Was (die) alle wollen (Tit 3, 1-7)

Die Weihnachtsbilder zeigen nicht,
was sich außen abgespielt hat, sondern/ Verborgenes und Unsichtbares/ ausgebreitet vor unser aller Augen.

Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns,
und wir sahen seine Herrlichkeit.


Wirklich schöne Christvespern wurden am letzten Tag im Advent gefeiert, landauf, landab; auch ohne Schnee, dafür mit wunderschönem Frühlingswetter. Die schönen alten Lieder, Krippenspiele, Weihnachtsbäume, die Weissagungen der Propheten und das Weihnachtsevangelium, Krippenfiguren, kurze Predigten – und alle Jahre wieder:  Kirchen, in denen freie Plätze Mangelware waren.

Heute nun ist Weihnachten. Wir feiern wieder „normale“ Gottesdienste, Predigten werden wieder über 10 Minuten lang, und auch alle Jahre wieder: Der Kirchendienst braucht nicht mehr so lange wie Heilig Abend, um die Zahl der Gottesdienstbesucher festzustellen, denn wir sind „wieder unter uns“.

Aber das ist wohl auch alle Jahre wieder so. Ursprünglich wurde die Feier der Geburt Christi mit einer Christmette begonnen – in der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember, punkt Null Uhr.

Da kamen auch ziemlich viele Leute, und weil sie nicht den ganzen Abend zuvor gelangweilt zu Hause sitzen und warten wollten, hatten sie ausgiebig gegessen – und zumeist auch genauso ausgiebig getrunken.

Darum hat man in der Reformationszeit die Christvesper erfunden: Um „unordentlichem Wesen“ zur nächtlichen Stunde entgegen zu steuern, ersetzte man den Mitternachtsgottesdienst durch die Vesper am Vorabend.

Für viele Menschen heute ist die Christvesper am Heiligen Abend der Weihnachtsgottesdienst schlechthin – und meist auch der einzige. Wir merken das in jedem Jahr, spätestens am ersten Feiertag. Gestern in Brandenburg waren wir fünf…

Nicht wenigen stößt das auf. Den einen, die öfter in den Gottesdienst gehen und am Heiligen Abend nicht nur um ihren Stammplatz, sondern überhaupt darum bangen müssen, einen Sitzplatz zu bekommen. Mancher von ihnen geht darum in überhaupt keine Christvesper mehr.

Anderen geht die Groß – Party-  Stimmung, die von den Weihnachtsmärkten in die Kirchen schwappt, generell gegen den Strich. So sehr, dass mancher laut fordert:  Nur der solle künftig zu Feiertagen frei bekommen, der seine Kirchensteuern zahlt. Denn nur der hätte überhaupt etwas zu feiern. Wer nicht wirklich Weihnachten feiern wolle, solle doch gefälligst arbeiten gehen.

Und wieder andere, denen es mal wieder nicht um Personen, sondern nur um die Sache geht, bezeichnen die vielen Stammplatzwegnehmer als U-Boot-Christen, die gleich wieder abgetaucht seien und erst am nächsten 24.12. wieder auftauchten. Denen ginge es ja nur um Gefühlsduselei, gar nicht um die Sache Weihnachten, denn sonst würden sie ja öfter am Leben ihrer Gemeinde teilnehmen, oder?

Hinter all dem steht die gemeinsame Grundhaltung: Wir sind die Guten. Wir machen’s richtig. Man schüttelt aufrecht entrüstet die Köpfe. Keine halbe Stunde können sie mit dem Quatschen aufhören. Ihre Kinder lassen sie rumtollen wie auf dem Spielplatz. Und mitsingen tun sie auch nicht. Nicht mal Stille Nacht.

Stattdessen kaufen sie letzten Mittwoch die Supermärkte leer, als würde die Lebensmittelversorgung eingestellt werden. Für immer. Bei „Brot für die Welt“ aber knausern sie. Weihnachten – was hat das denn noch mit Christsein zu tun!?

Paulus schreibt in ähnlicher Sache an Titus. Titus war wohl Bischof der Gemeinden auf der Insel Kreta – vieles weist darauf hin, genau wissen wir es nicht. An ihn schreibt Paulus im 3. Kapitel:

Erinnere die Gläubigen …: 2 Sie sollen über niemand schlecht reden und keinen Streit suchen, sondern friedfertig sein und allen Menschen mit aufrichtiger Freundlichkeit begegnen. 3 Früher waren nämlich auch wir – wie alle anderen Menschen – ohne Einsicht und Verständnis. Wir verweigerten Gott den Gehorsam, gingen in die Irre und wurden von allen möglichen Leidenschaften und Begierden beherrscht. Bosheit und Neid bestimmten unser Leben. Wir waren verabscheuungswürdig, und einer hasste den anderen.
4 Doch dann/ ist die Güte Gottes, unseres Retters, und seine Liebe zu uns Menschen sichtbar geworden, 5 und er/ hat uns gerettet – nicht etwa, weil wir so gehandelt hätten, wie es vor ihm recht ist, sondern einzig und allein, weil er Erbarmen mit uns hatte. Durch das Bad der Wiedergeburt hat er den Schmutz der Sünde von uns abgewaschen und hat uns zu neuen Menschen gemacht. Das ist durch die erneuernde Kraft des Heiligen Geistes geschehen, 6 den Gott durch Jesus Christus, unseren Retter, in reichem Maß über uns ausgegossen hat. 7 Durch Gottes Gnade für gerecht erklärt, sind wir jetzt also – entsprechend der Hoffnung, die er uns gegeben hat – Erben des ewigen Lebens.

Erinnere die Gläubigen.

Diese Erinnerung aber ist ein erhobener Zeigefinger, ein geschüttelter Kopf. Zeigefinger und geschüttelter Kopf nicht über die anderen, sondern die Stammgemeinde. Was für ein Benehmen. Schlecht über andere zu reden, zu streiten oder unfreundlich zu sein: Das ist nicht gerade das, was man als christlich bezeichnen könnte.

Erinnere die Gläubigen, was sie früher einmal selbst waren: Ohne Einsicht, ohne Verständnis, ungehorsam, boshaft, neidisch, verabscheuungswürdig. Einer hasste den anderen: Ein Leben, um das einen keiner beneidet. Das man kaum aushält. Ein Leben, das sich einfach ändern muss, weil es die Hölle ist.

Erinnere die Gläubigen: Dann hat sich alles geändert. Es geschah etwas, was euch zu dem machte, was ihr jetzt seid. Sie ist „sichtbar geworden“, die Güte Gottes. Seine Liebe zu den Menschen. Sie werden errettet. Gott selbst macht sie zu Erben ewigen Lebens. Erlässt ihnen alle Schuld. Der Gabentisch hat sich gebogen vor Geschenken.
Es ist Weihnachten.

Welche Unvernunft. Viel zu viel auf einmal. Wer soll das alles ansehen? Schätzen? Begreifen, was „in reichem Maß über uns ausgegossen“ wurde? Ist Gott ein schlechter Pädagoge?
Es ist Weihnachten.

Gott hat es getan, er ließ die ultimative Wende des Lebens geschehen. Das Leben, das kaum noch auszuhalten war, hat er ausgetauscht. Alles wurde gut. Vor 2015 Jahren schon. Niemand musste, ja niemand konnte etwas dazu tun. Der Heilige Geist selbst macht alles neu. Alles geschenkt. Besondere Verdienste zählten nicht, denn: Es gab keine. Alles floss aus Gottes Gnade. Auch für uns: All das für dich, all das für mich.
Es ist Weihnachten.

Neues Leben durch das Bad der Wiedergeburt.

Meine Frau macht das ähnlich. Wenn ihr alles zu viel wird; wenn es hinten, vorne und innen zwackt und kneift. Dann geht sie in die Badewanne. Viele Frauen machen das so.

Was den Männern bleibt? Von Frauen lernen. Astrid Wronsy schreibt in „Du siehst gut aus – der Pflege- Guide für Männer“:

„Nehmen Sie ihren Kurzurlaub – in der heimischen Badewanne – allein oder zu zweit… Zelebrieren Sie ihr Bad. Eine Stunde reicht, und sie fühlen sich wieder topfit.
Dabei steigert das richtige Ambiente die regenerierende Wirkung ungemein: Tür zu, Telefon aus, leise Musik an, Kerzenlicht.
Heizung aufdrehen, Socken und Badetuch vorwärmen … Ein kühler Waschlappen auf der Stirn beruhigt, ein Augenkissen … oder ein Tuch über dem Gesicht lassen sie den Alltag vergessen und in eine andere Welt gleiten…“

So schön, wie sich das anhört, habe ich doch damit mindestens zwei Probleme. Ein praktisches und ein eher grundsätzlich-theoretisches.

Das praktische ist kurz erklärt: Meine 183 mal 70 mal 30 passen einfach nicht in die 135 mal 55 mal 35. Ich kann mich biegen und drehen wie ich will: Die Dienstwohnungsbadewanne macht mir bestenfalls den Rücken nass. Ich muss, glaube ich, nicht weiter erklären, welche Probleme ein Bad zu zweit mit sich brächten.

Das praktische Problem habe ich gelernt zu umgehen. Ich setze mich zumindest gelegentlich ins Auto und fahre ins Thermalbad, am liebsten nach Burg im Spreewald. Und meine Frau nehme ich einfach mit.

Mit dem grundsätzlich-theoretischen Problem ist das nicht so einfach. So erholsam wie ein Besuch im Thermalbad auch immer sein mag: Spätestens zwei Tage später ist das Topfit- Ergebnis wieder der alltäglichen Badezimmerprozedur gewichen. Und die Dusche funktioniert eben nicht so gut.

Nun mag mancher einwenden: Der Titusbrief ist doch keine Wellness- Anleitung. Hier geht es mitnichten um Entspannung in Badewanne oder Thermalsolebad. Das „Bad der Wiedergeburt“ kann nichts anderes meinen als die Taufe. Und die wirkt anders, ein für allemal, einmal für immer.

Aber selbst die Christen auf Kreta müssen ganz offenbar an ihre Taufe erinnert werden. Und das, obwohl sie sehr wahrscheinlich fast alle als Erwachsene getauft wurden und sich deshalb besser erinnern können müssten als die meisten von uns.

Die Wirkung ihrer Taufe scheint, zumindest äußerlich, nicht mehr recht sichtbar zu sein. Das neue Leben, das sie schenkt, der überreiche Gabentisch der Weihnacht:

Man hat all das vielleicht nicht vergessen. Aber man hat sich daran gewöhnt. Die Psychologen heute sagen, nach spätestens sechs Monaten hat man sich gewöhnt. Das gilt für alle Geschenke, auch für die unter dem Weihnachtsbaum. Leider auch an die wertvollsten, größten und schönsten.

Das „Bad der Wiedergeburt“ gehört zweifelsohne dazu. Der Titusbrief beschreibt zutreffend, klar und ohne Übertreibung: Die Taufe befreit von allem, was den Menschen je von Gott trennte oder trennen wird. Sie macht frei für den Heiligen Geist, der neues Leben schenkt, das keine Grenzen kennt.

Dieses Leben macht Schluss mit all dem, was bisher das Leben zur Last machte. Nie wieder wird es verabscheuungswürdig sein müssen, nie wieder muss es andere Menschen schlecht und klein machen.

Solange – ja, solange der Geist Gottes stärker weht als der Geist der Gewöhnung oder gar der Geist des Vergessens.

Meine Schwestern, meine Brüder:

was tun gegen das Gewöhnen und Vergessen?

Zuerst natürlich das, was man selbst tun kann: Nachdenken, Bewusstsein schärfen: Bewusst sein.

Die Warnung der Psychologen hören und ernst nehmen. Sich immer neu darüber klar werden, wie reich beschenkt man ist. Dem Wort Gottes zuhören, ihm nachspüren, es bewegen, auch wenn es manchmal anstrengt. Nicht nur im Titusbrief.

Beten, mit Gott im Gespräch sein, auch wenn man manchmal seine Sprache nicht versteht. Singen, den ganzen Menschen zu Gott tragen, auch wenn einem manchmal nicht danach ist.

Noch wichtiger für uns ist aber, was Gott tut gegen Gewöhnen und Vergessen: Alle Jahre wieder lässt er es Weihnachten werden. Legt in seiner Güte so viel Liebe und Leben und Gefühl auf die Gabentische, dass sie zu brechen drohen.

Gegen Gewöhnen und Vergessen ziehen Gottes Liebe, sein ewiges Leben, sein Gefühl für uns Menschen alle Jahre wieder so viele Menschen zu sich. Menschen, die wir aus eigener Kraft schon lange nicht mehr erreichen. Menschen, die trotzdem kommen, auch wenn mancher über sie die Nase rümpft. Weil Gottes Haus eben nicht nur für uns, sondern für alle hell, froh und offen ist. Sollte man solch großartige Geschenke Gottes tatsächlich in den Keller legen und bis zum nächsten Jahr dort einstauben lassen?

Gegen Gewöhnen und Vergessen lässt Jesus Christus die Taufe lebendig sein. Er lädt uns an seinen Tisch, bricht uns das Brot des Lebens, reicht uns den Kelch des Heils.

Gegen Gewöhnen und Vergessen lässt der Heilige Geist uns sehen, was die Hirten sahen. Hören, was die Engel sangen.  Spüren: Welt ging verloren – Christ ist geboren. Es ist Weihnachten. Amen.

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