Unseren Gottesdienst am 2. Advent zum Nachhören finden Sie für vier Wochen hier.
Den Kopf nach vorn beugen
auf die eigenen Füße sehen
den nächsten Schritt sehen
aber nicht wirklich weiter
Was kann der Mensch tun
wenn der andere den Kopf hängen lässt
was kann man bieten
dass der Blick nach vorn sich wieder lohnt?
Advent: Erlösung in Sicht
Sehnsucht auf Leben
Advent ist Abenteuer
der Blick in den offenen Himmel Gottes
Seht auf und erhebt eure Häupter,
weil sich eure Erlösung naht.
WSp aus Lukas 21,28
***
Beim Lesen des Bibeltextes für heute ist mir zuerst die Sache mit der Krähe wieder eingefallen. Eine Story aus meiner Kinderzeit, ich weiß, das ist schon eine Weile her, und trotzdem kam sie mir wieder in den Sinn.
Aber der Reihe nach, und in diesem Falle meint „der Reihe nach“ nicht von Anfang bis Schluss, sondern eher von der Mitte in den Anfang und dann zum Schluss.
Das bringt Euch durcheinander?
Ich werde mal versuchen, das zu sortieren.
Also zur Mitte der Geschichte, denn die ist mir wichtiger als Anfang und Schluss. Es war im Winter 1969/70, ich war sieben Jahre alt, es war bitter kalt, so kalt, dass sogar die Havel zufror, und schneite lang und ergiebig. Viele Leute lagen mit der Hong-Kong-Grippe krank, manche von ihnen schwer.
Das Haus, in dem ich meine Kindertage verlebte, war komplett unterkellert, hatte ein Erdgeschoss und ein Dachgeschoss. Im Erdgeschoss wohnten wir, im Dachgeschoss Familie Schulz.
Dieses Haus hatte zwei Eingänge. Der Haupteingang mit der Haustür war natürlich im Erdgeschoss. Da das Haus an einem kleinen Hang gebaut war und sich das Erdgeschoss Hochparterre befand, musste man einige Stufen zur Haustür steigen, wenn man von der Straße durch den Vorgarten kam.
Der Hintereingang führte in den Keller. Kam man mit dem Fahrrad oder dem Auto nach Hause, stellte man sein Fahrzeug hinter dem Haus ab – und nahm bequemer Weise gleich den Kellereingang, der von dort ebenerdig erreichbar war.
Das war vor allem im Winter angenehmer, denn man kam zunächst in den Kellerraum, in dem die Zentralheizung stand. Im Heizkessel brannte dann ein Feuer aus Koks und Briketts aus Braunkohle, es war also angenehm warm und man musste nicht durch das Winterwetter und den Schnee bis zum Haupteingang um das Haus herum bergauf laufen.
Mein Vater hatte, als er an einem Sonnabendnachmittag mit dem Auto wieder nach Hause kam, auch diesen Kellereingang benutzt, kam aber ziemlich aufgeregt und mit sichtbar rotem Kopf in die Wohnung: Was ist denn da im Keller los? Da fliegt ja eine Krähe herum!
Ich war ziemlich erschrocken.
Nicht so sehr wegen der Krähe, ich wusste schließlich, wie sie in den Keller gekommen war.
Aber meinen Vater hatte ich noch nie so aufgeregt, ja auch erschrocken gesehen. Mutter versuchte, ihn zu beruhigen und erzählte den Anfang der Geschichte, also wie die Krähe in den Keller gekommen war.
Mein Vater beruhigte sich ein wenig, stellte aber klar, dass er den Keller nicht mehr betreten würde, solange „dieses schwarze Ungetüm da unten einem die Augen auspicken kann“ – was allerdings bis zum Ende der Krähen-Geschichte noch einen Tag lang dauern sollte.
Ich aber schlich zu meiner Mutter und fragte etwas ängstlich, warum der Vater sich so aufregen würde. Naja, meinte sie, erstens hat er sich wohl ziemlich erschrocken, als er nichtsahnend durch den Keller nach oben gekommen ist, und außerdem mag er keine Krähen, er hat wohl sogar ein wenig Angst vor ihnen.
Das verwunderte mich nun sehr. Mein Vater: Angst?
Das hätte ich bis zu diesem Tag für unmöglich gehalten.
Und dann vor einer Krähe?
Es folgte ein längeres Gespräch mit Mutter darüber, wovor Menschen so Angst haben. Meine Mutter war ja Ärztin und kannte sich darum besonders gut mit Krankheiten aus.
Sie erlebte viele Menschen, die sich fürchteten, selbst die Hong-Kong-Grippe zu bekommen, denn die hatte schon zu ersten Todesfällen geführt. Aber auch außerhalb dieser akuten Grippewelle hatten viele Menschen das ganze Jahr hindurch Angst, manche sogar ihr halbes Leben oder gar mehr als das.
Mutter erlebte bei ihrer Arbeit Menschen, die Angst hatten, blind zu werden. Vor allem natürlich solche, die schon schlecht sehen konnten. Sie hatten Angst, von völliger Dunkelheit umgeben zu sein, nicht nur nachts, sondern immer, für den Rest des Lebens.
Oder Menschen, die Angst hatten, nichts mehr hören zu können. Ja, ein wenig Schwerhörigkeit konnte im Leben ganz nützlich sein, und man hatte ja zum Glück zwei Ohren, so dass besonders Ärgerliches zum einen Ohr rein und zum anderen wieder herauskommen konnte. Aber gar nichts mehr hören, keine Worte, keine Geräusche, keine Musik – das ist nur schwer zu ertragen.
Oder zu sein wie der Herr Lukas aus der Straße weiter runter, der seit seiner Kinderlähmung im Rollstuhl saß und ohne fremde Hilfe weder auf die Toilette kam noch die Wohnung verlassen konnte: So ein Leben schien für viele die Vorhölle zu sein.
Auch stumm zu sein war für viele eine schreckliche Vorstellung, vor allem stumm und taub gleichzeitig. Da war man mit seinen Gedanken und Gefühlen in seinem Körper eingeschlossen wie in einem unentrinnbaren Gefängnis.
Doch selbst ganz ohne Krankheiten barg das Leben Risiken, die sich zum Beispiel als Angst vor Tieren äußern. Unsere Vorfahren hatten da ja noch mehr zu befürchten als wir heute. Wir können uns in befestigte Häuser zurückziehen oder mit den passenden Waffen schützen.
Unsere Vorfahren kannten noch Wölfe, die ich nur aus dem Märchen kannte. Die sich in Rudeln nicht nur über kranke Tiere, sondern irgendwann auch über schwache Menschen hermachten und deren Heulen einem nachts das Blut in den Andern gefrieren und die Nackenhaare aufstellen ließ.
In anderen Teilen der Erde gab es auch noch Hyänen, Schakale, oder Geier, die den Menschen die Furcht in die Knochen trieben. Und große Raubkatzen wie Löwen oder andere reißende Raubtiere, denen man in der freien Natur völlig schutzlos ausgeliefert war.
Und Krähen gehören hierzulande nun einmal zu den Tieren, die vielen Menschen nicht so sympathisch sind wie Hunde, Katzen, Kanarienvögel oder Papageien.
Krähen sind zwar äußerst intelligent, aber sie fressen eben auch Aas und ihre Sangeskünste hätten in der Schule nur zu einer 5 in Musik gereicht. Kein Wunder, dass sie in Märchen und Filmen bei bösen Hexen oder Zauberern auf der Schulter saßen und ihnen bei deren üblen Taten nicht nur zusahen, sondern gar halfen.
Natürlich gab es noch viele andere Gründe für Menschen, Angst zu haben, aber darüber haben wir nicht weiter geredet. An meine Alpträume, die ich hin und wieder hatte und die mich dann nachts schweißnass aufwachen ließen, wollte ich nicht weiter denken. Aber nun verstand ich besser, dass mein Vater und die Krähe wohl keine Freunde werden würden.
Unser Predigttext heute redet nun davon, wovor Menschen der Bibel Angst hatten und wer ihnen da heraushilft, ich lese aus Jes 35 ab Vers 3:
3 Stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie!
4 Sagt den verzagten Herzen: „Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Er kommt zur Rache;
Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen.“
5 Dann werden die Augen der Blinden aufgetan
und die Ohren der Tauben geöffnet werden.
6 Dann wird der Lahme springen wie ein Hirsch,
und die Zunge des Stummen wird frohlocken.
Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen
und Ströme im dürren Lande.
7 … Wo zuvor die Schakale gelegen haben,
soll Gras und Rohr und Schilf stehen.
8 Und es wird dort eine Bahn sein und ein Weg,
der der heilige Weg heißen wird. …
9 Es wird da kein Löwe sein
und kein reißendes Tier darauf gehen;
sie sind dort nicht zu finden,
sondern die Erlösten werden dort gehen.
10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen
und nach Zion kommen mit Jauchzen;
ewige Freude wird über ihrem Haupte sein;
Freude und Wonne werden sie ergreifen,
und Schmerz und Seufzen wird entfliehen.
Vielfältige Ängste sind hier gespiegelt, Bilder für Grundängste der Menschen: Vor Krankheiten, vor wilden Tieren, vor falschen Wegen, vor der Trennung vom Gott Zions. All das Zukunfts-Ängste, die in den Menschen zu großen Sorgen heranwachsen können.
Sorgen vor ungewisser Zukunft aber verdunkeln das Leben jetzt. Sorgen machen die Knie weich und die Hände müde. Doch hier kommt der ins Spiel, der Allmächtige, der Himmel und Erde gemacht hat. Er kommt, wie Jesaja sagt „zur Rache“. Im Hebräischen meint das aber mehr und anderes als Rache in unserem Sprachgebrauch, die dem, an dem sie vollzogen wird, einfach nur Schaden zufügt, über den der Rächer dann schadenfroh ist.
„Rache“ ist Gottes Werkzeug des Heils.
Sie bedeutet ein Zurechtrücken von Leben, das auf falschen Bahnen läuft. Sie bedeutet, dass der Mensch aus seinen Schieflagen zum recht Sein gerückt wird,
dass er Erlösung vom Irregehen findet.
DARUM ist hier Rache gleichbedeutend damit, dass die Menschen HILFE erfahren werden, dass allen Ängsten ihre Bedrohlichkeit genommen wird. Allen, von Krankheiten über die wilden Tiere bis hin zu den falschen Lebenswegen.
Der Zion wird wieder erreichbar sein und mit ihm der Ort der größt möglichen Gottesnähe. Alle Sorgen werden so aufgelöst in Jauchzen und Freude, Schmerz und Seufzen der Vergangenheit angehören. Denn hier, auf dem Zion, ist ER, GOTT, der Himmel und Erde gemacht hat, alles was ist, alles was lebt, und alles, was liebt.
Meine Schwestern, meine Brüder,
Ich bin euch immer noch Anfang und Schluss der Krähengeschichte schuldig.
Der Anfang: Als meine Mutter und ich den Kinderwagen mit meinem gerade ein halbes Jahr alten Bruder Helge durch den Schnee an der Havel schoben, lag da eine Krähe im Schnee. Ich dachte schon, sie sei erfroren. Mir kamen die Tränen.
Meine Mutter aber, die Ärztin, nahm sie auf, wickelte sie in einen Schal und wir brachten sie gemeinsam in unseren Keller, damit sie sich wieder aufwärmen konnte. Wir stellten ihr Wasser und etwas Essbares hin und ließen sie in Ruhe in der Hoffnung, sie würde sich wieder erholen, was der Vater ja schließlich bestätigt hatte.
Das Ende: Am Sonntagnachmittag gingen wir runter in den Keller, fingen sie ein und brachten sie wieder nach draußen. Dann flog sie auf und davon, aber nicht ohne zuvor laut krächzend zwei Ehren-Runden um unser Haus zu fliegen. Seitdem liebe ich Krähen.
Nehme ich heute die alte Krähengeschichte und den noch viel älteren Propheten Jesaja zusammen, erkenne ich:
Für manch kleine Lebensangst reicht es, einfach eine schöne Geschichte erlebt zu haben, um sie ein für alle Mal loszuwerden. Ich hatte die erlebt, mein Vater allerdings nicht.
Bei den großen Ängsten des Lebens braucht es allerdings mehr. Und das braucht es wirklich, denn Ängste schaffen Sorgen, Sorgen legen sich wie Mehltau auf das Leben und rauben einem den Schlaf, machen die Knie weich, die Hände müde, verstellen den Blick nach vorn.
Bei den großen Ängsten des Lebens, bei der Angst vor dem Leben braucht es mehr: Den Advent Gottes.
Dass der in das Menschenleben tritt,
der das Leben geschaffen hat, der es will, der der Welt Wasser selbst in die Wüste und Gras, Rohr und Schilf selbst in die dürre Steppe bringt.
Dass der in das Menschenleben tritt,
der Tag für Tag die Sonne aufgehen lässt, die mit ihren Strahlen wärmt und die Lebensgeister weckt, selbst in der dunkelsten Zeit des Jahres.
Dass der in das Menschenleben tritt,
bei dem Freude und Wonne zu finden sind, weil ER sich auf dem Zion finden lässt.
Wir feiern Advent, weil auf IHN Verlass ist.
Seit Gott in seinem Sohn zu uns kam, kann es keinen Zweifel geben:
Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
sind stark genug, jede Lebens-Sorge zu nehmen
und Menschen auf guter Bahn leben zu lassen. AMEN
Er wird nicht in Verzug kommen, oder:
Er wird nicht lang verziehen
EG 151: 4.5.7
4. Er wird nicht lang verziehen,
drum schlafet nicht mehr ein;
man sieht die Bäume blühen;
der schöne Frühlingsschein
verheißt Erquickungszeiten;
die Abendröte zeigt
den schönen Tag von weitem,
davor das Dunkle weicht.
5. Begegnet ihm auf Erden,
ihr, die ihr Zion liebt,
mit freudigen Gebärden
und seid nicht mehr betrübt;
es sind die Freudenstunden
gekommen, und der Braut
wird, weil sie überwunden,
die Krone nun vertraut.
7. Hier ist die Stadt der Freuden,
Jerusalem, der Ort,
wo die Erlösten weiden,
hier ist die sichre Pfort,
hier sind die güldnen Gassen,
hier ist das Hochzeitsmahl,
hier soll sich niederlassen
die Braut im Freudensaal.