, und Abram nannte den Sohn, den ihm Hagar gebar, Ismael.
16 Und Abram war sechsundachtzig Jahre alt, als ihm Hagar den Ismael gebar.

Eine Geschichte, in der es mächtig „menschelt“. Sonderlich gut kommt keine der handelnden Personen in der Sippe Abrams weg.

Sarai nicht, die ihre ägyptische Sklavin zwar zunächst formaljuristisch korrekt zur Beschaffung von Nachkommen benutzt, sie dann aber schlecht behandelt.
Hagar nicht, die ihrer Herrin mit offener Geringschätzung begegnet, als sei die Schwangerschaft ihre persönliche Lebensleistung.
Abram nicht, der seiner Frau freie Hand lässt, obwohl er gesehen haben muss, dass Sarai die schwangere Hagar nicht etwa schonte, sondern schlecht behandelte.

Kein großes Wunder also, dass Hagar in die Wüste flieht, wenn sie ihre Aussichten dort offenbar als besser ansieht als ein weiteres Leben in der Sippe Abrams.
Doch IN der Wüste begegnet sie einem, der WEIß, wer sie ist. Ehrlich bekennt Hagar dem Mann, den sie als einen Boten Gottes erkennt, dass sie auf der Flucht vor ihrer Herrin ist.

Und der Engel-Bote hat vier Botschaften:
1.: Geh zurück und ordne dich unter.
2.: Gott wird dir selbst viele Nachfahren schenken.
3.: Jetzt wirst du einen Sohn bekommen, den sollst du Ismael nennen.
4.: Ismael wird einmal wird ein wildes, aber freies Leben führen.

Dass der Engel-Bote sie gesehen, also beachtet, ihre Qual verstanden hat – das hat Hagar so beeindruckt, dass sie dem Quellbrunnen, an dem das geschah, einen Namen gab. Und dieser Name wurde später ganz offenbar allgemein akzeptiert, auch wenn er von einer Sklavin kam: „Brunnen des Lebendigen, der mich sieht“.

Sie kehrt zur Sippe Abrams zurück und die Punkte 1 und 3 werden schnell Wirklichkeit: Hagar ordnet sich unter, sie bekommt Abrams Sohn und man nennt ihn Ismael. Das heißt übersetzt: „Gott hört“ oder „Gott erhört“.

Nun ist in dieser Erzählung gar nicht von einem Hirten die Rede. Wohl aber von dem, was ein guter Hirte tut: Er bewahrt Leben. Und damit beschreibt die Erzählung Gott als guten Hirten so:

Nachdem Gott Himmel und Erde nach seinem Plan wunderbar erschaffen hat, begleitet er das Leben auf der Erde. Er setzt die Natur-Gesetze der Welt in Kraft und verschafft ihnen Geltung.

Die Menschen lässt er auf der Erde frei leben. Sie sind keine
Marionetten, die nur tun und lassen dürfen, was dem Gott der Liebe gefallen würde. So auch hier: Sarai, Hagar und Abram hätten sich ja anders entscheiden können.

Sarai hätte ihre Sklavin angemessen, sachlich und freundlich behandeln und den Frieden in der Sippe wahren können, entschied sich aber anders.
Hagar hätte sich ihrer Herrin gegenüber loyal verhalten und die Struktur der Sippe zunächst akzeptieren können, entschied sich aber anders.
Abram hätte seine Autorität in die Waagschale werfen können und für gesitteten Umgang im Zickenkrieg der Frauen sorgen können, entschied sich aber anders.

Selbst das menschengemachte, Menschen verachtende und zutiefst ungerechte System der Sklaverei lässt Gott gewähren, obgleich sein Volk Israel später in die Sklaverei Ägyptens geraten und darunter sehr zu leiden haben wird.

Doch Gott ist nicht tatenlos, sieht nicht weg, sieht auch nicht teilnahmslos zu, wohin die Menschen gehen:
Er lässt sie vielmehr sehen, welche Wege sie gehen sollten, damit ihr Leben nicht scheitert, sondern gelingt.

Was aber wird aus den Botschaften 2 und 4?
Die Bibel erzählt dazu:
Hagars Sohn wird einmal selbst zwölf fürstliche Söhne haben (Gen 25, 12ff) und ist damit die Ur-Mutter eines arabischen Volkes, der Ismaeliter. Die spielen im ersten Teil unserer Bibel eine wichtige Rolle als werden von den Muslimen als Vorfahren des Propheten Mohammed gesehen.

Die Bibel erzählt weiter, dass die Ismaeliten zu Stammesführern am Karawanenweg nach Assur werden. Der Name von Ismaels erstgeborenem Sohn, Kedar, weist auf das Siedlungsgebiet der Ismaeliter in der nordwestarabischen Wüste hin. Auch in der Josefs-Geschichte erscheinen die Ismaeliter als Karawanenführer nach Ägypten. Gott hat also nach diesen Erzählungen alle vier Versprechen gehalten.

Und er tat mehr als das:
In Gen 21 wird zwar berichtet, dass Ismael gegen alle Regel enterbt und Mutter Hagar und er aus der Sippe Abrams vertrieben werden. In Gen 25 ist dann aber zu lesen, dass Ismael und sein später geborener Halbbruder Isaak GEMEINSAM ihren Vater Abram neben seiner ersten Frau Sarai bestatten.

Und an GLEICHER STELLE, im Erbbegräbnis in der Höhle von Machpela, knapp 100 km vom „Brunnen des Lebendigen, der mich sieht“ entfernt, werden später die zerstrittenen Brüder Jakob und Esau ihren Vater Isaak neben Mutter Rebekka begraben, nachdem sie sich VERSÖHNT haben.

Diese Versöhnung könnten wir uns in Stein gefasst ansehen, wenn wir nach Hebron ins Westjordanland fahren würden:
In Machpela am Stadtrand von Hebron ist heute noch das Heiligtum „Grab der Patriarchen“ zu finden. Eine ursprünglich von Kreuzfahrern errichteten Kirche wurde von einem Sultan zur Moschee umgebaut, heute ist das erweiterte Gebäude teils Moschee, teils Synagoge.

Mir sagt das, dass nach biblischer Überlieferung Abraham Stammvater der Gläubigen im Judentum, Christentum und Islam, ebenso aber für die Bahai und Aleviten ist.

Entgegen aller Feindschaft, die immer wieder zwischen großen Religionen unserer Welt aufflammt, sagt mir die Bibel: Gott ist einer, auch wenn wir Menschen ihn unterschiedlich erfahren und wahrnehmen.

Die Bibel erinnert mich AUCH daran, dass mein Gott nicht nur MEIN, sondern guter Hirte all der Menschen ist, die nach ihm fragen. Und dass die Versöhnung, die Gott an Ismael und Isaak oder Jakob und Esau geschehen ließ, der Weg ist, den Gott auch uns heute für ein gelingendes Leben weist.

Meine Schwestern, meine Brüder:

Mein Fazit: Die Barmherzigkeit Gottes und sein Schutz des von ihm geschaffenen Lebens gehören zusammen. Der gute Hirte wird auch weiter sein Herz für seine Schöpfung offen halten und darauf zeigen, wie Menschenleben gelingen kann.

Dabei wird er nicht die Gesetze dieser Welt aushebeln. Das wäre, konsequent gedacht, auch das konsequente Ende aller Freiheit. Dadurch wird alles, was zwischen Geburt und Tod all seiner Geschöpfe passiert und passieren kann, auch weiter nicht ausgeschlossen. Es BLEIBT dabei: Wie Hagar, Sarai und Abram werden wir frei bleiben, uns in wichtigen Situationen unseres Lebens so oder so zu entscheiden.

Wenn ich aber dabei nach Gott und seinem Willen frage, werde ich erkennen, wie wichtig meine persönliche Entscheidung für ein gelingendes Miteinander ist und bleibt. Und das an jedem einzelnen Tag, den ich auf dieser Erde leben darf.

Jedes menschengemachte Elend – Gewalt, Krieg und Unfreiheit, jede Unterversorgung in Medizin, Vermögens- oder Ressourcenverteilung, Raubbau an der Natur, kurz: JEDE Lieblosigkeit IST – und BLEIBT eben das:
Von MENSCHEN gemacht und ERKENNBAR
gegen den Willen des Schöpfers dieses Himmels und dieser Erde.

Hunger, Durst und Armut sind KEINE Naturkatastrophen oder Krankheiten. Die allein würden doch schon reichen, uns die Verletzlichkeit des Lebens deutlich werden zu lassen.

Gott hat uns doch ganz offenbar geschaffen, dass wir die Verletzlichkeit des Lebens nicht nur ERKENNEN, sondern unsere KONSEQUENZEN daraus ziehen:
Nämlich dem Nächsten und der Mitschöpfung nicht auch noch selbst Verletzungen zuzufügen, sondern ihnen in Liebe zu begegnen und uns selbst dann versöhnen lassen, wenn die so genannte „Chemie“ nicht stimmt.

Und wenn die Erzählungen von Hagar und Sarai, Ismael und Isaak das nicht erreichen, wird Gott eben deutlicher: Er wurde Mensch in Jesus Christus, litt unter der Lieblosigkeit der Menschen am Kreuz und ließ es Ostern werden, damit wir den EINZIGEN guten Hirten des Lebens erkennen und irgendwann verstehen:

Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes behüten uns,

so dass wir in diesem Leben froh lieben können
und den Tod nicht fürchten müssen.
AMEN

EG 302: 1.2.5
1. Du meine Seele, singe,
wohlauf und singe schön
dem, welchem alle Dinge
zu Dienst und Willen stehn.
Ich will den Herren droben
hier preisen auf der Erd;
ich will ihn herzlich loben,
solang ich leben werd.
2. Wohl dem, der einzig schauet
nach Jakobs Gott und Heil!
Wer dem sich anvertrauet,
der hat das beste Teil,
das höchste Gut erlesen,
den schönsten Schatz geliebt;
sein Herz und ganzes Wesen
bleibt ewig unbetrübt.
5. Er weiß viel tausend Weisen,
zu retten aus dem Tod,
ernährt und gibet Speisen
zur Zeit der Hungersnot,
macht schöne rote Wangen
oft bei geringem Mahl;
und die da sind gefangen,
die reißt er aus der Qual.

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