Den Gottesdienst zu Nachhören finden Sie für vierzehn Tage hier.
Ostern
Leben
feiert das Fest
Leben das war
das ist
das sein wird
Altes vergeht
Neues beginnt
Hoffnung unzerstörbar
Lasten werden anders getragen
neues Leben wird gefunden
Tod wird überwunden
der Frühling hält Einzug
auch in der Seele
neue Trauben entstehen am Weinstock
Ostern lässt jubeln
SEINE Auferstehung von den Toten
lässt UNS leben
Oster – Geheimnis
jetzt und ewig
Jubilate!
Ist jemand in Christus,
so ist er eine neue Kreatur;
das Alte ist vergangen,
siehe, Neues ist geworden.
2. Kor. 5,17
***
Eine Woche Pfarrkonvent gemeinsam mit polnischen Militärseelsorgern im Herbst in der Marinetechnikschule in Parow in der Nähe von Stralsund.
Das ist eine neuere Schule der Bundeswehr: Helle, freundliche Hörsäle, gepflegte Grünanlagen, gastliche Versorgungseinrichtungen. Untergebracht sind wir nach so genanntem „neuerem Bundeswehrstandard“ – Einzelzimmer mit Nasszelle. Nicht luxuriös, aber alles da, wo man es eben braucht. zweckmäßig eben. Trocken, warm und hell – ein Telefon neben dem Bett.
Keine Wochentagung ohne Ausflug: An einem Nachmittag fahren wir in einem kleineren Mannschaftstransportboot der Marine auf die Insel Hiddensee. Wir haben eine Wanderung vor, wollen in eine Kapelle und nach einem Kaffee wieder zurück.
Als wir angelegt haben und losgegangen sind, bereue ich, dass ich meinen Hut vergessen habe, denn es beginnt die Sorte Regen, die man ohne Kopfbedeckung nur ungern erträgt. Regenschirme haben auf dieser Insel, auf der nie Windstille zu herrschen scheint, sowieso keine Chance. Aber wenigstens die Jacke ist wasserdicht, denke ich.
Nur kurze Zeit später, noch lange vor der alten Kapelle, sind meine Hosen ab dem Knie dann nass und die Schuhe innen schon feucht. Der Himmel sieht grimmig durch mehrere Grau- und Schwarzschattierungen auf uns herunter.
Ich will meine rechte Hand in die Jackentasche stecken- und bekomme einen ziemlichen Schreck. Die Tasche war nicht ordentlich geschlossen, jetzt ist sie tatsächlich bis an den Rand mit Wasser vollgelaufen. Wasserdichte Stoffe funktionieren tatsächlich. Manchmal.
Ich leere die Tasche vor der Kapelle mit lautem Platsch aus und betrete mit den anderen die Kirche. Meine Haare sind klatschnass; meine Beine sind kalt. Drinnen ist es nicht gerade hell und deutlich kälter als draußen. Aber wenigstens wird man nicht noch nasser, und den Wind hört man nur noch an irgendeinem Dachziegel herumrütteln.
Die Einrichtung ist spärlich, reich war man auf dieser Fischerinsel früher nicht. Mir fällt eine Tafel ein, die ich früher einmal in der Kirche in Altefähr auf der Insel Rügen gesehen habe. Da waren die Namen derer verzeichnet, die dort seit dem Mittelalter als Pfarrer wirkten. Die hatte eine Überschrift, die sich mir einprägte: „tempore evangelii pastores fuerunt“ – zur Zeit des Evangeliums sind Pastoren gewesen…
Und ich frage MICH: Wie lange hätte ich das ausgehalten auf DIESER Insel? Als Mensch, von Beruf Pfarrer? Nicht heute, sondern damals, als diese Kapelle gebaut wurde? Ohne Einzelzimmer mit Dusche, WC und Smartphone? Ohne Heizung, die man nur aufdrehen muss, wenn einen friert? Ohne Motorboot, dass einen aufs Festland fährt, wenn man hier einmal wegwill?
Was ist sie: „Die Zeit des Evangeliums“?
Ich kann mir in diesem Augenblick körperlich vorstellen, wie verlassen man sein kann – bei solchem Wetter, auf dieser Insel. Ich kann körperlich fühlen, weil die Kälte in mir emporsteigt – von den nassen Füßen über die feuchten Hosen in die Haare. Und ich beginne zu frieren. Eine merkwürdige, große Müdigkeit stellt sich ein, ein Gefühl der Leere und fehlender Perspektive.
Ein paar Monate später bin ich mit der Bundeswehr in Afghanistan. Bei vielem, was ich dort erlebe, fühle ich mich um vierhundert oder noch mehr Jahre in die Vergangenheit versetzt. Ich erlebe Menschen, die so arm sind, dass sie kaum etwas zum Anziehen haben. Viele Behausungen haben nicht einmal den Komfort einer unserer Gartenlauben.
Fast 30 Jahre Krieg und Bürgerkrieg hinterließen in dieser einst blühenden Stadt Kabul, aber auch auf dem Land ringsum eine ruinöse, für mich oft gespenstische Kulisse. Sauberes Wasser gibt es so gut wie nie für die Menschen. Frauen spielen außerhalb der Hauptstadt im gesellschaftlichen Leben nur innerfamiliär eine Rolle, irgendwo hinter hohen Mauern und verschlossenen Türen.
Lesen und Schreiben kann kaum jemand, Wissen ist ein Luxus, den sich hier nur wenige leisten können. Alt wird man schon darum nicht: Mit 44 Jahren hat man die statistische Lebenserwartung schon überschritten.
Die Hitze macht mir ziemlich zu schaffen. 50 Grad zu Mittag sind keine Seltenheit. Die Afghanen sind sie eher gewöhnt als ich. Und ich frage mich wieder, wie auf Hiddensee: Wie lange würde ich es HIER aushalten?
Wieder stellt sie sich ein, diese merkwürdige, große Müdigkeit, dieses Gefühl von Leere und fehlender Perspektive. Nur dass ich diesmal nicht durchnässt friere wie auf Hiddensee, sondern langsam gar werde.
Was ist sie: „Die Zeit des Evangeliums“?
Wieder zu Hause fühle ich mir sicher: Alle Probleme, die mich hier erwarten, sind eigentlich nichts im Vergleich zu dem, was die Menschen in Afghanistan heute oder auf Hiddensee einst tragen.
Ich habe meine Familie nah bei mir, wohne wieder im sicheren Haus, habe alles, was ich zum Leben brauche. Auch über Arbeitsmangel kann ich mich nicht beklagen, bis heute nicht. Und doch erlebe ich sie auch hier immer öfter, diese merkwürdige, große Müdigkeit, dieses Gefühl von Leere und fehlender Perspektive.
Eine große Erschöpfung um mich herum. Im vergangenen September sind Umfragen in den Medien diskutiert worden, wonach sich über die Hälfte der Deutschen erschöpft fühlen. Über 10% fühlen sich sogar total erschöpft.
40% meinen, dass ihre persönliche Erschöpfung in den nächsten Jahren sogar noch zunehmen wird.
Tiefe Erschöpfung: Sie ist Auslöser und Katalysator für viele Erkrankungen. Und Experten meinen, dass diese Zahlen ein sehr lautes Alarmsignal seien und viel zu hoch für eine moderne und funktionstüchtige Gesellschaft.
Und auch bei mir selbst stellt sich Erschöpfung immer mal wieder ein. Wenn ich auf mein Leben in meiner Kirche schaue und nicht mehr genau weiß, ob ich auf dem richtigen Weg bin.
Oder war oder ob ich den je finden werde.
Und ich frage mich wieder:
Was ist sie: „Die Zeit des Evangeliums“?
Wie unterscheidet sie sich vom Jetzt und Hier?
Genau genommen ist spätestens seit Ostern wohl jede Zeit „Zeit des Evangeliums“, auch wenn sie augenscheinlich Müdigkeit, Leere und fehlender Perspektive geprägt zu sein scheint.
Von Paulus wissen wir, dass er es ihm nun wirklich nicht besser ging als den Menschen auf Hiddensee oder in Afghanistan.
Und seine Arbeit als Missionar war ganz sicher aufreibender als meine als regelmäßig bezahlter kirchlicher Mitarbeiter heute. Im 2. Korintherbrief lässt sich nachlesen, was Paulus so alles zu tragen hatte:
Fünf Mal neununddreißig Geißelhiebe, drei Mal Stockschläge, eine Steinigung, drei Mal Schiffbruch, dabei ein Mal vierundzwanzig Stunden im Meer getrieben. „ In Gefahr gewesen durch Flüsse, in Gefahr unter Räubern, in Gefahr von meinem Volk, in Gefahr von Heiden, in Gefahr in Städten, in Gefahr in Wüsten, in Gefahr auf dem Meer, in Gefahr unter falschen Brüdern“ schreibt er (11, 26f). Und dass er körperlich schwach, krank, unansehnlich und schlecht in freier Rede war, wissen wir auch.
Doch von Erschöpfung, Leere oder Perspektivlosigkeit scheint es bei ihm keine Spur zu geben.
Er schreibt, ich lese den Bibeltext für heute aus Kapitel 4 ab Vers 16 in eigener Übertragung:
Wir sind uns sicher, dass Gott, genauso wie er Jesus aus dem Tod herausgeholt hat, auch uns da einmal herausholen wird.
Und dann werden wir alle zusammen, wir und ihr, ganz bei Gott leben.
All die Strapazen, die wir jetzt durchmachen müssen, können wir darum ertragen, und wir ertragen sie für euch.
Denn das ist sicher: Je mehr Menschen anfangen, mit Jesus für Gott zu leben, desto größer wird die Anzahl derer, die Gott dann laut danken und ihn vor den Menschen lautstark ehren.
DARUM lassen wir uns nicht unterkriegen!
Sicher, das Ganze geht nicht spurlos an mir vorbei.
Aber wenn ich auch körperlich immer schwächer werde, wirkt das Leben, was ich jetzt in Gott habe, jeden Tag neu und erfrischend für mich.
All das Jetzt ist also ein Nichts im Vergleich zum neuen Leben mit Gott.
So sehen wir lieber auf das, was vor uns liegt, auch wenn das noch weit entfernt scheint. Denn alles Jetzt wird bald vorbei sein, unsere Freude mit Gott aber ist und bleibt ewig.
Gegen alle Angst auf dieser Welt,
gegen jede Erschöpfung,
gegen die Perspektivlosigkeit des Lebens
bringt Paulus Ostern ins Spiel.
Ostern ist nicht lediglich die Befreiung Jesu aus dem Tod.
Ostern kann zur Perspektive von jeder und jedem werden.
Ostern WIRD zu Lebensperspektive aller Menschen,
die nach Gott fragen.
Ihr Blick kann sich heben, ihre Perspektive erweitern,
sie selbst werden in das Ostergeschehen hineingezogen.
Wie für Paulus:
Ostern macht ihn zu einem neuen Menschen,
der das Jetzt nicht mehr fürchten muss,
weil er es in neuem Licht sehen kann.
DAS, meine Schwestern und Brüder,
ist die Osterperspektive des Lebens.
Christus IST auferweckt und als Glaubende SIND und WERDEN wir es mit ihm. Auferweckt aus diesem Leben. Auferweckt aus dem Tod.
Sicher:
Die Freude über dieses österliche Leben ist auch für UNS an jedem Tag bedroht. Den Glauben zu leben IST anstrengend.
Denn es bleiben tiefsitzende Zweifel und eine stete Heimatlosigkeit in diesem neuen Leben.
Krankheiten machen einem zu schaffen, das Elend direkt neben uns und überall auf der Welt lässt einen nicht nur an der Menschheit, sondern auch nicht selten an jedem Glücklichsein verzweifeln. Wie kann man selbst glücklich sein, wenn der Mensch oder das Tier oder die Pflanze neben einem leiden muss?
Diejenigen, die den Glauben darum verachten, scheinen von Tag zu Tag mehr zu werden. Und ihnen gegenüber IN DER HAND habe ich nichts als meine persönliche Gewissheit, meinen Glauben. Und der ist immer neu angefochten, weil ich nie und niemandem beweisen kann, dass meine persönliche Gewissheit mehr ist als ein tröstliches Hirngespinst, mehr als ein Schönreden dessen, was für Andere nicht schön zu reden ist.
Doch für Paulus war das auch nicht anders. Er hat die Welt NICHT geändert, er ist nicht gesund geworden, ist auch nicht, nach allem was wir wissen, alt geworden.
Aber SEIN Leben wurde geändert, durch Ostern.
Und mit seinem Leben MEIN Leben.
Das Leben von jedem, der sein Taufgeschenk entdeckt:
Der Tod, der Jesus am Kreuz holen sollte, bricht sich das Genick an der Lebenskraft unseres Gottes. Der Tod, der mich und dich holen soll, wird es sich auch brechen, sein Genick.
Glaubende suchen darum nicht nach Gottes Zukunft im Irgendwann außerhalb dieser Zeit oder im Irgendwo außerhalb dieser Welt. Glaubende kommen vielmehr aus der Zukunft, aus Gottes Zukunft, sind durch die Taufe gottberührt und durch seine Liebe überflutet.
Mit den Worten des Albert Camus:
Auf der Welt / herrscht das Absurde,/ und die Liebe / errettet davor.
Osterglaube bedeutet also nicht einfach nur zu glauben, dass Jesus von aus dem Tod auferweckt wurde. Auch wenn das ganz allein schon viel ist. Osterglaube bedeutet aber darüber hinaus, es für möglich zu halten, dass die Auferweckung GESCHIEHT, dass sie UNS geschieht.
Das ändert nicht die Welt, aber das KANN alles ändern.
Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
ändern die Perspektive der Wirklichkeit:
Wir leben „tempore evangelii“, in der Zeit des Evangeliums.
Das ist Jubel zu jeder Zeit dieser Welt.
AMEN
EG 440
1. All Morgen ist ganz frisch und neu
des Herren Gnad und große Treu;
sie hat kein End den langen Tag,
drauf jeder sich verlassen mag.
2. O Gott, du schöner Morgenstern,
gib uns, was wir von dir begehrn:
Zünd deine Lichter in uns an,
lass uns an Gnad kein Mangel han.
3. Treib aus, o Licht, all Finsternis,
behüt uns, Herr, vor Ärgernis,
vor Blindheit und vor aller Schand
und reich uns Tag und Nacht dein Hand,
4. zu wandeln als am lichten Tag,
damit, was immer sich zutrag,
wir stehn im Glauben bis ans End
und bleiben von dir ungetrennt.