Nicht einen einzigen! (Joh 21, 1-14)

Ostern ist gefeiert
Jesus auferstanden
wahrhaftig tausendmal gehört
aber was hilft es
Thomas, der zweifelt,
nicht glauben kann, was nicht handfest wird

Auferstehung Christi
was hilft sie
den vielen, denen ihre Last
schon lange schwerer wiegt
als die Lust ihres Lebens

kann man heraus aus seiner Haut
Quasimodogeniti
gleichwie die Kinder
neugeborenen sein

Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus,
der uns nach seiner großen Barmherzigkeit
wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung
durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten.
1 Petrus 1,3
***
In der alten Kirche nahmen die in der Osternacht Getauften in ihren weißen Kleidern an den Gottesdiensten teil, die an jedem Tag der Osterwoche gefeiert wurden. Eine Woche, prall gefüllt mit Wort und Sakrament.

Am Sonntag nach Ostern legten sie ihre weißen Kleider wieder ab. Jetzt gehörten sie zur Gemeinde wie alle anderen. Nach der Hoch-Zeit der Auferstehungsfeiern ging es nun wieder darum, sich in seinem Leben zu bewähren. Das Fest ist vorbei, der Alltag wieder zurück.

Da, wo die alten Gleise liegen, wünschten sich viele, neue legen zu können. Damals wie heute. Die Ausgefahrenen gegen solche zu tauschen, die ohne Fehl und Tadel sind. Einen neuen Anfang zu machen.

Das aber ist nicht so leicht. Die Rede davon, dass einen die Vergangenheit stets einhole, kommt ja nicht von ungefähr. Man MUSS ja vieles mitnehmen aus seinem alten Leben. Schlechte Träume wird man nicht einfach los. Genauso wenig wie alte Sorgen, alte Probleme, und Menschen, mit denen man nicht deshalb plötzlich gut auskommt, weil man beschlossen hat, neu anzufangen.

Das mussten die Jünger lernen, die durch Jesu Tod zu einem Neuanfang gezwungen waren. Wie sollte es nun weitergehen? Sollten sie dahin zurückgehen, wo sie hergekommen waren?

Voller Furcht hatten sie sich getroffen, um zu beraten, wie es weitergehen solle. Und obwohl sie sich eingeschlossen hatten, war plötzlich Jesus unter ihnen. Auch wenn sie alle ahnten, was das bedeutete, zweifelte Thomas an dem, was er da sah.

Jesus hilft ihm aus seinen Zweifeln heraus; auch er beginnt zu lernen: Christus, der Herr, ist wahrhaftig auferstanden. Die Depression der Jünger beginnt aufzubrechen. Und der Evangelist Johannes beschließt seine Berichte mit den Worten:

„Diese (Zeichen) aber sind geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr, weil ihr glaubt, das Leben habt in seinem Namen.“ (Joh 20, 31)

Leben haben, in seinem Namen:  Was aber meint das?

Eine Ahnung davon kann man bekommen, wenn man weiterliest im Johannesevangelium. Da steht am Anfang des letzten Kapitels, das irgendwie wie angehängt wirkt, eine Geschichte, die sich fast so anhört wie die Geschichte des großen Fischzuges beim Evangelisten Lukas.

Aber während sie bei Lukas noch ziemlich weit vorn im Evangelium steht, schon in Kapitel 5, steht sie hier ganz zum Schluss. Und auch das hat etwas zu bedeuten, aber dazu später. In Johannes 21 steht nun in den Versen 1-14:

Jesus zeigte sich seinen Jüngern später noch ein weiteres Mal.
Er erschien ihnen am See von Tiberias, wo Simon Petrus, Thomas – auch Didymus genannt -, Natanaël aus Kana in Galiläa, die Söhne des Zebedäus und noch zwei andere Jünger zusammen waren.

Simon Petrus sagte: »Ich gehe fischen.« – »Wir auch«, sagten die anderen, »wir kommen mit.« Sie gingen zum Boot hinaus und legten ab, aber in jener Nacht fingen sie nichts.
Als es dann Tag wurde, stand Jesus am Ufer, doch die Jünger erkannten ihn nicht. »Kinder«, rief er ihnen zu, »habt ihr nicht ein paar Fische für das Frühstück?« – »Nein«, riefen sie zurück, »nicht einen einzigen!« – »Werft das Netz auf der rechten Seite des Bootes aus!«, forderte er sie auf. »Ihr werdet sehen, dass ihr etwas fangt.« Sie warfen das Netz aus, aber dann konnten sie es nicht mehr einholen, solch eine Menge Fische hatten sie gefangen.
Da sagte jener Jünger, den Jesus besonders liebte, zu Petrus:
»ES IST DER HERR!«
Als Simon Petrus ihn sagen hörte: »Es ist der Herr«, warf er sich das Obergewand über, das er bei der Arbeit abgelegt hatte, band es fest und sprang ins Wasser, ´um schneller am Ufer zu sein`. Die anderen Jünger kamen mit dem Boot nach, das Netz mit den Fischen im Schlepptau. Sie hatten es nicht weit bis zum Ufer – nur etwa hundert Meter.
Als sie aus dem Boot stiegen und an Land gingen, sahen sie ein Kohlenfeuer, auf dem Fische brieten; auch Brot lag dabei. »Bringt ein paar von den Fischen, die ihr eben gefangen habt!«, forderte Jesus sie auf.
Da stieg Simon Petrus ins Boot und zog das Netz an Land. Es war voll von großen Fischen, im Ganzen hundertdreiundfünfzig. Und trotz dieser Menge riss das Netz nicht.
»Kommt her und esst!«, sagte Jesus. Die Jünger hätten ihn am liebsten gefragt: »Wer bist du?« Aber keiner von ihnen wagte es; sie wussten, dass es der Herr war.
Jesus trat ´ans Feuer`, nahm das Brot und gab es ihnen, und ebenso den Fisch.

Das war nun schon das dritte Mal, dass Jesus seinen Jüngern erschien, nachdem er von den Toten auferstanden war.

ES IST DER HERR! Der Lieblingsjünger begreift es zuerst, dann Petrus, schließlich alle Jünger. Sie trauen sich nicht, es auszusprechen, obwohl oder gerade WEIL sie wissen, wer er ist.

Als LESER wissen wir das von Anfang an. Der Erzähler hat es uns ja gleich zu Beginn verraten. Für uns liegt alle Spannung der Geschichte darin, WIE Jesus sich offenbart und WANN den Jüngern wohl nicht nur die Augen, sondern die Herzen aufgehen. Wann sie nicht nur wissen, sondern auch glauben.

Der Alltag kehrt zurück in das Leben der Jünger. Und auch bei Johannes spielt der sich im heidnischen Galiläa ab. Am großen See im Norden. Bei den einen heißt er See Genezareth, bei den anderen See Tiberias.

Er ist ungefähr genauso lang wie unser Beetz- See in all seinen Teilen, dafür mit bis zu 13 km deutlich breiter. Was ihn ganz besonders macht: Er ist der tiefstgelegene See der Erde, 212 m unter dem Meeresspiegel. Süßwasser gibt es obenauf- am Grund gibt es Salzwasser. Heute ist er das größte Süßwasserreservoire des Staates Israel mit einem der größten Wasserverteilsysteme der Welt.

Bei dem Evangelisten Lukas wird bei dem Fischzug auf diesem See aus dem Fischer Petrus ein Jünger. Bei Johannes läuft es zunächst umgekehrt: Aus dem Jünger wird wieder ein Fischer.

„Ich gehe fischen!“ sagt Petrus. Was auch sonst: Das hat er gelernt. Oder auch: Typisch Mann- jagen, angeln, Lagerfeuer. Und bevor die anderen weiter herumstehen, sagen sie Hilfe zu: Wir kommen mit. Sieben sind es, wenn ich mich nicht verzählt habe. Sie fahren hinaus, aber der Erfolg ihrer Arbeit bleibt ihnen verwehrt: Aber „in jener Nacht fingen sie nichts“.

Kaum etwas in dieser Welt ist so erregend wie der Erfolg. Erfolg wollen ALLE haben in dem, was man tut. Erfolg macht sogar sexy.
Und kaum etwas ist schwerer zu tragen als Misserfolg. Er zieht einen runter, man wird des Tages nicht mehr froh, ist missgelaunt. Und nicht wenige nehmen den Misserfolg mit ins Bett. Der Schlaf, zur Erholung gebraucht, weicht der Schlaflosigkeit:  Müde geht es dann an das nächste Tagwerk.

Den Jüngern aber geschieht Unerwartetes. Ein Mensch vom Ufer kommt dazu. Keiner mit einem Fischerboot, von dem man Fachkenntnis erwarten dürfte. Kinder, habt ihr nicht ein paar Fische für’s Frühstück? „Nicht einen einzigen!“ Größer kann der Misserfolg nicht sein.

Dass die Jünger tatsächlich gegen alle Wahrscheinlichkeit auf das Wort des Unbekannten hin das Netz noch einmal auswerfen, wird ganz selbstverständlich erzählt. In diesem Moment wissen sie noch nicht, wer ihnen da Rat gibt. Also kann man hier die Jünger nicht für ihren vertrauensvollen Glauben loben.

Dass die Jünger Jesus nicht erkennen, ist wichtig bei den Ostererscheinungen. Das macht deutlich: Die Jünger waren weder blauäugig leichtgläubig noch bildeten sie sich nur ein, Jesus wiederzusehen. Ihnen geht es wie allen Menschen: Sie müssen durch den Auferstandenen selbst davon überzeugt werden, dass er nicht im Tod geblieben ist.

Das erneute Auswerfen des Netzes geht also auf Jesus zurück, der das ganze Unternehmen gelingen lässt. „Werft das Netz auf der rechten Seite des Bootes aus!“ Steuerbord: Diesen Versuch ist es wert. Schließlich will sich keiner nachsagen lassen müssen, er hätte nicht alles versucht. Und die Netze füllen sich bis zum Ende ihres Fassungsvermögens.

Es ist der Herr! Sagt der Lieblingsjünger zu Petrus. Und die anderen wissen, dass er Recht hat. Petrus zieht sich schnell wieder an, um ordentlich auszusehen. Seit er Jesus verleugnet hatte, hat er kein Wort mehr mit ihm gesprochen. Vielleicht lässt sich das jetzt in Ordnung bringen. Er springt ins Wasser, weil er vor den anderen an Land sein will. Und die anderen ziehen mit dem Boot ihren Fang an Land.

Schon in der Frage, ob sie denn Fische für das Frühstück hätten, wurde die Fürsorge des Auferstandenen angedeutet- jetzt wird sie klar sichtbar. Jesus empfängt sie mit einer Wohltat. Ein Kohlefeuer, Fische darauf und Brot. Alles ist bereit, schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist. Und bringt von den Fischen dazu, die ihr gefangen habt.

153 große Fische. Viele haben sich in der Deutung dieser Zahl versucht: Es ist die Summe der Zahlen von 1 bis 17, wobei sich die 17 sich aus den „vollkommenen Zahlen 7 und 10 zusammensetzt“. Andere legen allegorisch aus: Die antiken Zoologen kannten 153 Arten von Fischen. Dass das Netz trotz allem nicht zerreißt, ein Zeichen für die Universalität und die Einheit der Kirche.
Was nun wirklich gemeint ist, vermag niemand mit Sicherheit zu sagen. Jedenfalls waren es viele, das Netz war übervoll.

„Kommt her und esst!“
Spätestens jetzt ist allen klar, dass sie Jesus vor sich haben. Sie würden ihn das gern bestätigen hören, aber niemand traut sich das zu sagen. Aber eigentlich ist das auch überflüssig. Sie hatten in diesem Moment alles, was ihr Leben gut machte. Nach dem Misserfolg fühlten sie sich wie neu geboren. Quasimodogeniti.

Dass die Jünger bei diesem Fischzug Jesus finden und wiedererkennen, liegt an Jesus selbst. Er ist es, der für den Erfolg ihrer Arbeit sorgt. Er ist es auch, der für den krönenden Abschluss sorgt: In diesem Frühstück am See finden Leib und Seele zusammen. Jesus sei dank.

Dem Verfasser ist also wichtig zu zeigen, dass der Auferstandene auch nach Ostern weiter an seinen Jüngern handelt. Die Zeit der Kirche beginnt nicht damit, dass die Jünger um Petrus die Ärmel hochkrempeln. Sondern damit, dass der Auferstandene ihre Arbeit gelingen lässt.

Meine Schwestern, meine Brüder:

Ostern vertröstet uns nicht auf das nächste Leben. Es trägt neues Leben in unser Jetzt. Ein Leben, das gelingt, weil der Auferstandene es gelingen lässt.

Wer sein Leben am Leistungs-Erfolg orientiert, gerät in den Machtbereich des Zeitgeistes, der Erfolgsdruck aufbaut und die Seele knechtet.

Dieser Zeitgeist lässt die Menschen in Ratlosigkeit ohne Mut
am Wegrand stehen, wenn ihr Erfolg nach erbrachter Leistung ausbleibt. Oder wenn sie diese Leistung gar nicht erst erbringen können, weil sie zu schwach, zu krank, nicht modisch oder an einer Stelle unbegabt sind. Leistungs-Erfolg KANN darum nicht Zweck des Lebens im Sinne Gottes sein.

Ostern zeigt einen anderen Weg. Die Jünger lassen sich auf Hilfe eines scheinbar Fremden ein. Eine doppelt schwere Übung: Zuerst akzeptieren, dass man das Leben nicht allein in den Griff bekommt, dass alle Arbeit und alle Vorsorge, so wichtig sie sind, ihre Grenzen haben.

Und dann nicht einkaufen zu gehen um den Mangel zu decken, sondern sich den Auferstandenen einmischen zu lassen in das JETZT, in das ICH: Eine schwere Lebensübung, die aber das Blatt wendet.

Denn die Jünger haben nach ihrem Leistungs-Misserfolg überraschend alles, was brauchen: Wärme, ein gutes Essen und eine Gemeinschaft, die diesen Tag reich macht zu einem guten Tag.

Das bringt Ostern in unser Leben. Egal ob Zuhause, im Beruf oder hier in der Gemeinde. Der Auferstandene ruft uns in Arbeit. Aber gerade hier zeigt er uns, dass die QUELLE von Allem etwas unvergleichlich Anderes ist als der Acker, auf dem wir uns abmühen. Er lehrt uns, dass unsere Erfolge das Leben nicht MACHEN und unsere Misserfolge es nicht ZERSTÖREN.

Er lehrt uns, dass wir gerade NICHT selbst auferstehen aus Erfolg- oder Kraftlosigkeit. Sondern dass Gott es ist, der uns leben lässt- vom ersten bis zum letzten Tag auf dieser Welt.

Darum wird diese Geschichte am Ende des Johannesevangeliums erzählt. Denn gerade die Arbeit der Kirche, diese frohe Botschaft allen zu erzählen, lebt aus dem Ostertag. Daraus, das der „Erfolg“ auch dieser Arbeit nie „Erfolg“ irgendeiner Kirche, sondern Werk Gottes ist.

Damit können alle zu Ostern rechnen:
Dass sie sich wie neugeboren fühlen,
weil die Liebe Gottes,
die Gnade unseres Herrn Jesus Christus
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
seit Ostern für uns wirken.
Für seine Menschen, seine Kirche, seine Welt.

Amen.

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