Über den Jordan (Jos 3 5-11 13)

Unser Gottesdienst vom 1. Sonntag nach Epiphanias zum Nachhören ist für vier Wochen hier zu finden.

1. SONNTAG NACH dem Fest der Erscheinung Gottes:
Wie ist er erschienen?
Wie ist er uns erschienen?
Im Kind in der Weihnacht
Besucht und geehrt von den Gelehrten aus dem Osten
Getauft vom Johannes im Jordan
Der Himmel geht auf, und Gott sagt:
Du bist mein liebes Kind. Auf ewig.

Jesus der Christus
ein Mensch
geboren in der Weihnacht
erwählt in der Taufe
standhaft in der Versuchung
Mensch aus Gottes Geist

Die Weihnachtsbilder zeigen nicht
was sich außen abgespielt hat
sondern Verborgenes und Unsichtbares
ausgebreitet vor unser aller Augen.

Welche der Geist Gottes treibt,
die sind Gottes Kinder.
Römer 8,14
***
Es gibt wohl kaum einen Fluss,
der so kurz und doch so bekannt ist.

Die Havel entspringt im Middelsee nahe Kratzeburg nordwestlich von Neustrelitz und mündet bei Havelberg in die Elbe, die ihrerseits in die Nordsee fließt. Sie bringt es mit 334 km auf eine doch nennenswerte Länge; die direkte Entfernung zwischen Ursprung und Mündung beträgt allerdings nur 94 km.

Das liegt nicht nur daran, dass sie oft in Kurven fließt, welcher Fluss macht das nicht. Sondern vor allem an der Eigenart, dass die Havel wohl der einzige Fluss in Europa ist, der größtenteils von Nord nach Süd fließt. Dann beschreibt sie einen weiten Bogen gen Westen und verläuft erst im letzten Abschnitt nach Nordwesten.

„Verläuft“ ist dabei gut beschrieben, denn die Havel überwindet nur einen Höhenunterschied von 40,6 Metern. Es ist also nicht nur ihren vielen Schleusen geschuldet, dass sie gemächlich dahinfließt und schon darum nur selten wirkliches Hochwasser führt.

Naturfreunde wissen sie besonders zu schätzen, auch weil sie in ihrem Verlauf durch Verzweigung in mehrere Seiten- und Nebenarme auch drei Binnen-Deltas aufweist. Das Schönste von denen ist – natürlich! – in der Stadt „Brandenburg an der Havel“ zu finden: Über 41 Quadratkilometer Wasserfläche gehören allein zum Stadtgebiet.

Kein großes Wunder also, dass die Havel mit ihren vielen Landschafts- und Naturschutzgebieten von den Naturfreunden Deutschlands 2004 zur Flusslandschaft des Jahres gekürt wurde.

Doch: Wer weiß denn sowas!?
Václav Havel – ja, den kennt man. Darum heißt der Fluss selbst im klugen Deutschlandfunk auch oft so, wie Václav sich spricht: „Hawel“. Ja, die Havel – die kennt kaum einer im Westen. Dort müssen sie die meisten Menschen schon im Lexikon oder bei Wikipedia nachschlagen.

Ganz anders ist das beim Jordan.
Der ist sicher so bekannt wie der längste Fluss der Welt, der Nil. Dabei ist der Jordan mit 251 km noch kürzer als die Hawel, pardon, die Havel, und ist deutlich schmutziger als sie.

Doch der Höhenunterschied des Jordan ist über 10 Mal größer als der der Havel – nämlich 475 Meter, und er endet – für uns Europäer kaum vorstellbar – 416 Meter UNTER dem Meeresspiegel im Toten Meer.

So beeindruckend diese Zahlen auch sein mögen – die Bekanntheit des Jordan gründet sich kaum darauf. Die hat vielmehr etwas mit seiner politischen, vor allem seiner religiösen Bedeutung zu tun.

Politisch durchfließt er das Jordantal, das auch heute noch Israel von Jordanien trennt. Der Jordan war schon immer eine natürliche Grenze. Davon spricht auch unser Bibeltext für heute, ich lese aus Josua 3 ab Vers 5:

5 Und Josua sprach zum Volk: Heiligt euch, denn morgen wird der HERR Wunder unter euch tun.
6 Und Josua sprach zu den Priestern: Hebt die Bundeslade auf und geht vor dem Volk her! Da hoben sie die Bundeslade auf und gingen vor dem Volk her.
7 Und der HERR sprach zu Josua:
Heute will ich anfangen, dich groß zu machen vor ganz Israel, damit sie wissen: Wie ich mit Mose gewesen bin, so werde ich auch mit dir sein.
8 Und du gebiete den Priestern, die die Bundeslade tragen, und sprich: Wenn ihr an das Wasser des Jordans herankommt, so bleibt im Jordan stehen.
9 Und Josua sprach zu den Israeliten:
Herzu! Hört die Worte des HERRN, eures Gottes!
10 Daran sollt ihr merken, dass ein lebendiger Gott unter euch ist und dass er vor euch vertreiben wird die Kanaaniter, Hetiter, Hiwiter, Perisiter, Girgaschiter, Amoriter und Jebusiter:
11 Siehe, die Lade des Bundes des Herrn der ganzen Erde wird vor euch hergehen in den Jordan.

17 Und die Priester, die die Lade des Bundes des HERRN trugen, standen still im Trockenen mitten im Jordan. Und ganz Israel ging auf trockenem Boden hindurch, bis das ganze Volk über den Jordan gekommen war.

Trockenen Fußes kommt das Volk über den Jordan. So erreicht es das verheißene Land, in dem Milch und Honig fließen.
Diese Erzählung redet vor allem von zweierlei:

Zuerst setzt sie die Mose-Erzählung fort, der selbst das gelobte Land zwar sehen, aber nicht erreichen durfte. Der vor seinem Tod wie ihm von Gott befohlen Josua zu seinem Nachfolger bestimmt hatte. Darum bezeichnet mancher das Buch Josua auch als das „sechste Buch Mose“, weil es nahtlos an der Stelle weitererzählt, an der das fünfte Mosebuch aufhört.

Nun sind sich die meisten Gelehrten allerdings darin einig, dass das fünfte Mosebuch und das Buch Josua aller Wahrscheinlichkeit nach in der Zeit des Exils entstanden. Sie sind also mitnichten Berichte über irgendwelche historischen Ereignisse, sondern dienen als Trost-Texte für die in der Verbannung lebenden Israeliten.

Darum, und das ist ein zweiter wichtiger Punkt in dieser Erzählung, wird Josua auch als der LEGITIME Nachfolger Mose beschrieben, der die Führung Israels von Ägypten nach Kanaan vollendet.

Unter der Führung des Mose wird Israel durch das Schilfmeer auf der Flucht vor den Ägyptern ziehen. Und hier wird von der Überquerung des Jordan unter der Führung des Josua berichtet.

Beide Male kann das Volk trockenen Fußes auf die andere Seite gelangen. Durch das Schilfmeer endlich in die Sicherheit vor den Ägyptern, durch den Jordan endlich in das verheißenen Land. Das Volk wird daran erinnert: Wenn es seinem Gott treu bleibt, wird ihm Gott alles möglich machen, selbst das Unmögliche.

Mose und Josua werden dabei als Vorbilder im Glauben dargestellt:
Beide von Gott in die Nachfolge gerufen, beide mit ihrem ganzen Leben treu in der Nachfolge. Josua bringt es später auf dem so genannten Landtag zu Siechem auf diesen Punkt (24,14f):

„So fürchtet nun den HERRN und dient ihm treulich und rechtschaffen und lasst fahren die Götter, denen eure Väter gedient haben jenseits des Stroms und in Ägypten, und dient dem HERRN.

Gefällt es euch aber nicht, dem HERRN zu dienen, so wählt euch heute, wem ihr dienen wollt: den Göttern, denen eure Väter gedient haben …, oder den Göttern der Amoriter, in deren Land ihr wohnt. Ich aber und mein Haus wollen dem HERRN dienen.“

Diese Entscheidung des Josua ist für ihn und „sein Haus“ unumstößlich. Gott hat ihn vor dem Volk „groß gemacht“, seine Führungsrolle vor aller Augen beglaubigt.
Diesem Gott wird er mit den Seinen auch weiterhin dienen.

Das Volk hört das und stimmt Josua zu. Es lässt sich in diesem neuen Bundesschluss mit Gott auf den Glauben ein. Auf den Glauben an den Gott, der sein Volk aus der Sklaverei in das Land, das Heimat, Sicherheit und Geborgenheit bedeutet, geführt hat.

Das Volk im Exil liest das. Das bestärkt diejenigen, die die Katastrophe des Exils auf die Untreue des Volkes seinem Gott gegenüber zurückführen. Sie ziehen aus dem Buch Josua die Hoffnung, dass Gott auch für SIE Wege eröffnen wird, das gelobte Land neu zu erreichen, Jerusalem und den Zion wieder in Besitz nehmen zu können. Sie setzen ihre Hoffnung auf Gott.

All das schwingt mit, wenn unsere vier biblischen Evangelien davon berichten, dass Jesus sich von Johannes im Jordan taufen ließ. Vorhin haben wir das aus Matthäus 3 (13-17) gehört.

Und auch Jesus wird hier, am Jordan, nach seiner Taufe die Beglaubigung Gottes erfahren: „Und siehe, da tat sich ihm der Himmel auf, und er sah den Geist Gottes wie eine Taube herabfahren und über sich kommen. Und siehe, eine Stimme aus dem Himmel sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe“ (16+17).

Die Israeliten waren am Ende ihres vierzigjährigen Zuges durch lebensfeindliche Wüste über den Jordan endlich in das Gelobte Land eingezogen. Die christliche Überlieferung hat darum diesen Übergang später auch zu Recht symbolisch gedeutet – als Eintritt des Glaubenden in das gelobte Land, das Himmelreich.

Das Himmelreich ist nun auch ein Bild für das Ewige Leben, das Gott allen Glaubenden anbietet. So wird die Taufe Jesu im Jordan das Versprechen Gottes an alle Getauften:
Ihr werdet das gelobte Land, das Reich der Himmel erreichen –
so wie einst das Volk Israel das gelobte Land erreicht hat.

Und so, wie Mose und Josua durch Gott beglaubigt wurden, wurde auch der Mensch Jesus, dessen Geburt wir gerade feiern, durch Gott in der Jordantaufe öffentlich beglaubigt. Damit der Glaube sicher werden kann.
Wer hören kann, der höre!

Meine Schwestern, meine Brüder:

Wenn ich euch jetzt erzählen würde, dass mein Handy „über den Jordan gegangen“ ist, dann versteht ihr sicher, dass ich euch keinen Bären aufzubinden versuche. Ich behaupte damit nämlich nicht, in den Nahen Osten gefahren zu sein, um mein Handy über diesen Fluss geworfen zu haben.

Wenn etwas „über den Jordan“ geht, dann geht es den Weg alles irdischen, zeitlichen, verlässt diese Welt – zumindest den Zustand, für den es gebaut wurde. Mein Handy wäre zum Beispiel irreparabel, es würde auf den Wertstoffhof kommen und – hoffentlich – recycelt werden.

„Über den Jordan gehen“ – das sagt man aber oft auch von Menschen, wenn sie sterben. Das aber hat einen ganz anderen Sinn, schon weil der Mensch ja nicht recycelt werden kann. Er überschreitet vielmehr eine natürliche Grenze, er verlässt dieses Leben, er betritt neues Land.

So verlässt er dieses Leben ganz anders, als wäre er „über die Wupper“ gegangen. Diese Redensart stammt wohl daher:

Im 19. Jahrhundert stand auf einer Insel in der Wupper, also dem Fluss, der die Städte Wuppertals Elberfeld und Barmen trennte, ein Gericht. Am Ufer entstand damals ein neues Gefängnis mit Hinrichtungsplatz. Wer nun zu einer Gefängnisstrafe oder gar zum Tode verurteilt wurde, der „ging über die Wupper“.

Wer aber „über den Jordan“ geht, verlässt dieses Leben und betritt das gelobte Land, das Land, in dem Milch und Honig fließen, das Land ewigen Lebens.

Genau besehen gilt das aber nicht nur für Menschen, die gestorben sind und begraben wurden. Es gilt für alle, die das Territorium des Ewigen Lebens betreten. Wir feiern Epiphanias, die Erscheinung der Herrlichkeit Gottes in unserer Welt, weil das das auch für uns gilt: Durch die Taufe auf unseren Herrn Jesus Christus gehen auch wir über den Jordan.

Darum wird auch manche Taufe heutzutage mit Wasser aus dem Jordan vollzogen. So sind der englische Prinz George of Wales oder die spanische Prinzessin Sofía mit Jordanwasser getauft.
Noch prominentere Beispiele sind natürlich die Kinder meines Vikariatsvaters Hartmut Grüber. Zumindest von Jochen Grüber weiß ich das sicher, dass Jordanwasser zu seiner Taufe floss.

Doch diese schöne, fühlbar Erinnerung an Josua und Jesus – beide tragen übrigens den gleichen Namen „Joschua“! – ist nicht Bedingung für die Taufe.

Wichtig ist nicht, dass Jordanwasser zur Taufe fließt. Das würde ja Milliarden Menschen von der Taufe ausschließen.
Wichtig ist, dass Wasser zur Taufe fließt, wie das Wasser im Jordan fließt.
Wichtig ist auch nicht, zum Jordan zu wallfahrten,
um einmal im Leben an seinen Ufern gestanden zu haben.
Wichtig ist vielmehr, diese Geschichten der beiden Joschua nicht aus dem Herzen zu verlieren, die uns gezeigt haben:

Unser Gott macht alles möglich,
selbst scheinbar Unmögliches.
Egal ob wir an der Havel wohnen oder am Nil:
Er lässt uns über den Jordan gelangen.
Dafür wurde er Mensch.

Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
erwarten uns
am anderen Ufer des Jordan.
AMEN

EG 279: 2-4
2 Dir beuge sich der Kreis der Erde,
dich bete jeder willig an,
dass laut dein Ruhm besungen werde
und alles dir bleib untertan.
Kommt alle her, schaut Gottes Werke,
die er an Menschenkindern tat!
Wie wunderbar ist seine Stärke,
die er an uns verherrlicht hat!
3 Ins Trockne wandelt er die Meere,
gebot dem Strom, vor uns zu fliehn;
wir freuten uns der Macht und Ehre,
die uns hieß durch die Fluten ziehn.
Gott herrschet allgewaltig immer,
da er auf alle Völker schaut.
Vor ihm gelingt’s Empörern nimmer,
es stürzet, wer auf Menschen baut.
4 Rühmt, Völker, unsern Gott; lobsinget,
jauchzt ihm, der uns sich offenbart,
der uns vom Tod zum Leben bringet,
vor Straucheln unsern Fuß bewahrt.
Du läuterst uns durch heißes Leiden,
wie Silber rein wird in der Glut,
durch Leiden führst du uns zu Freuden;
ja, alles, was du tust, ist gut.

 

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