Erinnerung (2. Tim 1, 7-10)

Wir dürfen glauben.
Glauben, dass unsere Grenzen
nicht durch den Tod,
sondern durch Gott gesetzt sind.
Wir dürfen selig sein:
Protestleute gegen den Tod.
Gerade weil heute der 11. September ist.
Uns bestimmt nicht die Angst vor dem Ende,
sondern die Freiheit des Ewigen Lebens.

So steht es geschrieben:
Christus Jesus hat dem Tode die Macht genommen
und das Leben
und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht
durch das Evangelium.
2 Timotheus 1,10b
***
Ich freue mich, dass Du dazugehörst!
Wenn Motorradfahrer sich begegnen, gehört es zum guten Ton, dass man sich mit der linken Hand grüßt. Wenn die Verkehrslage das irgendwie zulässt. Nicht, weil man sich besonders mag, ja nicht einmal, weil man sich kennt, sondern nur deshalb, weil man zu einer Minderheit gehört, was das Fortbewegungsmittel betrifft. Der Gruß mit der Linken Hand sagt einfach nur: Ich freue mich, dass Du dazugehörst! Es gibt schon die ersten Entschuldigungsaufkleber an Autoheckscheiben: Biker im Wartestand. Oder anders: Auch ich werde irgendwann wieder dazugehören.

Ich freue mich, dass du dazugehörst: Das denke ich auch dann immer, wenn ich jemandem begegne, der das Symbol eines Fisches auf sein Fahrzeug geklebt hat. Den Fisch gibt es in den verschiedensten Variationen, von einfacher Linienführung über diesen Fisch mit Haifischflosse, der vor knapp 10 Jahren Symbol des Kirchentages in Köln gewesen ist, bis hin zum Tiki-Küstenmacher-Fisch der Christen mit einem Überschuss an Humor.

Der Fisch ist neben dem Kreuz das älteste Symbol der christlichen Kirche. In einer Zeit, in der es immer gefährlicher wurde, als Christ erkannt zu werden, wurde der Fisch zu einem wichtigen Erkennungszeichen. Er signalisierte denen, die Bescheid wussten: Hier sind Christen, Gleichgesinnte.

Warum ausgerechnet ein Fisch? Zu der Entstehungszeit dieses Symbols war Griechisch die wichtigste Sprache. Das griechische Wort für Fisch ist:  ICHTHYS. Und jeder Buchstabe dieses Wortes wurde zum Anfangsbuchstaben eines neuen Wortes:
I  wird  Jesus / CH zu Christus / TH zu  Gottes / Y zu Sohn / S zu Retter, also ein kurzes, präzises Bekenntnis. Das glaube ich: Jesus Christus, Gottes Sohn, Retter.

Ich freue mich jedes Mal, wenn ich so einen Fisch sehe. Weil es mir zeigt: Hier ist auch ein Christ. Auch wenn wir uns vielleicht noch nie gesehen haben: Wir gehören zusammen, wir gehören zur Kirche Jesu Christi. Wir glauben gemeinsam: Jesus Christus, Gottes Sohn, Retter.

Gleichzeitig schäme ich mich ein bisschen. Denn der Fisch ist eine Art Geheimzeichen. Die meisten Menschen kennen seine besondere Bedeutung nicht. Ich bin schon mehr als einmal gefragt worden: Was bedeutet das, bist Du Angler? Aber noch nie: Was glaubst Du genau?

Der Fisch ist etwas für Insider. Aber ich bin doch bestellt, das Evangelium zu verkünden. Jeder von uns ist das, genau genommen. Sollte man nicht offensiver mit dem Glauben umgehen? Man könnte ja auch ein Kreuz ans Auto kleben. Oder einen Schlagsatz wie „Jesus liebt dich“ oder: „Ich habe Zeit für Dich. Gott.“ Das wäre wenigstens offensiv, jeder würde deutlich sehen können, woher man kommt, und niemand würde einen fragen, ob man ein  Angler wäre.

Aber die meisten von uns würden sich bei dem Gedanken eher unwohl fühlen, so offensichtlich zu missionieren. Denn da ist zuerst die Scham, weil man sich immer wieder in die unangenehme Pflicht genommen sieht, persönlich für zweitausend Jahre Kirchengeschichte gerade stehen zu müssen. Da hilft der Hinweis nicht wirklich, dass Gottes Bodenpersonal schon immer nur aus Menschen und nur selten aus Heiligen bestand. Diese Scham gilt nicht nur für die Öffentlichkeit, denn auch im privaten Umfeld ist Christsein inzwischen keinesfalls mehr die Regel.

Und außer Scham fühlt man auch Angst. Die Angst, missverstanden, ausgelacht oder gar angegriffen zu werden- zumindest verbal. Oder im Konfirmandenunterricht nicht gut genug aufgepasst zu haben, um auf drängende theologische Fragen zumindest irgendeine persönliche Antworten zu haben.

Aber: 7 Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.
steht in unserem Predigttext für heute. Und weiter:
8 Darum schäme dich nicht des Zeugnisses von unserm Herrn noch meiner, der ich sein Gefangener bin, sondern leide mit mir für das Evangelium in der Kraft Gottes.
9 Er hat uns selig gemacht und berufen mit einem heiligen Ruf, nicht nach unsern Werken, sondern nach seinem Ratschluss und nach der Gnade, die uns gegeben ist in Christus Jesus vor der Zeit der Welt,
10 jetzt aber offenbart ist durch die Erscheinung unseres Heilands Christus Jesus, der dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat durch das Evangelium.

Nachzulesen sind diese Verse im zweiten Brief an Timotheus, Kapitel 1, die Verse 7-10.

Wie eine Überschrift wirkt Vers 7, der zudem noch zu den bekanntesten Bibelversen überhaupt gehört. 1984 war er die Jahreslosung, viele von uns werden sich daran erinnern können. Frau Kluth wurde gerade 2, Frau Kalweit 5 Jahre alt, als er das 1933 schon einmal war.

7 Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.
Kraft. Liebe, Besonnenheit: Diese Zusammenstellung von Gaben des Heiligen Geistes ist nur hier in der Bibel zu finden. Wir bekommen so heute wie schon Timotheus damals zu lesen: Denke daran, wie alles begann, wie Du zum Glauben gekommen bist: Du bist getauft! Der GEIST GOTTES ist in Dir! Welchen Auftrag Du hast: Gott HAT uns den Geist gegeben! Erinnere Dich!

Das macht mich auch jetzt nachdenklich. Ich habe theologisch begriffen und glaube daran: Aus mir heraus kann ich nicht glauben, allein Gottes Geist ist es, der das schaffen kann. Ohne den Geist Gottes kann niemand glauben. Und der weht, wo er will, ist uns Menschen nicht verfügbar.

Aber ganz offenbar kann es auch geschehen, dass ich den Geist Gottes zwar in mir trage, mein Glaube aber dennoch kleiner wird oder an Zweifeln zerbricht? Kann es sein, dass ich selbst das Wirken des Geistes in mir hindern, be-hindern, ver-hindern kann? Dass das Erinnern dabei hilft, dass das nicht passiert?

Vielleicht, und mehr als ein Vielleicht als Antwort darauf habe ich nicht: Vielleicht ist es mit dem Wirken des Geistes in den Menschen wie mit der Liebe überhaupt. Jeder weiß doch, dass Liebe nie bleibt, wie sie ist, sondern sich stets ändert. Das gilt für jede Liebe, egal ob zu den Nächsten oder zu dem engen Kreis der Familie oder zum Lebenspartner.

Und in Zeiten, wo wir an der Liebe zweifeln, wo es uns schwer fällt zu verstehen, oder gar unmöglich zu lieben, in solchen Zeiten hilft oft genau das: Erinnerung. Erinnerung an die Zeit, in der alles begann. Wo es die Flugzeuge oder das Kribbeln im Bauch gab. Wo es selbstverständlich erschien, nicht nur Bäume, sondern ganze Wälder ausreißen zu können.

Die Erinnerung macht klar, wie groß und wichtig es damals war, wie großartig man sich gefühlt hat, welche Kräfte in einem geweckt worden sind.

Diese Erinnerung öffnet dazu, mehr zu sehen als den Augenblick, mehr als das Jetzt, mehr als den Zweifel, mehr als den Tod. Und ist man erst einmal dafür offen, die Welt mit anderen Augen zu sehen, stehen die Chancen gut, dass Liebe weiterleben kann. Vielleicht- ist es ja mit dem Wirken des Heiligen Geistes ähnlich?

Paulus oder wer immer diesen Brief an Timotheus geschrieben haben mag, war jedenfalls ganz offenbar dieser Meinung. Erinnern hilft. Der Predigttext konkret erinnert: Wir HABEN Gottes Geist und sind damit nicht nur AUFGEFORDERT, sondern auch IN DER LAGE, für unseren Glauben einzustehen.

Was aber, wenn man sich ganz und gar nicht in der Lage fühlt? Überfordert? Gefangen in den schon beschriebenen Ängsten und Schamgefühlen? Wenn der Geist des Alltages den Geist Gottes zu überstrahlen scheint? „Paulus“ schreibt: Fürchte dich nicht, schäme dich nicht, erinnere dich: Er hat uns doch Christus geschickt!

Der hat doch dein ganzes Leben geändert, hat dich selig gemacht! Er hat nicht einmal danach gefragt, ob irgendeiner von uns moralisch integer oder klug genug oder ordentlich qualifiziert sind.

Er hat uns einfach alle für würdig erachtet.  9 Er hat uns SELIG gemacht und berufen mit einem heiligen Ruf, nicht nach unsern Werken, sondern nach seinem Ratschluss und nach der Gnade, die uns gegeben ist in Christus Jesus vor der Zeit der Welt… Erinnere dich! Willst Du das wirklich im Alltag der Welt untergehen lassen?

Mancher wird jetzt denken: Gut, ich erinnere mich. Gut, die Erinnerung lässt mich wieder wissen, dass ich dazugehöre. Warum ich dazugehöre. Aber ging es nicht darum, den geheimen Fisch gegen die große Evangelisations-Offensive einzutauschen? Dazu muss man mit seinem Glauben aber unter die Leute, und zwar nicht hier hinter geschützten Kirchenmauern, sondern draußen, in der Öffentlichkeit. Aber ist mein Glaube nicht meine Privatsache?

„Paulus“ sagt: „Gott ist OFFENBART ist durch die Erscheinung unseres Heilands Christus Jesus“. Gott hat für alle sichtbar durch   Christus gehandelt. Das kann keine Verschlusssache sein oder je werden.

„Privat“ hat in unserem Sprachgebrauch wie viele Worte unterschiedliche Bedeutungen.  Zuerst bedeutet „privat“ tatsächlich „Nichtöffentlich“ im Sinne von „geheim“. Wenn ich irgendwo vor einer Tür stehe, an der „privat“ steht, dann weiß ich: Dahinter habe ich nichts zu suchen. Hier beginnt die Privatsphäre eines Anderen. Anders ist es nur dann, wenn der Eigentümer dieses Schildes mich hineinlassen WILL.

Privat bedeutet aber außerdem „persönlich“, „außeramtlich“. Das bedeutet, dass ich frei bin in meiner Entscheidung. Es liegt an der jeweiligen Person, wie sie sich entscheidet. Keine äußere Instanz, kein „Amt“, auch nicht das für Staatssicherheit oder wie Denkbestimmungsämter der Welt heute heißen mögen, darf das bestimmen, ja KANN das bestimmen. Dazu wären sie mit keinem Mittel der Welt in der Lage. ICH bestimme, welcher Geist in mir und durch mich wirken darf.

In DIESER Bedeutung ist Glaube meine „PRIVAT“- Sache. Und dass der Geist dieses Glaubens nicht in mir versteckt wird, ja dass er in mir einen würdigen Vertreter findet: Dafür hat Gott uns „gegeben… den Geist… der Kraft“. Wir SIND kompetent, unseren Glauben öffentlich zu machen.

WARUM sollen wir das tun? Es lebt sich doch auch gut als einer, der einfach nur herausgerufen ist aus dem Alltag dieser Welt. Der einfach nur dazugehört zur Ekklesia, zur Gemeinde der Geheiligten. Der einfach nur glücklich ist, weil die Alltagsgötter keine Macht mehr über einen haben, nicht einmal der Tod, der dem Leben und Treiben dieser Welt ein endgültiges zeitliches Ende setzt.

Aber der Gottes-Geist der Kraft ist der Geist der LIEBE Gottes. Der Liebe, die keinen, aber auch gar keinen Unterschied kennt zwischen dem einen und dem anderen Geschöpf Gottes, schon gar nicht zwischen Menschen. Wer die Seligkeit durch Christus für sich behalten will, fällt von ganz allein wieder heraus, weil die Seligkeit die Liebe IST. Liebe für sich behalten zu wollen aber ist das genaue Gegenteil von Liebe. Wir sind kompetent zur Liebe.

Wie das nun praktisch funktionieren soll? Dazu hat der Gottes-Geist neben Kraft und Liebe die Besonnenheit gebracht. Eine Selbstdisziplin, die der Frage nachgeht, welchen Schritt man als nächstes gehen sollte, um die Menschenfreundlichkeit Gottes im Alltag sichtbar werden zu lassen.

Das muss nicht in der Organisation von Großevangelisationen oder Kirchentagen geschehen. Dafür braucht es sicher Menschen, die dieses Handwerk besser verstehen als ich. Oder die meisten von Euch. Aber es war ja auch kein Kirchentag, der mich „zum Glauben gebracht“ hat. Es waren die vielen kleinen Schritte von vielen Menschen, die Gott auf mich zukommen ließ.

Gottes Zeuge zu sein muss ganz und gar nichts Spektakuläres sein, sondern hat zuerst etwas mit dem Alltagsleben zu tun. Damit, das man privat- persönlich-allein erkennt, dass Gott Großes mit einem vorhat.

Der Text schließt darum, wie er beginnt- mit einem sehr bekannten Bibelvers. Jesus Christus hat „dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht … durch das Evangelium.“ Damit bin ich erinnert an das Große, was mein Leben verändert hat. An die Liebe, mit der Gott es seither begleitet. An die Kraft, aus der es getragen wird, auch durch alle schlechten Tage, selbst über die Grenze meines eigenen Todes.  Und ich bin erinnert an des Wort Christ: „Was ihr getan habt EINEM von diesen Geringsten, das habt ihr mir getan“.

Meine Schwestern, meine Brüder:

Furcht und Scham sind ansteckend. Wenn sich alle zurückhalten, traut sich am Ende keiner mehr heraus und alle halten sich zurück.

„Paulus“ setzt gegen diesen Teufelskreis einen anderen Akzent. Er erinnert uns an die Geistesgaben Kraft, Liebe und Besonnenheit. An das Gleiche, für das auch das Symbol des Fisches steht. Er ist eben nicht nur SYMBOL für Eingeweihte, sondern auch ERINNERUNG: Vergiss nicht, was Gott die Gutes getan hat. Und: Behalt es nicht für dich. Gib es weiter. Offen und öffentlich.

Wir schaffen das. Weil wir gemeinsam stark werden. Durch den Heiligen Geist lebendig. Und schärfer, als das Fischsymbol zunächst vermuten lässt.

Denn es gibt ihn wirklich, den Fisch mit der Haifischflosse. Daran erinnert uns die Gemeinschaft der Tausenden, die wir auf den Kirchentagen erleben, im nächsten Jahr wieder. Oder das Symbol des Kirchentages 2007 in Köln. Darum heute auch Kirchentagsmusik zum Anfang und Schluss des Gottesdienstes, als eine besondere Erinnerung:

In der Taufe HABEN wir den Geist Gottes, der uns zu ihm führt, der uns kompetent, motiviert und besonnen macht. Der uns immer neu begreifen lässt: Der beste Teil von mir ist Jesus, sehen Sie doch: Jesus in mir. The best part of me is the Jesus, you see, in me.

Seine Gnade, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sind das Beste, was uns passieren konnte.
AMEN.

Dieser Beitrag wurde unter Predigten veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

2 Antworten zu Erinnerung (2. Tim 1, 7-10)

  1. Sabine sagt:

    Ja, der Fisch mag ein unter vielen Christen vertrautes Symbol sein. Doch es gibt immer noch Menschen – auch unter den Christen -, denen die Bedeutung des Fisches nicht bekannt ist. Ich gehör(t)e dazu. Durch Deine Predigt erfuhr ich davon. Voller Freude fahre ich nun “meinen” Fisch durch die Gegend. Und hoffe, dass ihn der eine oder andere erkennt.
    Du hast recht – der Fisch mag ein Insider sein. Aber Deine Predigt hat mich auf die Frage gebracht, wie ich nach außen zeigen kann, dass ich an Gott glaube. Und ich stelle fest, dass es schon im kleinen alltäglichen Miteinander beginnt. Z.B. in der Öffentlichkeit “Die Kirche” zu lesen. Bewusst einen schönen Reformationstag statt Halloween zu wünschen. Der Verkäuferin auf ihren Hinweis zur Öffnung am Sonntag sagen, dass dies für mich der “siebte Tag der Ruhe” ist. Bei letzterem beginnt die Angst vor den Fragen und das Gefühl, nicht hinreichend erklären zu können. Ganz so, wie Du es beschrieben hast. Manchmal fehlt mir auch der Mut. Aber jeder kleine Schritt stimmt mich froh und hoffnungsvoll.
    Danke also für eine Predigt, die den “Fisch” thematisiert hat, auch wenn es ein Insider ist. Bei mir hat’s gewirkt.

  2. Sammy sagt:

    Incredible points. Solid arguments. Keep up the great spirit.

Kommentare sind geschlossen.