Es gibt keine Fehler, es gibt nur Ergebnisse

Vom Propheten Hesekiel lesen wir heute den Predigttext; es sind Verse aus Kapitel 18:

1 Und das Wort des HERRN erging an mich:
2 Was soll das bei euch, dass ihr diese Redensart braucht auf Israels Boden: Die Vorfahren essen unreife Früchte, den Kindern aber werden die Zähne stumpf!
3 So wahr ich lebe, Spruch Gottes des HERRN, diese Redensart werdet ihr nicht mehr verwenden in Israel! 4 Seht, alle Menschenleben gehören mir! Das Leben des Vaters wie das Leben des Sohns – mir gehören sie! Derjenige, der sündigt, DER muss sterben!

21 Wenn aber der Ungerechte sich ABKEHRT von all seinen Sünden, die er begangen hat, und alle meine Satzungen hält und nach Recht und Gerechtigkeit handelt, wird er am Leben bleiben, er muss nicht sterben.
22 Alle seine Vergehen, die er begangen hat, werden ihm nicht angerechnet; der Gerechtigkeit wegen, die er geübt hat, wird er am Leben bleiben.
23 Habe ich etwa GEFALLEN am Tod eines Ungerechten? … Nicht vielmehr daran, dass er zurückkehrt von seinen Wegen und am Leben bleibt?…
30 Darum werde ich einen JEDEN von euch nach SEINEN Wegen richten, Haus Israel! Kehrt um und wendet euch ab von all euren Vergehen…, und schafft euch ein neues Herz und einen neuen Geist! … Kehrt um und bleibt am Leben!

Hier geht es um eine Sprichwort – Kritik. Viele haben es in der Lutherfassung im Ohr: Die Väter haben saure Trauben gegessen, aber den Kindern sind die Zähne davon stumpf geworden. Heute sagen einige stattdessen: Manche Suppe, die die Eltern eingefüllt haben, müssen die Kinder auslöffeln.

Kritik- warum? Was ist daran falsch? Es ist doch eine Lebenswahrheit: Schuld wird auch geerbt.

Bei einem Gespräch anlässlich der Taufe eines Säuglings ging es kürzlich mal wieder um die Frage, welche Schuld eigentlich einem Säugling zu vergeben wäre. Er ist doch erst ein paar Wochen auf dieser Welt, viel Zeit zum Sündigwerden hatte er wirklich nicht. Aus der Runde von Eltern und Paten kam eine scherzhafte und eine ernstere Antwort.

Die scherzhafte: Das Kind macht eine Windel nach der anderen voll und lässt die Eltern nicht mehr ordentlich durchschlafen.

Die ernstere: Ist ein Kind in Deutschland erst einmal auf der Welt,
hat es sofort seinen Teil an der Staatsverschuldung geerbt.  –
Im Moment sind das ca. 26.000 € Erbschulden im Augenblick des ersten Schreis.

Und dass es beim Thema Erbschulden nicht nur um den schnöden Mammon geht, wissen gerade wir Deutschen. Der Zweite Weltkrieg ist heute über 69 Jahre vorbei. Man muss heute schon mindestens 87 Jahre alt sein, um am Ende des Krieges wenigstens volljährig gewesen zu sein. Die große Masse der Menschen in Europa kennt ihn – wie wir Deutschen – also nur aus den Geschichtsbüchern.

Und doch gibt es auch heute noch kaum ein politisches Gespräch
zwischen Deutschen und anderen Europäern oder Israelis, in dem es nicht irgendwann um die besondere Schuld und die daraus resultierende Verantwortung von uns Deutschen geht. Die Trauben der Väter – unsere Zähne.

Da heiratet der älteste Sohn der Familie eine Frau, die seinen Eltern nicht passt.  Warum, haben sie ihm nie wirklich erklären können. Den es war seine Liebe, seine Entscheidung, sein Leben. Seine Kinder erleben sowohl die Großeltern als andere Teile der Familie voller rätselhafter Ablehnung. Die Trauben der Väter – unsere Zähne.

Da steht sie nun, „unsere“ Johannis-Kirche. Sie war bis auf wenige Jahrzehnte immer die Gemeindekirche der Reformierten in Brandenburg. Nach der starken Beschädigung im zweiten Weltkrieg ging sie in unser Eigentum über, seit ein paar Jahren gehört sie – zum Glück für uns – wieder der Stadt. Wir hätten nie die finanziellen Mittel aufbringen können, um sie wenigstens wieder nutzbar zu machen.

Denn schon die Erhaltung dieses Gemeindehauses führt uns an unsere Grenzen- denkt an die Graffitis an der Straßenseite. Wo anfangen? Was lassen? Wie finanzieren? Die Trauben der Väter –
unsere Zähne.

Drei Beispiele, drei Bestätigungen. Jeder hier könnte weitere Beispiele bringen. Die Trauben der Väter waren sauer – unsere Zähne wurden stumpf. Jeder weiß, dass es wahr ist, wenn die Bibel an anderer Stelle schreibt, dass die Sünden der Väter heimgesucht werden bis ins dritte oder vierte Glied.

Die Sünde der Väter bleibt im kollektiven Menschengedächtnis wach, solange noch irgendwer am Leben ist, der selbst irgendwie von ihr erfasst war Egal ob persönlich oder durch Familienglieder, die er noch erlebte.

Was meine Großmütter durch den Krieg erleiden mussten, ist eben keine abstrakte Geschichtsbuchwahrheit. Es ist meine Wahrheit, die mir niemand abnehmen kann. Schlussstriche zieht kein Mensch, selbst wenn er es noch so laut fordert, selbst wenn er es selbst bereit wäre zu tun.

Gott aber sagt hier durch Hesekiel: Halt! So nicht! Dieses Sprichwort soll nicht mehr unter euch umgehen!… ALLE Menschen gehören mir, … wenn sich aber der Gottlose BEKEHRT, (soll er) am Leben bleiben um der Gerechtigkeit willen, die er getan hat! Darum werde ich euch richten,… jeden nach seinem Weg!

Hier geht es nicht um eine Drohung, sondern um eine Klärung. Das Sprichwort mit den Trauben transportiert nämlich dreierlei:

Emotionen, die dazu führen, dass man sich schlecht fühlt.
Es hält Zweifel an der Gerechtigkeit Gottes wach.
Es führt letztlich bei vielen dazu, dass ihnen die Last des Lebens schwerer erscheint, als dass sie sie ertragen könnten.

Zum Ersten:  Es tut so, als müsse man sich schlecht fühlen. Uns werden die Zähne stumpf! Ich weiß nicht, wie es euch beim ersten Hören ging. Wenn ich das nur lese, fühle ich mich ähnlich wie ein Bläser im Orchestergraben, der zusehen muss, wie einer in der ersten Reihe im Publikum an einer Zitronenschale lutscht.

Ich schmecke schon beim Hören deutlich auf der eigenen Zunge,
wie sauer die Trauben gewesen sein müssen. Mir krempeln sich die Zehennägel hoch. Ich kann nichts dafür, ich kann mich auch nicht wehren, es kommt einfach über mich wie ein Gewitter.

Das bedeutet für das Leben: Das Handeln der Vorfahren legt sich wie Mehltau über die Seele der Nachkommen. Sie sind nicht mehr frei, weil Menschen sie in dem behaften, was andere getan haben. Die Sippenhaft der Geschichte, der kein Mensch entkommt.

Da sind wir beim Zweiten: Die sauren Trauben der Väter bringen Menschen dazu, an der Gerechtigkeit Gottes zu zweifeln. Denn wenn ich für Dinge zahlen soll, die ich nicht bestellt habe: Wie will Gott mir das plausibel machen?

Das bringt drittens die Macht des Schicksals als schwere Last ins Leben. Es ist schon schwer genug, eigenes Fehlverhalten lebenslang anzugehen. Kommt jetzt noch das der Mütter und Väter hinzu: Wie soll ich mich jemals aus dieser Erbmasse befreien? Selbst jemals ein freier Mensch werden?

Hesekiel spricht Gottes Nein dagegen nicht ins Leere: Sein Volk sitzt im Exil und hadert mit seinem Schicksal. Schuld sind: Die Sünden der Väter. Und wenn nicht die der Väter, dann:
In jedem Fall aber die anderen.

Gottes Nein ist hier reine Seelsorge: Es mag sein, dass unter Menschen die Sünden der Väter heimgesucht werden bis ins dritte oder vierte Glied. Es mag sein, dass viele Menschen dieses als Gottgegebenes System betrachten, unabänderbar und ewig.

Gott aber ist erfrischend anders. Er lässt das nicht gelten und sagt: Es geht nicht um das Gestern. Es geht um das Jetzt. Gottes Gericht wird nach dem fragen, was ihr JETZT tut. Gott sagt: DICH werde ich persönlich ernst nehmen in dem, was du tust oder lässt. DEIN Handeln ist NIE bedeutungslos, weder für dich noch für den Lauf dieser Welt.

Es macht keinen Sinn, im Verhältnis zu Gott die Schuld der Vorfahren als Schicksalslast zu bejammern. Gott will DEINE Entscheidung, und er will sie heute.

Wie schön wäre die Welt, würden alle nüchtern und sachlich  reagieren und nach einem anderen Wort leben: Es gibt keine Fehler, es gibt nur Ergebnisse.

Ergebnisse werden analysiert, Reaktionsmöglichkeiten werde durchdacht, dann neue Richtungen beschlossen. Das führt heraus aus passiver Depression. Das macht aktives Neugestalten des Lebens möglich, es gäbe nur noch Neuanfänge, keinen Alltag, denn: Es gibt keine Fehler, nur Ergebnisse!

Nur ist das auch wirklich wahr? Habe ich nicht einen FEHLER gemacht, als ich das Auto auf der Hauptstraße übersah und dennoch die Kreuzung befuhr und für zweifachen Totalschaden sorgte?

Im Sinne dieses Wortes wäre die Antwort: Es gibt Ergebnisse, über die wir uns freuen und solche, über die wir uns nicht freuen.
Oder gar ärgern. Oder ganz mächtig ärgern.

Aber sie bestimmen eben nicht zwangsläufig, wie das Leben weiterläuft. Ich könnte, aber ich muss nicht: Mich hinsetzen und sagen: Fehler, Fehler, Fehler. Ich fahre nie wieder Auto, dieser Fehler passiert mir nicht noch einmal!

Sondern ich frage mich: Wieso ist das passiert? Welche Möglichkeiten habe ich, um Ähnliches zukünftig vielleicht zu verhindern?

Es gibt keine Fehler, es gibt nur Ergebnisse. Dieses Wort transportiert positive Emotionen, weil es mich ohne Altlast auf der Seele neu anfangen lässt. Gott fragt nach dem Jetzt. ER zieht den Schlussstrich, ER rettet aus dem Sumpf, ER macht eine neue Rechnung auf.

Gottes Gericht ist darum gerade keine Drohung, sondern das Versprechen liebevoller Behandlung. Liest man Hesekiel weiter, läuft alles zu Kap 36,26: Gott spricht: „Und ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben und will das steinerne Herz aus eurem Fleisch wegnehmen und euch ein fleischernes Herz geben.“

Das fleischerne Herz ist das der Liebe. Und in der Liebe ist keine Resignation, kein Hadern, keine Lebensfurcht, sondern „die wahre Liebe treibt die Furcht aus!“ (1. Joh 4, 18)

Meine Schwestern, meine Brüder:
Gott ist gerade nicht nachtragend, er ist nachgehend. Darum wird unser Leben gut, wenn wir Gott nachgehen, wenn wir uns ihm zuwenden, nach dem Jetzt fragen. Nicht nur im Verhältnis zu Gott, sondern auch zu den Mitmenschen. Wir können Wendehälse von Wendeherzen ohnehin nicht unterscheiden, also sollten wir es auch gar nicht versuchen.

Gott sorgt sich um unsere Seele, indem er den Ballast der Vergangenheit aus dem himmlischen Gerechtigkeitsverfahren fern hält und es nur um das Jetzt gehen lässt.

Und wenn das Jetzt die Liebe ist, die Gott uns in Christus vorgelebt hat, werden wir Gottes Liebe erleben, auch wenn wir sterben müssen.

Wenn wir jetzt die Liebe leben, FINDEN wir ihn, den Frieden Gottes, der größer ist als all unsere Vernunft. Er wird unsere Leiber und Seelen bewahren in Christus Jesus
Amen.

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