Unser Gottesdienst Palmsonntag zum Nachhören
ist für vier Wochen hier zu finden.
Palmsonntag
so ist diese Welt
gestern, morgen
Hände
schwingen Palmzweige
ballen sich zur Faust
Münder
rufen Hosianna
schreien kreuzige ihn
immer
Doch
Jesu Weg in das Dunkel des Menschseins
wird der Weg Gottes
zum Licht der Welt
allezeit und ewig
Der Menschensohn muss erhöht werden,
auf dass alle, die an ihn glauben,
das ewige Leben haben.
Joh 3,14b.15
***
Jes 50 (Zürcher Bibel)
4 Gott der HERR hat mir die Zunge eines Schülers gegeben,
damit ich den Müden zu helfen weiß mit einem Wort.
Er weckt auf, Morgen für Morgen weckt er mir das Ohr,
damit ich höre wie ein Schüler.
5 Gott der HERR hat mir das Ohr aufgetan,
und ich bin nicht widerspenstig gewesen,
bin nicht zurückgewichen.
6 Denen, die schlugen, habe ich meinen Rücken dargeboten,
und meine Wangen denen, die mich an den Haaren rissen,
gegen Schmähungen und Speichel habe ich mein Angesicht nicht verdeckt.
7 Gott der HERR aber steht mir bei!
Darum bin ich nicht zuschanden geworden.
Darum habe ich mein Angesicht wie Kieselstein gemacht,
ich wusste, dass ich nicht in Schande geraten würde.
8 Er, der mir Recht schafft, ist nahe!
Wer will mit mir streiten? Lasst uns zusammen hintreten!
Wer ist Herr über mein Recht? Er soll zu mir kommen!
9 Seht, Gott der HERR steht mir bei,
wer ist es, der mich schuldig sprechen will?
Seht, wie ein Gewand zerfallen sie alle,
Motten fressen sie.
In Norwegen ist Ostern das vielleicht wichtigste Fest im Jahr. Ab Palmsonntag steht das Land so gut wie still: Da beginnen die Osterferien in den Schulen. Am Mittwoch wird in den meisten Firmen nur noch halbtags gearbeitet, denn Gründonnerstag ist schon Feiertag, dem sich wie bei uns Karfreitag, Ostersonntag und Ostermontag anschließen.
Die Osterzeit in Norwegen ist Hüttenzeit: Dort verbringen viele die freie Zeit, oft vor schneebedeckten Bergen und am liebsten natürlich bei strahlender Sonne. Zeit mit Schokolade und Orangen zum Wandern, Schifahren, Reden, Sonnenbaden, Lesen.
1923. Die beiden jungen norwegischen Autoren Nordahl Grieg und Nils Lie sind so gut wie pleite. Doch sie haben eine Idee, wie sie mit einem Kriminalroman einen Bestseller landen können, der ihnen endlich Geld in ihre Kassen bringen könnte. Ihr Verlag steigt auf ihre Idee ein.
Am Palmsonntag 1923 starten sie eine groß angelegte Werbekampagne. Sie lassen den Titel ihres Buches „Bergensbahn in der Nacht geplündert“ ganz oben auf die Titelseite der norwegischen Zeitung Aftenposten drucken. Ihr Plan zündet und geht auf: Die Anzeige ist so glaubwürdig, dass die meisten Leute denken, der Zug sei tatsächlich ausgeraubt worden.
Das Drama bekommt massive Aufmerksamkeit und ihr Roman wird ein großer Erfolg. Und eine merkwürdige Oster-Tradition wird geboren: Die Osterkrimis. Bis heute erscheinen sie in Norwegen seither vor allem zu Ostern und sind für die freien Hüttentage ideale Begleiter für viele Menschen.
Krimis begleiten auch mein Leben, und das nicht nur zu Ostern. Ich kann mich beim Lesen , Hören oder Sehen entspannen. Ihr besonderer Reiz liegt wohl darin, dass ich mich am Ende meist darüber freuen kann, dass das Gute siegt und das Böse ins Gefängnis wandert. Meistens, denn es gibt auch schlechte Krimis, aber das konnte ich vorher ja nicht wissen.
Im richtigen Leben hätte ich das auch gern so, dass das Böse im Gefängnis landet. Aber da ist es oft anders, da bleibt das Böse unbehelligt und fühlt sich sicher. Und für die Polizei überall auf der Welt ist es besonders bitter, wenn sich Kapitalverbrechen trotz langer und umfangreicher Ermittlungen nicht aufklären lassen. Wenn man gar nicht mehr weiterkommt, wandern irgendwann die Akten dazu ins Archiv und die Beweisstücke in die Asservatenkammer.
Auch wenn man nicht weiterkommt: Akten und Beweisstücke werden aufbewahrt, weil es immer wieder passiert, dass nach längerer Zeit, auch noch nach Jahrzehnten, Fälle doch noch aufgeklärt werden können, sei es, weil sich neue Beweise oder Zeugen finden, sei es, weil man die alten Beweise mit neuen kriminaltechnischen Möglichkeiten ganz neu auswerten kann. Sowas ist dann auch oft Stoff für einen neuen Kriminalroman, Krimiserien wie Cold Cases oder Schlagzeilen in der Zeitung.
Ungelöste Fälle ziehen viele Menschen immer wieder in ihren Bann. Sie versuchen, diese harte Nuss doch noch irgendwie zu knacken und an den Kern zu kommen. Daran muss ich immer denken, wenn ich die Gottesknechtlieder im Jesajabuch lese.
Dazu zählt man im zweiten Jesajateil, also bei Deuterojesaja vier. Das erste Lied (42,1-4) stellt als Gottesrede den Knecht und seine Aufgabe vor: das Recht unter die Völker zu bringen. Der Gottesknecht geht dabei behutsam vor: das geknickte Rohr
wird er nicht auslöschen (V 3).
Im zweiten Lied (49,1-6 (-11)) berichtet der Gottesknecht von seinem großen Auftrag, aber auch von seinem Gefühl, vergeblich gearbeitet zu haben. Das dritte Lied, das heute unser Bibeltext ist, berichtet von den Gaben, die der Knecht von Gott erhalten hat, aber auch von Anfeindungen und sogar Misshandlungen, die er darum erdulden muss.
Das vierte Lied (52,13–53,12) berichtet von seinen Plagen und deren Sinn: Die Strafe liegt auf ihm, damit wir Frieden hätten und durch seine Wunden geheilt würden (53,5)), von seinem Sterben und Tod. Das Lied schließt mit seiner Errettung: Weil seine Seele sich abgemüht hat, wird er das Licht schauen (53,11). Gerade dieses letzte vierte Lied wird darum oft auf Jesu Passion hin gelesen und gedeutet.
Diese Gottesknechtlieder nehmen Menschen, die sie lesen, immer neu für sich gefangen, durch die Jahrtausende hindurch. Und immer und immer wieder neu diskutieren sie die Frage:
Von wem ist die Rede?
Ist der Knecht eine Einzelperson oder eine Gruppe?
Ist damit Jesaja selbst oder auch Deuterojesaja gemeint? Vielleicht der persische König Kyros, der das babylonische Exil Israels beendete und jedem Menschen freie Religionswahl zusicherte – und der darum von vielen messiasgleich gesehen wurde? Ist es vielleicht das Gottesvolk Jakob-Israel (vgl. Jes 41,8), wie es das vierte Lied denken lassen könnte? Oder war doch jemand anderes gemeint?
Bis heute kocht diese Diskussion immer wieder hoch, doch sie bleibt, was sie seit tausenden Jahren ist: Die Diskussion über einen Cold Case, dessen harte Schale man zwar liebend gerne knacken würde, es aber einfach nicht schafft.
Die Frage, warum man trotzdem immer wieder über die Person des Gottesknechtes nachdenkt und das Geheimnis seiner Existent klären möchte, lässt sich für mich ganz einfach beantworten:
Die Lieder sind poetische Schwergewichte. Es gibt kaum jemanden, der sie liest, der nicht von ihnen gefangengenommen würde. Man fiebert, lebt, leidet mit, wenn man sie liest. Sie berühren, erinnern an eigene Lebenssituationen, halten den Traum vom Sieg des Guten wach.
Doch sie wecken auch Zweifel und Widerspruch. Unser drittes Lied zum Beispiel redet ja von Gegnern des Knechtes, und man kann fragen: War der Knecht wirklich im Recht? Waren seine Gegner tatsächlich im Unrecht? Woran soll man das erkennen können?
Tatsächlich kann man das nicht. Es könnte also sein, dass dieser Gottesknecht irrt, seine Augen vor der Wahrheit verschließt, unbeirrbar am falschem Kurs festhält. Dann müsste man diesen Text als Zeugnis für religiösen Fanatismus lesen und besser beiseite legen.
Doch es geht um etwas anderes. Das Lied beschreibt, wie ein Mensch zu seinem Glauben kommt,
wie er seinen Glauben lebt
und wie ihm sein Glaube im Leben hilft.
Ein Mensch kommt zum Glauben, indem er zur Schülerin, zum Schüler wird, und das nicht nur für ein paar Jahre, sondern für immer: Morgen für Morgen neu erlebt dieser Mensch, wie sein Gott ihn aufweckt, ihn hören und verstehen lässt, ihn für den Glauben gefangen nimmt.
Tag um Tag erkennt der Mensch, dass Gott ihm einen Auftrag gibt. In unserem Lied heißt dieser Auftrag konkret, Worte zu finden, die dem müden Menschen neben einem weiterhelfen (V 4). Wer von uns wüsste nicht zu schätzen, was solche Worte vermögen!
Diesen Auftrag zu erfüllen wird zur Lebensaufgabe. Der Mensch erkennt ihn und versucht sein Bestes. Und erlebt, wie Gott an seiner Seite ist und bleibt. Morgen für Morgen neu weckt ihn Gott, zeigt ihm was Recht ist und was Unrecht.
Darum kann der Mensch ertragen, dass er von anderen Menschen ins Unrecht gesetzt wird. Darum verliert er den Glauben daran nicht, dass sein Recht Gottes Recht ist. Und dass Gott sich letztendlich durchsetzen wird.
Dadurch wird der Mensch zum Gottesknecht: Er erhält den Ehrentitel für Menschen, die im Glauben an Gott stehen und bleiben.
Meine Schwestern, meine Brüder:
Es kommt nicht darauf an, herauszubekommen, welche Person sich hinter diesem Titel verbirgt. Ich glaube vielmehr, dass Jesaja das bewusst verschwiegen hat. Ja sogar, dass er gut daran tat. Denn jeder Mensch kann Gottesknecht werden oder sein. Kann heute erleben, was der Gottesknecht Jesajas erlebte: NIE von Gott alleingelassen zu sein.
Auch wenn tausende Jahre vergangen sind, seit diese Lieder geschrieben wurden: Unser Leben ist unlösbar verbunden mit der Jesaja-Welt. Nämlich in dem wunden Punkt jedes Lebens: Immer wieder neu das Gefühl zu erleben, dass die eigenen Sicherheiten verloren gehen. Das ist der wunde Punkt JEDES Lebens.
Zum Beispiel das Gefühl der Sicherheit, wir könnten hier in Europa auf einem Kontinent des Friedens leben, ist der Tatsache des nun schon jahrelang andauernden Krieges in der Ukraine gewichen, den ein russischer Mensch ausgelöst hat.
Oder die Haltung, dass Gerechtigkeit in der Arbeitswelt wenigstens grundsätzlich durch das Gegenüber von Gewerkschaften und Arbeitgebern im Gespräch gehalten wird. Das ist der Tatsache von Turbolenzen in der Weltwirtschaft gewichen, die ein amerikanischer Mensch ausgelöst hat.
Die Dauernachrichten von Vertreibung, Gewalt und Terror lassen sich nicht auf Abstand halten, sie kommen immer näher. Die Grundüberzeugung, dass sich der Schutzanspruch jedes einzelnen Menschen, dass sich Gerechtigkeit irgendwann durchsetzen werde, wird Morgen für Morgen aufs Neue angefochten. Man muss nur die Nachrichten hören oder die Zeitung lesen.
Und ALLES, was uns Menschen als Veränderung, als Verbesserung, als Zukunft benennen und beschwören, hat keinen Glanz, ist ohne jedes Funkeln. Man MUSS einfach bezweifeln, dass der Krieg in Israel – Palästina durch einen wie auch immer gestalteten Sicherheitskorridor beendet werden kann. Dass das Problem weltweiter Flucht oder Vertreibung uns dadurch nichts mehr anginge, wenn wir nur unsere Grenzen undurchlässiger machten. Das stetes Wachsen des Bruttosozialproduktes zum Wohlstand ALLER Menschen eines Landes führen würde.
Gott braucht Menschen mit Morgen-Sinn.
Menschen, die sich von Gott ins Gebet nehmen lassen, die Schülerinnen und Schüler werden. Menschen, die Gottes Sprache lernen, indem sie sein Wort vom Wort der Menschen unterschieden lernen, den Unterschied zwischen Wahrheit und Unwahrheit erkennen.
Menschen mit Morgen Sinn:
Das sind Menschen, die hören, singen und beten.
Menschen, die hören, singen und beten, sind REALISTEN.
Sie begreifen, dass die Grenzen unserer Machbarkeit nicht die Grenzen der Kraft Gottes sind. Sie erkennen, dass die scheinbare Übermächtigkeit einzelner Menschen sich in vielem nicht unterschiedet von der Macht einer Motte.
Menschen, die hören, singen und beten, sind HOFFNUNGSTRÄGER.
Sie sind der lebendige Nachweis dafür, dass die Hoffnung auf den allmächtigen Gott stärker und belastbarer ist als jedes Vertrauen in Prognosen, wissenschaftliche Studien oder Wahlversprechen.
Menschen, die hören, singen und beten, lernen die Wahrheit kennen, weil sie die Bibel lesen. Sie lernen den Gottesknecht kennen, begreifen, dass der scheinbare Lauf der Welt nicht der Lauf der Gotteswelt ist.
Scheinbarer Lauf der Welt:
Der gottestreue Knecht Jesus aus Nazareth wird ans Kreuz geschlagen.
Die Welt Gottes aber wird das Osterfest feiern.
Menschen mit Morgen-Sinn hören das, verinnerlichen das, glauben das. Als Schülerinnen und Schüler Gottes lernen sie, dass sowohl die furchtbaren als auch die nur faden Momente der Zeitgeschichte nicht Gottes Zeitrechnung sind.
In dieser Zeitrechnung steht Gott jenseits karger Eigenbilanzen für die Zusage, die wir schon in den Gottesknechtliedern lesen:
Keine Schülerin, kein Schüler wird im erlittenen Unrecht untergehen.
Denn die Liebe Gottes, die Gnade unsres Herrn Jesus Christus
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
schaffen wahres Recht.
AMEN