Wer weiß denn sowas? (Mt 4, 12-17)

Jesus
Kind aus der Krippe
erwählt in der Taufe
standhaft in der Versuchung
Mensch aus Gottes Geist

Die Weihnachtsbilder zeigen nicht
was sich außen abgespielt hat
sondern Verborgenes und Unsichtbares
ausgebreitet vor unser aller Augen

Welche der Geist Gottes treibt,
die sind Gottes Kinder.
Römer 8,14
***
Wer weiß den sowas? heißt eine Quizsendung in der ARD, die davon lebt, Fragen aus den äußersten Randbereichen des Wissenswerten zu stellen. Also Dinge, die niemand wirklich gewusst haben muss, bevor er stirbt. Und die dennoch irgendwie  ganz spannend sind.

Zum Beispiel: Warum mussten Stollenbäcker im 15. Jahrhundert eine Abgabe an die Kirche entrichten?
A) Weil sie Butter verwenden wollten?
B) Weil die Bevölkerung in den Augen der Obrigen zu dick war?
C) Damit sich die italienische Spezialität Panettone besser verkaufte?

Panettone: Ich wusste nicht einmal, dass es Panettone überhaupt gibt. Auch wenn ich im Stern dann das Gegenteil gelesen habe (Zitat:) „Wer kennt ihn nicht, den berühmten Kuchen mit der Kuppel, der in Italien zur Weihnachtszeit gegessen wird? Kaum einer, der nicht schon mal eine große Pappschachtel mit einem Panettone überreicht bekommen hat, jenem Gebäck, das an den Stollen erinnert und wie dieser kandierte Früchte und Rosinen enthält…“

„Kaum einer“: Das war ich. Bis „wer weiß den sowas?“ jedenfalls. Jetzt weiß ich, was Panettone ist, auch wenn ich den noch nie gegessen habe. Und dass weder C noch B stimmen, weiß ich jetzt auch. Obwohl die Leute sicher schon immer zu dick waren, denke ich mir jedenfalls aus eigener (leidvoller) Erfahrung.

Doch A wäre richtig gewesen: Weil sie Butter verwenden wollten. Das weiß ich jetzt- und vergesse es bald wieder. Ziemlich sicher.

Wer weiß den sowas? Oder vielleicht präziser: Wozu muss ich DARÜBER nachdenken? Das habe ich auch als erstes gedacht, als ich den Predigttext für heute gelesen habe.  Dass Jesus 40 Tage in der Wüste war, um vom Teufel versucht zu werden – ja, DAS sollte man schon mal gehört haben. Aber: Was passierte, gleich NACHDEM Jesus aus der Wüste zurück kam?

12 Da nun Jesus hörte, dass Johannes gefangen gesetzt worden war, zog er sich nach Galiläa zurück.
13 Und er verließ Nazareth, kam und wohnte in Kapernaum, das am Galiläischen Meer liegt im Gebiet von Sebulon und Naftali,
14 auf dass erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten Jesaja, der da spricht (Jesaja 8,23; 9,1):
15 „Das Land Sebulon und das Land Naftali, das Land am Meer, das Land jenseits des Jordans, das Galiläa der Heiden,
16 das Volk, das in Finsternis saß, hat ein großes Licht gesehen; und denen, die saßen im Land und Schatten des Todes, ist ein Licht aufgegangen.“
17 Seit der Zeit fing Jesus an zu predigen und zu sagen: Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!

Hättet IHR das gewusst? Wer WEIß denn sowas? Matthäus wusste das. Nachzulesen im 4. Kapitel in den Versen 12-17. Schön, da kann man es ja dann heute immer noch nachlesen.

Aber warum muss ich mir DARÜBER den Kopf zerbrechen? Was soll ich Euch am 1. Sonntag nach dem Epiphaniastag 2017 dazu PREDIGEN? Warum Jesus Nazareth verlassen hat? Wohin er umgezogen ist? Dass Ihr büßen sollt? Wozu erzählt Matthäus diese Geschichte?

Geschichten: Wir erzählen sie uns, weil wir uns in ihnen wiederfinden wollen. Damit sich etwas für uns klärt, wir uns orientieren können. Jedes Jahr zu Weihnachten tun das besonders viele. Sie singen die alten Lieder, hören von Maria und Joseph, Engeln, Hirten und Weisen aus dem Osten. Geschichten, die VOLL sind von Dingen, die uns selbst unser Leben heute neu sehen lassen. Die uns Kraft geben für das, was vor uns liegt.

Aber es sind nicht nur die Geschichten ANDERER, die uns berühren. Es ist auch unsere eigene Lebensgeschichte, über die wir immer wieder einmal nachdenken. Dabei fragen wir nach unserem eigenen Werden, nach unserer eigenen Prägung. Woran erinnere ich mich gern? Woran lieber nicht? Wie kommt es, dass ich zu dem wurde, der ich bin? Welche Bedeutung hat das, was ich da sehe- nicht nur für mich, sondern auch für andere?

Natürlich sind solche Expeditionen in das eigene Ich eine nicht immer einfache Sache. Mal kann ich dabei lachen und mich freuen, ein anderes Mal aber wird es ernst oder tut gar weh. Manches kommt ans Licht, was ich lieber vergessen hätte. Aber selbst das lohnt sich, denn wenn ich das erkenne, hilft mir auch das, mir über mich selbst klar zu werden.

Mit all dem kann ich mich darauf besinnen, was meine Stärken und was meine Schwächen sind. Auch, welches die SCHIENEN sind, auf denen mein Leben läuft, die ich nicht verlassen kann. Selbst wenn ich das wöllte. Dann kann ich meinen Weg erkennen und gehen.

Wo immer wir herkommen, welche Geschichten und Prägungen wir mitbringen, was unsere Vergangenheit ausmacht, all das können wir weder ungeschehen machen noch ignorieren. Denn es prägt die Gegenwart, ja sogar die Zukunft.

Dass ich den Körperbau meines Vaters und den Schlaf meiner Mutter geerbt habe zum Beispiel: Ich hätte es lieber umgekehrt, aber das kann ich mir nicht aussuchen. Mein Erbgut bestimmt ebenso mein Jetzt wie meine Geschichte, meine Bildung, meine Entscheidungen, meine Freundschaften, meine Partnerschaft. Und selbst nach meinem Tod wird das eine Rolle spielen: In der weiteren Geschichte meiner Familie und meiner Freunde.

Genau so ist das auch hier, in der Geschichte Jesu nach Matthäus. Matthäus bringt die Sterndeuter aus dem Osten zu unseren Krippenfiguren. Da stehen sie dann plötzlich als „die drei Könige“ neben Stall, Krippe und den Hirten des Lukas und werden Teil unserer Weihnachtsbilder.

Dann erzählt Matthäus von der Taufe Jesu durch Johannes und von den 40 Tagen der Versuchung in der Wüste. Jesus lernt sich, seinen Vater und seinen Teufel kennen. Lernt, wo er sich fügen kann und wie er sich wehren muss.

Und dann, heraus aus der Schule und hinein ins Leben, trifft er wieder auf den Täufer Johannes, der wortwörtlich genau das predigt, was er predigen wird und was schon immer gepredigt wird: Kehrt um, denn das Himmelreich ist nahe. In eine Welt, die dieser Botschaft fassungslos gegenüber steht. In ein Volk, das jüdisch geprägt und verwurzelt ist. Das ist seine, JESU Schiene.

Genauer hingesehen: Jesus trifft ihn nicht, denn Johannes ist inzwischen in Haft. Nun geht Jesus nach Kapernaum, verlässt seine Heimat Nazareth. Er braucht nach den Erfahrungen von Taufe, Versuchung und Gefangennahme des Täufers ABSTAND.

Abstand von den Orten der Kindheit und Jugend. Weil ihm das zur Klarheit über seine Bestimmung verhilft. Von außen lässt sich manchmal besser auf das eigene Leben schauen.

Warum ausgerechtet nach Galiläa? Weil Jesus Jude ist. Wie es genau das ist, was Gott für ihn bestimmt hat. Der Prophet Jesaja hat schon aufgeschrieben, was in Jesu Seele fest eingepflanzt ist. Dem kann- und will er sich nicht entziehen.

Für Matthäus ist so das Grundsätzliche an Jesu Auftrag deutlich geworden. Jesus ist in die Tradition seines Volkes gestellt. Jesus wird unlösbar mit den Hoffnungen seines Volkes auf den Erlöser verbunden.

Damit wird es Jesus möglich, SEINEN Weg zu sehen und zu gehen. Er wird die großartige Freiheit der Kinder Gottes finden – wie so viele andere vor ihm. Und dann wird er Menschen durch seine Predigt für eben diese Freiheit zu gewinnen.

Die Weihnachtsgeschichte hört nicht auf, sie wird fortgeschrieben. Nicht aus Jerusalem, sondern aus dem „Galiläa der Heiden“ kommt das Heil. Und es kommt nicht mit Macht und Gewalt, sondern mit dem Glanz des Wortes Gottes.

Von hier sieht „das Volk, das in Finsternis saß, ein großes Licht“. Von hier aus geht denen, die „ saßen im Land und Schatten des Todes“, ein Licht auf.

Wie schon in der Weihnachtsgeschichte: Das Handeln Gottes geschieht im Unscheinbaren und Verborgenen. Ganz am Rande des großen römischen Imperiums, bei den Flüchtlingen und Umherirrenden. Der Messias kommt von da, von wo eigentlich nichts zu erwarten ist. Und doch hätte es jeder wissen können, der die Bibel kennt. Der zumindest Jesaja gelesen hat.

Matthäus erzählt uns diese Geschichte, damit wir diese großen Zusammenhänge wenigstens ERAHNEN können, in denen Gott handelt. Wenigstens ERAHNEN sollen wir, dass in Gottes Geschichte mit seinen Menschen keine Zufälle geschehen. Wenigstens ERAHNEN, weil man es nicht begreifen kann.

Jesu Abstammung aus dem Hause des Königs David, seine Zeugung durch Gott selbst, die Huldigungen durch die größten Wissenschaftler seiner Zeit, die Flucht nach Ägypten, selbst der Kindermord: NIRGENDS etwas, wo Gott außen vor oder gar fern wäre. In aller Freude, in allem Leid: NIRGENDS gibt es Gottesferne. Matthäus will, dass wir das ERAHNEN lernen, dafür ein GESPÜR entwickeln.

Meine Schwestern, meine Brüder:

Nur WENN MAN DIESE AHNUNG ÜBERHAUPT ERST EINMAL HAT, nur wenn man sie wachsen, sie stärker werden lässt, kann man begreifen, wie GROß das ist, was da seit Weihnachten geschieht. Nur wenn man dieses Gespür bekommt, öffnen sich einem die Augen, die Predigt Jesu verstehen. DAZU lässt Matthäus uns diese Geschichte hören. Wer weiß denn sowas? WIR wissen sowas.

„Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!“

Das KANN dann nämlich nicht bedeuten:
Das jüngste Gericht kommt bald,
darum tut endlich, was Gott will!

Sondern: Erkennt doch, wie nahe Gott euch ist!
Darum richtet euer Leben darauf ein!

Ändert euer Leben, denn jedes Gefühl, Gott sei weit weg und würde nicht handeln, ist ein TRÜGERISCHES Gefühl. Gott handelt schon immer. Gott herrscht schon immer. Und zwar nicht mit Gewalt, sondern durch sein Wort: Alles, was ist, ist so geworden. Diese Welt, jedes Geschöpf, ich selbst.

Und alles, für das es zu leben lohnt, IST dieses Wort. Gottes Wort. Dass LIEBE ist, so lange ist, was ist. Sogar fleischgewordene Liebe: Näher KANN Gott uns gar nicht sein, als dass er unser Fleisch und Blut annimmt.

Und dieses Wort ist nicht alt und staubig. Denn es ist JETZT zu hören, dringt jetzt an unsere Ohren, lässt uns jetzt in die Geschichte eintauchen, TEIL der Weihnachtsgeschichte werden. Lässt uns jetzt spüren: Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!

Himmelreich, Reich der Himmel, Reich Gottes, Königsherrschaft Gottes: All diese Formeln reden von der uneingeschränkten Herrschaft Gottes über alles, was lebt. Gott ist überall, wie der Himmel überall ist – man muss nur die Hand heben, um den Himmel zu berühren.

Gott kann man nicht entfliehen; auch dem Himmel kann man nicht entfliehen, nicht einmal, wenn man sich in der Erde vergraben würde: Der Himmel bleibt doch über allem und schließt alles ein. Alles.

Das Himmelreich ist nahe: DAS ist der Grund allen Lebens, die Ursache, der Sinn. JENSEITS aller Leistung, allen Wissens, jeden Versagens: Es ist GOTTES Leben. Sein Geschenk für uns. Lebenslang. Allein aus seiner Gnade.

Das aber betrifft jeden Menschen, Frau oder Mann, Kind oder Greis, schwach oder stark. Denn wenn ALLES aus Gottes Wort ist, sein Geschenk aus Gnade, sollten wir auch so leben. Dann ist jeder Tag unter Gewalt, Leid und Leistungserpressung ein Tag der Ungerechtigkeit, der Dunkelheit, des Todes.

Aber seit Weihnachten singen wir: „Gott will im Dunkeln wohnen – und hat es doch erhellt“ (EG 16,5).  Umkehr ins Helle: DAS ist „Buße“. Licht hellt auf, klärt auf, lässt erleichtert weiterleben.

„Beglänzt von seinem Lichte, hält euch kein Dunkel mehr“ (EG 16,5). Das Licht Gottes ist überall. Selbst in der Gaskammer. Gott sieht alles und vergisst nichts. Und das Licht ist von Dauer. Es lässt mich die Geschichte und die Wurzeln und die Schienen meines Lebens erkennen. Dass ich begreife, was wichtig ist und was nicht. Was ich tun soll und was nicht. Wie Jesus es erkannt hat.

Dann ist es nicht mehr zu übersehen. Das Reich Gottes ist mein Heil, denn sein Licht lässt mich sehen: Gott hat mich so, wie ich bin, gewollt. Er lässt mich frei leben, auch WENN ich so bin, wie ich bin. Er trägt mich in jeder schwachen Minute meines Lebens. Wie er die Vögel unter dem Himmel und die Lilien auf dem Boden trägt.

DAS bedeutet „Religion“, wörtlich Rückbindung: Ich erkenne, woran ich mich binden kann, was meinem Leben Sicherheit gibt, und richte mein Leben daran aus. Epiphanias taucht dieses Leben in das Licht Gottes: „Von Gottes Angesichte kam uns die Rettung her“ (EG 16,5). Das ist unsere Rückbindung, unsere Religion.

Also:
Unser Leben liegt in Gottes Hand.
Darum lasst uns fröhlich leben.
Kehrt um, denn ihr lebt unter dem Himmel Gottes.

Seine Liebe,
die Gnade unseres Herrn Jesus Christus
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
scheinen hell in jedes Leben.
Amen.

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Eine Antwort zu Wer weiß denn sowas? (Mt 4, 12-17)

  1. Christoph Krüger sagt:

    Hallo Malte,
    beim Lesen Deiner Predigt ist mir spontan dieses Bonhoeffer-Zitat eingefallen:

    Einige seiner Kinder segnet Gott mit Glück (1 Mose 39, 23) er
    läßt Ihnen alles gelingen, was sie angreifen, er ist mit ihnen,
    schenkt ihnen das Wohlwollen der Menschen, Erfolg und
    Anerkennung in ihrem Tun, ja er gibt ihnen große Macht über
    andere Menschen und läßt durch sie sein Werk vollbringen.
    Zwar müssen auch sie meist durch Zeiten des Leidens und der
    Prüfung hindurch, aber was Menschen ihnen auch Böses zu tun
    versuchen, immer läßt es ihnen Gott zum Guten ausschlagen.
    Andere seiner Kinder segnet Gott mit Leiden bis zum Martyrium.
    Gott verbündet sich mit Glück und Unglück, um Menschen
    auf seinen Weg und zu seinem Ziel zu führen. Der Weg
    heißt: halten der Gebote Gottes (1 Johannes 3, 24), und das Ziel
    heißt: wir bleiben in Gott und Gott bleibt in uns. Glück und
    Unglück kommen zu ihrer Erfüllung in der Seligkeit dieses
    Ziels: wir in Gott, Gott in uns; und der Weg zu diesem Ziel,
    das Gehen in den Geboten Gottes, ist schon der Beginn dieser
    Seligkeit. Woran erkennen wir, daß wir – durch Glück oder
    Unglück – dieser Seligkeit entgegengehen? Daran, daß in uns
    eine unwiderstehliche Liebe zu diesem Weg und zu diesem Ziel
    wachgeworden ist, auch wenn wir oftmals auf dem Wege zu Fall
    kommen und das Ziel zu verfehlen drohen. Diese Liebe stammt
    von Gott. Sie ist der Heilige Geist, den Gott uns gegeben hat.

    Herzliche Grüße und Euch ein gutes neues Jahr unter Gottes Segen
    Christoph

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