Timon? Wer ist Timon? Oder: Es geht auch anders

(Apg 6, 1-7)

Timon das Erdmännchen – wer kennt das nicht. Walt Disneys „König der Löwen“ fehlt heutzutage schließlich in kaum einer Filmesammlung. Aber Timon den Diakon – wer kennt denn den? Das ändern wir jetzt.

Denn ein Predigttext aus der Apostelgeschichte ist heute vorgeschlagen. Die taucht ja ziemlich selten in unseren Predigtreihen auf. Sie ist zwar das dickste der neutestamentlichen Bücher, dicker als das Matthäusevangelium. Das hat zwar auch 28 Kapitel, aber die sind insgesamt kürzer.

Während nun das Matthäusevangelium fast 50 Mal in sechs Jahren als Predigttext gelistet ist, bringt es die Apostelgeschichte nur auf 14 Mal- genauso oft wie der Epheserbrief, der doch nur 6 Kapitel lang ist.

Auf die Frage nach dem Warum habe ich keine gute Antwort. Vielleicht klingen manchem die vielen Geschichten rund um die Entstehung der christlichen Gemeinden ein wenig nach Propaganda. 1000 neue Christen hier, 3000 da, das macht manchen Gemeindeleiter heute depressiv.

Oder aber sie sind einfach nur zu nüchtern. Dieser Verdacht könnte bei unserem Text heute entstehen, ich lese aus dem 6. Kapitel die Verse 1-7:

1In diesen Tagen aber, als die Jünger immer zahlreicher wurden, kam es dazu, dass die Hellenisten unter ihnen gegen die Hebräer aufbegehrten, weil ihre Witwen bei der täglichen Versorgung vernachlässigt wurden. 2 Die Zwölf beriefen nun die Versammlung der Jünger ein und sprachen: Es geht nicht an, dass wir die Verkündigung des Wortes Gottes beiseite lassen und den Dienst bei Tisch versehen. 3 Seht euch also um, Brüder, nach sieben Männern aus eurer Mitte, die einen guten Ruf haben und voll Geist und Weisheit sind; die wollen wir einsetzen für diese Aufgabe. 4 Wir aber werden festhalten am Gebet und am Dienst des Wortes.
5 Der Vorschlag gefiel allen, die versammelt waren. Und sie wählten Stephanus, einen Mann erfüllt von Glauben und heiligem Geist, und Philippus und Prochorus und Nikanor und TIMON (!) und Parmenas und Nikolaus, einen Proselyten aus Antiochia, 6 führten sie vor die Apostel, und diese/ beteten und legten ihnen die Hände auf. 7 Und das Wort Gottes breitete sich aus, und in Jerusalem wuchs die Zahl der Jünger stetig; auch ein großer Teil der Priester wurde dem Glauben gehorsam.

Eigentlich ja eine willkommene Abwechslung. Ging es an den letzten Sonntagen um schwerwiegende theologische Probleme wie den Lebenssinn oder die tiefe Bedeutung der Taufe, geht es hier um einen Alltagskonflikt. Er steigt nicht hinab in die Tiefen grundsätzlicher theologischer Diskussionen. Hier geht es nicht um himmlische Symbole, denen man unbedingt nachgehen muss. Hier geht es nur darum, dass ein entstandener Streit sachlich- vernünftig geschlichtet wird.

Aber man sollte sich nicht täuschen lassen. Denn dann liest man diesen Text wie eine unterhaltsame Geschichte und legt ihn wieder weg. Dabei aber verpasst man Wesentliches: Nämlich den Einblick in das Geheimnis eines alltäglichen Lebens, das Gemeinde geprägt hat, das so anziehend war, dass es zu ihrem Wachstum führte und dass sich schlussendlich über die ganze Welt erstreckte.

Und da ich nicht wenige kenne, die über das Kleinerwerden unserer Gemeinden heute traurig sind und darum oft den Kopf hängen lassen, kann dieses Thema ein aufbauendes Predigtthema sein. Diese Geschichte kann uns zeigen, was Christsein damals so anziehend gemacht hat. Vielleicht hilft uns das ja weiter, wenn wir über Gemeindebau, Strukturen und unseren Alltag nachdenken.

Es geht hier um das gemeinsame Essen. Was wäre alltäglicher als das? Und doch ist gerade hier großer Lebenssinn verborgen.

Ich erinnere mich an eine Plakatreihe, ich glaube von „Brot für die Welt“ mit den Worten: Der Mensch isst nicht allein. Isst von Essen, nicht von Sein. Zumindest auf den ersten Blick.

Denn eines der beiden s war nicht schwarz wie die anderen Buchstaben, sondern rot. Also ging es um beides: Das Sein und das Essen. Der Mensch isst nicht allein – der Mensch ist nicht allein. Ein Wortspiel, dass Wahrheit transportiert wie: Essen und Trinken halten Leib und Seele zusammen.

Genau diese Wahrheit lebte die frühe Christenheit: Man aß und trank gemeinsam. Das frühe Christentum schuf keine religiöse Sonderwelt, sondern setzte das einfache Leben in einen neuen Zusammenhang. Das Essen war nicht nur Essen, das Trinken mehr als Trinken. Man baute erst einmal keine Kirchen, schrieb erst einmal keine Grundordnungen, stritt erst einmal nicht um Strukturen. Man lebte eine Mahlgemeinschaft.

Darin erinnerte man den Brot brechenden Jesus von der Speisung der Fünftausend bis zum Abendmahl. Gerade so wurde er unter ihnen lebendig, in einem ganz handfesten Zweck: In der Speisung von Menschen, die Hunger hatten.

Von denen hab es in Jerusalem viele. Vor allem Witwen und Waise als größte Gruppe unter den wirklich Armen. Aber die gemeinsamen Mahlzeiten waren keine Tafel, die die Gemeinden für die Armen eingerichtet hätten. Sie waren anders, waren viel mehr: Diese Tafel/ WAR die Gemeinde.

Man kam in privaten Häusern zusammen. Wer etwas zur Mahlzeit beizutragen hatte, brachte es mit. Wer nichts hatte, bekam selbstverständlich etwas ab. Diese soziale Gemeinschaft klingt banal, aber sie war mehr: Sie war Glaubensüberzeugung. Man war bei Tisch als Teilhaber des Gottesreiches, man traf dort die Geschwister in Christus.

An diesen Tischen zeigte sich/ eine neue Gestalt von menschlicher Gesellschaft. Ohne dazu verpflichtet zu sein, aß man zusammen. Denn man glaubte, dass man durch Christus füreinander verantwortlich war. Jeder wollte den anderen in das Reich Gottes tragen. Denn das Leben war sicher flüchtig- das Reich aber noch sicherer ewig.

Aber auch beim Essen entstehen Probleme. Arme Menschen sind ja nicht von sich aus gut, ebenso wenig wie reichere einfach schlechter sind. Wie alle Menschen sehen sie auf das, was andere machen oder haben, vergleichen sich mit anderen. Futterneid auf den volleren Teller des Nachbarn. Dazu dann noch das Sprachproblem zwischen den Judenchristen, die aus der griechisch sprechenden Welt kamen und ihren Lebensabend im heiligen Jerusalem verbringen wollten, und denen, die schon immer in Jerusalem lebten.

Die Zwölf sind überfordert. Bisher haben sie das Predigen und Beten, das Händewaschen und Aufräumen rund um den Tisch noch ganz gut in die Reihe bringen können. Jetzt aber werden es zu viele Menschen, und die Probleme häufen sich.

Als das Murren über Ungleichbehandlung unüberhörbar ist, müssen sie handeln und rufen eine Gemeindeversammlung ein. Sie haben einen Vorschlag zur Güte: Neben den zwölf Betern und Predigern soll es sieben Diakone geben, die für die täglichen Mahlzeiten Sorge tragen, so dass jede und jeder bekommt, was er braucht.

Eine gute Idee, finden die anderen, und setzen sie in die Tat um. Man findet Gemeindeglieder mit einem guten Ruf, Weisheit und Charisma. Und diese wurden für die Gemeinde so wichtig, dass auch ihre Namen in ihrem kollektiven Gedächtnis blieben, wie wir vorhin hörten, als wir unter ihnen endlich den Diakon Timon kennenlernten.

An dieser Form der Problemlösung überrascht heute viele von uns zumindest zweierlei: Zuerst dass eine Gemeindeversammlung ohne überlieferte Schwierigkeiten nicht nur stattfindet, sondern auch ein Problem löst, indem man kurzerhand eine grundlegende Strukturänderung beschließt. So kurz und schmerzlos hätte es mancher auch gern auf Presbyteriumssitzungen oder Synoden. Bei uns Reformierten dauert es jedenfalls schon ziemlich lange, die Strukturen zu entstauben.

Und zweitens: Niemand bestritt offenbar, dass die Beter und Prediger beim Schwerpunkt ihrer Arbeit bleiben sollten. Manch Pfarrer heute wird blass vor Ehrfurcht: Eine Gemeinde, die Beten und Predigen so wichtig findet, dass ihr eine AufgabenTEILUNG selbstverständlich ist. Es hat heute beileibe nicht jeder/ so freundliche Gemeinden wie ich.

Wie auch immer: So einfach/ war das damals. Problem gelöst, Frieden wieder hergestellt- Gemeinde wächst nun erst recht weiter. Sogar ein großer Teil der Jerusalemer Priester ist von dieser neuen Gemeinschaft so überzeugt, dass sie sich ihr anschließen.

Meine Schwestern, meine Brüder:

In unserem Land verhungern Menschen eher am gedeckten Tisch. Wer isst schon noch, was die Kelle hergibt. Da macht es wahrscheinlich wenig Sinn, so wie die erste Gemeinde täglich miteinander zu essen. Ja, vielleicht einmal im Monat, das würde gehen, aber an jedem Tag?

Und doch wird dieser Lukasbericht aus frühen Tagen viele heute anrühren.

Zum Beispiel, weil die Erkenntnis wächst: Probleme regeln sich nicht durch Stammtischreden. Ich will nicht falsch verstanden sein. Ich liebe mein Feierabendbier bei einer guten Pfeife mit gern auch hitzigen Gesprächen über das, was die Welt im Innersten zusammenhält. Und ich habe auch erlebt, dass am Stammtisch gute Ideen geboren wurden.

Aber eben nur die Ideen. Dann muss etwas folgen: Die Tat. Sonst ist die Idee zu wenig nütze. Man muss sie ja auch nicht EIGENHÄNDIG in die Tat umsetzen, seine Ideen. Aber man muss Menschen finden, die man ANSTECKEN, mit der Idee infizieren kann.

Stammtischdiskussionen verenden darum oft in sich selbst. Mancher dort glaubt, wenn Brandenburg von seinem Stammtisch aus regiert werden würde, dann läge die Wahlbeteiligung bei den Landtagswahlen heute bei 100 Prozent und die Bürger wären mit ihren Politikern endlich zufrieden.

Und nicht nur an Stammtischen ist völlig klar, wie man mit den Flüchtlingen in Berlin umgehen muss, wie man mit dem Problem des IS im Irak oder Syrien fertigwird oder was die Israelis mit den Palästinensern falsch machen.

Ja, wir kennen die WIRKLICHEN Ursachen. Die Attentate des 11. September hat der CIA inszeniert, die Taliban haben die Amerikaner erst stark gemacht, die Deutschen in Afghanistan wollen nur die Demokratie dahin bringen, wo sie nicht hingehört.

Wir kennen die wahren Ursachen. Und wenn DIE die Ursachen beheben würden, wäre alles in Ordnung. Aber solange DIE es nicht machen—/ lege ich mich eben wieder hin. Wer will schon für die Weltrevolution sterben? Dann lieber noch ein Bier. Oder ein Brötchen.

In Jerusalem aber zerstreitet man sich nicht über die Ursachen. Es sind auch keine persönlichen Angriffe überliefert. Man zwingt auch niemanden etwas zu tun, womit er offenbar überfordert ist.

Man wird sich vielmehr schnell EINIG. Einig, dass man weiter Gottes Wort hören und beten will, um die Verbindung zu Jesus zu halten. Einig, dass niemand mehr wert ist als der andere, dass einfach ALLE unbeschadet an Leib und Seele das Reich Gottes schauen sollen. Einig, dass das wichtiger ist als alles und das man das schafft, wenn man – ja, wenn man sich liebt.

Diese Geschichte lässt sogar heute noch den Geist spüren, der sie durchweht. Der Kirche zur Kirche macht und bis heute lebendig hält. Sie weckt auch in uns heute/ Sehnsucht nach diesem Geist, der eine Gemeinschaft schafft, die das Größte findet, was dieses Leben zu bieten hat:

Den Frieden Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft.
Nur er bewahrt unsere Leiber und Seelen in Jesus Christus.
Amen.

Nächster Termin: 28. September, 10 Uhr, Ritterstraße 94, 14770 Brandenburg

Dieser Beitrag wurde unter Predigten veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.