Der Erntedankgottesdienst aus Hohenbruch mit dem Posaunenchor zum Nachhhören ist für vier Wochen hier zu finden.
Leben
kaufen oder erschaffen
wir könnten es nicht
und lebensWERT ist es nicht,
weil wir das LEISTEN würden
Leben ist Geschenk
GOTT SCHENKT Leben
Überleben
jeder
und allem
EINmal ganz am Anfang
und NEU an jedem Tag
IHM lasst uns antworten
und Danken
Aller Augen warten auf dich,
und du gibst ihnen ihre Speise
zur rechten Zeit.
Psalm 145,15
***
Zürich, 9. März 1522.
Das war am Sonntag Invocavit, also am ersten Sonntag in der Passionszeit. Die Aktion „7 Wochen ohne“ war da noch nicht erfunden, damals hieß diese Zeit für alle „Fastenzeit“.
Und sie hieß nicht nur so, sie WAR es auch.
Die Gesetze waren klar und eindeutig: Fasten bedeutete maximal eine Mahlzeit am Tag, vorwiegend am Abend, und zumindest auf Milchprodukte, Alkohol, Eier und Fleisch hatte man zu verzichten.
An diesem 9. März 1522 nun betrat er das Haus von Christoph Froschauer in der Brunngasse 18.
Er wusste, dass das Ärger geben würde, aber er trat trotzdem ein. Seit ein paar Tagen, seit Aschermittwoch, war ein Bäcker aus der Stadt in aller Munde. Der hatte sich nicht an die Fastenregeln gehalten und einen Braten gegessen. Das hatte ihm postwendend ein Gerichts-Verfahren wegen einer Ordnungswidrigkeit eingetragen, das aktenkundig ist. Da gab es kein Vertun: Gesetz war Gesetz.
Und heute nun, im Haus des ersten Buchdruckers in Zürich, sollte es nun eine OFFENE Provokation geben: Man wollte sich zum Wurstessen in der Fastenzeit versammeln.
Und er wollte unbedingt dabei sein, weil es für ihn den KERN seines Lebenswerkes traf: Denn Menschen verboten alles Mögliche einzig mit der Behauptung, so seien die Regeln Gottes. Verboten das Tanzen, das Heiraten, das Essen, die Freiheit.
Doch er war Theologe aus Leidenschaft und glaubte: Das war das Gegenteil der Botschaft der Freiheit des Evangeliums, für die er lebte.
Jesus aus Nazareth hatte keinen Zweifel daran aufkommen lassen: Alles, was Gott je geschaffen hatte und je schaffen würde, ist gut und KANN darum dem Menschen nicht schaden. Darum setzt Gott auf Freiheit zur Liebe und nicht auf Unterwerfung durch Zwang. Und das würde hier, genau hier bei diesem Wurstessen in der Fastenzeit im Hause Froschauer, SICHTBAR werden. Da MUSSTE er einfach dabei sein.
Huldrych Zwingli hatte sich nicht getäuscht:
Es GAB Ärger. Doch Christoph Froschauer ging selbstbewusst in die Gerichts-Verhandlung. Seine Mitarbeiter hätten wegen eines großen Auftrages für die Frankfurter Messe nicht allein vom „Mus“ sattwerden können, und so viel Geld, für sie jeden Tag Fisch zu kaufen, hätte er nicht.
Und Huldrych Zwingli erreichte, dass die weltliche Gerichtsbarkeit Zürichs sich seinen Argumenten der Bibelauslegung anschloss und Froschauer schließlich frei sprach.
So wurde dieses Wurstessen am 9. März 1522 in Zürich das, was zuvor der Thesenanschlag am 31. Oktober 1517 in Wittenberg geworden war: Der „Startschuss“ zur Reformation in der Schweiz und die Geburtsstunde der reformierten Kirche.
Huldrych Zwingli initiierte die deutschsprachige Übersetzung der Zürcher Bibel, die bereits 1531 von Froschauer gedruckt wurde und darum bis heute auch „Froschauerbibel“ genannt wird. Luthers komplette Bibelübersetzung des Neuen UND Alten Testaments erschien übrigens erst drei Jahre später.
Und aus der Schweiz zog die Reformation zunächst nach Frankreich, in die Niederlande, nach Schottland und England. Heute sind Gemeinden der Weltgemeinschaft reformierter Kirchen nahezu überall auf der Welt zu finden. Sie ist mit über 80 Millionen Mitgliedern sogar etwas größer als der lutherische Weltbund mit gut 77 Millionen.
Nun ist heute weder der Sonntag Invocavit noch der Gedenktag der Reformation, sondern Erntedanktag.
Und doch hätte es gerade der Predigttext für heute gewesen sein können, der in Zürich zum Wurstessen und zur Reformation führte.
Denn auch im 1. Brief an Timotheus geht es um solche Menschenregeln, die das Heiraten oder bestimmtes Essen verbieten wollen, und um die Ablehnung dieser Menschenregeln. Ich lese aus dem 1. Timotheusbrief, Kapitel 4, die Verse 4 und 5, in der Übersetzung der Gute Nachricht Bibel:
4 Denn alles, was Gott geschaffen hat, ist gut.
Wir brauchen nichts davon abzulehnen,
sondern dürfen es alles gebrauchen –
wenn wir es nur mit Dank aus der Hand Gottes empfangen.
5 Denn durch das Wort Gottes
und durch unser Dankgebet wird es rein und heilig.
Deutlicher geht es nicht:
Einfach ALLES an Gottes Schöpfung ist gut. Darum ist Dankbarkeit die einzige Bedingung für den Menschen für den Empfang der vielen Geschenke, die Gott für seine Menschen bereithält.
Doch wie ist das alles zu verstehen? Wie soll ich das in mein Heute einordnen?
Furchtbare Zustände in zu vielen Rinder, – Schweine- oder Hühnerställen in der Massentierhaltung:
Muss ich nur: Danke, Gott! sagen und alles ist gut?
Gift in Sonnencreme, gefährliche oder für viele unverträgliche Zusatzstoffe in Nahrungsmitteln:
Muss ich nur: Danke, Gott! sagen und alles ist gut?
Und überhaupt:
Ist der Mensch nicht auch Geschöpf Gottes, die „Krone seiner Schöpfung“? Und ist diese „Krone“ nicht ganz allein zuständig für Schlachtfelder, Gaskammern, Atombombenabwürfe, Mobbing, Hass, Neid, Hunger, und große Teile der Klimakatastrophe?
Was ist gut an der Schöpfung, wenn allein der Mensch alles verderben kann, und wird das überhaupt jemals gut werden?
So ruft die Aufforderung „sei dankbar!“ oder „sei nicht undankbar!“ bei mir sehr gespaltene Gefühle wach, so dass mir das Danken oft ausgesprochen schwer fällt, auch heute am Erntedanktag, an dem es ja zuerst um die Ernte in diesem Jahr geht.
Schon angesichts von Sülze oder Kohlrübeneintopf stellt sich bei mir ein Gefühl der Dankbarkeit nicht ein, beispielsweise bei einem guten blutigen Steak oder einer Spargelsuppe dagegen schon. Und dass ich mich als Kind auch für solche Geschenke bedanken sollte, die wirklich nicht auf meiner inneren Geburtstags-Wunschliste standen, habe ich damals nicht wirklich verstehen können. Was sollte ich denn mit diesem kratzigen Pullover anfangen?
Und alle Jahre wieder am Erntedanktag können schon darum manchmal weder die Erntegaben hier vorne noch die Lieder in mir den Dank auslösen, der doch in unserem Text gefordert ist.
Vielleicht liegt das auch an dem immer schwächer werdenden Bezug zu dem mit eigener Hand Geernteten, und das wird nicht nur mir so gehen. Denn die wenigsten Menschen um uns herum arbeiten noch selbst in der Landwirtschaft, was noch vor einem halben Jahrhundert deutlich anders war, wo ganze Familien von der Landwirtschaft leben konnten. Und viele scheuen die mühselige Arbeit im eigenen Garten und kaufen sich lieber Obst und Gemüse im Supermarkt als sie selbst anzubauen.
So kommt es wohl, dass die hier dargebrachten Gaben von uns gar nicht mehr als Mangelware wahrgenommen werden, für die man besonders dankbar sein müsste. Die Hungerjahre nach dem letzten Welt-Krieg sind einfach schon zu lange her. In unseren Tagen müssten da wohl eher Strom oder Gas oder Medikamente oder der ultimative Friedensplan für die Ukraine oder den Nahen Osten auf dem Abendmahlstisch liegen.
Doch unser Bibeltext entwickelt gegen das Sosein dieser Welt eine Theologie des Dankes. Menschen haben ihr Leben auf dieser Welt nicht erst heute, sondern schon immer als schwer und defizitär empfunden.
Dagegen macht er deutlich, dass das Dankesagen nicht einfach nur in unseren Gefühlen begründet sein kann. Es hat vielmehr auch mit unserer Achtung dem gegenüber zu tun, der uns weiterhilft oder etwas schenkt. In der Folge erkennen wir, dass es uns selbst ja auch glücklich macht, wenn wir jemandem helfen oder etwas schenken können und er „danke“ zu uns sagt.
Danke zu sagen ist also eben NICHT etwas, bei dem es nur um das eigene gute Gefühl von Spargelsuppe anstatt Kohlrübeneintopf ginge. Es ist auch nicht nur eine Frage der guten Erziehung. Es geht dabei vielmehr um Respekt und Akzeptanz, es geht um eine gelingende Beziehung zu meinem Gegenüber.
Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut. Auch wenn wir Menschen seinen Plan nie werden durchschauen können, wenn sie sich zu kurz gekommen fühlen und nicht verstehen, warum Gott dieses oder jenes zulassen kann:
Gottes Wort hat ALLES, was ist, entstehen lassen.
Diese Welt, mein und dein Leben, unser täglich Brot.
Und der Heidelberger Katechismus, aus dem wir vorhin hörten, brachte es auf den Punkt: Das Gespräch mit dem Schöpfer, das Gebet, ist darum NÖTIG – also unverzichtbar. Denn es ist die „wichtigste Gestalt der Dankbarkeit“. Es macht deutlich, dass wir ERKENNEN, dass von uns selbst nur wenig, von Gottes Schöpferhandeln aber ALLES abhängt, was wir haben oder sind, woran wir uns freuen, wodurch wir leben.
Das Gebet in Bitte und Dank schafft demnach eine lebendige Beziehung zu Gott, ohne die ein gelingendes Leben nicht möglich ist. Das ist wie im Kleinen: Wer sein Gegenüber bittet und ihm dankt, erweist ihm Achtung. Der nimmt, was er bekommt, nicht selbstverständlich hin, nicht einmal ein flüchtiges Lächeln. Und behandelt das, was er bekommt, nicht gedankenlos, sondern bewusst – vor allem Verantwortungs-bewusst.
Aus so einer lebendigen, dynamischen Beziehung heraus wächst dann eben auch Verantwortungs-bewusster Umgang mit den Geschenken. Dieser Umgang fragt nach dem Schöpfer und gibt ihm die Ehre. Er fragt nach den Mitgeschöpfen und gibt ihnen die Ehre. Er fragt nach dieser Welt und gibt ihr die Ehre. Tag für Tag neu.
Dieser verantwortungsbewusste Umgang hat begriffen, dass ALLES im Leben nicht selbst geleistet oder geschaffen werden kann, sondern der pflichtschuldige Umgang mit Geschenken ist. Gott zur Ehre, der Schöpfung zum Nutzen.
Meine Schwestern, meine Brüder:
Es ist die Überzeugung aller von Jesus über Paulus bis zu den Reformatoren: Mit dieser Welt können wir nur ins Reine kommen, wenn wir mit Gott ins Reine kommen.
Wir, die Geschöpfe,
mit ihm, dem Schöpfer.
Wir feiern darum nicht allein ein Erntefest, weil wir uns in jedem Herbst wieder daran freuen könnten, dass auch in den kommenden Wochen wieder genug zu Essen auf unseren Tischen stehen wird.
Wir feiern das ErnteDANKfest, weil wir begreifen, dass dieses Leben, unsere Zeit, jeder Tag Gottes Segen für uns ist:
Er schenkt ALLES, was wir kennen und haben.
Und wir feiern es alle Jahre wieder, weil wir auch begreifen,
dass Gottes Gaben
und unser Dank
dieses Leben „rein und heilig“ machen.
Am ErnteDANKtag feiern wir einmal im Jahr öffentlich mit unserem Dank voller Respekt, dass unser Gott im wahrsten Sinne des Wortes „das Zeitliche segnet“ – also seine Schöpfung hoch und heilig hält.
Der Erntedanktag erinnert so auch,
dass wir in unserer Beziehung zu Gott nur ins Reine kommen und im Reinen bleiben, wenn Dank zu einem bewussten, ja täglichen Teil unseres Lebens wird. Egal ob im Tischgebet oder im abendlichen Unservater oder im Stillewerden und Nach-denken über Gottes Wort:
4 Denn alles, was Gott geschaffen hat, ist gut.
Wir brauchen nichts davon abzulehnen,
sondern dürfen es alles gebrauchen –
wenn wir es nur mit Dank aus der Hand Gottes empfangen.
5 Denn durch das Wort Gottes
und durch unser Dankgebet wird es rein und heilig.
Wenn wir im Dank und im Gebet unserem Schöpfer DIE Ehre geben, die ihm zusteht, wird es uns nicht nur möglich werden, ihn täglich als Gegenüber zu erleben.
Es wird uns auch möglich, die Geschöpfe und die Schöpfung täglich zu erleben und ihnen die Ehre zu geben, die ihnen zusteht.
Es wird uns möglich, unsere geschenkte Freiheit nicht aufzugeben, sie zu ge-brauchen und nicht zu missbrauchen.
Dann wird unsere Beziehung zu Gott,
ja dann werden all unsere Beziehungen gelingen können.
Dann können wir zum Wurstessen in der Fastenzeit gehen
und unser Leben reformieren, denn:
Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
sind das Beste, was wir haben,
und aller Ehre wert und Grund aller Lebensfreude.
Gott sei Dank dafür! Amen.