Nimm dir als Kursbuch für dein Leben die Bibel (Kohelet 7 15-18)

Der Gottesdienst Septuagesimae zum Nachhören ist für Wochen hier zu finden.

Freiheit von den Grenzen
die die Welt uns setzt
gefangen sein in der Liebe

wer Jesus glaubt, ist gefangen
nicht von eigener Lebensleistung
aber von Gott
der die Barmherzigkeit
und Liebe in Person ist

wer sich gefangen nehmen lässt
von ihm
wird Gerechtigkeit durch Barmherzigkeit empfangen
schon jetzt
und auf ewig

Wir liegen vor dir mit unserm Gebet
und vertrauen nicht auf unsre Gerechtigkeit,
sondern auf deine große Barmherzigkeit.
Daniel 9,18
***
Wenn ich auf dem Motorrad oder im Auto unterwegs bin, habe ich so gut wie immer mein Navi an. Selbst dann, wenn ich zwischen Hohenbruch und Brandenburg unterwegs bin. Eine Strecke, die ich schon hundertmal gefahren bin und die ich, wie man so sagt, wie meine Westentasche kenne.

Auf meinem Smartphone läuft dann ein Navigationsprogramm, das mit dem Internet verbunden ist und viele wichtige Informationen verarbeitet. Und das in „Echtzeit“, wie man heute so schön sagt: Also wirklich schnell und ziemlich zuverlässig. So weiß ich meist rechtzeitig vorher, wenn es irgendwo ungeplante Straßensperrungen oder Staus gibt, und kann solche Hindernisse umfahren.

Ja, immer kann das auch nicht funktionieren: Als ich mal eine Panne auf der B 5 hatte, war ich derjenige, der den Stau verursachte. Aber immerhin war die Strecke hinter mir schon zwei Minuten später im Navi rot gefärbt, so dass die anderen Navinutzer sehen konnten, dass es für sie hier ein Problem gab.

Mein Navi hilft mir also, Unwägbarkeiten der Fahrstrecke abwägbarer zu machen. Manchmal zeigt es mir Umfahrungen auf, die ich noch gar nicht kannte – trotz „Westentaschenkenntnis“. Dann fahre ich überraschend über Straßen und durch Orte, die mir bis dahin völlig unbekannt waren.

Und das Navi zeigt mir an, wann ich aller Wahrscheinlichkeit nach mein Ziel erreichen werde. Das kommt mir sehr entgegen, da ich nur ungern zu spät bin. Außerdem versuche ich meist, möglichst wenig Treibstoff zu verbrauchen. Da kann ich gelassener fahren, wenn ich weiß, wenn ich mir Zeit lassen kann.

So ein Navi, denke ich mir immer mal, müsste es auch für mein Leben geben. Ich würde dann als Ziel eingeben: Glückliches Ende. Und würde dann gelassen und ohne Zeitdruck um die vielen Straßensperrungen des Lebens herumgeführt werden, dabei viel Neues entdecken und endlich und zur rechten Zeit an meinem Ziel ankommen.

In meinen Jungen-Gemeinde-Tagen, also in prähistorischer, internet-, computer- und smartphonefreier Zeit, da gab es einen Kirchenschlager von Fritz Müller, den wir immer wieder gern und laut sangen: „Nimm dir als Kursbuch für dein Leben die Bibel. Was darin steht, prüf in der Wirklichkeit.“

Ich war damals überzeugt, dass das stimmt. Wenn ich mich zum Beispiel an die Zehn Gebote halten würde, dann wären die Hindernisse des Lebens aufrechten Ganges und würdevoll zu meistern. Wenn ich prinzipientreu leben würde, würde ich immer auf dem rechten Weg im Leben bleiben.

Erste Schwierigkeiten kündigten sich dann aber schon in den Diskussionen mit Freunden an. „Du sollst nicht töten“ – wie sollte man das richtig verstehen? Denn ohne zu töten kann kein Mensch leben, weil er dann eben nichts zu essen hätte und nur in Höhlen wohnen müsste.

Nicht einmal, wenn er auf das Fleischessen verzichten würde. Denn auch Pflanzen sind zweifellos Leben, und da macht es keinen Unterschied, ob ich Salat oder Brot oder Müsli esse. Oder Bäume fälle, um Holz für den Bau, für Möbel oder zum Verbrennen zu haben.

Eine Lösung sollte sein, das Gebot mit „Du sollt nicht morden“ zu übersetzen. Aber sind Polizisten oder Soldaten damit „aus dem Schneider“, also keine Mörder, nur weil sie der staatlichen Ordnung dienen? Und kam diese Welt ohne sie aus, und das bitte zu meinen Lebzeiten, damit ich wenigstens irgendwann prinzipientreu leben konnte?

Und die Probleme mit diesem einen Gebot setzten sich bei allen anderen Geboten fort: Wie sollte man sie befolgen können, wirklich wortgetreu? War das nicht eigentlich unmöglich?

Später kam für mich noch die Erkenntnis dazu, dass unbedingte Prinzipientreue notwendige Lösungen oft erschwerten, wenn nicht gar unmöglich machten. Manchmal richteten sie sogar Brandmauern auf, die eine Verständigung mit dem Gegenüber gänzlich unmöglich machten.

Und so stellten sich Zweifel ein: Konnte ich meine Idee, ein glückliches Leben durch Prinzipientreue bis zum Ende zu führen, wirklich leben?

Doch das „Kursbuch für mein Leben“ ist bekanntlich ja ein dickes Buch, da stehen nicht nur die Zehn Gebote drin. Darin steht zum Beispiel auch der Predigttext für heute, der im Buch Kohelet oder auch „Prediger Salomo“ zu finden ist. Ich lese aus Kapitel 7 die Verse 15-18 in eigener Übersetzung:

15 Das alles sah ich in den Tagen meiner Flüchtigkeit:
Da ist ein Gerechter, der zugrunde geht in seiner Gerechtigkeit,
und da ist ein Frevler, der lange lebt in seinem Frevel.
16 Sei nicht allzu gerecht
und gib dich nicht gar zu weise.
Wozu willst du dich zugrunde richten?
17 Sei nicht allzu frevelhaft
und sei kein Tor.
Wozu willst du sterben vor deiner Zeit?
18 Gut ist es, wenn du das eine ergreifst,
aber auch vom anderen deine Hand nicht lässt.
Ja, wer GOTT fürchtet, geht aus allem heraus.

Wenn man diesen Text überfliegt, könnte man der Meinung sein, dass hier so etwas wie „Der Zweck heiligt die Mittel“ ausgeführt wird: Sei nicht zu gerecht, gib dich nicht gar zu weise, sei nicht allzu frevelhaft, sei kein Tor, denn sonst richtest du dich zugrunde und stirbst vor der Zeit.

Aber nur, wenn man ihn überfliegt. Doch gerade um das Problem des „Überfliegens“ geht es schon im ersten Satz: Sei dir bewusst – deine Lebenszeit sind „Tage des Überfliegens“, oder in alter Sprache „Tage in Flüchtigkeit“.

Das bedeutet nicht nur, dass die Lebenszeit endlich ist, dass sie gar schnell vorbei sein kann. Das bedeutet auch, dass man irgendwie auch selbst lebt wie auf einer Flucht, selbst wenn man lebenslang im selben Haus wohnt und nie umzieht: Man kann nirgends wirklich bleiben, muss weiter und weiter und immer noch weiter.

Das Leben, mein Leben, ist nicht, es ist in steter Bewegung: Nichts bleibt, wie es ist. Selbst wenn es einmal anders scheinen sollte. Seit dem Urknall, dem göttlichen Startschuss für das Werden unseres Universums, ist noch kein Stein auf dem anderen geblieben.

Es ist eine Binsenweisheit: Das Leben ist Veränderung. Obwohl: Binsenweisheit bedeutet soviel wie geringfügige Weisheit, also etwas, was jeder Mensch wissen könnte.

Doch würde man diese „geringfügige“ Weisheit konsequent zu Ende denken, würde man das wirklich ernst nehmen, würde man die weitreichenden Folgen für den eigenen Standpunkt erkennen. Denn immer dann, wenn man glaubt, einen Standpunkt eingenommen zu haben, muss man den auch schon wieder verlassen, einfach weil sich die Rahmenbedingungen geändert haben.

Und da ist es egal, welchen Standpunkt ich einzunehmen gedenke: Den der Gerechtigkeit, den des Frevels, der Weisheit oder der Torheit. Manchmal ernten eben die dümmsten Bauern die größten Kartoffeln, manchmal stehen die Weisen dumm da, manchmal lebt der Gottlose in Saus und Braus und wird steinalt und der Gerechte bekommt keinen Fuß mehr auf den Boden.

Wenn ich begreife, dass mein Leben „flüchtig“ ist, muss ich auch seine Grenzen begreifen. Erkennen, dass meine Weisheit, meine Prinzipien, meine Standpunkte ebenfalls nur „flüchtig“ sein können.

Kohelet zeigt in diesem kurzen Text eine Konsequenz aus diesem Lebens-Befund auf. Dabei ist „Kohelet“ kein Name, sondern ein Funktionsbezeichnung. „Kohelet“ bedeutet so etwas wie Versammlungsleiter. Und unser Kohelet war, wie man lesen kann, ein weiser Mensch: Er fordert nicht, sondern redet von sich, und was er von sich preisgibt, hat Tiefgang.

Seine Konsequenz ist darum nicht einfach, sondern eher schwer zu bewerkstelligen. Er sagt nicht: Es ist darum egal, was Du tust, Hauptsache du kommst unbeschadet durchs Leben. Sondern er sagt zweierlei:

Zuerst:
Versuche, dein Leben in der Hand zu behalten.
Ergreife das eine, lass deine Hand nicht vom anderen. Dabei wirst du erleben, dass du erfolgreicher sein kannst, wenn du deine Grenzen begreifst und versuchst, den Lebens-Weg des guten Kompromisses zu suchen und zu gehen.

Wir können spüren, dass das wirklich weise ist, zumal die Nichtbefolgung dieses Rates nur zu Fanatismus führen kann: Fanatismus in der Politik, Fanatismus in der Religion, Unversöhnlichkeit im ganzen Leben. Und wir wissen sicher, dass Fanatismus das Leben und diese Welt in eine Hölle verwandeln können.

In einem flüchtigen Leben in einer flüchtigen Welt KANN es keine absolute Wahrheit geben, nach der sich einfach nur alle richten müssten, um in Frieden und Freiheit miteinander glücklich oder gar alt werden zu können.

Doch damit hört die Sehnsucht nicht auf. Die Sehnsucht nach Gerechtigkeit, nach Weisheit, nach glücklichem Alter, nach gelingendem Leben. Darum ergreife es, lass die Hand nicht davon, es ist dein Leben. Es lohnt sich, den goldenen Weg zu suchen und ihn, zumindest so oft man es vermag, auch zu gehen.

Aber aus den Wirrnissen flüchtigen Lebens heraus hilft nur eines. Da sind wir bei dem zweiten Punkt Kohelets, und der ist im Schlusssatz unseres Textes zu finden, der wie ein Seufzer zu hören ist: „Ja, wer GOTT fürchtet, geht aus allem heraus.“

Der große Perspektivwechsel in der Sicht des Lebens:
Weg vom Blick auf das Ich, den Menschen, diese Welt,
hin zum Blick auf Gott.

Der Ewig ist und nicht flüchtig. Der Schöpfer ist und nicht Geschöpf. Der das Ende jeder Wirrnis ist. Bei dem die einzig mögliche Gerechtigkeit zu finden ist: Die Liebe zur Schöpfung, die Liebe zum Geschöpf. Liebe, die alles ist und ohne die nichts wäre.

Es wäre wirklich weise zu begreifen, was es bedeutet: Dass ich Geschöpf und Gott der Schöpfer ist, und dass ich im unbegreiflichen Plan voller Liebe meinen Platz an seinem Tisch nie verlieren werde.

Meine Schwestern, meine Brüder:

Ist prinzipientreue Rede von einer Brandmauer gegen die AfD zielführend? Gibt es nicht genauso viele Gründe für eine solche gegen das BSW? Ist es wichtig, Straftäter aus Afghanistan lieber nicht in deutschen Gefängnissen zu behalten, sondern nach Afghanistan abzuschieben? Ist der Ukrainekrieg durch Verhandlungen zwischen Trump, Putin und Selenskyj ohne Mitwirken der Europäer zu beenden? Sind Windräder im Wald für das Steuern gegen die drohende Klimakatastrophe unerlässlich? Kann man den Kampf gegen den Hunger von Milliarden Menschen in der Welt politischen Zielen opfern?

Diese Auflistung politischer Straßensperren kann man wahrscheinlich ins Unendliche fortsetzen, das gleiche für die Straßensperren in Familien, Kirchen, Vereinen oder im Berufsleben. Ihr werdet alle euren persönlichen Standpunkt zu diesen Problemen haben oder entwickeln müssen.

Und bei all diesen und allen zukünftigen Konflikten werden wir Kröten schlucken müssen, um sie erträglich zu entschärfen. So ist diese flüchtige Welt, so war sie schon zu den flüchtigen Zeiten des Kohelet, so wird es bleiben, solange es diese Welt gibt.

Wir werden trotzdem nie unsere Hände davon lassen können, für all diese Probleme nach Lösungen zu suchen, um den jeweils betroffenen Menschen wenigstens irgendwie helfen können.

Und wir werden für diese Suche IMMER auf den Weg des Kompromisses angewiesen bleiben, ob es uns nun passt oder nicht.

Doch wie man aus all dem ohne Schaden an der Seele herauskommt, wie man durch all das das Ziel „Glückliches Ende“ je erreicht, war EWIG so und ist schon lange bei Kohelet nachzulesen:
Ja, wer GOTT fürchtet, geht aus allem heraus.

Also:
Nimm dir als Kursbuch für dein Leben die Bibel.

Dann erlebst du die Liebe Gottes,
die Gnade unseres Herrn Jesus Christus
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes.
AMEN

EG 378: 1-3
1. Es mag sein, dass alles fällt,
dass die Burgen dieser Welt
um dich her in Trümmer brechen.
Halte du den Glauben fest,
dass dich Gott nicht fallen lässt:
Er hält sein Versprechen.
2. Es mag sein, dass Trug und List
eine Weile Meister ist;
wie Gott will, sind Gottes Gaben.
Rechte nicht um Mein und Dein;
manches Glück ist auf den Schein,
lass es Weile haben.
3. Es mag sein, dass Frevel siegt,
wo der Fromme niederliegt;
doch nach jedem Unterliegen
wirst du den Gerechten sehn
lebend aus dem Feuer gehn,
neue Kräfte kriegen.

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