Unser Weihnachtsgottesdienst zum Nachhören ist für vier Wochen hier zu finden.
Martin Luther:
Wir fassen keinen andern Gott
als den,
der in jenem Menschen ist,
der vom Himmel kam.
Ich fange bei der Krippe an.
Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns,
und wir sahen seine Herrlichkeit.
Johannes 1,14a
***
GNADE SEI MIT EUCH und Friede von dem, der da ist,
der da war und der da kommt. Amen!
Sommer 1981.
„1 Ἐν ἀρχῇ ἦν ὁ λόγος,
καὶ ὁ λόγος ἦν πρὸς τὸν θεόν,
καὶ θεὸς ἦν ὁ λόγος.
2 οὗτος ἦν ἐν ἀρχῇ πρὸς τὸν θεόν.“
Mein Fahrlehrer lächelte in sich hinein.
„Kennen Sie das?“ fragt er weiter. Dann trug er mir die nächsten drei griechischen Verse vor (wollt ihr sie hören? Falls ja):
„3 πάντα δι’ αὐτοῦ ἐγένετο, καὶ
χωρὶς αὐτοῦ ἐγένετο οὐδὲ ἕν. ὃ γέγονεν
4 ἐν αὐτῷ ζωὴ ἦν,
καὶ ἡ ζωὴ ἦν τὸ φῶς τῶν ἀνθρώπων·
5 καὶ τὸ φῶς ἐν τῇ σκοτίᾳ φαίνει,
καὶ ἡ σκοτία αὐτὸ οὐ κατέλαβεν.“
Ich war sprachlos. Ja, ich kannte das allerdings, gerade erst hatte ich das im Griechisch-Unterricht übersetzt. Dass ICH das kannte, war also kein großes Wunder, schließlich studierte ich im zweiten Semester Theologie, das hatte ich ihm erzählt. Aber er?
Er saß in meiner ersten Fahrstunde im Berliner Stadtverkehr rechts neben mir im 1600er Lada, ein Mann kurz vor der Rente. Woher kannte er das? Warum konnte er das sogar auswendig? Und mit so guter Betonung? Wer war er, dieser Fahrlehrer?
Ich fand meine Sprache wieder und sage: „Ja, ich kenne das, das ist der Anfang des Prologs aus dem Johannesevangelium. Aber woher kennen sie das?“
Und er: „Das ist außerdem Weltliteratur. Und die hat in unserem Gymnasium in Ostpreußen zum Lernstoff gehört. Ein wirklich großer Text.“
Sicher 40 Jahre nach seinem Abitur kannte dieser Mann diesen Text noch immer auswendig. Wie hatte er doch gleich gesagt? „Ein wirklich großer Text.“ Darum konnte er ihn – immer noch – auswendig.
Dieser Text ist uns heute als Bibeltext aufgegeben. Und weil die wenigsten von euch Griechisch können, lese ich ihn jetzt in deutscher Übersetzung der Zürcher Bibel. Aus Johannes 1:
1 Im Anfang war das Wort, der Logos,
und der Logos war bei Gott,
und von Gottes Wesen
war der Logos.
2 Dieser war im Anfang bei Gott.
3 Alles ist durch ihn geworden,
und ohne ihn ist auch nicht eines geworden,
das geworden ist.
4 In ihm war Leben,
und das Leben war das Licht der Menschen.
5 Und das Licht scheint in der Finsternis,
und die Finsternis hat es nicht erfasst.
9 Er war das WAHRE Licht,
das jeden Menschen erleuchtet, der zur Welt kommt.
10 Er war in der Welt,
und die Welt ist DURCH ihn geworden,
und die Welt hat ihn
nicht erkannt.
11 Er kam in das Seine,
und die SEINEN nahmen ihn nicht auf.
12 DIE ihn aber aufnahmen,
denen gab er Vollmacht,
Gottes Kinder zu werden,
denen, die an SEINEN NAMEN glauben,
13 die NICHT aus Blut,
NICHT aus dem Wollen des Fleisches
und NICHT aus dem Wollen des Mannes,
sondern aus GOTT gezeugt sind.
14 Und das Wort, der Logos, wurde Fleisch
und wohnte unter uns,
und wir schauten seine Herrlichkeit,
eine Herrlichkeit,
wie sie ein Einziggeborener
vom Vater hat,
voller Gnade und Wahrheit.
Im Anfang war das Wort, der Logos.
Und der Logos war bei Gott.
Und von Gottes Wesen
war der Logos.
Wenn es Gott ist, in dem alles seinen Anfang nimmt, was ist, dann ist schon der Anfang gut. Ohne diesen Anfang der Zeit gäbe es weder Himmel noch Erde noch mich und dich.
Gott erweist sich als gut, weil er sich von diesem Anfang an nicht selbst genug, sondern in Beziehung ist.
IM Anfang, da wo noch nichts ist, außer Gott selbst,
da ist Gott schon in sich selber Beziehung.
Schon im Anfang ist er nicht unbewegtes Sein.
Unser Gott ist eben kein Einmal-Beweger, der die Welt anstößt, so dass sie sich dreht, und dann allem anderen nur noch zusieht.
Gott ist Gott in dem „Logos“, das die meisten anderen unserer Bibelübersetzungen lediglich mit das „Wort“ übersetzen. Logos, Wort schafft Beziehung, ist Beziehung, ist Leben. Wer wüsste das nicht: Ohne Wort geht der Mensch zugrunde, selbst wenn er weder verhungern noch verdursten müsste.
Doch meint Logos eben viel mehr als nur „das Wort“, wie wir es täglich gebrauchen.
Ebenso wie „Gott sprach“ viel mehr meint
als einfach nur, dass Gott eine Ansprache hält.
Logos und Gott sind Einheit.
Logos ist Gott ist Weisheit ist Verstand ist Vernunft ist Liebe. Logos schafft.
Er schafft Beziehung, Gott ist Beziehung.
Gott ist, indem er spricht, Schöpfer. Von Anbeginn.
Logos ist Gott. Zugewandtes Wort. Wort voller Energie und Kraft. Logos ist Schöpferkraft, die ins Leben und in Beziehung ruft.
Im Anfang war es so:
Und Gott sprach. Es werde! Und es ward, und es war gut.
So bekommt man es schon auf der ersten Seite der Bibel zu lesen.
Und Johannes sagt nicht nur, dass dieser Logos im Anfang WAR, sondern dass er ist und sein Ziel findet:
Der Logos wird Fleisch. Gott wird Mensch. Licht wird in der Dunkelheit. Gutes wird im Bösen.
Was Gott also NICHT ist von Anbeginn, das ist Dunkelheit.
Gott ist Licht.
Was Gott nicht ist von Anbeginn, das ist Lüge.
Gott ist wahr.
Was Gott nicht ist von Anbeginn, das ist Zersetzung und Zerstörung.
Gott ist gut.
Gott wird Mensch. Die Grenzenlosigkeit Gottes ist in der Begrenztheit des Seins nur EINES Menschen. Damit widerspricht Johannes der Sicht, die Welt sei einzig und allein grausam und schlecht, weil bei ihrer Erschaffung Gott wohl einen schlechten Tag gehabt haben müsse, entschieden deutlich.
Der Johannesprolog sagt vielmehr:
Licht überstrahlt doch die Dunkelheit.
Das Licht des Logos bringt sogar Unansehnliches zum Leuchten und zur Schönheit. Das ist Gnade.
Die Wahrheit entfaltet Wirkung in der Unwahrheit.
Der Logos wird Mensch:
Gott bleibt bei sich, gerade dadurch, dass er außer sich ist.
Außer sich geht. Das ist Barmherzigkeit.
Gott lässt sich herab, ist aber nicht herablassend.
Nein, Gott treibt sein Sein vielmehr auf die Spitze.
Indem er Mensch wird, kommt sein Gott-sein-in-Beziehung ans Ziel. Gott wird Mensch.
Und das Wort, der Logos, wurde Fleisch
und wohnte unter uns,
und wir schauten seine Herrlichkeit
Die Lutherbibel übersetzt diesen Anfang des letzten Verses unseres Textes, der ja der Spruch über den Weihnachtsfeiertagen ist, so, wie wir ihn zu Anfang des Gottesdienstes hörten:
Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns,
und wir sahen seine Herrlichkeit.
Apropos Spruch: Unsere Wochensprüche sind auch kleine Prologe. Sie sind Schlüsselverse zum Verstehen des Themas, dass der jeweilige Sonntagsgottesdienst haben wird. Und so ist auch der Prolog des Johannesevangeliums einzuordnen:
Er ist eine „Leseanleitung“, ein „Schlüssel“ für die Erzählung des Evangeliums, das gleich danach beginnt (1,19). Wir, die Leser, werden von Anfang an in Klarheit darüber versetzt, dass die Herkunft Jesu NICHT die aus Frau und Mann, sondern eben aus dem Logos, aus Gott selbst, ist. Und damit sagt der Prolog im Grunde nichts anderes als Matthäus oder Lukas, die sagen, Maria sei vom Heiligen Geist schwanger geworden.
Durch den Prolog lässt uns Johannes mehr wissen als die Handelnden im Text. Wir können schon vor dem Weiterlesen erkennen, wer Jesus wirklich ist: Der Logos, der Fleisch wurde.
Die Jünger verstehen dies aber lange nicht. Und wir Lesenden können so besser ermessen, was dieses Nichtverstehen ausmacht. Wir können besser verstehen, was Volk und Jünger nicht verstehen. Auch, warum diese Geschichte am Kreuz endet.
Brummt euch jetzt der Kopf?
Das tut mir leid, zumindest ein ganz bisschen.
Aber es ist eben wirklich so, wie schon mein Fahrlehrer sagte: Dieser Johannesprolog – das ist „ein wirklich großer Text“.
Den liest man nicht einfach wie einen Zeitungsartikel und hat ihn dann verstanden. Nein: Je öfter man ihn liest, desto mehr fällt einem auf, desto farbenfroher wird er, desto mehr kann man erkennen.
Das geht mir bei fast jedem Johannestext so. Übrigens auch bei unseren Wochensprüchen.
Und bei dem Johannesprolog fühle ich von Mal zu Mal deutlicher:
Johannes mag vielleicht das jüngste unserer vier Evangelien sein. Aber Johannes ist der, der mit diesem Prolog weit hinter die anderen Evangelien-Anfänge zurückgreift. Ja sogar hinter den Beginn der Schöpfungsgeschichte, HINTER das „Im Anfang“. Hier, bei Johannes, spüre ich Zeitlosigkeit, hier ahne ich Ewigkeit. Das ist ein Text, der sich anschickt, das Geheimnis Gottes offenbar zu machen.
Und da, meine Schwestern und Brüder,
sind wir bei der Weihnachtsbotschaft dieses Textes. Johannes ist es nämlich nicht wichtig, irgendeine Jugendgeschichte dieses Jesus zu erzählen. Er erzählt weder vom Stall, der Krippe und den Hirten in Bethlehem wie es die Weihnachtsgeschichte nach Lukas erzählt.
Er erzählt auch nicht von einem Haus in Bethlehem, in das die Weisen aus dem Osten kommen, um den Neugeborenen mit Gold, Weihrauch und Myrrhe fürstlich zu beschenken, bevor die junge Familie vor Herodes nach Ägypten fliehen muss. So erzählt es Matthäus.
Johannes erzählt von all dem nichts. Aber er beantwortet uns die Frage, warum wir all das alle Jahre wieder bedenken und besingen, warum wir Weihnachten feiern, klar und deutlich:
Das Heil, dass Gott uns schenkt, hat seinen Grund nicht in der wechselvollen, oft grausamen Geschichte der Menschheit auf Gottes Erde. Das Heil hat seinen Grund im Uranfang, bei Gott selbst.
Die Geschichte der Menschheit wird fortgeschrieben: Drohnen-und Raketenterror der Russen über der Weihnachtsukraine, Raketen und Bomben im Nahen Osten, Terror in Magdeburg. Unfrieden in Betrieben, Familien, Vereinen, Kirchengemeinden. Für viele Menschen gibt es sie, die Hölle auf Erden, auch und gerade in dieser Weihnachtszeit.
Doch der Logos lenkt unseren Blick auf das Geheimnis Gottes im Anfang. Gottes erstes Wort hat uns das Leben geschenkt. Und jetzt wird es Mensch, kommt zu uns, geht seinen Weg mit uns, wohnt unter uns.
Und das Wort, der Logos, wurde Fleisch
und wohnte unter uns,
und wir schauten seine Herrlichkeit
und sehen Liebe, Gnade und Gemeinschaft.
Lasst uns Weihnachten feiern. AMEN
EG 53:
1 Als die Welt verloren,
Christus ward geboren;
in das nächt’ge Dunkeln
fällt ein strahlend Funkeln.
Und die Engel freudig singen,
unterm Himmel hört man’s klingen:
Gloria, Gloria, Gloria
in excelsis Deo!
2 Und die Engelscharen
bei den Hirten waren,
brachten frohe Kunde
von des Heilands Stunde:
»Bei den Herden nicht verweilet
und nach Bethlehem hin eilet.«
Gloria, Gloria, Gloria
in excelsis Deo!
3 Zu dem heilgen Kinde
eilten sie geschwinde,
konnten staunend sehen,
was da war geschehen:
Gott im Himmel schenkt uns allen
mit dem Kind sein Wohlgefallen.
Gloria, Gloria, Gloria
in excelsis Deo.