Der Geist des Turmbaus und der Geist Gottes (1. Mose 11, 1-9)

Pfingsten
Fest des Geistes, der Kirche schafft
die Gemeinschaft der Heiligen feiert
sie ist begeistert
vom Wort Gottes, dass Herzen entzündet
und das Leben ändert
für immer
schon immer

Es soll nicht durch Heer oder Kraft,
sondern durch meinen Geist geschehen,
spricht der HERR Zebaoth.
Sacharja 4 Vers 6***

„Und die Erde war wüst und leer,
und Finsternis lag auf der Tiefe;
und der GEIST GOTTES schwebte über dem Wasser.“
So beginnt die Bibel, das war ihr 2. Vers.

Pfingsten ist das Fest dieses Geistes Gottes.
Des Geistes, der schon immer die Welt bewegt und verändert.
Der 50 Tage nach Ostern über die JüngerInnen Jesu ausgegossen wird, sie entzündet und Kirche werden lässt.
Der Geist, der die vielen Gaben in der Gemeinde wirkt (1. Kor 12, 4-11).
Von denen die größte die Kraft der Liebe ist (1. Kor 13).
Der die Einheit aller Christen schafft (Eph 4, 3ff).

So weit die „Theorie“ der Theologie.
Aber wes Geistes Kind sind wir Menschen,
wes Geistes Kind bin ich?

Die Geschichte des Turmbau zu Babel ist jetzt unser Predigttext. 1. Mose 11:
1 Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache.
2 Als sie nun von Osten aufbrachen,
fanden sie eine Ebene im Lande Schinar und wohnten daselbst.
3 Und sie sprachen untereinander: Wohlauf, lasst uns Ziegel streichen und brennen! – und nahmen Ziegel als Stein und Erdharz als Mörtel
4 und sprachen: Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, dass wir uns einen Namen machen; denn wir werden sonst zerstreut über die ganze Erde.
5 Da fuhr der HERR hernieder, dass er sähe die Stadt und den Turm, die die Menschenkinder bauten.
6 Und der HERR sprach: Siehe, es ist einerlei Volk und einerlei Sprache unter ihnen allen und dies ist der Anfang ihres Tuns; nun wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun.
7 Wohlauf, lasst uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, dass keiner des andern Sprache verstehe!
8 So zerstreute sie der HERR von dort über die ganze Erde, dass sie aufhören mussten, die Stadt zu bauen.
9 Daher heißt ihr Name Babel, weil der HERR daselbst verwirrt hat aller Welt Sprache und sie von dort zerstreut hat über die ganze Erde.

In meinem Kinderzimmer hing dazu ein großes buntes Bild an der Wand, das fleißige Menschen dabei zeigte, wie sie einen pyramidenähnlichen Tempelturm bauten. Die im Schweiße ihres Angesichtes schufteten, um ihr Bauwerk gelingen zu lassen. Ich habe damals nicht verstanden, warum Gott hier Spielverderber war. Was war, was ist schlecht an so schönen Bauwerken? Hätte ich unsere Freunde aus der Tschechoslowakei oder Ungarn nicht besser verstehen können, wenn sie meine Sprache sprechen würden?

Daran musste ich auch denken, als ich als Jugendlicher zum ersten Male im Pergamon- Museum die Prozessionsstraße mit dem Ischtar- Tor sah. Vor zweieinhalb tausend Jahren baute man in eben diesem Babel am Euphrat ähnlich bedeutsame Dinge wie die Ägypter mit ihren Pyramiden, die in ihrer Größe und Pracht heute noch Menschen in Ehrfurcht und Staunen versetzen. Man baute in Babel aus gebrannten, sogar glasierten und herrlich verzierten Ziegeln, als man in unserer Gegend noch in Höhlen hauste. Warum mochte Gott das alles nicht?

Heute lese ich: Es lag am Geist.
Nicht am Geist Gottes, sondern an dem, der von den Menschen ausgeht. Die Urgeschichte am Anfang der Bibel erzählt darüber im 1. Mosebuch in einem weiten Erzähl-Bogen:

Die Menschen erhalten Heimat im Garten Eden. Es folgen der sogenannte Sündenfall, der Brudermord Kains an Abel, die Noah- Geschichten um die Sintflut und schließlich der Turmbau zu Babel. All diese Geschichten erzählen vom Scheitern des Menschen, sein Leben autonom zu bestimmen.

Mit dem Bewusstsein, Heimat zu haben verliert der Mensch den Garten Eden, den Ort des Vertrauens, seiner Sicherheit und Geborgenheit. Seine folgenden Versuche, Heimat selbst zu gestalten und wieder zu gewinnen, scheitern kläglich.

Einerseits berichten die Erzählungen von großem Fortschritt: Hirten und Bauern teilten sich die Arbeit (4,2), Städte wie Henoch werden gebaut (4,17), Musikinstrumente wie Zithern und Flöten entstehen (4,21), Metallerze werden abgebaut und verwertet (4,22), Weinanbau betrieben(9,20).

Aber diese kulturellen Leistungen der Menschheit sind überschattet vom Verlust an Menschlichkeit: Von Brudermord (4,2–16), maßloser Rache (4,23f), Bosheit (6–8), und, kaum dass die Sintflut überstanden war, von Trunkenheit und Zerstörung der Familie (9,20–27).

Fazit: Bei all seinen Versuchen, sich Heimat aus eigenen Maßstäben heraus zu gestalten, überschreitet der Mensch immer wieder Grenzen, kann die gerufenen Geister nicht mehr einfangen, gefährdet sein Leben und das anderer.

In der Turmbau- Geschichte erreicht das einen Höhepunkt. Von Osten, also der Gegend um den Garten Eden, brechen die Menschen auf. Hier, am Ufer des Euphrat, wollen sie sich nach dem Verlust des Paradieses eine eigene Heimat schaffen.

Sie bauen nicht mehr einfach mit dem, was sie so vorfinden. Sie brennen Ziegel, verwenden „Erdharz“, also Asphalt. Unterwerfen sich die Erde. Nun bauen sie ihre Stadt mit Burg und Turm.
Himmelhoch soll das Bauwerk ragen. Gottgleich wollen sie über die Menschheit herrschen.

DAS meint „dass wir uns einen Namen machen“. Dieser Turm ist Symbol menschlichen Strebens nach Autonomie, nach völliger Unabhängigkeit. Man meint, Heimat, Sicherheit und Geborgenheit selbst schaffen zu können.

Erste Zerfallserscheinungen der Menschen-Gemeinschaft sollen durch Gemeinschaftserfahrungen auf der Großbaustelle aufgehalten werden. Der Stolz über das monumentale Schaffen soll Gemeinschaft dauerhaft erhalten. Die Menschen meinen, so in ihrem Leben Stabilität zu schaffen.

Stadt, Turm und völkische Gemeinschaft sollen Größe der Babylonier demonstrieren. Die Mauern sollen sprechen: Wenn wir zusammenhalten, kann uns nichts und niemand überwinden.

Der Traum von der Unverwundbarkeit des Menschen ist geboren. Und dieser Traum hat schon immer totalitäre Züge getragen. Von hier ist es nur noch ein kleiner Schritt bis zur Führerperson, die allein weiß, was gemacht, gedacht und gelebt werden muss, deren Sprache alle sprechen müssen.

Nach dem Schöpfungsgeist Gottes ist DAS der Geist, der von Menschen ausgeht. Bis in unsere Zeit hinein können wir das immer wieder sehen. Es ist noch nicht einmal einhundert Jahre her. 1940 wurden 27 deutsche Städte durch Hitlers persönlichen Erlass zu „Neugestaltungsstädten“.

Aus Berlin sollte die „Reichshauptstadt Germania“ werden, aus
München die „Hauptstadt der Bewegung“ und aus Nürnberg die „Stadt der Reichsparteitage“. Olympiastadion oder Reichsluftfahrtministerium in Berlin, das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg oder das längste Gebäude der Welt in Prora lassen die Gigantomanie heute noch erahnen. Und Auschwitz und zweiter Weltkrieg erinnern bleibend, wohin das alles führte.

Aber: Das Herniederfahren Gottes durchkreuzt die Allmachts-Phantasien. Man kann das ironisch verstehen: Das himmelhohe Bauwerk war so klein, dass Gott es mit der Lupe suchen und schließlich hinabkommen musste, um es überhaupt sehen zu können. Aber es geht gar nicht so sehr um Ironie im Nachgang. Es geht um die Rettung der Menschheit.

Gott vernichtet weder die Menschen noch zerstört er ihr Bauwerk. Gott entlarvt den Geist der „einen Sprache“, der Monumentalsucht, der Gleichschaltung, der Angst vor Multikultur und Vielfalt. Gott „verwirrt“ die Sprache. Eindeutige Befehle und eindeutige Anweisungen werden nicht mehr einfach verstanden. Unbedingter Gehorsam ist nicht mehr möglich.

Zwangsläufig folgende Missverständnisse lassen den Bau ruhen und letztlich scheitern. Der Turm bleibt Fragment. Die Identität von Volk und Reich löst sich auf. Zerstreuung der Menschen über die Erde, große Sprach-Vielfalt ist die Folge. Immerhin gibt es heute fast 6000 Sprachen auf dieser Erde. Und der Name Babel geht in die Geschichte der Gesamtmenschheit ein: Er kann spöttisch als „Durcheinander“ gedeutet werden.

Hätte dieser Einheits- Geist die Weltherrschaft übernommen, würden alle nicht nur die gleiche Sprache sprechen, sondern das gleich denken, wollen und tun müssen. Das Eingreifen Gottes macht jedoch deutlich: Diese Einheit zu erstreben ist gefährlich, weil sie die Augen verschließt von der Vielfalt der Schöpfung und der Geschöpfe. Weil sie das Ende der Menschlichkeit bedeutet.

Meine Schwestern, meine Brüder,

Welcher Geist von Menschen ausgeht, die singen: „Ohne Gott und Sonnenschein fahren wir die Ernte ein“, können wir schon aus der Urgeschichte am Anfang der Bibel lernen. Die Turmbaugehsichte ist Symbol dafür, wohin die Menschen sich entwickeln, wenn der Glaube an die Möglichkeiten des Menschen den Glauben an die Möglichkeiten Gottes in den Schatten zu stellen versucht.

Die Möglichkeiten des Geistes Gottes aber sind unendlich. So wie er aus dem Nichts Himmel und Erde machte, machte er diese Welt zu einem bunten Miteinander von Menschen, Sprachen und Kulturen. Damit wurde sie zu dem Ort, den wir so lieben. Jeder Tag ist ein überraschend neuer Tag. Es werden schöne Stunden, weil schwere Stunden werden, und umgekehrt.

Das Leben der Menschen ist eben NICHT Unveränderlichkeit an einem Ort, Sicherheit durch dicke Mauern oder das Denken der einen Sprache. Mag ihr Babel-Geist ihnen das auch noch so oft schön zu reden versuchen. Das Leben der Menschen ist ein WEG.

Heimat finden Menschen darum in Aufbruch und Suche, in der Vielfalt der Welt, im Gespräch mit anderen Menschen. Und dass man dabei die Sprache des Gegenübers oft nicht versteht, liegt nicht nur daran, dass ich Deutsch und der andere Chinesisch redet.

Wenn ich Gemeinschaft sage meine ich ganz offensichtlich nicht dasselbe, als wenn Alexander Gauland von Gemeinschaft redet. Auch wenn wir beide deutsch sprechen. Der Geist der Menschen zeugt Missverstehen.

Der Geist, den Gott zu Pfingsten ausgießt, bewirkt das größte Wunder. Er schafft, dass die Menschen bei aller Verschiedenheit, bei aller unterschiedlicher Kultur, bei allen unterschiedlicher Sprache VERSTEHEN können, was Gott sagt und wie er es meint.

Der Geist Gottes spricht durch CHRISTUS, der sagt:
Der Weg -bin ich.
Die Wahrheit -bin ich.
Das Leben -bin ich.
Wer Heimat sucht, findet sie -in der Liebe.
Wer Erfüllung sucht, findet sie -im Himmel Gottes.
Wer Leben sucht, sucht Gott. Und Gott lässt sich finden.
Und wo immer er sich finden lässt, ist sie, die EINE Kirche.

Ich bin froh, dass dieser Geist Gottes, den wir zu Pfingsten feiern, mir zu meiner Taufe geschenkt ist. Ich bin wirklich froh, denn ich spüre, dass der Turmbau- Geist der Menschen mich einengt, mir Freiheit nimmt, mich anderen gegenüber voreingenommen sein lässt. Dass da der Geist Gottes ist, lässt mich aufatmen. Er lässt mich verstehen, was Gott sagt und wie er es meint. Das ich frei sein soll, so wie alle anderen frei sein sollen.
Pfingstgeist: Des Geistes Kind bin ich.
Heimat ist nicht die EINE Sprache, sondern der WEG, der vor uns liegt. Die unendliche Vielfalt, auch und gerade in den Kirchen, ist das größte, was Gott unserem Leben schenkt. Und Gott lässt sich finden, weil sein Geist uns nahe ist. Wenn wir nach ihm fragen. Wenn wir singen, beten. Gottesgemeinschaft im Abendmahl feiern.

Lasst euch von eurem Taufgeist anstecken,
der durch die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
alle Grenzen sprengt, auch die unseres Verstandes.
Der uns Gott finden und verstehen lässt: Das Heil unseres Lebens.
AMEN

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