Unser Gottesdienst am 1. Sonntag nach dem Fest der Dreifaltigkeit Gottes ist für vier Wochen hier zu finden.
Lothar Zenetti:
Auf seiner Spur
Worauf sollen wir hören, sag uns worauf?
So viele Geräusche – welches ist wichtig?
So viele Beweise – welcher ist richtig?
So viele Reden – ein Wort ist wahr.
Wohin sollen wir gehen, sag uns wohin?
So viele Termine – welcher ist wichtig?
So viele Parolen – welche ist richtig?
So viele Straßen – ein Weg ist wahr.
Christus spricht:
Wer euch hört, der hört mich;
und wer euch verachtet, der verachtet mich.
So der Wochenspruch aus Lukas 10. (16)
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Harry Potter. Ich habe kürzlich wieder einmal mit viel Freude alle sieben Bände gehört, vorgelesen von Rufus Beck. Manch einer wird ihn schon gesehen haben, zum Beispiel in der Filmkomödie „Der bewegte Mann“ von 1994 oder kennt ihn aus dem Musical „Tabaluga“ gemeinsam mit Peter Maffay.
Für mich sind Bücher, die Rufus Beck liest, immer ein großer Genuss. Und ein Ausflug, heraus aus dieser Welt, hinein in die magische Welt von Zauberern und Hexen, macht mir immer neu Freude.
Harry Potter! Das ist doch Kinderkram. Damit kannst Du irgendwas anfangen? Da kommt doch immer das Gleiche. Das habe ich nicht selten gehört. Und ich kann das verstehen.
Zauberer und Hexen gibt es wahrscheinlich ebenso wenig wie die Welten aus dem Herrn der Ringe oder den relativ ewig lebenden Perry Rhodan, der in den Weiten des Universums unterwegs ist. Das ist vielen einfach zu irreal: Was sollen sie ihre Zeit damit verplempern, sowas zu lesen oder zu hören? Oder Raumschiff Enterprise zu sehen?
Was ich damit deutlich machen will:
Ob man Zugang zu einem Stoff finden kann oder nicht, liegt zuerst in der Persönlichkeit des einzelnen Menschen begründet. Sicher auch im persönlichen Umfeld, also in dessen Einschätzung, ob der Stoff gerade „In“ ist oder nicht.
Dazu kommt: Menschen verstehen einzelne Worte verschieden. Zum Beispiel das Wort Zuarbeit: Die eine sieht darin alle Vorarbeit, die für das Gelingen der eigentlichen Arbeit unverzichtbar ist. Man kann keine Mauer errichten, wenn nicht zuvor dafür Sorge getragen wurde, alle notwenigen Materialien an den Ort zu bringen, an dem die Mauer einmal stehen soll.
Der andere versteht darunter vor allem Arbeiten, die auch mit geringer oder gar keiner persönlichen Qualifikation ausgeübt werden können. Fast jeder sollte, solange er noch auf eigenen Beinen stehen und sich bewegen kann, in der Lage dazu sein, dem Baufacharbeiter Steine oder Mörtel zu reichen, damit der schneller mauern kann.
Das gleiche Wort bewirkt also bei verschiedenen Menschen unterschiedliche Reaktionen: Bei dem einen Hochachtung, beim anderen eher das Gefühl von Geringschätzung. Es gibt sogar Worte oder Sätze, die uns zornig machen oder „triggern“, wie man neudeutsch sagt.
„Das habe ich dir doch gesagt“ ist für mich so ein Trigger, weil er mir unterstellt, entweder vergesslich oder unaufmerksam oder inzwischen zu alt zu sein, um noch ordentlich meine Informationen sortieren oder verarbeiten zu können – oder gar alles auf einmal. Da steigt der Blutdruck schon, wenn diese Worte ausgesprochen sind, Streit und Ärger liegen in der Luft.
All das macht zum Beispiel auch das Predigen nicht gerade leicht: Man muss versuchen, Menschen einen Zugang zu schaffen, sie „abzuholen“; man muss ihnen den Stoff „schmackhaft“ machen, man muss versuchen, Trigger zu vermeiden – und erreicht am Ende doch nicht alle, zu denen man spricht, so sehr man sich das auch wünscht.
Die Heilige Schrift hat es darum nicht leicht mit uns. Da kann geschrieben sein, was will; gepredigt werden, was will; gehört werden, was will. Wie ein Text zu verstehen ist und was er dem Menschen, der ihn hört, nutzen kann: Von Ärger bis zum wunderbaren Verstehen einer Wahrheit ist alles dabei.
Zugute halten muss man ihr, dass beide Teile der Heiligen Schrift inzwischen schon seit Jahrtausenden immer wieder und neu gelesen, immer wieder durchforscht werden, weil man göttliche Wahrheit in ihr zu finden hofft – und man weiß, dass diese Hoffnung immer wieder und oft erfüllt worden ist.
Um das Lesen der Heiligen Schrift geht es auch in dem Bibeltext für heute aus dem Johannesevangelium. Ich lese aus Kapitel 5 ab Vers 39 (Zürcher Bibel):
39 Ihr erforscht die Schriften, weil ihr meint, in ihnen ewiges Leben zu haben – und SIE sind es auch, die Zeugnis über MICH ablegen -, 40 und doch wollt ihr nicht zu mir kommen, um Leben zu haben.
41 Ehre empfange ich nicht von Menschen, 42 aber ich habe euch erkannt und weiß, dass ihr die Liebe Gottes nicht in euch habt.
43 Ich bin im Namen meines Vaters gekommen, und ihr nehmt mich nicht auf; kommt aber ein anderer in eigenem Namen, so nehmt ihr in auf!
44 Wie könnt ihr zum Glauben kommen, wenn ihr Ehre voneinander empfangt und nicht die Ehre sucht, die vom alleinigen Gott kommt?
45 Meint nicht, dass ich euch beim Vater anklagen werde; euer Ankläger ist Mose, auf den ihr eure Hoffnung gesetzt habt.
46 Wenn ihr Mose glaubtet, würdet ihr mir glauben, denn er hat über mich geschrieben. 47 Wenn ihr aber seinen Schriften nicht glaubt, wie könnt ihr dann meinen Worten glauben?
Ein Text, der auf den ersten Blick vorgibt, etwas zu sein, was er nicht ist: Eine Verteidigungsrede Jesu gegenüber seinen Gegnern, ganz im Stil hellenistischer Gerichtsrhetorik. Diese Rede beginnt schon in Vers 19; die Ankläger waren die Oberen.
Sie wollten, wie Vers 18 zu lesen ist, Jesus töten, „weil er nicht nur den Sabbat auflöste, sondern auch Gott seinen Vater nannte und sich selbst Gott gleichmachte.“ Der Angeklagte verteidigt sich selbst, führt Entlastungszeugen an und formuliert die Gegenanklage.
Aber diese Gerichtsszene hat es so nie gegeben. Dafür spricht zweierlei: Erstens die Argumente seiner Verteidigung und zweitens die Zeit, in der Johannes schreibt.
Zu Erstens:
Die Argumente der Verteidigungsrede sind unwirksam, weil sie lediglich polemisch, also streitbar und herausfordernd sind. Wären sie so in einer Verhandlung gefallen, hätten sie zwar bei den Anklägern Verärgerung und Zorn, aber bei den Richtern nicht die geringste Klärung erreicht.
Wie sollte denn Jesus je beweisen, dass er im Namen seines Vaters gekommen wäre? Wie sollte er je beweisen, dass Mose bereits von ihm geredet hat?
Ja, da gibt es z.B. eine schöne Stelle in Gen 49 ab Vers 10, auf die er sich bezogen haben könnte: „Nie weicht das Zepter von Juda und der Führerstab von seinen Füßen, bis sein Herrscher kommt. Und ihm gebührt der Gehorsam der Völker. ER bindet an den Weinstock seinen Esel, an die Rebe das Füllen seiner Eselin. ER wäscht im Wein sein Kleid, in Traubenblut sein Gewand. SEINE Augen sind dunkler als Wein, seine Zähne weißer als Milch.“
Ich glaube, wir könnten uns schnell einig werden:
Hier wird schon im Buch Genesis, dem ersten Buch Mose, auf einen Messias verwiesen. Und für uns gibt es keinen Zweifel daran, wer der ist: Jesus aus Nazareth, der Christus, Sohn Gottes.
Doch die Ankläger werden das mit Sicherheit ganz anders sehen, und für die Richter können Glaubensargumente nicht stichhaltig sein: Jesus aus Nazareth, der Christus, Sohn Gottes – all das findet sich in diesem Bibeltext nicht.
Und selbst wenn man mit „Mose“ hier nicht nur die Mosebücher, sondern den ganzen ersten Teil der Bibel bezeichnet sehen würde: Nirgendwo ist dort zu lesen, dass der Messias Jesus aus Nazareth, der Christus, Sohn Gottes sein sollte Fazit: All diese Argumente sind Argumente des Glaubens – also einzig und allein für die Glaubenden selbst stichhaltig, oder wie man sagt:
Glaub-würdig, des Glaubens würdig.
Zu Zweitens:
Johannes legt Jesus diese Worte in den Mund. Das ist sehr sicher. Denn nirgends finden sich diese oder auch nur ähnliche Worte in den älteren Evangelien oder anderen Quellen. Und dass zur Zeit des Johannes die schmerzhafte Trennung der johanneischen Christus-Gemeinde von der Synagogengemeinschaft bereits vollzogen war und damit der Vergangenheit angehörte, wissen wir auch.
Was ist dieser Text also wirklich? Er ist eine Rede an die Gemeinde mit dem Ziel, sie im Forschen in der Schrift nach Gottes Wahrheit und damit bei der Suche nach dem ewigen Leben zu bestärken. Denn die Gemeinde ist es, die diesen Text liest, seine Wahrheit erkennt und in ihr leben soll.
Gleich zum Anfang wird das erkennbar:
„Ihr erforscht die Schriften, weil ihr meint, in ihnen ewiges Leben zu haben, und doch wollt ihr nicht zu mir kommen, um Leben zu haben.“
Das bedeutet: Bibellesen ist nicht gleich Bibellesen. Selbst wenn man Bibel liest, kann einem der Zugang zum Wesen Gottes versperrt bleiben. Man kann forschen, aber nicht entdecken, dass dass Jesus in Gottes Namen vor einem steht.
Es kommt also darauf an, mit welchen Augen man die Bibel liest. Und weil man bekanntlich nur ein paar Augen hat, würden die Theologen lieber sagen: Welchen hermeneutischen Schlüssel man zum Lesen nutzt. Das hört sich kompliziert an, ist aber eigentlich einfach.
Liest man Bibel mit dem Schlüssel „Wie war es wirklich?“, vor allem also mit historischen Interesse, hilft sie einem nur an wenigen Stellen wirklich weiter. Liest man sie mit dem Schlüssel „Was kann ich über Gott lernen?“, dann ist sie das Buch der Bücher. Ein Buch, das sich nie ausliest und das einen nie wieder los lässt, sooft man es auch in die Hand nimmt.
Und Johannes denkt dazu: Würdet ihr dagegen mit dem Schlüssel „Liebe zu Gott“ die Bibel lesen, würdet ihr sehr wohl finden: Jesus spricht im Namen Gottes. Bei ihm ist auch das Leben zu finden
Auf diesen Lese – Schlüssel kommt es an. Er lehrt die Unterscheidung von Gotteswort und Menschenwort in der Schrift, wenn man wie Johannes glaubt: Jesus ist Gott in Person ist Liebe in Person. Gottes Wahrheit ist ewige Wahrheit ist ewiges Leben.
Auf diesen Schlüssel kommt es auch bei der Frage an, ob man Traditionen gefangen bleibt oder ob man sich durch Erkenntnis göttlicher Wahrheit von ihr lösen kann. Befreien von dem vielleicht seit Jahrhunderten fertigen Bild von Gott, seine angeblich immer gleichen Erwartungen an die Menschen und die immer gleichen Reaktionen, die von Gott zu erwarten seien.
Meine Schwestern, meine Brüder:
Johannes redet MIT UNS.
Weil er UNS anstecken will, weil wir selbst fast zwei Jahrtausende später in seine Gemeinde gehören.
Johannes will uns infizieren mit der Liebe Gottes durch Jesus.
Mit der Wahrheit über das Ewige Leben.
Darum redet er unermüdlich darüber, dass da doch viel mehr ist als das, was wir sehen, riechen und anfassen. Will, dass wir sehen lernen, was er sehen kann. Jesus und der Vater sind eins. Jesus und wir sind eins. Wir sind GOTTES Leidenschaft. Das will er uns sehen und fühlen lassen.
Darum lässt Johannes uns hier auch die Fallen sehen, die auf dem Weg der Wahrheit liegen. Wir hören Jesus sagen: „Ich bin im Namen meines Vaters gekommen, und ihr nehmt mich nicht auf.“
Weil viele Menschen das Leben nur auf DIESER Welt ernst nehmen, werden sie blind für das Ewige Leben. Tauschen Gottes Autorität gegen die von Menschen. Daraus werden Menschen, die für sich selbst alles fordern: Macht, Reichtum, Sicherheit. Auf DIESER Erde, in DIESEM Leben.
Macht, Reichtum und Sicherheit:
Für Menschen, die so etwas versprechen, waren andere Menschen immer bereit, in die zweite Reihe zu treten. Egal, wie Kaiser, Könige und Diktatoren hießen oder heißen. Für deren „Ehre“, also zu deren Freude, stellten sie IHRE Ehre, IHRE Freude hinten an, suchten und suchen den „Messias“ als politischem Herrscher.
Ihnen zur Ehre zogen Kaiser gegen die Germanen, Kreuzritter gegen Andersgläubige, Deutsche in den totalen Krieg. Ihnen zur Freude brechen Fabriken über bettelarmen Arbeitern zusammen, gehen miserabel gebaute Hochhäuser in Flammen auf, verbreiten Krieg und Terror Angst und Schrecken.
„Wie könnt ihr zum Glauben kommen, wenn ihr Ehre voneinander empfangt und nicht die Ehre sucht, die vom alleinigen Gott kommt?“
Wichtig ist vielen, was die großen und kleinen Mächtigen von ihnen denken. Die Regierung von Staat oder Partei, die Regierung von Schule oder Arbeitsplatz, die Regierung der Clique oder der Familie.
So wichtig, dass sie seelisch und körperlich Höllenqualen erleiden, wenn ihnen diese Anerkennung versagt bleibt. Die Anerkennung Gottes, seine Ehre, seine Liebe verblasst hinter all dem bis zu Unkenntlichkeit. Gottesglaube hat hier keinen Platz.
Gottes Messias ist Christus. Der lebendige, liebende Gott tritt in Jesus neben uns. Er lebt und liebt durch Jesus. Wenn wir in ihm bleiben, bleibt Gott in uns. Und dann bleibt auch Gottes Leben in uns, selbst wenn wir sterben müssen.
Darum kann nur eines für uns wichtig sein: Bibel lesen.
Und die Liebe Gottes,
die Gnade unseres Herrn Jesus Christus
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
werden uns ins ewige Leben führen.
AMEN
MUSIK
EG 193:
3. Mein Herz hängt treu und feste
an dem, was dein Wort lehrt.
Herr, tu bei mir das Beste,
sonst ich zuschanden werd.
Wenn du mich leitest, treuer Gott,
so kann ich richtig laufen
den Weg deiner Gebot.
4. Dein Wort, Herr, nicht vergehet,
es bleibet ewiglich,
so weit der Himmel gehet,
der stets beweget sich;
dein Wahrheit bleibt zu aller Zeit
gleichwie der Grund der Erden,
durch deine Hand bereit’.