Schon wieder Zeugnisse? (1. Kor 4, 1-5)

Dritter Advent
ein Blick auf den letzten Advent
Gott wird Gerechtigkeit schaffen
für alle und jeden
gegen das Unrecht auf Erden
predigt Johannes der Täufer
im Gefängnis hört er
von den Taten der Liebe Gottes
durch Christus
Gottes große Ansage
der anderen Gerechtigkeit

Bereitet dem HERRN den Weg;
denn siehe, der HERR kommt gewaltig.
Jesaja 40,3.10

Schulnoten.
Bewertungen.
Urteile.

Wer kennt das nicht: Da rutscht man auf eisglattem Bürgersteig aus, und das Publikum/ verteilt Haltungsnoten. Da tut nicht nur der Aufprall weh, wenn nicht gar Schlimmeres passiert. Auch der Ärger über die Blicke der anderen hält sich lange frisch.

Oder schwerwiegender: Man tut das, wozu man sich berufen fühlt, etwas, was man gut kann, arbeitet unter vollem Einsatz, erreicht vieles, worüber man sich freut. Am Ende aber muss man sich anhören, was man alles hätte anders, wie man es hätte richtig machen sollen.

Wir wissen aus den Briefen der Bibel: Auch Paulus musste sich so manches anhören. Aber an ihm scheint das abgeperlt zu sein. Ist das besonders arrogant oder hat Paulus dafür schlagkräftige Argumente? Ich lese uns dazu den Predigttext aus dem 1. Korintherbrief (4, 1-5):

1 Dafür halte uns jedermann: für Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse.
2 Nun fordert man nicht mehr von den Haushaltern, als dass sie für treu befunden werden.
3 Mir aber ist’s ein Geringes, dass ich von euch gerichtet werde oder von einem menschlichen Gericht; auch richte ich mich selbst nicht.
4 Ich bin mir zwar nichts bewusst, aber darin bin ich nicht gerechtfertigt; der Herr ist’s aber, der mich richtet.
5 Darum richtet nicht vor der Zeit, bis der Herr kommt, der auch ans Licht bringen wird, was im Finstern verborgen ist, und/ wird das Trachten der Herzen offenbar machen. Dann/ wird einem jeden von Gott sein Lob zuteil werden.

Nicht nur einmal: Der Missionar Paulus macht sich auf den weiten Weg ins Ungewisse, verlässt seine angestammte Heimat, begibt sich in Lebensgefahr. Reisen war vor zweitausend Jahren nur ganz selten erholsame Urlaubsbeschäftigung. Aber er muss es einfach tun, weil er das, was er durch Jesus Christus vom Dreieinen Gott begriffen hat, nicht für sich behalten kann.

Paulus weiß: Das Evangelium hat sein Leben zum Guten geändert, und es wird viele andere Leben zum Guten ändern. Darum will er es unter die Leute bringen. Die ganze Welt muss davon wissen!

Und er findet sie auch, Menschen, die ihm zuhören, sich anstecken lassen. Menschen, die ihr Leben am Evangelium neu ausrichten und in Gemeinschaft mit anderen ihren neuen Glauben leben.

An vielen Orten am Mittelmeer findet er sie; so auch in der Hafenstadt Korinth. Aber kaum hat er gerade dieser Gemeinde den Rücken zugekehrt, da kommen sie aus ihren Löchern, die Paukertypen mit ihren spitzen Stiften. Die Oberlehrer machen sich an die Arbeit und schreiben: Zeugnisse.

Inhalt der theologischen Aussagen: Nun ja – Im Ganzen Gut. Aber der Mündliche Ausdruck, das war nun bestenfalls ein -Mangelhaft. Und gar die Körperhaltung, das war doch nun gleich eine glatte – Sechs.

Da haben wir doch hier vor Ort Besseres zu bieten. Soll sich dieser Ausländer mal an diesen leuchtenden Vorbildern ein Beispiel nehmen! Versetzungsvermerk:  Dieser Kandidat rückt nicht auf.

Paulus ist sitzen geblieben. Und das, obwohl er doch längst wieder aufgestanden war. Er WOLLTE doch kein Zeugnis. Er BRAUCHTE gar keine Beurteilung von den Korinthern. Erst recht keine VERurteilung.

Jetzt sieht sich völlig missverstanden. Er ist enttäuscht. Eigentlich hatte er doch ein gutes Gefühl, als er sich von ihnen verabschiedete und wieder auf den Weg machte.

Erschöpft sich dieses neue Leben, das so hoffnungsvoll begonnen hatte, jetzt in der Benotung seiner Körperhaltung? Verlieren sich die ungeahnten Möglichkeiten des Neubeginns in „mangelhaftem mündlichen Ausdruck“? Es ging doch um die frohe Botschaft für ein Menschenleben, nun aber um das Aufrücken in die nächste Klasse?

Mancher mag nun fragen: Was muss uns der alte Ärger des Paulus heute interessieren? In unserer Gemeinschaft gehen wir doch zivilisiert und freundlich miteinander um! Naja, mal ne kleine Stichelei, ist doch nur Spaß, das muss doch erlaubt sein!

Außerdem: Wo sind wir hier eigentlich? Geht es hier nicht um den Advent? Um die dritte Kerze am grünen Kranz unserer Hoffnung? Und die lebenslange Adventsfrage: Warum es auch in diesem Jahr wieder Weihnachten für uns werden muss?

Aber man muss nur beim Friseur oder im ALDI die Ohren richtig aufhalten. Wie das immer aussieht! Nicht mal die Straße vor dem Haus haben Pfarrers ordentlich gefegt. Früher hat es das nicht gegeben. Hausbesuche – macht der überhaupt Hausbesuche? Also, bei meinem Geburtstag war er nicht. Da kam nur jemand aus dem Besuchskreis mit einem Heftchen. Und im Gemeindebrief steht  12.12., 3. Advent. Der 12. aber ist ein Sonnabend. Kann der nicht mal Korrektur lesen?

Schulnoten, Bewertungen, Urteile. Schlechte, vor allem. Wer dachte, dass nach Schule und Ausbildung diese Zeiten ein Ende hätten, sieht sich getäuscht. Weil man es nicht allen recht machen kann, gibt es immerzu schlechte Zeugnisse, selbst im Ehrenamt.

Und es kommt noch unangenehmer, wenn man gezwungen ist, sich selbst ein Zeugnis auszustellen. Wenn man bei Bewerbungen schreiben muss, wie gut man doch ist, dass man der einzig Richtige für diesen Job sei. Und das, obwohl an einem der stete Zweifel nagt: Ist das nicht zu dick aufgetragen? Habe ich nicht meine Unzulänglichkeiten verschwiegen? Ist das nicht vorsätzliche Falschdarstellung?

Zeugnisse, Beurteilungen, Verurteilungen: Diese kleinen und großen Gerichtstage des Lebens machen dieses Leben schwer. Manchmal sogar zur Hölle auf Erden. Nämlich dann, wenn an aufkommenden Selbstzweifeln das gesunde Selbstvertrauen zerbricht. Haben mir schlechte Noten wirklich jemals weitergeholfen?

Was aber KANN uns da weiterhelfen? Wir kommen wir heraus aus dem Zwang zur Beurteilung?

Paulus setzt sich hin und schreibt einen Brief, diesen ersten uns bekannten Brief nach Korinth, aus dem wir vorhin den Predigttext gehört haben. Seine Reaktion kann nicht warten, bis er wieder persönlich anreisen kann. Denn es geht um viel.

Es geht nicht um Menschen und ihre Beurteilungen, sondern um Gott und sein Urteil. Das allein hilft uns Menschen wirklich weiter.

Warum? Paulus versucht zu erklären. Wisst ihr, worauf es wirklich ankommt? Nicht, dass wir es allen recht machen. Sondern dass wir tun, was Gott von uns erwarten kann. Und er erwartet nicht mehr und nicht weniger, als dass wir treue Haushalter sind: Zuverlässige Geschäftsführer in Sachen GEHEIMNIS GOTTES.

Um nicht missverstanden zu werden: Es geht nicht um irgendwelche Rätsel, die lösen wären. Es geht um das Geheimnis der Begegnung unseres Lebens mit dem lebendigen Gott.

Dass Gott neben uns ist und uns leben lässt, obwohl wir selbst kein Leben schaffen können. Dass unser Leben frei ist und frei bleibt, obwohl wir nicht müde werden, Grenzen zu ziehen und Mauern zu errichten. Dass jedes Leben gleich wichtig und wertig ist, obwohl wir alle unterschiedlich sind. Dass die Liebe das Menschsein wirklich groß macht, obwohl es manchem viel leichter fällt, Geld zu investieren als aufrichtig Liebe zu verschenken.

Wir können vieles: Atomkerne spalten, Erbgut verändern, auf den Mond fliegen, immer älter werden. Aber zu sehen, dass wir aus den großen Geheimnissen Gottes leben, dass ein Leben ohne Freiheit, Gleichheit und Liebe misslingt: Das bleibt manchem oft dauerhaft verborgen.

Andere Menschen zu bewerten, sie einzuordnen in sympathisch und unsympathisch, gut oder schlecht: Das steht uns nicht nur nicht zu, sondern wirkt dem Geheimnis Gottes entgegen. Was kann es denn für Nutzen bringen, schlechte Noten zu verteilen? Es kostet nur: Zeit, Energie und vor allem Gelegenheit. Gelegenheit zur Liebe.

Darum schreibt Paulus: Richtet ruhig, schreibt Zensuren soviel ihr wollt. Schlagt euch selbst auf die Schulter, bis ihr krumm seid. Aber denkt nicht, dass mich das beeindruckt. Denn das spielt für mich überhaupt keine Rolle mehr.

Selbst wenn ich mir selbst nicht das Geringste vorzuwerfen hätte: Es würde nicht die geringste Rolle spielen, wenn alle Menschen und sogar ich selbst mit mir zufrieden wären. Die einzige Rolle spielt: Was Gott über mich denkt.

Seid ihr nicht darum Christen geworden? Rechnet ihr nicht darum mit der Wiederkunft des Herrn? Lebt ihr nicht darum im Advent? Verpasst doch das Evangelium nicht! „Richtet nicht vor der Zeit, bis der Herr kommt.“ Also: Überhaupt nicht!

Wer könnte es denn: Offenbar machen, was „im Finstern verborgen“ liegt? Wer wüsste es denn: Das „Trachten der Herzen“ zu erkennen? Was sollen denn schlechte Zensuren, die Gaben verschütten; Beurteilungen, die Karrieren verderben; Urteile, die Leben beschweren? Was bringen sie in Ordnung?

Und zur Frage des Beginns zurück: Wer diese Einsicht des Paulus teilt, wird ihm keine Arroganz vorwerfen können, obwohl ich gerade das unter uns immer wieder höre. Ich folge Paulus gern, der sagt:

Einzig Sinn macht es, treuer Haushalter des Geheimnisses Gottes zu sein: Dessen Advent wir erwarten, der allein Licht in das Dunkel bringt, der einzig das Trachten des Menschen-Herzens kennt. „Dann wird einem jeden von Gott sein Lob zuteil werden.“

Wo bleibt der Tadel?
Endgültig abgeschafft.
Weil er nichts nützt.

Meine Schwestern, meine Brüder:

Darum ist es unser Glück, dass WIR im täglichen Miteinander keine Zeit damit verschwenden müssen, Beurteilungen zu erstellen. Es ist unser Glück, dass das Urteil nicht nur über uns, sondern auch über alle anderen Menschen erst am Ende aller Zeit ergehen wird. Und dass Gott selbst es sprechen wird. Und dass er uns liebt.

Es ist unser Glück, dass von uns nicht mehr erwartet wird, dieses Geheimnis zu erkennen und in Treue zu verwalten. Diener dieses Geheimnisses zu sein: Gottes Gaben als persönliches Geschenk zu erkennen und treu mit diesem Geschenk zu wuchern, nicht aber so zu tun, als könnte man selbst der Fülle des Lebens auch nur eine Handvoll hinzutun. Denn die Fülle des Lebens kommt in der Krippe im Stall in diese Welt.

Darum muss es auch in diesem Jahr wieder Weihnachten werden, damit wir diese Fülle nie aus den Augen verlieren. Dass wir Haushalter dessen werden, worauf es wirklich ankommt:

Haushalter der Liebe Gottes, der Gnade unseres Herrn Jesus Christus und der Gemeinschaft des Heiligen Geistes. Sie bewahren unsere Leiber und Seelen in Christus Jesus. Amen.

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Eine Antwort zu Schon wieder Zeugnisse? (1. Kor 4, 1-5)

  1. Sabine Dörr sagt:

    Folgendes vorab:
    Die Predigten in Ruhe nachlesen, immer wieder darauf zurückgreifen zu können und so den einen oder anderen Gedanken noch einmal nachwirken zu lassen – das ist ein Geschenk. Danke.

    „Schon wieder Zeugnisse“ löst(e) vieles bei mir aus:
    Die Predigt beinhaltet so viel aus (meinem) Alltag, dass ich immer nur denke: Ja, genau, so ist es.
    Oder auch: Ja, genau, so sollte es sein…

    „Nicht, dass wir es allen recht machen. Sondern dass wir tun, was Gott von uns erwarten kann. “
    Für mich heißt das:
    Dankbarkeit und die Erlösung von dem Druck, „richtig zu sein“, ständig die Beurteilung anderer im Hinterkopf zu haben und so permanent – blind für alles andere- zu versuchen, die Anforderungen und Erwartungen (ausgesprochen oder nicht ausgesprochen; tatsächlich bestehend oder nur in meinen Gedanken).
    Das heißt dann leider auch:
    Blind für alles andere umfasst nicht allzu selten auch Blindheit für die Erwartungen Gottes an mich und sein Geschenk.

    „Richtet nicht vor der Zeit, bis der Herr kommt.“
    Das löst in mir Nachdenklichkeit und Scham aus: Wie oft richte ich selbst, ohne daran zu denken, dass nicht ich der Richter bin, sondern Gott! Doch immer wieder entdecke ich mich dabei, die anderen Menschen um mich herum vorschnell zu beurteilen. Im Rückblick habe ich so oft erlebt, wie viele „Fehlurteile“ das mit sich brachte. Und damit nicht zu erkennen, dass es sich hinter meiner negativen, vorschnellen Beurteilung und Einordnung in Schubladen nicht selten um Menschen handelt, die zu kennen Gottes Geschenk für mich ist.

    Darum ist folgender Satz für mich so bedeutend: Als Mahnung an meine Beurteilungen und Erlösung für mich selbst.

    „Es geht nicht um Menschen und ihre Beurteilungen, sondern um Gott und sein Urteil.“

    Dass Gott mich liebt und akzeptiert, so wie ich bin, ist tröstlich und doch kann ich mir das oft nicht vorstellen.
    „Und der Tadel? “
    Das, was ich falsch mache? Wo ich so unzulänglich bin?
    Diese Gedanken kann ich nur selten ausschalten und Gottes Liebe annehmen. Da hilft eine Predigt, in der deutlich wird: Wir müssen nicht etwas Besonderes leisten, wir müssen nicht perfekt sein. Gott liebt mich so. Unglaublich!

    Nachdenklich macht mich auch:
    „Diese kleinen und großen Gerichtstage des Lebens machen dieses Leben schwer. Manchmal sogar zur Hölle auf Erden. Nämlich dann, wenn an aufkommenden Selbstzweifeln das gesunde Selbstvertrauen zerbricht.“
    Das ist mir nur allzu vertraut.
    Aber:
    Die Predigt bewirkt aber auch, einmal die Perspektive der anderen einnehmen, ihre Reaktion auf meine Beurteilungen zu sehen. Wie oft verletze ich auf diese Weise Menschen? Gut, dass ich so daran erinnert werde, an die Verletzungen nachzudenken, die ich anderen zugefügt habe. Das braucht schon öfter den einen oder anderen Anstoß!

    Trotzdem: Bei aller Erlösung, Dankbarkeit und Nachdenklichkeit – stets überkommt mich dann doch der Zweifel: Wie soll ich das schaffen? Wie oft vergesse ich das, was in dieser Predigt (und nicht nur hier) angesprochen wird?

    Dankbar und demütig stimmt mich das:
    Dankbar, weil ich es nicht allein schaffen muss.
    Demütig, weil ich immer wieder erkennen muss, dass ich es nicht allein schaffen kann.

    Und weil ich eben doch stets vergesse, vorschnell anders handle und oft so weit davon entfernt bin, Gottes Erwartungen an mich und seine Liebe zu mir auch nur ansatzweise zu spüren, bin ich dankbar für diese Möglichkeit, die Predigten immer wieder nachlesen zu können.

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