Eine Taube sitzt auf einem Zweig

(1. Kor 3, 9-15)

Ich muss mir einen Film ansehen. Nicht, weil er gerade im Festival von Venedig lief. Nicht, weil er aus meinem Sehnsuchtsland Schweden kommt (zumal er gar eine schwedisch-deutsche Koproduktion ist).

Aber sein Titel hat es mir einfach angetan. Roy Andersson nennt ihn „Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach“. Wer wollte wirklich nicht wissen, WAS die Taube da denkt?

Ich will es wissen. GEDANKEN ÜBER DAS LEBEN.

Diese Zeitspanne, die wir haben, um auf dieser Erde zu sein. Vieles haben wir nicht in der Hand. Weder Anfang noch Ende können wir selbst bestimmen. Mann oder Frau, gesund oder krank, dick oder dünn, in der sogenannten Norm oder ganz anders: Man steckt in seiner Haut, ob man sich in ihr nun wohl fühlt oder nicht.

Allerdings: Wir können zumindest mitgestalten. Die Tage zwischen Anfang und Ende, auch die Nächte. In Abhängigkeit von den Gegebenheiten, in Freiheit eigener Entscheidung. Zwischen Schuld und Gerechtigkeit, zwischen Scheitern und Erfolg. Eine Wanderung auf dem Grat. Lebenslang. Wir haben ein Mitspracherecht. Niemand kann uns das nehmen oder uns davon entbinden.

So die Lebensregel. Nur: Welches Mitspracherecht hatte der Taubstumme, den sie zu Jesus brachten (Markus 7, 31ff)? Der weder hören noch reden konnte? Vielleicht von Geburt an? Welche Muttersprache hatten seine Gedanken? Wussten die etwas von seinem Mitspracherecht? Hatten sie ein Wort für Glück? Oder kannten das nur die, die ihn schließlich zu Jesus brachten?

GEDANKEN ÜBER DAS LEBEN.
Je älter wir werden, desto kürzer werden die Jahre, Tage und Stunden. Bis 40 ahnt man das, danach weiß man es. Die Uhr allerdings, die Uhren und die Kalender würden dem widersprechen. Jeder Stunde ist gleich lang, aus ihr werden Tage, Monate, Jahre. Geordnete Regeln mit klaren Zifferblättern und schönen Fotos.

Aber Uhren und Kalender haben wir selbst erfunden. Hilfsmittel zum Leben. Man muss schließlich wissen, wann das Frühstücksei gut ist. Wann man Geburtstag feiern kann. Oder Weihnachten. Und wann man arbeiten gehen muss oder in den Urlaub fährt. Jegliches hat seine Zeit. Und für jegliches haben wir ein Bild /für das Album oder das Smartphone. Steine sammeln oder Steine zerstreuen.

GEDANKEN ÜBER DAS LEBEN.
Auch andere Bilder tauchen auf. Zum Beispiel das mit dem Schmied, der jeder von uns sei/ und dass so jeder an seinem Glück schmiedete. Jede ihres Glückes Schmiedin.

Manches an diesem Bild ist wahr. Was aber konnte der Taubstumme schmieden? Welches Wort für Hammer kannten seine Gedanken? Man kann schließlich nur schmieden was man hat. Da wird aus Glück schnell Pech. Aber dann kamen ja die, die ihn brachten. Welch ein Glück.

Bilder hängen manchmal schief, sind unscharf im Detail. Ein Taubstummer ist kein Schmied/ und ist nicht jeder. Welches Bild ist mir eigentlich wichtig für mein Leben? Ist mein Leben eher ein Auto oder eher ein Haus? Bin ich in steter Bewegung/ oder habe ich mich fest eingerichtet? Ich weiß es nicht so genau. Wissen Sie es für sich? SICHER bleibt: Bilder hinken. Merkwürdig, dieses Bild.

An welchem Bild will ich/ für mich nun arbeiten und malen? Manchmal muss man raus aus dem Haus. Weil einem die Decke auf den Kopf fällt. Da wäre mir das Auto recht.

Aber die Sehnsucht nach dem Haus, den eigenen vier Wänden, die bleibt. Spätestens wenn die Nacht anbricht, für die meisten von uns wenigstens. Obwohl es ja auch Menschen geben soll, die keine eigenen vier Wände für sich brauchen. Nicht einmal für die Nacht.

Auto oder Haus? Beide Bilder habe etwas für sich. Das eine zeigt Bewegung,/ das andere verspricht Schutz. Ich kann wohl eher ohne das Auto leben. Zu Fuß durch das Leben gehen. Aber das Dach über dem Kopf, die schützenden Wände, die Ruhe hinter der Tür, die man schließen kann: Irgendwie sehnt sich jede und jeder nach diesem Hafen im Leben. Noch so ein Bild.

Demnach wäre das Bild, an dem ich malen wollte, das Haus. Mein Leben wäre eine Dauer- Baustelle meiner Überzeugungen, meiner Ideen, meines Erbes. Viele arbeiten auf dieser Baustelle. Meine Eltern, meine Frau und meine Tochter, Freunde, Kollegen. Ich versuche, Herr über das Geschehen auf dem Bau zu bleiben, damit wenigstens die Fassade so aussieht, wie ich es will. Und draußen ein Schild: Baustelle- Betreten erwünscht. Mal sehen, wer noch zum Bauen kommt.

GEDANKEN ÜBER DAS LEBEN.
Wer baut, braucht den Glauben an das Gelingen. Jeder Mensch braucht seinen Glauben an ein Leben, das gelingt. Dann kann er sein Wissen nutzen. Wissen muss meinem Glauben nützen.

Anderenfalls ist Wissen nur ein Staubfänger im Bücherregal. Der Börsenmakler glaubt an die Macht der Aktienkurse, der Mathematiker an die abstrakte Schönheit der Zahlen, beide glauben vielleicht auch an etwas Größeres.

Zum Beispiel an den Gott der Bibel, an Vater Sohn und Geist. Damit Unendlichkeit ihren Sinn bekommt. Geld nicht sinnlos ungerecht wird. Und leben so in der Kirche. Auch so eine ewige Baustelle – Betreten sehr erwünscht.

Diese Großbaustelle ist sogar wichtiger als meine private. Denn mein Lebenshaus steht IN diesem Großen. Die Kirche- mein Jerusalem. Die himmlische Stadt mit den goldenen Toren. Die Mauern, in denen ich Gott begegne. Die Straßen voller Menschen, die auf Zion bauen.

Aber kann das gut gehen: Jeder auf der Dauer- Baustelle seiner Überzeugungen, seiner Ideen, seines Erbes? Paulus schreibt an „seine“ Gemeinde in Korinth, diese vielleicht 20 Familien, von denen die ganze Welt weiß (1. Kor 3):

9 Es ist also Gottes Werk, an dem wir miteinander arbeiten, und ihr seid Gottes Ackerfeld; ihr seid Gottes Bauwerk. 10 Weil Gott mich in seiner Gnade dazu befähigt hat, habe ich als ein kluger und umsichtiger Bauleiter das Fundament gelegt; andere bauen jetzt darauf weiter. Aber jeder soll sich sorgfältig überlegen, wie er die Arbeit fortführt. 11 Das Fundament ist bereits gelegt, und niemand kann je ein anderes legen. Dieses Fundament ist Jesus Christus. 12 Wie nun aber jemand darauf weiterbaut – ob mit Gold, Silber, Edelsteinen, Holz, Schilfrohr oder Stroh –, 13 das wird nicht verborgen bleiben; der Tag des Gerichts wird bei jedem ans Licht bringen, welches Material er verwendet hat. Denn im Feuer des Gerichts wird das Werk jedes Einzelnen auf seine Qualität geprüft werden. 14 Wenn das, was jemand auf dem Fundament aufgebaut hat, die Feuerprobe besteht, wird Gott ihn belohnen. 15 Wenn es jedoch verbrennt, wird er seinen Lohn verlieren. Er selbst wird zwar gerettet werden, aber nur wie einer, der im letzten Augenblick aus dem Feuer gerissen wird.

Auch wir kennen das: Auf jeder Baustelle gibt es Streit. Man streitet um Pläne, um Technologie, um Termine. Es geht um Recht oder Unrecht, um Stümperei oder gar Pfusch am Bau. Den schiefen Turm von Pisa haben wir schon- wenigstens unser Gemeindehausdach soll endlich gerade, ansehnlich und dicht werden. Da wird der Ton schon einmal rauer, wird zum Baustellenton. Wie damals in Korinth. Wie heute in der Kirche. Überall.

Denn es geht um keine Nebensache, es geht um das Ganze. Es kommt darauf an, das richtige Material in richtiger Weise zu verbauen. Gold gehört nicht aufs Dach, aus Stroh baut man keinen Herd, Federn gehören ins Bett.

Alle werden kommen und Ratschläge geben. Rechte und schlechte. Am Ende wird man sehen, ob der Bau hält, was er halten muss. „Das wird nicht verborgen bleiben“.

Paulus darum: „Jeder soll sich sorgfältig überlegen, wie er die Arbeit fortführt.“ Da ist sie wieder, die Eigenverantwortung, in Abhängigkeit von den Gegebenheiten, in Freiheit eigener Entscheidung. Zwischen Schuld und Gerechtigkeit, zwischen Scheitern und Erfolg. Das Mitspracherecht, von dem uns niemand entpflichten kann.

Am Ende, aber nicht vorher: Die Qualitätsprüfung. Sie wird kommen und die Qualität prüfen. Rot ist Blau und Plus ist Minus: Hat der Elektriker seine Arbeit meisterhaft gemacht, geht das Licht an. Wenn nicht, kommt die Feuerwehr. Hoffentlich rechtzeitig. Das kann einem die Furcht in die Knochen treiben.

Es gilt für jedes Fach, jedes Gewerk, jeden Menschen. Erfolg lässt sich nicht machen, Glück nicht pachten, das Leben nicht planen. Was gut gemeint war, muss nicht gut werden. Was man sich vorgenommen hat, kann der Tag morgen unmöglich machen. Unfall, Krankheit, Tod. Planungsfehler, schlechtes Wetter und Materialfehler inbegriffen. Die Feuerprobe ist und bleibt die große Unbekannte auf den Baustellen des Lebens. In der Kirche wie im Privaten.

GEDANKEN ÜBER DAS LEBEN.
Was wird, wenn am Ende der Bau gelingt? Paulus: „Wenn das … die Feuertaufe besteht, wird Gott ihn belohnen.“ Womit? Das schreibt er nicht. Aber in „belohnen“ steckt „lohnen“. Lohnen wird es sich. Die Belohnung, ein Erfolg. Am „Tag des Gerichts“, am Ende also, nicht vorher, auch wenn mancher das gern hätte.

Anderenfalls? Wenn die Feuerwehr kommen muss? Paulus: Man wird „seinen Lohn verlieren“. Das ist bitter. Alle Anstrengung, die Schwielen, die schmerzenden Knochen umsonst. Den Kopf umsonst zerbrochen, umsonst gestritten, umsonst gelitten. Auch wenn ich wünschte, dass mir das erspart bliebe: Es gehört dazu zum Leben, dass man seinen Lohn verlieren kann. Was hätte die Belohnung mir denn zu bieten, wenn ich sie auf jeden Fall bekomme? Wäre nicht dem Leichtsinn Tür und Tor geöffnet?

Aber selbst wenn man seinen Lohn verlöre: Man wird nicht weniger haben als am Anfang. Bevor man den Bauzaun gezogen und das Baustellenschild aufgestellt hat. Das Leben wird man behalten. Vielleicht mit einigen Knochenbrüchen oder Brandwunden, mit Blessuren der Seele. Paulus: Man wird „im letzten Augenblick aus dem Feuer gerissen“.

GEDANKEN ÜBER DAS LEBEN.
Können wir sicher sein? Dass die Lebenskonstruktion hält? Es wird schwer fallen, das Geschehen auf der Baustelle im Griff zu behalten. Vieles werde ich selbst verwerfen. Aber weit mehr wird von den Entwicklungen überholt werden, vom Leben erledigt. In den Akten abgelegt oder durch den Shredder geschoben.

Können wir wenigstens sicher sein, dass die letzte Feuerwehr ihre Arbeit so gut machen wird, dass ich die Feuerprobe wenigstens überleben werde?

Paulus hat die Gemeinde in Korinth insofern gegründet, als er ihr die Botschaft von der Liebe Gottes in Christus brachte. Er hat damit das Wesentliche in den Bau eingebracht: Das Fundament.

Und egal, was in der Gemeinde Korinth gebaut wird, egal, was in der Kirche der Welt gebaut wird: Alles spielt sich auf diesem Fundament ab. Damals und immer. Die Liebe Gottes in Christus reicht tiefer als das Ende. Das ist sicher: Wie immer Kirche aussieht, ihr Fundament ist unaustauschbar.

Darum ist auch das andere sicher. Christus ist das Fundament auch meines Lebens. Meine Baustellen sind Gottes Baustellen. Das, was meinem Leben zugrunde liegt, worauf sich Gewissheiten und Planungen stützen, worauf Jerusalem steht und wo ich mein Haus hinein baue, ist Gottes Liebe.

Gott Liebe spricht mir ihre Anerkennung aus, indem er mich frei leben, denken und bauen lässt. Weil er mich liebt, werde ich jede Feuerprobe überleben: Gott lässt niemanden im Stich.

Darum gibt es nichts lohnenderes im Leben, als Mitarbeiter am Bau seiner Kirche zu sein. Hier können wir einbringen, was wir können und vermögen. Versuchen, das Beste aus dem Lebensbauwerk zu machen, weil wir hier gebraucht, gewollt und erwartet sind. Sicher sein, dass wir jeden Rückschlag, jede Krankheit, jeden Verlust überstehen. Frei von Furcht, dass es uns am Ende das Leben kosten könnte.

Hier findet auch der Taubstumme sein Lebensfundament: Die fleischgewordene Liebe Gottes, die Gnade unseres Lebensherrn Jesus Christus und die weltumspannende Gemeinschaft des Heiligen Geistes.

Mal sehen, was die Taube sieht. Amen.

Nächster Termin: 14. September, 10 Uhr, Ritterstraße 94, 14770 Brandenburg

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