Heiligung (1.Thess 4, 1-8)

wir suchen
Wege zu Gott
darum sind wir hier
wir gehen
Wege von ihm weg
Tag für Tag
Woche für Woche
langsame Wege
aber auch schnelle
wie sollen wir handeln
wohin sollen wir gehen
Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist
und was der HERR von dir fordert,
nämlich Gottes Wort halten
und Liebe üben
und demütig sein vor deinem Gott.
Micha 6,8
***
Gesetze und Bestimmungen sind wichtig, um das gesellschaftliche Miteinander zu regeln. Ohne sie würde Anarchie herrschen, und die ganz sicher zum Schaden für die meisten von uns. Aber dass Gesetze und Bestimmungen ausreichten, um unser Leben „gut“ zu machen, davon geht niemand von uns wirklich aus. Lebenswahrheit ist: Gesetze muss man in ihrem Geist erfassen, nicht lediglich nach ihrem Buchstaben. Manchmal reicht es, sich an ihren Buchstaben zu halten; manchmal muss man sie überbieten, manchmal gar gegen sie verstoßen, will man etwas „gut“ werden lassen.

Thomas Mann beschreibt, wie Thomas Buddenbrook in guter Absicht eine Ernte kauft, noch bevor sie eingebracht ist. Damit hat er zu seinem Schaden einen guten alten Grundsatz der Familie verletzt. Der sagt, dass man bei Tag kein Geschäft tätigen soll, dass einen des Nachts nicht ruhig schlafen lässt. Es hätte ja aber auch gut gehen können…

Später geht es um geschäftliche Manöver des Direktors Weinschenk, die „nicht fragwürdig, sondern unreinlich und verbrecherisch zu nennen“ waren. Thomas Buddenbrook erklärt seiner ratlosen Mutter: „Dass alles ganz in Ordnung ist, muss man leider bezweifeln … Es gibt im Geschäftsleben moderneren Stils etwas, was man Usance nennt … Eine Usance, verstehst du, das ist ein Manöver, das nicht ganz einwandfrei ist, sich nicht ganz mit dem geschriebenen Gesetze verträgt und für den Laienverstand schon unredlich aussieht, das aber dennoch nach stillschweigender Übereinkunft in der Geschäftswelt gang und gäbe ist. Die Grenzlinie zwischen Usance und Schlimmerem ist sehr schwer zu ziehen“.  Jeder merkt: Mit der Grenze zwischen „gut“, „gut gemeint“ und „schlecht“ ist es nicht anders.

Paulus beschäftig sich oft mit dieser Grenze, die eine der Grundfragen christlicher Ethik stellt. Auch in dem Predigttext für heute. Er kommt aus dem ersten Brief an die Thessalonicher, Kapitel 4, die Verse 1-8, ich lese die Neue Genfer Übersetzung:

1 Jetzt noch etwas anderes, Geschwister. Wir haben euch gelehrt, wie ihr leben sollt, um Gott zu gefallen, und ihr handelt auch danach. Doch nun bitten wir euch im Namen des Herrn Jesus mit allem Nachdruck: Macht darin auch weiterhin Fortschritte!
2 Ihr kennt ja die Anweisungen, die wir euch im Auftrag des Herrn Jesus gegeben haben.
3 Gott will, dass ihr ein geheiligtes Leben führt. ´Dazu gehört,` dass ihr euch von aller sexuellen Sünde fern haltet.
4 Jeder von euch muss lernen, Herr über seine Triebe zu sein, denn euer Leben gehört Gott, und die Menschen sollen Achtung vor euch haben.
5 Lasst euch nicht von Begierden und Leidenschaften beherrschen wie die Menschen, die Gott nicht kennen.
6 Keiner darf in diesen Dingen die von Gott gesetzten Grenzen überschreiten und seinen Bruder betrügen. Denn für alle solche Vergehen wird der Herr die Schuldigen zur Rechenschaft ziehen. Im Übrigen wiederholen wir mit dieser Warnung nur, was wir euch schon früher gesagt haben.
7 Gott hat uns dazu berufen, ein geheiligtes Leben zu führen und nicht ein Leben, das von Sünde beschmutzt ist.
8 Wer diese Anweisungen missachtet, missachtet daher nicht einen Menschen, sondern den, der euch seinen Heiligen Geist schenkt – Gott selbst.

Die Neue Genfer überschreibt unseren Predigt- Abschnitt: „Das richtige Verhalten im sexuellen Bereich…“. Das führt ein wenig in die Irre. Denn schon in Vers 6 geht es nicht mehr um Sexualität, sondern um Betrug: „Keiner darf in diesen Dingen die von Gott gesetzten Grenzen überschreiten und seinen Bruder betrügen“, in anderer Übersetzung: „Keiner darf sich bei Geschäften über die Rechte seines Bruders hinwegsetzen und ihn um das betrügen, was ihm gehört.“

Die Teilüberschrift in der Lutherübersetzung trifft hier eher den Kern, sie lautet: „Ermahnung zur Heiligung“. Es läuft wirklich alles auf Vers 7 hinaus: „Gott hat uns dazu berufen, ein geheiligtes Leben zu führen und nicht ein Leben, das von Sünde beschmutzt ist.“  Schon in Vers 3 heißt es: „Gott will, dass ihr ein geheiligtes Leben führt“. Das zentrale Wort unseres Textes ist also „Heiligung“. Ein schönes, sehr altes Wort.

Auch wenn wir es heute kaum noch in den Mund nehmen – Heiligung sucht wohl jeder im Leben. Ein heiles Leben ist einem „kaputten“ Leben in jedem Falle vorzuziehen. Heil ist Glück, Geborgenheit, Zufriedenheit, Ausgeglichenheit, Gottesnähe.
Kaputt wäre Einsamkeit, Rastlosigkeit, Unruhe, Gottesferne.
Niemand sucht für sich ein kaputtes Leben. Jeder sucht sein Heil.
Und genau dazu hat Gott uns Menschen berufen.

Was aber hindert das Heil des Lebens? Paulus benutzt hier Schlagworte: Unreine Lebensführung, die sich vor allem äußert in sexueller Sünde und materieller Übervorteilung.

Sexuelle Sünde:  Gleich das erste Schlagwort scheint nun dem Geist unserer Zeit so entgegenzulaufen, dass man es kaum noch aussprechen kann, ohne als ewig gestrig zu gelten. Denn:  Wir leben in einer Gesellschaft der sexuellen Freizügigkeit. Spätestens wer an das Zeitschriftenregal im Supermarkt oder ins Internet geht, kann das unzweideutig sehen.

Mitte der 60er Jahre noch – das ist erst 50 Jahre her – hat das sexualkundliche Institut der medizinischen Fakultät Hamburg eine Umfrage unter den Studierenden durchgeführt. Gefragt war nach sexuellen Erfahrungen, Praktiken und natürlich auch nach ethischen Normen, die für das eigene Verhalten in diesem Bereich als wichtig angesehen wurden.

Weniger als die Hälfte der Befragten, mehr Männer als Frauen, haben sich damals für Sexualität vor und außerhalb der Ehe ausgesprochen. Bei einer Wiederholung der Befragung 1985 waren nur noch zwei Prozent der Befragten aus moralischen Gründen gegen diese Form der Sexualität.

Sexuelle Freizügigkeit ist zu einem Bestandteil der persönlichen Selbstbestimmung überhaupt geworden. Und kürzlich habe ich im Deutschlandfunk gehört, dass es inzwischen eine ganz neue Tendenz gibt: Sexuelle Enthaltsamkeit aus Scheu und Bequemlichkeit. Das belege eine Umfrage in Japan. Immer mehr junge Männer und Frauen dort unter 30 Jahren hätten gar keine sexuellen Beziehungen.

Für die einen sei es das schlimmste, vom anderen Geschlecht abgewiesen zu werden – und diese Enttäuschung wollten sie sich ersparen. Für andere wiederum sei es schlicht zu anstrengend,
um einen Partner zu werben- da nutze man seine Zeit lieber für das Weiterkommen in der eigenen Karriere.

Was genau ist also heute „sexuelle Sünde“? Hat nicht jeder Papst schon verloren, wenn er das Wort „Pille“ in den Mund nimmt und über den Schutz der Familie nachdenkt?

Der zweite Punkt: Materielle Übervorteilung des Nächsten. Sie stellt für viele ein Kavaliersdelikt dar. Wenn einer sich übers Ohr hauen lässt – selber Schuld. Wenn ich weniger zahlen muss, zahle ich weniger. Geiz ist geil – die Werbung wird es auch in das letzte Ohr einhämmern. Kaffee zum Tiefstpreis. Bananen auch. Milch erst recht. Sollen die Erzeuger doch sehen, wie sie überleben. Materielle Übervorteilung gehört zum guten Ton, in den Bereich Usance. Auch wenn Diebstahl weiterhin ein Straftatbestand bleibt.

Nein! Schreibt Paulus. Sexuelle Sünde und materielle Übervorteilung sind die Wege, die schnell und direkt von Gott wegführen. Sie sind Grundübel, die der Heiligung des Lebens entgegenlaufen, das Gegenteil bewirken. Paulus begründet das auch:

„Sexuelle Sünde“ versteht er als Sexualität ohne Liebe. Die gibt es auch in der Ehe! Menschen verhalten sich unheilig, wenn sie ihren Mitmenschen, Mann oder Frau, zum Objekt ihres Spaßes oder ihrer Gier machen. Wenn sie sich seiner oder ihrer einfach nur bedienen – ohne echte Beziehung, ohne  Übernahme echter Verantwortung für den anderen.

So wichtig und richtig Familienplanung heute ist: Ein Problem aller Verhütung liegt eben genau in diesem Punkt. Dass sie es den Menschen leichter, weil überhaupt möglich macht, mit dem anderen etwas zu machen, ohne bestimmte Konsequenzen für das eigene Tun fürchten zu müssen.

Das führt in die Gefahr, dass gerade da Beziehungslosigkeit in den menschlichen Alltag einkehrt, wo unser Schöpfer die tiefste Weise der Beziehung unter Menschen angelegt und gewollt hat. So wird der andere zum Objekt der Begierde, nicht zum Subjekt der Liebe.

Ein anderes Grundübel: Materielle Übervorteilung oder kurz: „Habgier“, Menschliche Gier nach Besitz. Dabei wird von Paulus nicht Besitz an sich verurteilt, wohl aber Besitzstreben auf Kosten anderer.

Betrug, Übervorteilung und Ausbeutung vergiften die Beziehungen der Menschen untereinander. Sie schaffen ständigen Argwohn und Misstrauen, das ständige Gefühl des Zu-Kurz-Kommens im Leben auf der einen Seite. Auf der anderen Gedankenlosigkeit und Ich-Sucht.

Menschenleben aber werden täglich tödlich bedroht durch menschliche  Gier nach immer mehr Wohlstand und Besitz. Es ist doch Teil unseres Wirtschaftssystems, dass Menschen darum Hunger leiden müssen, damit hier in Europa Waren zu Schleuderpreisen in die Läden kommen.Es ist auch Teil des Systems, dass ein wirklich kleiner Teil der Weltbevölkerung im Wohlstand lebt und für ihren Wohlstand den größten Teil der Energiereserven aufbraucht, den unsere Erde zu bieten hat.

Diebe und Räuber kommen in den Knast, wenn sie erwischt werden.
Die anderen berufen sich auf die Usance.

Wer übrigens in andere Bibelübersetzungen oder den griechischen Urtext sieht, findet genug Munition gegen diese Paulusstelle. Zum einen spricht er nur die Brüder an, obwohl auch damals schon mehrheitlich Frauen zur Gemeinde gehört haben dürften. Dann bezeichnet er die Frauen in der damals üblichen Männersprache als „Gefäß“ des Mannes. Zumindest die Wortwahl des Paulus reichte aus, sich über Paulus zu ärgern – wieder einmal – oder sich ganz von dem Text abzuwenden. Doch hilft Ärger bei diesem Thema weiter?

Paulus befiehlt hier nicht, sondern er BITTET. Sein Wort will er als Zuspruch und Erinnerung verstanden werden. Erinnerung auch an die eigenen Worte. Es gibt viele Stellen, wo er Frauen, Kinder und Sklaven liebevoll im Blick hat, auch wenn er hier Worte der Männergesellschaft wählt. Man kann also gerne Paulus mit Paulus korrigieren.

Und sollte nicht zu hochnäsig sein: Selbst die für uns so wichtige Barmer theologische Erklärung redet in These 3, die wir vorhin gehört haben, nur die „Brüder“ an. Und niemand von uns würde auf die Idee kommen, die These darum falsch zu finden.

Wichtig ist an diesem Punkt nicht, was Paulus SAGT, sondern was er MEINT. Er will niemanden ärgern, er will werben.  Die Augen öffnen für Grundübel im Miteinander zwischen Mensch und Gott, zwischen Mensch und Mensch. Es geht um die schlichte, nicht kleinzuredende Wahrheit, dass es einen Weg gibt, der direkt wegführt vom Weg des Heils. Schon immer und für immer.
Gottes Weg für uns aber ist ein anderer: Schon immer, für immer.

Gott liebt eben nicht, wenn er gelegentlich Lust hat. Er lässt Menschen niemals in der Beliebigkeit. Gott ergreift uns Menschen in der Taufe, er will berühren, verändern, uns neu machen. Er will, dass wir nicht nur seine Kinder sind, sondern auch seine Kinder werden.

Seine Liebe geht uns nach, sie ist zudringlich, sie ist stete Beziehung, klare Verantwortung: Gott macht sich uns genehm.
Heil bedeutet Beziehung ohne Unterbrechung, Verantwortung für den anderen ohne Ausnahme, Liebe um jeden Preis.

Meine Schwestern, meine Brüder:

„Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist“:  Gott macht uns durch Christus nicht nur frei von der Macht der Sünde, diesem scheinbar unüberwindlichen Graben zwischen Gott und Mensch. Er öffnet uns den Blick dafür, DASS und WIE wir durch unser Handeln Heiligung in unser JETZT und HIER tragen können.

Heiligung ist etwas anderes als Moralisieren, so wahr Menschlichkeit mehr ist als Moral.

Heiligung, das ist die Frage nach DEM Weg, den Gott uns zeigt. Die Frage: Wie müssen wir leben, um Gottes Tun zu entsprechen?
Heiligung ist das Erwachsenwerden im Glauben, das Erlernen von Güte und Vergebung.
Heiligung, das ist Vertrauen gegen Misstrauen,
Glauben gegen den Zweifel, auch in der Liebe.
Heiligung schließt Selbstgerechtigkeit aus
und Selbsterkenntnis ein.
Heiligung ist ein Wissen um die eigenen Untiefen,
um Versuchbarkeit und Korrumpierbarkeit.

Heiligung ist keine lästige Pflicht, sondern unser Weg zu Gott. Sie macht uns untereinander nicht zu Konkurrenten, sondern zum aufrichtigen Partner des Anderen. Sie wird uns Freundschaft, Liebe und Partnerschaft finden und erleben lassen. Und damit wird sie uns Leben in Fülle schenken.

Es ist uns geschenkt zu wissen, wohin wir gehen sollen.
Dieser Weg führt unser Leben in den Bannkreis der Liebe Gottes, der Gnade unseres Herrn Jesus Christus und der Gemeinschaft des heiligen Geistes.
Ein Weg, der unsere Leiber und Seelen in Christus Jesus heute heiligt und in seine Ewigkeit trägt. AMEN.

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Eine Antwort zu Heiligung (1.Thess 4, 1-8)

  1. Jürgen , Walter, Albert Henk sagt:

    Malte – Danke unseren Schöpfer für Deine Klarheit in Deinen Gedanken.
    Paulus würde sich über Deine Gedanken riesig freuen.

    Mehr geht nicht .

    Du bist auf gutem Kurs , liebe Grüssè von meiner Mannschaft

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